Bull­shit oc­cu­p­ied

Ei­nen »pla­ka­ti­ven Text« kün­digt das »Ti­tel Ma­ga­zin« an, der den »re­si­gnier­ten« Le­ser auf­rüt­teln will. Ein al­ter To­pos des Feuil­le­tons wird da be­dient: Man nimmt den Le­ser, der sich nicht weh­ren kann, in den Arm und spricht – na­tür­lich un­ge­fragt – für ihn. Nicht der ein­zi­ge Trick. Denn was dann von Thor Kun­kel folgt, ist ein ha­stig zu­sam­men­ge­stop­pel­tes, lar­moy­an­tes Ge­plap­per mit reich­lich sach­li­chen Feh­lern gar­niert. Das Pro­to­koll ei­nes Wut­li­te­ra­ten, der um Auf­merk­sam­keit win­selt, in dem er mög­lichst dra­stisch die­je­ni­gen an­schreit, de­ren Zu­nei­gung er doch so er­sehnt.

Früh wird klar: Es geht Kun­kel über­haupt nicht um Li­te­ra­tur­kri­tik. In sei­nem Text ist nicht ein Wort dar­über zu fin­den. Es geht um das »Be­triebs­sy­stem«, die­ses omi­nö­se Hin- und Her­ge­scha­cher, was sich zur Ver­blüf­fung vie­ler Jungli­te­ra­ten jen­seits so­zia­ler Netz­werke ab­spielt. In Köln hat man da­für den Di­mi­nu­tiv »Klün­gel« er­fun­den. Kun­kel ent­deckt den Klün­gel im­mer wie­der neu. So weit, so schlecht. Und so be­kannt. Aber se­lek­ti­ve Wahr­neh­mung ist im­mer der Freund des Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­kers. Wo bleibt die fach­li­che Aus­ein­an­der­set­zung? Wo blei­ben Hin­wei­se auf ei­ne al­ter­na­ti­ve Literatur­kritik jen­seits der Loven­bergs, Ra­dischs, Wei­der­manns und Schecks? Statt­des­sen greift er lie­ber in die Kli­schee­ki­ste und suhlt sich in sei­nen Ori­gi­na­li­tät si­mu­lie­ren­den In­vek­ti­ven. Man sieht ihn förm­lich jauch­zen, wie er ei­ne schie­fe Me­ta­pher an die an­de­re klebt. Der Le­ser, zum Auf­rüt­teln be­stellt, gähnt und spen­det sanf­tes Mit­leid. Wei­ter­le­sen

Aus der Pup­pen­stu­be oder Die Kri­tik ei­ner Kri­tik

Peter Handke: Die Geschichte des Dragoljub Milanovic

Pe­ter Hand­ke:
Die Ge­schich­te des Dra­gol­jub Mila­no­vic


Vor ei­ni­gen Mo­na­ten er­schien im Ver­lag »Jung und Jung« Pe­ter Hand­kes klei­nes Buch mit dem Ti­tel »Die Ge­schich­te des Dra­gol­jub Mila­no­vić«. Hand­ke be­han­delt hier auf 40 Sei­ten das Schick­sal ei­nes ehe­ma­li­gen Fern­seh­di­rek­tors, der von ei­nem ser­bi­schen Ge­richt zu ei­ner mehr­jäh­ri­gen Frei­heits­stra­fe ver­ur­teilt wur­de, weil er das Ge­bäu­de ent­ge­gen ei­ner an­geb­lich exi­stie­ren­den An­ord­nung nicht eva­ku­iert hat­te. Bei ei­nem NA­TO-Bom­ben­an­griff 1999 wur­den 16 Men­schen ge­tö­tet. Hand­ke, der in jun­gen Jah­ren Ju­ra stu­diert hat­te, be­han­delt so­wohl die recht­li­che wie auch die per­sön­li­che Si­tua­ti­on von Mila­no­vić. Er be­sucht ihn zwei Mal im Ge­fäng­nis und es ge­lingt ei­ne in­ni­ge Schil­de­rung von Bei­stand. Und na­tür­lich wird auch der NA­TO-Krieg ge­gen Ju­go­sla­wi­en the­ma­ti­siert und – für Hand­ke neu – mit Zy­nis­mus kom­men­tiert.

Man könn­te nun Carl Wil­helm Mackes Be­spre­chung die­ses Bu­ches auf »culturmag.de« auf sich be­ru­hen las­sen und un­ter Nör­ge­lei statt Auf­klä­rung ein­ord­nen. Da ist je­mand be­müht sein Un­be­ha­gen in ver­mut­lich ge­bo­te­ner Kür­ze zu ar­ti­ku­lie­ren. Au­ßer ein paar nichts­sagenden Mei­nungs­af­fek­ten hat Macke nichts zu bie­ten. Er be­ginnt mit der gön­ner­haf­ten At­ti­tü­de, je­der ha­be »al­les Recht der Welt…als frei­er Schriftsteller….ein rechts­kräf­ti­ges Ur­teil an­zu­grei­fen«. Die­se Er­kennt­nis ten­diert für den Le­ser gen Null, be­rei­tet aber im­mer­hin rhe­to­risch ge­wis­se Ein­wän­de vor. Ob­wohl: Ein­wän­de? Wenn es denn wirk­li­che Ein­wän­de wä­ren. Mit Ar­gu­men­ten bei­spiels­wei­se. Wei­ter­le­sen

»Frü­her wuss­te der Adel, was an so ei­ner Stel­le zu tun ist ...«

Es wur­de und wird viel ge­schrie­ben und ge­sagt zum Come­back-Ver­such von Karl Theo­dor zu Gut­ten­berg und mit der Zeit (und viel­leicht auch mit der »Zeit«) wer­den die im In­ter­view ge­nann­ten Be­haup­tun­gen suk­zes­si­ve ei­ner Über­prü­fung un­ter­zo­gen wer­den.

Mit ei­ner ha­be ich schon mal be­gon­nen. Wei­ter­le­sen

Wer bie­tet mehr?

NPD-Ver­bot ja oder nein? Schnell­schuß­po­li­ti­ker be­für­wor­ten ein ent­spre­chen­des Ver­fah­ren, ob­wohl sich an den Kri­te­ri­en, die 2003 zur Nicht­zu­las­sung beim Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt führ­ten, nichts ge­än­dert hat. Dis­ku­tiert wird es den­noch, weil es Ent­la­stung für die po­li­ti­schen und straf­recht­li­chen Ver­säum­nis­se der letz­ten Jah­re ver­spricht – als könn­te mit dem Ver­bot auch nur ein Neo­na­zi be­kehrt wer­den.

Die Fra­ge nach dem NPD-Ver­bot eig­net sich na­tür­lich sehr gut für die vier­zehn­tä­ti­gen Um­fra­gen, die ARD und ZDF vor­neh­men.

Im ARD-Deutsch­land­trend (»In­fra­test di­map«) vom 24.11.2011 wa­ren dann auch 52% der Be­frag­ten für ein Ver­bot.

Ent­spre­chend wur­de die Mel­dung in der Pres­se wei­ter­ge­ge­ben. Auf­fal­lend war, dass sich ei­ni­ge Me­di­en zu­rück­hiel­ten. Ver­mut­lich wuss­ten sie um die Re­sul­ta­te der ZDF-Um­fra­ge (»Po­lit­ba­ro­me­ter«) vom 25.11..2011 (»For­schungs­grup­pe Wah­len«). Dort stell­te man ei­ne ganz an­de­re Zahl fest:

Im­mer­hin kommt die­se Zahl der An­fang der Wo­che er­mit­tel­ten Um­fra­ge durch »Emid« (Auf­trag­ge­ber: »Bild«) nä­her: Dort hat­ten sich 70% für ein Ver­bot aus­ge­spro­chen.

Al­le drei Um­fra­gen sind nach ei­ge­nen An­ga­ben re­prä­sen­ta­tiv. »In­fra­test di­map« schreibt: »Für den Deutsch­land­trend be­frag­te In­fra­test di­map im Auf­trag des ARD-Mor­gen­ma­­ga­zins 1000 Bun­des­bür­ger am 22. und 23. No­vem­ber.« Bei der »Forschungs­gruppe Wah­len« ist das et­was kom­pli­zier­ter, wie man hier nach­le­sen kann: »Da­bei wer­den in den west­li­chen Bun­des­län­dern je­weils ca. 1.000 zu­fäl­lig aus­ge­wähl­te Wahl­be­rech­tig­te be­fragt, in den neu­en Bun­des­län­dern ca. 700. Ei­ne Über­quo­tie­rung des Ostens er­folgt, um ei­gen­stän­di­ge Aus­sa­gen über die ost­deut­schen Län­der tref­fen zu kön­nen. Die Zusammen­fassung die­ser Be­frag­ten führt nach Aus­gleich der Über­quo­tie­rung im Osten rech­ne­risch zu ca. 1.250 In­ter­views.« (Wei­te­res un­ter dem Link)

Was nun stimmt, weiss nie­mand. In den Ar­ti­keln der Me­di­en wer­den im­mer nur die je­wei­li­gen er­mit­tel­ten Zah­len ver­öf­fent­licht. Da­bei ent­steht der Ein­druck, als wer­de zu­meist nur die Zahl be­rich­tet, die der je­wei­li­gen Re­dak­ti­on op­por­tun er­scheint. So weiss der »Ta­ges­spie­gel« schon zu be­rich­ten: »Ein Ver­bots­an­trag rückt...näher«. Fra­gen zu den un­ter­schied­li­chen Re­sul­ta­ten an­geb­lich re­prä­sen­ta­ti­ver Um­fra­gen oder gar ei­ne Mel­dung der Dif­fe­ren­zen: ver­geb­lich. Auch hät­te man sich bei den Um­fra­gen ge­wünscht zu er­he­ben, wie ein Ver­bots­ver­fah­ren bei gleich­zei­ti­ger Bei­be­hal­tung der V‑­Leu­te-Re­ge­lung funk­tio­nie­ren soll. Aber ver­mut­lich wä­re ei­ne sol­che Fra­ge zu kom­pli­ziert ge­we­sen. Für 1000 oder 1250 Leu­te.

Von Ver­harm­lo­sern und Über­trei­bern

An­fang der 90er Jah­re be­ob­ach­te­te der Schrift­stel­ler Bo­do Mor­shäu­ser ei­nen Pro­zess ge­gen vier jun­ge Män­ner, die ei­ne Frau be­sta­lisch er­mor­det hat­ten und min­de­stens teil­wei­se dem rech­ten Mi­lieu zu­ge­ord­net wur­den. Mor­shäu­ser fuhr nach Kel­ling­husen, traf auf Skin­heads, Xe­no­pho­be und so­zi­al ge­schei­ter­te Exi­sten­zen. Er fand im Verfassungs­schutz­bericht von 1986 ei­nen Hin­weis auf den Ort. Es gab / gibt ei­ne Neo­na­zi-Sze­ne. 1987 kam es zu ei­nem Tref­fen in Kel­ling­husen, zu dem die rechts­ra­di­ka­le »FAP« auf­ge­ru­fen hat­te. (Die »FAP« wur­de 1995 vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ver­bo­ten.) Mor­shäu­ser be­rich­tet von ei­ner Po­li­zei­es­kor­te für die Rechts­ra­di­ka­len und spär­li­chen Gegen­demonstrationen.

In­ter­es­sant ist die in sol­chen Fäl­len zu be­ob­ach­ten­de Di­cho­to­mie, die als re­prä­sen­ta­tiv bis zum heu­ti­gen Tag an­ge­se­hen wer­den kann. Mor­shäu­ser macht im Dis­kurs um Rechts­extremismus Ver­harm­lo­ser und Über­trei­ber aus. Bei­de Sei­ten trei­ben ihr idiotisch­es Mei­nungs­spiel, das eher ein Vor­ur­teils­re­cy­cling ist. Je­der will sich vor dem Pro­blem und vor der Ge­gen­sei­te ins Recht so­wie die Ge­gen­sei­te ins Un­recht set­zen. Hand­lungs­im­puls ist nicht, das Pro­blem zu lö­sen, al­so erst mal zu be­nen­nen – was schon schwie­rig ist, weil Teil des Pro­blems so­fort auch die sind, die mit die­sen ver­fluch­ten zwei Mei­nun­gen auf­kreu­zen, je­ner Scheindif­fe­renz, die sie für die Dif­fe­renz hal­ten.

Im kon­kre­ten Fall ru­bri­zier­te Mor­shäu­ser Po­li­zei und Po­li­tik in die Grup­pe der Ver­harmloser. Sie hat­ten fal­sche gu­te Grün­de, über die rechts­extre­me Er­neue­rung zu schwei­gen.. Die Über­trei­ber agier­ten rhe­to­risch über­zo­gen, nen­nen den fa­schi­stisch, der nur da­bei ist, Ta­bu­zo­nen zu ent­decken (und auf ei­ne stößt). Die Ver­harm­lo­ser mei­nen, man kön­ne die Ge­fahr her­bei­re­den. Die Über­trei­ber sa­gen, man kön­ne die Ge­fahr her­bei­schwei­gen. Wei­ter­le­sen

Ber­nards Schrei

Ein Schrei, mein Schrei wird mir brin­gen, was nicht durch das Mei­ne ist. Die­se Wor­te fuh­ren in Ber­nards Kopf her­um, wir­bel­ten durch­ein­an­der, bil­de­ten, mit an­de­ren ge­mein­sam, ver­schie­den­ste Kom­bi­na­tio­nen, of­fen­sicht­lich sinn­lo­se und sol­che die es we­ni­ger wa­ren, setz­ten sich fest und lö­sten sich wie­der, nur um er­neut ih­ren Platz zu be­an­spru­chen. Ber­nard wuss­te nicht wo­her sie ka­men, doch sie wa­ren da, wühl­ten ihn auf und trotz ih­rer In­kon­gru­enz und Un­ver­läss­lich­keit ver­stand er was sie zu sa­gen hat­ten, was er zu sich selbst sag­te, was sich aus dem Un­be­wuss­ten in die Form der Spra­che aus­goss. Oh­ne dass es ihm je­mand be­foh­len hat­te, nicht ein­mal er selbst, ver­such­te sein Kör­per al­les, was ihm an Macht und Kraft zur Ver­fü­gung stand, in die For­mung ei­nes Schreis zu stecken, sich mit al­len Mit­teln be­merk­bar zu ma­chen und doch schwieg er und be­müh­te kei­ne Ge­ste: Ber­nard schrie und nichts reg­te sich.

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»Kaum ei­nen Hauch...«

In den letz­ten an­dert­halb Jah­ren soll es zu 18 Tref­fen zwi­schen Bun­des­kanz­le­rin Mer­kel und dem fran­zö­si­schen Staats­prä­si­den­ten Sar­ko­zy ge­kom­men sein. Mal wa­ren die bei­den zu zweit, mal bei Tref­fen der Re­gie­rungs­chefs ent­we­der der EU, oder der der G20 oder auch al­ler zu­sam­men. Die Grün­de sind hin­läng­lich be­kannt: Eu­ro­pa be­fin­det sich in ei­ner ve­ri­ta­blen Banken‑, Finanz‑, Staats‑, Schul­den- und/oder Wirt­schafts­kri­se. Da­bei wer­den die­se Tref­fen längst nicht mehr als sol­che be­zeich­net. Nein. Es sind »Gip­fel« oder, dop­pel­deu­tig, »Gip­fel­tref­fen« (als trä­fen sich dort Gip­fel).

Da­bei lohnt es sich über die Be­deu­tung ei­nes Gip­fels nach­zu­den­ken. Laut Du­den ist der Gip­fel die »höch­ste Spit­ze ei­nes [steil em­por­ra­gen­den, ho­hen] Ber­ges« bzw. »höch­stes denk­ba­res, er­reich­ba­res Maß von et­was; das Äu­ßer­ste; Hö­he­punkt«. Als drit­te Be­deu­tung wird schließ­lich der »Po­li­tik­jar­gon« be­müht. Denn ur­sprüng­lich war ein »Gip­fel­tref­fen« ein au­ßer­ge­wöhn­li­ches Er­eig­nis: Staats- und Re­gie­rungs­chefs oder an­de­re her­aus­ge­ho­be­ne Per­sön­lich­kei­ten tra­fen sich zu be­son­de­ren Ge­le­gen­hei­ten. Nicht mehr und nicht we­ni­ger. Wei­ter­le­sen

Tho­mas Knub­ben: Höl­der­lin. Ei­ne Win­ter­rei­se

Thomas Knubben: Hölderlin. Eine Winterreise

Tho­mas Knub­ben:
Höl­der­lin. Ei­ne Win­ter­rei­se

Am 6. oder 7. De­zem­ber 1801 bricht der Haus­leh­rer und Schrift­stel­ler Jo­hann Fried­rich Chri­sti­an Höl­der­lin von Nür­tin­gen nach Bor­deaux auf. Es war ei­ne Rei­se ins Un­ge­wis­se, von Her­zens- und die Nah­rungs­not ge­trie­ben. In Bor­deaux soll­te er ei­ne Stel­le im Hau­se des Wein­händlers und Ham­bur­gi­schen Kon­suls Da­ni­el Chri­stoph Mey­er an­tre­ten und die Kin­der­er­zie­hung über­neh­men. Et­was mehr als zwei­hun­dert Jah­re spä­ter bricht der Ger­ma­nist und Kul­tur­wis­sen­schaft­ler Tho­mas Knub­ben eben­falls von Nür­tin­gen nach Bor­deaux auf. Grün­de nennt Knub­ben nicht, au­ßer, dass er seit ei­nem Viertel­jahrhundert die­se Rei­se im Sinn hat. Soll es ei­ne An­näherung wer­den? Im­mer­hin: Knub­ben setzt – wie er sel­ber aus­führt – ei­ne lan­ge Win­ter­rei­se­tra­di­ti­on fort: man den­ke an Seu­me, Hein­rich Hei­ne, Goe­the, Büch­ners Lenz, Franz Schu­bert und – in jüng­ster Zeit – Wer­ner Her­zog (»Vom Ge­hen im Eis« wird ein­mal so­gar fast ehr­fürch­tig er­wähnt). Und wie ist das, je­man­dem trotz der zeit­li­chen Di­stanz so dicht »auf den Fer­sen« zu sein? Wei­ter­le­sen