Mo­nod und Sar­ra­zin

Ich ha­be Mo­n­ods Buch nach et­li­chen Jah­ren wie­der in die Hand ge­nom­men, weil ich mich an ei­ne Stel­le er­in­ner­te, die an­schei­nend bei Thi­lo Sar­ra­zin wie­der auf­taucht war.

Auf et­wa ein­ein­halb Sei­ten streift Mo­nod in sei­ner knap­pen, tref­fen­den Art ein ge­sell­schafts­po­li­ti­sches The­ma und stellt ei­ne The­se auf, die man als ei­nen der Haupt­punk­te (wenn nicht so­gar den Kern) von Sar­ra­zins Ar­gu­men­ta­ti­on be­zeich­nen kann.

Mo­nod dis­ku­tiert die Be­deu­tung von Spra­che und Kul­tur für die Evo­lu­ti­on un­se­res Ge­hirns und den Zu­sam­men­halt von Grup­pen. Kul­tur war ein be­deu­ten­der Se­lek­ti­ons­fak­tor, al­ler­dings […] nur bis zu dem Au­gen­blick, wo sich we­gen der zu­neh­men­den Ge­schwin­dig­keit der Kul­tur­ent­wick­lung die­se und die ge­ne­ti­sche Evo­lu­ti­on voll­stän­dig von ein­an­der lö­sen soll­ten.
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Komm-Pot

Unsichtbares Komitee: Der kommende Aufstand

Un­sicht­ba­res Ko­mi­tee: Der kom­men­de Auf­stand

»Der kom­men­de Auf­stand« im Spie­gel des mo­der­nen An­ar­chis­mus

Nach dem Zu­sam­men­bruch der bi­po­la­ren Welt 1989/90 kam es in vie­len Re­gio­nen zu po­li­ti­schen, eth­ni­schen, so­zia­len oder öko­no­mi­schen Kon­flik­ten. Aus den Re­si­du­en der Stell­ver­tre­ter­krie­ge ent­wickel­ten sich mit­un­ter Bür­ger­krie­ge, die mit äu­ßer­ster Bru­ta­li­tät ge­führt wur­den und oft­mals jeg­li­cher Kon­trol­le ent­zo­gen wa­ren. Dies zum An­lass neh­mend, for­mu­lier­te Hans Ma­gnus En­zens­ber­ger 1994 sei­ne »Aus­sich­ten auf den Bür­ger­krieg« als ein glo­ba­les Phä­no­men, wel­ches ent­we­der weit ent­fernt in Afri­ka oder Asi­en ver­or­tet wur­de oder in Eu­ro­pa lo­kal be­grenzt blieb (bspw. Bas­ken­land oder Nord­ir­land) be­vor es mit den ju­go­sla­wi­schen Se­zes­si­ons­krie­gen mit vol­ler Ve­he­menz in das eu­ro­päi­sche Wohn­zim­mer ein­brach. En­zens­ber­ger mach­te auch in den west­eu­ro­päi­schen Na­tio­nen Ne­ster die­ses »mo­le­ku­la­ren Bür­ger­kriegs« aus, kon­sta­tier­te aber eher vor­sich­tig: »Man kann sich fra­gen, wie ernst der Ge­walt­kult der eu­ro­päi­schen Avant­gar­den zu neh­men ist. Ih­re Pro­vo­ka­tio­nen zeu­gen nicht nur von ei­nem tie­fen Haß auf das Be­stehen­de, son­dern auch von ei­nem eben­so tie­fen Selbst­haß. Wahr­schein­lich dien­ten sie auch der Kom­pen­sa­ti­on ei­ge­ner Ohn­machts­ge­füh­le und der Ab­wehr ei­nes Mo­der­ni­sie­rungs­zwan­ges, der ih­re Gel­tungs­an­sprü­che be­droh­te.« Süf­fi­sant er­gänz­te er noch: »Au­ßer­dem wird man die Nei­gung zur Po­se in Rech­nung stel­len müs­sen…«

En­zens­ber­ger hat­te da­mals hell­sich­tig die glo­ba­len Be­dro­hun­gen durch den is­la­mi­sti­schen Ter­ro­ris­mus vor­weg­ge­nom­men. Die wach­sen­den Un­zu­frie­den­hei­ten an und in den re­prä­sen­ta­ti­ven De­mo­kra­tien Eu­ro­pas, die sich bei­spiels­wei­se in den Un­ru­hen in den Pa­ri­ser Ban­lieues von 2005 zum er­sten Mal in grö­ße­rem Aus­maß zeig­ten, konn­te er je­doch un­mög­lich vor­her­se­hen. Die­se Un­ru­hen ha­ben 2007 ei­ni­ge Au­toren zu ei­ner grund­le­gen­den Schrift in­spi­riert, die den »kom­men­den Auf­stand« nicht nur be­schreibt, son­dern in ei­nem ei­gen­ar­ti­gen Stil zwi­schen Zy­nis­mus, Hoch­mut und Käl­te lo­gi­sti­sche und bel­li­zi­sti­sche An­wei­sun­gen ver­brei­tet. 2009 wur­de das Buch um die Kom­men­tie­rung der Er­eig­nis­se in Grie­chen­land 2008 er­gänzt. Die­se Neu­auf­la­ge liegt nun in der deut­schen Über­set­zung von El­mar Schme­da bei »Nau­ti­lus« vor. Wei­ter­le­sen

Jac­ques Mo­nod: Zu­fall und Not­wen­dig­keit

Jacques Monod: Zufall und Notwendigkeit

Jac­ques Mo­nod: Zu­fall und Not­wen­dig­keit

Jac­ques Mo­nod legt an­hand zen­tra­ler Er­kennt­nis­se der mo­der­nen Bio­lo­gie ei­ne Angst frei, die uns al­le, be­wusst oder un­be­wusst, zeich­net. Sie ent­springt dem Ver­sa­gen un­se­rer sub­jek­ti­ven Deu­tung der Welt, das wir auch als das Un­be­ha­gen an der Mo­der­ne ken­nen — und der Ur­sprung die­ser Angst liegt, was über­ra­schen mag, in der Evo­lu­ti­on des Men­schen be­grün­det.

Mo­n­ods Dar­stel­lung ist knapp, zu­ge­spitzt, la­ko­nisch: Dar­in ist er ein Mei­ster; doch er hü­tet sich vor Ver­ein­fa­chun­gen, und wo er fürch­tet es den­noch zu tun, merkt er es an. Mo­nod zau­dert nicht, sei­ne Schlüs­se sind mes­ser­scharf, und er bleibt nicht ste­hen, ehe zu­letzt ei­ne ge­sell­schafts­po­li­ti­sche Uto­pie er­scheint; aber er weiß auch was Zwei­fel be­deu­tet, und wie we­nig, trotz al­ler Lo­gik und Ent­schlos­sen­heit, am En­de ge­won­nen ist.

»Zu­fall und Not­wen­dig­keit« ist das Werk ei­nes Auf­klä­rers, der sich we­der als sol­chen be­zeich­net, noch das Wort Auf­klä­rung im Mund führt — man merkt die­sem Buch sei­nen vier­zig­jäh­ri­gen Ge­burts­tag kaum an.
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Jo­sef-Ot­to Freu­den­reich (Hg.): Die Ta­schen­spie­ler

Zwölf Auf­sät­ze, Be­rich­te (manch­mal sind es auch Re­por­ta­gen) und zwei Vor­wor­te von acht Au­toren – »Die Ta­schen­spie­ler« ver­sam­melt Be­le­ge über die zu­neh­men­de Ent­frem­dung zwi­schen Staat bzw. Re­gie­rungs­macht und dem »nor­ma­len« Bür­ger. Und das sehr ak­tu­ell – Re­dak­ti­ons­schluss war An­fang Sep­tem­ber 2010. Schwer­punkt die­ser Be­trach­tun­gen ist Ba­den-Würt­te­m­­berg – das ist bei Klöp­fer & Mey­er, wo die­ses Buch er­schie­nen ist, kein Wun­der. Es gibt al­ler­dings auch drei Aus­rei­sser: ei­nen Bei­trag über ei­nen ita­lie­ni­schen Gift­müll­skan­dal, der über jahr­zehn­te­lan­ge Ver­sen­kun­gen von Gift­müll­schif­fen in der ita­lie­ni­schen Adria be­rich­tet, ein Lehr­stück in Sa­chen Atom­müll­ent­sor­gung am Bei­spiel der De­po­nie As­se (in­ter­es­sant hier die At­tri­bu­te: von Ver­suchs­ein­la­ge­run­gen über »For­schungs­berg­werk« bis zur End­la­ger­stät­te reich[t]en die of­fi­ziö­sen Zu­ord­nun­gen ) und am En­de ei­nen sehr in­for­ma­ti­ven Bei­trag von Mar­kus Köh­ler über die Pro­ble­ma­tik des flie­gen­den Ge­richts­stands im Pres­se­recht, wel­cher da­zu dient, un­lieb­sa­me Pres­se­ar­ti­kel durch einst­wei­li­ge Ver­fü­gun­gen von Pres­se­rechts­ak­ti­vi­sten, die an je­der Ecke das Per­sön­lich­keits­recht von Man­dan­ten ver­letzt se­hen (Stich­wort: Haar­far­be des Ex-Bun­des­kanz­lers und an­de­re Klei­nig­kei­ten), vor al­lem vor dem Ham­bur­ger Land­ge­richt zu be­kla­gen – was auch zu­meist ge­lingt.
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Ass­an­ges »simp­le Stricke­rei«

Klu­ge Be­mer­kun­gen zum Wiki­Leaks-Hype von Ha­rald Staun in der F.A.Z.: »Der Su­per­star der Sicht­bar­keit«.

Zum Bei­spiel:

Vor lau­ter Su­che nach im­mer bri­san­te­ren De­tails kommt nie­mand mehr da­zu, die Re­le­vanz der In­for­ma­tio­nen zu hin­ter­fra­gen oder die In­ter­es­sen, die hin­ter ei­ner sol­chen Ver­öf­fent­li­chung stecken könn­ten.

Und war­um Wiki­Leaks ge­ra­de nicht das En­de der Ge­heim­nis­se be­deu­ten wird...

Sa­scha Lo­bo: Stroh­feu­er

Sascha Lobo: Strohfeuer

Sa­scha Lo­bo: Stroh­feu­er

Ir­gend­wann sitzt Ste­fan, der knapp 25jährige Ich-Er­zäh­ler in Sa­scha Lo­bos Ro­man »Stroh­feu­er«, in sei­ner Stamm­bar, ei­ner Yup­pie­höl­le und dach­te wei­ter nach. In der Po­se des nach­denk­li­chen Man­nes an der Bar ge­fiel ich mir au­ßer­or­dent­lich gut; im Glas ei­nen neun­zehn­jäh­ri­gen Glen­craig, den ei­nen El­len­bo­gen auf­ge­stützt, die Hand lo­se zum Kinn ge­führt, den Ober­kör­per bei ge­ra­dem Rücken leicht nach vorn ge­lehnt. Ver­schie­de­ne Kör­per­hal­tun­gen wer­den durch­pro­biert und er über­leg­te, mit wel­cher mich Frau­en am ehe­sten an­spre­chen wür­den. Und der Le­ser er­fährt noch: Mit mei­ner Wir­kung im Raum be­schäf­tig­te ich mich oft, ei­gent­lich im­mer und die Kon­trol­le über mei­ne Wir­kung war ein we­sent­li­cher Teil mei­ner Kom­mu­ni­ka­ti­on.

Ste­fan lei­det in die­sem Buch an vie­lem – nur nicht an man­geln­dem Selbst­be­wusst­sein. Sein Nar­ziss­mus wird nur noch von der Rü­pel­haf­tig­keit sei­nes Teil­ha­bers Thor­sten über­trof­fen. Bei­de be­trei­ben so et­was wie ei­ne Werbe‑, IT- oder Mar­ke­ting­agen­tur – ei­ne die­ser merk­wür­di­gen »Dotcom«-Firmen in der Blü­te­zeit der New Eco­no­my En­de der 90er Jah­re. 2001 kommt es zum öko­no­mi­schen Zu­sam­men­bruch auch für die Agen­tur im Ro­man, der mit den Ter­ror­an­schlä­gen vom 11. Sep­tem­ber 2001 ver­knüpft wird. In Wirk­lich­keit zer­platz­te die Bla­se ja schon an­dert­halb Jah­re vor­her. »Stroh­feu­er« er­zählt Ste­fans (und Thor­stens) Ge­schich­te mit die­ser Agen­tur.
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Ma­thi­as Énard: Zo­ne

Matthias Énard: Zone

Mat­thi­as Énard: Zo­ne

Fast 600 Sei­ten ei­ne Sua­da oh­ne Punkt in 21 Ka­pi­teln (plus drei Ka­pi­tel »Zi­ta­te« aus ei­nem fik­ti­ven Buch aus dem li­ba­ne­si­schen Bür­ger­krieg). Ka­pi­tel, die über 40, 50 und mehr Sei­ten ge­hen – be­stehend nur aus ei­nem ein­zi­gen Satz; ei­ne Blei­wü­ste, in der sich der Le­ser zu­wei­len ver­irrt, ver­ir­ren soll, ganz schnell taucht er dort hin­ein, geht ge­le­gent­lich un­ter, be­haup­tet sich dann doch, in dem er Stel­len noch­mals liest (und nicht weiß, wo er be­gin­nen soll). Und er kann nicht ab­las­sen von die­sem in­ne­ren Mo­no­log, den wil­den As­so­zia­tio­nen, hi­sto­rio­gra­phi­schen Ein­schü­ben, Ge­dan­ken­ket­ten, (Liebes-)Beichten, Göt­ter­be­schwö­run­gen, Schimpf‑, Hass‑, Ekel- und Schmäh­ti­ra­den auf der Zug­fahrt von Mai­land nach Rom am 8. De­zem­ber 2004, als die Fahrt noch sechs­ein­halb, sie­ben Stun­den dau­er­te (und der »Eu­ro Star«, der es in drei schafft, noch nicht fuhr).

Da­bei wird der Le­ser zum Su­chen­den, For­schen­den, fast zum De­tek­tiv, längst be­vor er er­fährt, dass hier ein Söld­ner und spä­te­rer in­ter­na­tio­na­ler Spit­zel sin­niert. Je­mand, der Mit­te der 1990er Jah­re nach vier, fünf Jah­ren kroa­tisch-ser­bisch-bos­ni­schen Krie­gen und ei­ner kur­zen Zeit im Verbannungs‑, Zu­flucht- und Fol­ter­ort Ve­ne­dig in ei­nen Nach­rich­ten­dienst wech­seln konn­te, be­gin­nend in der Höl­le Al­ge­ri­ens als dritt­ran­gi­ger Ak­ten­füh­rer, in ei­ner Welt von lä­cheln­den Schläch­tern und Mör­dern, die Kin­dern die Keh­le durch­schnit­ten, mit Na­men, die ich nicht un­ter­schei­den konn­te. Da hat­te er die Ka­lasch­ni­kow ge­gen weit sub­ti­le­re, aber eben­so wirk­sa­me Tö­tungs­ma­schi­nen ein­ge­tauscht, Treib­jag­den, Ver­stecke, Ver­hö­re, De­nun­zia­tio­nen, De­por­ta­tio­nen, Er­pres­sun­gen, Kuh­han­del, Ma­ni­pu­la­tio­nen, Lü­gen, die mit Mor­den en­de­ten, mit zer­stör­ten Le­ben, in den Schmutz ge­zo­ge­nen Men­schen, ge­bro­che­nen Le­bens­läu­fen, ans Licht ge­zerr­ten Ge­heim­nis­sen. Von Agen­ten­ro­man­tik kei­ne Spur; wer hier die gän­gi­gen Kli­schee­bild­chen er­war­tet, soll lie­ber die Lek­tü­re mit den üb­li­chen Le­se­zir­kel-Ver­däch­ti­gen wei­ter­füh­ren.

-> wei­ter­le­sen bei Glanz und Elend

Ich bin ein Gra­ti­sidi­ot

Es ist längst ein Schimpf­wort ge­wor­den: Die Gra­tis­kul­tur im In­ter­net sei Schuld für die Kri­se der ge­druck­ten Me­di­en. Nie­mand kau­fe mehr ei­ne Zei­tung oder Zeit­schrift, weil bzw. wenn die Ar­ti­kel im In­ter­net frei zur Ver­fü­gung ste­hen. Ge­zwun­ge­ner­ma­ßen ma­chen aber fast al­le mit, weil man sonst droht, im me­dia­len Auf­merk­sam­keits­nir­wa­na ver­schwin­den. So die Kla­ge.

So wird Gra­tis­kul­tur zu ei­nem Kampf­be­griff für Leu­te, die die man­geln­den Ver­mark­tungs­mög­lich­kei­ten ih­rer Pro­duk­te be­kla­gen, weil in­zwi­schen al­le er­war­ten, dass ih­nen die In­for­ma­tio­nen ko­sten­frei zur Ver­fü­gung ste­hen.

Ich deu­te Gra­tis­kul­tur jetzt mal an­ders. Weil ich Gra­tis­kul­tur schaf­fe. Mein Web­log ist gra­tis. Ich be­zah­le so­gar Geld da­für, dass es kei­ne Wer­bung gibt. Ich schrei­be gra­tis. Hier und bei »Glanz und Elend«. Dort schrei­ben auch die an­de­ren Kol­le­gen gra­tis. Und auf vie­len an­de­ren Li­te­ra­tur­fo­ren auch. Das ist für mich Gra­tis­kul­tur. Wei­ter­le­sen