»Es gab viel Lob von den Kol­le­gIn­nen«

Nils Mink­mars Kom­men­tar in der FAZ »Der Fah­nen­flücht­ling« und die ho­hen emo­tio­na­len Wel­len, die er er­zeugt. Sie­ben Fra­gen per Mail und die Ant­wor­ten:

G.K.: Ihr Ar­ti­kel hat zu ei­ner wah­ren Le­ser­kom­men­tar­flut ge­führt. So­gar die ulti­mativste Waf­fe des Le­sers, der Abo-Ent­zug wur­de drei­mal an­ge­droht. Wa­ren Sie über die An­zahl der doch teil­wei­se gra­vie­ren­den Ab­leh­nun­gen über­rascht?

Nils Mink­mar: Es gibt ge­wis­se The­men, die im­mer sehr an den Nerv un­se­rer Le­ser rüh­ren. Da­zu zählt un­ser Ver­hält­nis zum Is­lam, Bil­dungs­de­bat­ten und der Bundes­präsident. Ich hat­te al­so da­mit rech­nen dür­fen. Die Hef­tig­keit ist dann im­mer so ei­ne Auf­wal­lung. Mei­stens ant­wor­te ich schnell oder ru­fe an, dann ent­spinnt sich ei­gent­lich ei­ne sehr er­trag­rei­che Kom­mu­ni­ka­ti­on.

Gab es vor­her oder nach­her Pro­ble­me in der Re­dak­ti­on ob des schar­fen, po­le­mi­schen Tons des Ar­ti­kels?

Nils Mink­mar: Nein, es gab viel Lob von den Kol­le­gIn­nen.

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Die In­sze­nie­rung der Ka­ta­stro­phe

Seit mehr als fünf Wo­chen strömt aus di­ver­sen Stel­len ei­ner ha­va­rier­ten BP-Bohr­in­sel oh­ne Un­ter­lass Öl in den Golf von Me­xi­ko. Die Zah­len über die täg­li­che Men­ge Öl, die un­ge­hin­dert ins Meer fließt, va­ri­ie­ren er­heb­lich – man hört von 700 to/Tag bis zu 14.000 to/Tag. Die öko­lo­gi­sche Ka­ta­stro­phe wird noch ver­stärkt durch den Ein­satz öl­bin­den­der Che­mi­ka­li­en, die als gif­tig ein­ge­schätzt wer­den. Sie bin­den das Öl je­doch so, dass es da­nach nicht mehr sicht­bar ist – der op­ti­sche Ein­druck scheint hier sehr wich­tig.

Screenshot Livestream von BP
Screen­shot Live­stream von BP


Der Image­scha­den von BP ist enorm, zu­mal die Hilf­lo­sig­keit of­fen­sicht­lich ist. Man hat­te früh Fo­ren ein­ge­rich­tet, in de­nen Vor­schlä­ge für die Ab­dich­tung des Lecks / der Lecka­gen er­be­ten wur­den. Das ist kein gu­tes Zei­chen.

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Nach­rich­ten nach Guts­her­ren­art

Am 22.03.2010 wur­de die Ver­haf­tung von Jörg Ka­chelm­ann ge­mel­det. Er wird der Ver­ge­wal­ti­gung ver­däch­tigt, was er be­strei­tet. Al­le Me­di­en be­rich­ten von dem Er­eig­nis; ei­ni­ge er­ei­fern sich in vor­aus­ei­len­dem Rich­ter­spie­len (nicht nur die üb­li­chen Ver­däch­ti­gen der Volks­ver­dum­mungs­agen­tur ‘Bild’). Auch das ZDF be­rich­tet in ih­rer »heute«-Sendung um 19 Uhr über die Ver­haf­tung und er­wähnt aus­drück­lich, dass Ka­chelm­ann die Vor­wür­fe be­strei­tet.

Al­le Me­di­en? Nein, »ta­ges­schau« und »ta­ges­the­men« der ARD schwei­gen da­zu. Ka­chelm­anns Fir­ma »Me­teo­me­dia« pro­du­ziert für die ARD ei­ni­ge Wet­ter­sen­dun­gen, u. a. in den »ta­ges­the­men« (in der »ta­ges­schau« wird die Vor­her­sa­ge des Deut­schen Wet­ter­dien­stes ge­zeigt; ein müh­sam aus­ge­han­del­ter Kom­pro­miss zwi­schen den wi­der­strei­ten­den An­bie­tern). Ist das der Grund? Im­mer­hin nimmt der »Er­ste Chef­re­dak­teur« von »ARD-ak­tu­ell«, Dr. Kai Gniff­ke, im »tagesschau«-Blog noch am glei­chen Tag Stel­lung zur Nicht­be­richt­erstat­tung und be­strei­tet das. Als Be­grün­dung für das Schwei­gen in den von ihm be­treu­ten Nach­rich­ten­sen­dun­gen be­müht er un­ter an­de­rem die Fol­gen, falls sich der Ver­dacht als falsch her­aus­stel­len soll­te:

    Aber was, wenn sich Ka­chelm­anns Un­schuld her­aus­stellt? Dann ma­chen wir ei­ne sau­be­re Mel­dung, dass der gan­ze Me­di­en­zau­ber halt nur ein klit­ze­klei­ner Irr­tum war. Da­bei kann nach der heu­ti­gen Be­richt­erstat­tung der Wet­ter­kund­ler doch jetzt schon ein­packen.

Es ent­wickel­te sich ei­ne durch­aus kon­tro­ver­se Dis­kus­si­on (man muss wis­sen, dass die Kom­men­ta­re im »tagesschau«-Blog »mo­de­riert« wer­den). Gniff­ke sah sich ge­nö­tigt, zwei Ta­ge spä­ter noch ei­nen Bei­trag zu ver­fas­sen – ob­wohl die Zahl der Be­für­wor­ter sei­ner Po­si­ti­on leicht über­wog. Da­bei ging er in die Of­fen­si­ve und for­mu­lier­te ei­nen für »ta­ges­schau«- und »tagesthemen«-Zuschauer neu­en jour­na­li­sti­schen An­satz:

    Ge­gen­über ge­stern hat sich aus mei­ner Sicht qua­li­ta­tiv nichts ge­än­dert. Der Ver­dacht ei­ner Ver­ge­wal­ti­gung be­steht wei­ter. In­so­fern gilt mei­ne Ar­gu­men­ta­ti­on von ge­stern auch heu­te. Nun ha­ben Kom­men­ta­to­ren im Blog ein­ge­wandt, wir hät­ten vor sechs Jah­ren auch über den Fall Tür­ck be­rich­tet. Stimmt, wir hat­ten ei­ne Mel­dung, und zwar über die An­kla­ge­er­he­bung. Das hat ei­ne an­de­re ju­ri­sti­sche Qua­li­tät. Das ist der Maß­stab, der für uns heu­te noch gilt wie 2004.

Gniff­ke er­klärt non­cha­lant ei­ne An­kla­ge­er­he­bung als Kri­te­ri­um für die Be­richt­erstat­tung in den Nach­rich­ten­sen­dun­gen der ARD. So weit, so gut, könn­te man sa­gen. Wer’s an­ders möch­te, kann ja die an­de­ren Sen­dun­gen an­schau­en.

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Welt­fremd­heit

Ei­ne klei­ne Pfingst­pre­digt... in der mein Hei­li­ger Geist die Stel­le in ei­nem Ro­man von Die­ter Wel­lers­hoff ist, (»Der Him­mel ist kein Ort«). Ich hat­te das Buch letz­tes Jahr ge­schenkt be­kom­men und war so be­gie­rig ge­we­sen, es zu le­sen, dass ich die Stel­le beim er­sten Mal über­se­hen ha­ben muss. Je­den­falls kommt es mir jetzt so vor, und ich bin froh, im Wie­der­le­sen »in dürf­ti­ger Zeit« noch ein­mal dar­auf zu sto­ßen. Sie lau­tet: Du bist kein Son­der­fall, son­dern ein Bei­spiel für vie­le. Und das ver­pflich­tet dich.

Mög­lich, dass es im er­sten Mo­ment nur das Pa­ra­dox war, das in mir klang: Sind wir doch ge­wohnt, uns am nam­haft ge­mach­ten, am he­roi­schen Ein­zel­nen zu ori­en­tie­ren, und steht al­so der Ge­dan­ke, dass der Ge­wöhn­lich­ste als das ver­bind­li­che­re Vor­bild taug­te, schein­bar da­ge­gen.

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Björn Kern: Das ero­ti­sche Ta­lent mei­nes Va­ters

Björn Kern: Das erotische Talent meines Vaters
Björn Kern:
Das ero­ti­sche Ta­lent mei­nes Va­ters

Der 23jährige Phil­ip ar­bei­tet als Pfle­ger in ei­ner psych­ia­tri­schen Kli­nik in Ber­lin und be­sucht für ein Wo­chen­en­de sei­nen Va­ter, der ein Haus in der Nä­he der deutsch-schwei­ze­ri­schen Gren­ze an ei­nem See be­wohnt (ver­mut­lich ist der Bo­den­see ge­meint). Ein Som­mer­tag, An­kunft im Nach­mit­tags­licht, vor­bei an Wein­ber­gen, Obst­wie­sen und Ger­sten­fel­dern. Dann er­reicht er die Vil­la, das Ei­sen­tor mit zwei gusseiserne[n] Greifvögel[n] und den nach­träg­lich aufgelötete[n] See­pferd­chen, die schon ein biss­chen vor­weg­neh­men, was ei­nen hin­ter dem Tor tat­säch­lich er­war­te­te. Merk­wür­di­ger­wei­se ist es ver­schlos­sen und Phil­ip kommt über die Ter­ras­se. Kur­ze, eher bei­läu­fi­ge Be­grü­ßung. Sein Va­ter Ja­kob (man re­det sich ganz pro­gres­siv mit dem Vor­na­men an) ist Mit­te 60, Men­thol­par­füm, ge­bräunt, lockige[r] Kopf. Er wirkt, als wür­de er…wieder jün­ger wer­den und Phil­ip glaubt noch grö­ße­re Spann­kraft in sei­nen Mus­keln und Seh­nen aus­zu­ma­chen als bei sei­nem letz­ten Be­such.

Da­ge­gen ver­fällt die Vil­la mit den Bull­au­gen, die eu­phe­mi­stisch Pan­ora­ma­fen­ster ge­nannt wer­den, zu­se­hends. Gro­ße senk­rech­te Ris­se durch­zie­hen das Haus (das sind die sta­tisch bedenklich[en] lernt der Le­ser vom Ich-Er­zäh­ler Phil­ip). Hin­zu kommt die mehr als ge­wöh­nungs­be­dürf­ti­ge Ein­rich­tung. Über­all Tif­fa­ny­lam­pen und selbst­ge­schrei­ner­te Klei­der­schrän­ke aus Sperr­holz mit Spie­gel­scher­ben auf der Tü­re, mit Heiß­kle­ber be­fe­stigt und wie ei­ne Dis­co­ku­gel aus­se­hend. Oder Mes­sing­dra­chen in Wand­flie­sen ein­ge­las­sen. Im Ba­de­zim­mer die Wand­spie­gel im Ju­gend­stil und da­ne­ben Ro­set­ten­häh­ne über Zier­wasch­becken aus al­tem Email­le. Und schließ­lich im Gar­ten der so­ge­nann­te Klei­ne Exi­stenz­park mit Mes­sin­gech­sen und Rund­rohr­t­rol­le und Sil­ber­lur­che. Al­les Ba­ste­lei­en von Phil­ips Mut­ter Iris (und na­tür­lich von Björn Kern, der im­mer wei­ter Va­ria­tio­nen des schlech­ten Ge­schmacks sprach­lich her­bei­zau­bert und fast ze­le­briert). Aber Iris wohnt seit zwei Jah­ren nicht mehr im Haus.

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Rein­hard Wil­ke: Mei­ne Jah­re mit Wil­ly Brandt

Dr. jur. Rein­hard Wil­ke, Jahr­gang 1929 (er starb im ver­gan­ge­nen Jahr), war von 1960–1966 Rich­ter am Ver­wal­tungs­ge­richt Köln und 1970 Re­fe­rent im Bun­des­ju­stiz­mi­ni­ste­ri­um. Horst Ehm­ke, da­mals Chef des Bun­des­kanz­ler­amts, bot ihm 1970 die Po­si­ti­on des Per­sön­li­chen Re­fe­ren­ten von Wil­ly Brandt im Kanz­ler­amt an. Als Bü­ro­lei­ter wür­de er zwei­fel­los ei­nen Kar­rie­re­sprung ma­chen, vor al­lem reiz­te es ...

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In­ge­borg Bach­mann: Kriegs­ta­ge­buch

Her­aus­ge­ge­ben und mit ei­nem Nach­wort von Hans Höl­ler

Ingeborg Bachmann: Kriegstagebuch
In­ge­borg Bach­mann: Kriegs­ta­ge­buch
In­ge­borg Bach­mann hat­te mit Schreib­ma­schi­ne auf »sechs eng­zei­lig be­schrie­be­nen DIN-A-4-Blätter[n]« ih­re Er­leb­nis­se von März bis Ju­ni 1945 auf­ge­schrie­ben, wo­bei al­ler­dings der er­ste Ein­trag aus dem Sep­tem­ber 1944 stam­men könn­te, als In­ge­borg Bach­mann in die »Leh­rer­bil­dungs­an­stalt« ein­trat und in den letz­ten Mo­na­ten des Krie­ges Hilfs-Leh­re­rin wur­de. Ver­mut­lich schrieb sie die­se Sei­ten aus ih­rem (nicht er­hal­te­nen) Ta­ge­buch ab. Sie wer­den nun mit dem leicht rei­ße­ri­schen Ti­tel »Kriegs­ta­ge­buch« »erst­mals« (Klap­pen­text) ver­öf­fent­licht. Es be­ginnt im Buch auf Sei­te 9 und en­det auf Sei­te 24. Ab Sei­te 16 ist der Krieg zu En­de; man er­fährt von der bri­ti­schen Be­sat­zung und de­ren Ad­mi­ni­stra­ti­on, von Ver­hö­ren, Bach­manns eher apa­thi­schen El­tern und dem eu­pho­ri­schen Ge­fühl für den Frie­den, wel­che die fast Neu­zehn­jäh­ri­ge emp­fand – ganz im Ge­gen­satz zu den mei­sten an­de­ren Er­wach­se­nen im Ort, de­ren Welt zu­sam­men­brach.

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Ger­brand Bak­ker: Ju­ni

Gerbrand Bakker: Juni
Ger­brand Bak­ker: Ju­ni

Im Ju­ni 1969 ist die nie­der­län­di­sche Kö­ni­gin Ju­lia­na im hol­län­di­schen Nor­den un­ter­wegs. Am 17. be­sucht sie mit ih­rem Stab den klei­nen Ort Sloot­dorp. Rat­haus­emp­fang, klei­nes Es­sen, das auch hier schein­bar un­ver­meint­li­che Pro­to­koll, ein mi­nu­tiö­ser Ter­min­plan. Zwei jun­ge Zwerg­zie­gen als Ge­schenk. Dann sieht sie ei­ne jun­ge Frau nä­her kom­men, ge­gen den all­mäh­lich ver­sie­gen­den Strom. Sie trägt ein Kind auf dem Arm und schiebt mit der an­de­ren Hand ein Fahr­rad, was das Ge­hen et­was an­stren­gend macht. Ach ja, ei­ne Frau, die sich ver­spä­tet hat. Die sich be­eilt, um doch noch ei­nen Blick von ihr zu er­ha­schen. Sie gibt dem Chauf­feur ein Zei­chen und geht der Frau ein Stück ent­ge­gen […] Das Kind, das höch­stens zwei sein kann, schaut sie mit gro­ßen blau­en Au­gen an. »Na, wie heißt du?« »An­ne«, flü­stert das Kind. »Han­ne«, sagt die Mut­ter. Sie zieht den rech­ten Hand­schuh aus. »Das H ist nicht ein­fach«. Sie streicht dem Kind über die Wan­ge. Es er­schrickt und drückt das Ge­sicht an den Hals der Mut­ter.

Die Frau heißt An­na Ka­an und nennt die Kö­ni­gin gnä­di­ge Frau, so, wie sie’s mag (Ju­lia­na woll­te nie ‘Ma­je­stät’ ge­nannt wer­den). Ein klei­ner Dia­log, An­nas Blick weicht ei­nem Lä­cheln. Sie ant­wor­tet nicht. Das Fahr­rad, das an ih­rer Hüf­te lehnt, rutscht lang­sam ab und schlägt auf den Asphalt. Die Kö­ni­gin streckt un­will­kür­lich bei­de Ar­me aus. Na­tür­lich wer­den Fo­tos ge­macht, Ju­lia­na sieht es nicht, sie hört es. Auf­rei­zend nah ist das Klicken. ‘Kö­ni­gin macht spon­tan klei­nen Um­weg’. Noch ei­ne mög­li­che Schlag­zei­le für mor­gen. Kurz dar­auf fährt der Tross wei­ter. Es war­tet ei­ne Bar­fuß­was­ser­ski-Vor­füh­rung.

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