Einen »plakativen Text« kündigt das »Titel Magazin« an, der den »resignierten« Leser aufrütteln will. Ein alter Topos des Feuilletons wird da bedient: Man nimmt den Leser, der sich nicht wehren kann, in den Arm und spricht – natürlich ungefragt – für ihn. Nicht der einzige Trick. Denn was dann von Thor Kunkel folgt, ist ein hastig zusammengestoppeltes, larmoyantes Geplapper mit reichlich sachlichen Fehlern garniert. Das Protokoll eines Wutliteraten, der um Aufmerksamkeit winselt, in dem er möglichst drastisch diejenigen anschreit, deren Zuneigung er doch so ersehnt.
Früh wird klar: Es geht Kunkel überhaupt nicht um Literaturkritik. In seinem Text ist nicht ein Wort darüber zu finden. Es geht um das »Betriebssystem«, dieses ominöse Hin- und Hergeschacher, was sich zur Verblüffung vieler Jungliteraten jenseits sozialer Netzwerke abspielt. In Köln hat man dafür den Diminutiv »Klüngel« erfunden. Kunkel entdeckt den Klüngel immer wieder neu. So weit, so schlecht. Und so bekannt. Aber selektive Wahrnehmung ist immer der Freund des Verschwörungstheoretikers. Wo bleibt die fachliche Auseinandersetzung? Wo bleiben Hinweise auf eine alternative Literaturkritik jenseits der Lovenbergs, Radischs, Weidermanns und Schecks? Stattdessen greift er lieber in die Klischeekiste und suhlt sich in seinen Originalität simulierenden Invektiven. Man sieht ihn förmlich jauchzen, wie er eine schiefe Metapher an die andere klebt. Der Leser, zum Aufrütteln bestellt, gähnt und spendet sanftes Mitleid.
Interessanter als dieser postpubertäre Zwangsvulgarismus ist die Rezeption dieses Textes. Kunkel ist nämlich durchaus ein Mitspieler; er ist Autor mehrerer Romane. Aber weil er ein Mitspieler des Systems ist, dass er so verabscheut, wird sein Text multipliziert (hier), rezipiert und kommentiert (siehe hier). So bleibt er im Geschäft. Und wer weiß – der Paria kann vielleicht beim nächsten Roman mit Begnadigung rechnen. Unverhofft zeigt diese Rezeption von Kunkels Suada mehr als der Text selber, wie es um die Selbstreferentialität des Betriebs bestellt ist. Das ist wenigstens eine Erkenntnis.
Aber der Leser, der stört hier nur. Er findet fundierte Literaturkritik und Argumente zur Kritik an der Kritik anderswo.
Die einzige Erkenntnis, die ich aus der Veröffentlichung des Kunkel-Artikels ziehe, ist die, dass das Titel-Magazin offenbar wahllos Texte von Autoren veröffentlicht und Ansprüche seiner Leser dabei völlig missachtet. Wenn in so einem Kunkel-Text noch nicht einmal die banalsten Infos zur Sache stimmen, wie sehr muss man dann erst den Argumenten misstrauen?
Was das für Rückschlüsse auf die redaktionelle Redlichkeit des Titel-Magazins zulässt, darüber mag sich jetzt jeder sein eigenes Urteil bilden.
Um so überraschter bin ich, dass Kunkels Text im »buchreport«-Blog nachgedruckt wurde.
Damit niemand sagt, ich würde keine abweichenden Meinungen aufnehmen, sei dies aus der Facebook-Seite von Herrn Kunkel zitiert, den man mir per Mail dankenswerter Weise zuschickte:
Hallo Freunde, die Reaktionen auf meine kleine Kritiker-Schelte sind mal wieder bezeichend: Wie immer sind es ausschließlich Wadenbeiser und Möchtegern-Autoren, die sich zur Verteidigung der Feuilletons aufschwingen. Die Kritisierten strafen mich von der Höhe ihrer medienpolitischen Machtposition herab bisher mit eisigem Schweigen... Außer dem gescheiterten Autoren Marc Reichwein drischt auch die Clique um den beruflich gedemütigten Möchtegern-Popliteraten Martin v. Arndt (ich glaube, er macht jetzt auf Lehrer)auf mich ein. »Occupy Bullshit« stammelt da beispielsweise ein völlig hysterischer Lothar Struck vor sich hin. Selbst die Überschrift seines nach abgestandenen Testosteron riechenden Schriebs hat er bei http://www.tumblr.com geklaut! Ein kleiner Hegemann also, er kann stolz auf sich sein.
Jeder Kommentar erübrigt sich da.
Kleine Korrigenda: Ich mache nicht auf Lehrer, das würde ich den armen Kindern doch nicht antun, meine Demütigung an ihnen auszulassen; die haben mit PISA und Bologna doch schon genug zu tun.
Woher allerdings der »Popliterat« kommt, ist mir schleierhaft. Ich war schon immer eher ein Verfechter elitärer Strukturen in der Literatur. Neosymbolismus und so. Pop? Och nö.
Hach nein, jetzt weiß ich wieder – herrje nochmal, er hat ja recht mit dem Möchtegern-Popliteraten! (Wirklich schöne Replik, Thor!)
Ein Autor, der sich in einem schlecht geschriebenen, schlecht recherchierten und rundum ideenlosen Text darüber beschwert, dass ihn das Feuilleton ignoriert, versucht einen anderen Schriftsteller mit der Bezeichnung »gedemütigter Möchtegern-Popliterat« zu diskreditieren? Der selbst ein Problem damit zu haben scheint, dass es Feuilletonistinnen gibt, die die Unverschämtheit besitzen, ihn nicht zu adorieren (deswegen ja Ziegen), aber den Kritikern seines Rants, nix anderes ist es ja, abgestandenen Testosteron-Geruch und ähnliche von einer Art Impotenzangst diktiert zu scheinende Invektiven um die Ohren haut ? Äh... hat der niemand, der ihm von sowas dringend abrät?
Zumal er ja nun selbst bisher nur Romane veröffentlicht hat, die so offensichtlich auf die Erregungspunkte des Feuilletons hin konstruiert sind, dass ich es eigentlich als kleinen Kompetenzbeweis selbigen Feuilletons ansehe, den Typ seit längerem zu ignorieren. Ja, das Feuilleton der großen Zeitungen schmort viel zu sehr im eigenen Saft und rezensiert am Programm der großen Verlag entlang – nur: ein mittelalter, weißer Mann, der mit dem Aufregungspotenzial von Nazis, SM-Sex und anderen Pubertäts-Fantasien herum hantiert und dabei schlichtesten Groschenroman-Stil schreibt, ohnen davon irgendein ästhetisches Bewusstsein zu haben – das fehlt mir als Feuilleton-Leser nun wirklich nicht.
Zitat: »Außer dem gescheiterten Autoren ...« – ich kann dem Dativ immer noch nicht. :-)
Soviel Zeit müsste man schon haben, wenn man sich denn dermassen ergeiert.
Aber ich halte mich ansonsten raus, weil ich nämlich keine Zeit habe für sowas.
Meine erste Reaktion auf den Text war auch eher ein angewidertes Schulterzucken. Argumentstruktur wie beim Broderline-Journalismus: Die sind alle gegen mich, also hab ich recht. Und dieser aufgeregt, hochgezüchtete Sound, als würde man eine Jet-Turbine anwerfen nur um über eine 1m-Hürde zu springen.
Nach dieser ersten Abwehrreaktion möchte ich aber doch zu bedenken geben, dass manches, was ich da las, doch auch so ähnlich auf dem Begleitschreiben zu lesen sein könnte? Z.B.:
Ihre meist kurzlebigen Erregungsgemeinschaften dienen als Appetizer für eine bestimmte Produktpalette, die nun mal zufällig aus Büchern besteht.
Diese aufgedrehte Rhetorik ließ mich auch gleich Ungenauigkeiten wittern, allerdings sind meine Feuilleton-Kenntnisse zu begrenzt, dass ich wirklich den Finger drauf legen könnte. Könntet ihr vielleicht Beispiele nennen?
PS. Der Herr der Dschungel sieht in dem Kunkel-Text eine »wirklich vorzügliche Polemik« ( http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/machpela-feld-oestlich-von-mamre-im-boehmerjournal-des-donnerstags-dem/#55774818 )
@Phorkyas
Einige Unregelmässigkeiten sind im Reichwein-Link erwähnt. Winkels ist auch kein Sauerländer, sondern Düsseldorfer. Das Kleist-Zitat ist ein Bibeltext und wurde von Kleist als Paraphrase benutzt.
»Erregungsgesellschaften« ist ja ein Begriff von Sloterdijk. Den verwende ich durchaus. Aber die ganzen anderen unterirdischen Sottisen im Kunkel-Text sind doch lächerlich: Frau Radischs Ponyfrisur beispielsweise. Da ist jemand unzufrieden mit seiner Wahrnehmung und beklagt das (angebliche) Totschweigen. Natürlich ist der Entzug von Aufmerksamkeit ein wesentliches Element, wie sich das Feuilleton unbequemes vom Halse hält. Aber ob man dadurch reüssiert, in dem man die Leute mit Schmutz bewirft?
Es wundert mich, dass Herbst das so positiv aufnimmt. Es ist weit unter seinem Niveau.
Polemiken dieser Art haben im übrigen nur so lange ihre Gültigkeit, bis das unartige Kind wieder in die Feuilleton-Familie aufgenommen wird. Dann lächelt man vermutlich über seine Jugendsünden. Kunkel ist da natürlich nicht mehr zu helfen. Wer so etwas schreibt (pdf), sonnt sich zu gerne in seiner Paria-Existenz.
Doktor D
Herr K. schlägt weiter um sich: siehe hier.
Manchmal genügt es, nur den Leuten bei ihrer Selbst-Dekonstruktion zuzuschauen. Ein Artikelchen auf der Seite handelt davon, wie man fähige Journalisten an physiognomischen Äußerlichkeiten erkennt. Das spricht für sich...
Gestern und heute habe ich immer wieder mal, krankhaft fasziniert von diesem Spektakel gekränkter machistischer Eitelkeit, auf die Facebook-Seite geschaut... Viele Fans hat er nicht, aber vermutlich bestätigt das nur seine Selbsteinschätzung als verborgenen Groß-Schriftsteller... dem Mann ist nicht zu helfen. Aber immer wieder erstaunlich wie wenig Selbstdistanz Menschen so haben können, die sich für intelligent halten.
Was auch immer man von einer Polemik inhaltlich erwarten mag, ich habe den Text nur zur Hälfte gelesen, dann abgebrochen; er ist, wie schon anderen Orts festgestellt wurde, zu langatmig, zu schlecht geschrieben, unkomprimiert, geht zu sehr durcheinander ... die Lust, die eine elegant formulierte Polemik zu entfachen vermag, fehlt.
@Doktor D/metepsilonema
Ein Körnchen Wahrheit ist in Kunkels Beschreibung ja durchaus enthalten, aber die Ohren derer, die er erreichen will, verstopfen ja mit jeder Invektive nur um so mehr. Daher ist Kunkels Text kontraproduktiv. Wenn es ihm um die Sache ginge, sähe er das ein. Davon kann aber gar nicht die Rede sein: es geht nur um sein Ego und seine gekränkte Eitelkeit. Naja, wenn es irgendwann mal ein Dschungelcamp für Intellektuelle gibt (oder diejenigen, die sich dafür halten), kann er sich ja bewerben.
Frage: Geht es auch ohne Schmähungen ? Antwort: Nein, sonst würde sich niemand der Sache angenommen haben hier und sonstwo. Occupy the Feuilletons! lautet die absolut berechtigte Aufforderung an alle Kulturschaffenden. Der Slogan mißachtet allerdings die objektiven Bedingungen, die mit der Frage „Wem gehört das Feuilleton ?“, erkundet werden könnten; und darüber dann und an den eigenen inneren Widersprüchen würde der Widerstand schnell in sich zusammenbrechen.
Das politische System steckt in einer Krise, und das wirkt sich auch auf den Literatur ‑und Kunstbetrieb aus, nicht allein dadurch, daß es und weil es noch immer den armen Künstler gibt. Was ist das für eine Gesellschaft, die einen Teil ihrer Eliten in – relativer- Armut verkommen läßt ? Menschen bleiben links liegen, die zur Ideenbildung der, insbesondere, sich für gebildet haltenden Bevölkerung beitragen, und das ist der Bevölkerungsteil, der nicht nur ab und zu ein Buch liest, es ist der Teil, dem es zumeist auch erheblich besser geht als der Durchschnittsbevölkerung !
In einem Zeitalter, da die Public Relations ausschließlich durch Meinungsmonopole bestimmt werden, ist dem Literaten oder Künstler die Plattform entzogen, auf der und mit der sowie durch die er seine Theorie, seine Position vermitteln kann. Gleichwohl bedarf es einer Plattform, die nicht allein als Werbeträger für die einzelnen künstlerischen Produkte dient. Das Feuilleton sollte vielmehr eine Werbung für Literatur und Kunst bzw. deren konstituierende Ideen sein. Ein Feuilleton sollte mehr sein als bloß Buchrezension. Unsere Diskussionskultur ist, weil die Feuilletons so sind wie sie sind, deshalb unterentwickelt wie in einer Diktatur.
Unsere Welt ist viel komplizierter geworden seit Goethes und Kleists Tagen, denn eigens dafür ausgebildete Journalisten müssen heute als Vermittler zwischen der künstlerischen Kultur und dem Rezipienten fungieren. Aber weh, der Journalist hat eigene literarische Ambitionen, die über das Feuilleton hinausreichen …, dann dürfte sich der Gebrauch des Begriffs Objektivität zur Veranschaulichung integren Strebens schnell zur inhaltsleeren Phrasendrescherei relativieren. O weh aber erst, wenn der Journalist sich als Diener seines Herrn erweist und nach dem Motto schreibt: Wes Brot ich freß, des Lied ich sing. Diese politische Problematik wird auf den Politikseiten der Zeitungen und Zeitschriften niemals offen angesprochen und schon gar nicht im Feuilleton, wo man sich hinter rein literarischen/künstlerischen Kriterien zu verstecken sucht. Ein Drinnen und ein Draußen muß sich zwangsläufig aufbauen, und so hat Thor Kunkel in diesem wesentlichen Punkt recht, wenn er schreibt: „ … Es ist der sound der upperclass, für die – wie der Fall Guttenberg wohl hinlänglich bewies – Wettbewerbsverzerrung eine Selbstverständlichkeit ist. Ihre elitäre Haltung begründet sich nicht auf Sachkompetenz, sondern der Tatsache, dass sie drinnen sind und die anderen draußen.“ Ich stimme mit Kunkel nicht überein, wenn er das Wort – wie immer gemeint – „Wettbewerbsverzerrung“ gebraucht, denn dem wäre schon ein bißchen implizit, daß der Vorwurf, der ihm nun gemacht wird, richtig sei, er fühle sich wegen Nichtbeachtung gekränkt. Fühlte er sich als Literat im Konkurrenzkampf wie ein Unternehmer, dürfte er sich allerdings auch nicht beschweren. Auch darin, wie er das Wort „ästhetisch“ benutzt, könnte ich ihm nicht folgen. Das Wesen des Konflikts rührt eben nicht aus unterschiedlichen Bewertungen der literarischen/ künstlerischen Qualität, sondern ob man dazugehört zur Upperclass und deren literarischer Community oder nicht. Seine Widerstandsforderung basiert kaum auf einer substantiellen Analyse des Feuilletons ..., aber er macht aufmerksam und nicht zu vergessen auf diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten: Nobody is perfect ...
@Bernd Boeske
Ich glaube nicht, dass Schmähungen die einzige Möglichkeit sind, im Kakophonie-Konzert des Medienbetriebs (und/oder des Feuilletons) überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Bis auf ein paar Krawallchargen erreicht man so ziemlich das Gegenteil von dem, was man möchte. Wer Iris Radisch als »Irre Radisch« schmäht, darf sich nicht wundern, wenn er nicht wahrgenommen wird.
Was Sie zur »Upperclass« sagen, trifft meines Erachtens den Kern der Sache, den ich versucht habe darzustellen: Kunkel gehörte selber zur »Upperclass« und goutierte das dann. Erst als er nicht mehr wahrgenommen wurde – schlimmer als ein Verriss – ließ er sich zu seinen Ausfällen hinreißen. Menschlich verständlich, wenn auch wenig erfolgversprechend. Ein bisschen ist es immer so, dass derjenige, der eine Klassengesellschaft geißelt schnell in den Geruch kommt, selber zu kurz gekommen zu sein. Sobald diese Leute wieder in den Kreis der »Upperclass« aufgenommen sind, läßt dann meist ihr Rebellentum nach. Sie können das an zahlreichen Beispielen festmachen; es gibt nur wenige Ausnahmen. Ich verurteile das gar nicht, aber es zeigt sich mir darin, dass die Entrüstungen weniger der Sache als der eigenen Person gelten.
Ich habe ein paar Probleme mit Ihrem programmatischen Ansatz: »Das Feuilleton sollte vielmehr eine Werbung für Literatur und Kunst bzw. deren konstituierende Ideen sein«, schreiben Sie. Das klingt mir – mit Verlaub – ein bisschen walserhaft nach dem Imperativ der puren Affirmation des Zeitgenössischen per se (sorry für die Quelle, aber etwas anderes fand ich in der Eile nicht). Nein, das Feuilleton sollte nicht Werbung sein und jeden dahergelaufenen Scheiß mindestens lauwarm loben oder wenigstens »süffig« verreißen. Das Feuilleton sollte kantig, schwierig und vor allem unbestechlich sein. Im Diskurs wird – so die These – genug Gelegenheit zur Dialektik ermöglicht. Was fehlt, ist m. E. die Breite. Ich verstehe es z. B. nicht, warum manche Bücher 20 x besprochen werden und andere gar nicht. Hier fehlt es an Mut (ist es das richtige Wort?). Und auch an Vermögen. Wenn Sie vielleicht einige der Texte auf diesem Blog hier (unter »Literaturkritik in der Kritik«) lesen, werden Sie feststellen, dass auch ich noch andere Probleme mit dem »Hochfeuilleton« habe. Aber ich möchte auch kein Feuilleton, in dem Autoren und Künstler bestimmen, was wie besprochen und diskutiert wird.
Ein Subkultur-Feuilleton ist leider bisher nicht entstanden. Kurz glaubte ich, in Blogs oder Foren würde so etwas entstehen. Dann bräuchte man das bestehende nicht zu besetzen, sondern würde eine Alternative schaffen. Aber darum geht es vor allem dem Herrn Kunkel nicht.
@Gregor Keuschnig
Nun, ich denke, wir sind uns schon einig. Nee, ein Programm bzw. Konzept fürs Feuilleton habe ich leider nicht, es ärgert mich fast, wenn das so klang; auch bin ich völlig Ihrer Meinung, daß ein Feuilleton durchaus einem erweiterten Kulturbegriff folgen sollte und entsprechend kritisch sein muß, „kantig, schwierig und vor allem unbestechlich“ wie Sie schreiben. Es versteht sich folglich, daß ich eine „pure Affirmation des Zeitgenössischen“ nicht als erstrebenswerte Haltung wie Praxis etwa gutheißen könnte.
Ich fürchte nur, daß es zu diesem Mainstream der großen Massenmedien wirklich keine funktionierende Alternative gibt, solange keine komplette Verlinkung und zeitgleicher Aufbau der kritischen Blogs auf dem Monitor möglich wird. Nur durch Zufall habe ich beispielsweise Ihre Seite gefunden. Die Internetblogs eignen sich jedoch ungleich besser für den diskursiven Umgang miteinander als das eine Zeitung zu leisten vermag.
Wenn ich von einer Werbung für Literatur und Kunst bzw. deren konstituierende Ideen schreibe, dann meine ich das eher sehr allgemein und zugleich ein bißchen auf Tiefe abzielend. Die feuilletonistische Sprache möchte sich nur nicht in der Trockenheit und langweiligen Sachlichkeit wissenschaftlicher Studien verlieren, bliebe noch anzumerken. Anregung zur Auseinandersetzung muß das Ziel sein, nicht intolerante Rezension oder Verkündigung von Postulaten. Weder Normative noch Beliebigkeit sollten den anregenden Charakter eines Feuilletons verhindern können, deshalb sollten die Seiten des Feuilleton wirklich Raum bieten zu beständigem Diskurs, um Widersprüche auszuräumen, aber auch zu bestätigen, wo keine Einigung möglich sein kann. Um das aber zu erreichen, müssen zunächst die divergierenden Positionen bekannt sein, d.h. die Presse oder auch die Blogs müssen informieren über das Geschehen, und das auch fern des Mainstream – im Draußen und gar im totalen Abseits Womit sich gleich neue Fragen und Probleme ergeben …, aber ich will Sie und Ihre Leserschaft nicht weiter langweilen ...
Harghhh, warum denn das: »...ich will Sie und Ihre Leserschaft nicht weiter langweilen...«? Nehmen wir doch in Kauf, dass sich der ein oder andere Leser langweilt, oder? Entscheidend ist doch, ob wir uns langweilen. Und ich langweile mich nicht.
Ich stimme Ihnen zu, dass sich Blogs bzw. auf eine Webseite vernetzte, miteinander kommunizierende »Blogger« – die dann Individuen wären – hätten finden müssen und eine Subkultur hätten entstehen lassen. Das ist leider ausgeblieben und in Anbetracht der Regression der »kritischen Masse« hin zum Konsum und weniger zur Produktion im Moment auch nicht mehr zu erwarten. Interessant ist die Frage, warum die Versuche einer Bündelung gescheitert sind. Und was dies für das sogenannte Hoch-Feuilleton bedeutet.
@Gregor Keuschnig
Na das Hoch-Feuilleton lacht sich scheckig. Das Geblogge stört erst, wenn eine komplette Venetzung kommt und der unmittelbare schnelle Austausch wichtiger erscheint als das gedruckte Wort, das ich extra kaufen muß. Technische Probleme und erhebliche Wissenslücken über die Möglichkeiten des Internet verhindern noch die Vernetzung, aber die wird kommen, wenn nicht anderes inzwischen geschieht, so oder so, früher oder später. Ein Problem deutet sich an ...
Kulturpolitisch halte ich allein schon den Begriff Subkultur für fragwürdig, weil es wohl nun mal so einfach ist, daß es ein Oben und ein Unten, ein Drinnen und ein Draußen gibt. Alle wollen nach oben und niemand will draußen bleiben, das ergibt sich allein schon, weil kulturelle Tätigkeit zunächst auch nur Erwerbsarbeit sein kann ... Eine Subkultur müßte quasi gegen alles anstinken – aber wie sollte das gehen ? Selbst die Punktruppe The Exploited spielt doch mit und ihren Part im bürgerlichen Kulturbetrieb, die gebetsmühlenartig propagierte Freiheit bestätigend, obwohl schon ganz anderes vor sich geht ...
Mein Eindruck ist, daß die kritische Masse im Zunehmen begriffen ist. Im Moment nehmen wir keine Bewegung wahr, fast wie von Physik und Chemie beschrieben: Nichts geahnt und dann knallt’s – Tja leider unkontrolliert, wie immer in der Geschichte, oder ? Nun, die Physiker und Chemiker können ganz genau vorhersagen, wann etwas knallt. Durch verschiedene Gesellschaftswissenschaften ließe sich auch für das politische System manches vorher- und aussagen, was manch einem von unseren großartigen Politikern nicht sehr gefallen dürfte.
Das wachsende Unbehagen im Volk kann man schon erfassen, auch ohne, daß man gleich zum Gesellschaftsforscher wird. Wenn man z.B. die ZDF_Blogs durchsieht, kann man ein gewaltiges Geschimpfe der Leute wahrnehmen, sicher, das mehr oder weniger qualifiziert und das intellektuelle Niveau erreicht oft nicht mal das des Blattes „mit den vier großen Buchstaben“, aber es regt sich eben was. Wie auch, sollte nicht endlich der deutsche Michel aufwachen können aus seinem deutschen Traum angesichts des zunehmenden realen Einkommensverlustes durch Gehalts-und Lohnstagnation und die leicht inflationäre Tendenz(, die sich hoffentlich nicht noch steigern wird) ?! Die alte Bundesrepublik der Zeit vor 1989 liegt seit 1984, als Schröder mit seiner Agenda zuschlug, endgültig im Sterben … Zwar senkte man die Lohnnebenkosten, konnte ein wenig den tendenziellen Fall der Profitrate abfedern, aber das verschlechterte die Lebensqualität und das kann nicht gut sein, weil daraus in politischer Hinsicht niemals etwas Positives entstehen konnte und auch in Zukunft nicht entstehen wird.
Halbwegs interessant sind auch die Entwicklungen in der sogenannten Mitte, wo man offenbar beginnt, sich gegenseitig fertigzumachen …
Die Bevölkerung hat ein großes Bildungsproblem (und jegliche Debatte über die Qualität der Feuilletons könnte sich schon von daher erledigen.) Vermutlich noch nie gab es in Deutschland so viele Abiturienten wie in diesem Jahrzehnt und trotzdem machen die meisten von ihnen wohl keinen Gebrauch von ihrer Hochschulreife. Ein Unding ist das und eine Verschleuderung von Zeit, Geld und menschlichem Potential.
Ebenso traurig erscheint mir die Entwicklung, daß Naturwissenschaften in der öffentlichen Wertschätzung immer weniger gelten als Religion. Werden Naturwissenschaften wertgeschätzt, dann dergestalt, daß spektakuläre wie einfach spekulative Aspekte im Vordergrund stehen. Mathematik wird nicht als Wissenschaft, aber dafür ganz falsch als Naturwissenschaft dar- und vorangestellt. Dies aus Gründen, die aus dem selbstvernebelten Wissenschafts- und Universitätsbetrieb herrühren. (In Deutschland wurde, soweit mir bekannt, nicht ein einziges Mal die Tatsache für öffentlich erwähnenswert erachtet, daß die Finanzkrise auch aus mathematischen Erwägungen, aber eben aus haltlosen Spekulationen heraus ausgelöst wurde.) Es gibt Tabus, die man nicht für möglich halten würde …
Insofern könnte man meinen, geht es den geisteswissenschaftlichen und schöngeistig künstlerischen Bereichen gut in Deutschland, bemessen auch an dem gewaltigen Wind, den inzwischen vor allem das öffentlich-rechtliche Fernsehen um die Kultur zu entfachen versucht. Aber ich habe da so meine Zweifel, denn durch das schlechte Erscheinungsbild anderer Gesellschaftsbereiche läßt sich sicher kein wirkliches Blühen der Feuilletons konstatieren. Die Kritik an den Massenmedien erscheint mir jedenfalls zunehmend berechtigter, aber ich sehe keine Lösung. Ich bezeichne diese Medien als Instrumentarium der oberen Zehntausend. Meine Sicht kann deshalb von jener gewissen literarischen Community leicht als subjektiv und überspannt dargestellt werden, weshalb ich mir auch jeden Gedanken darüber schenken darf.
Ich selber sehe kein Fernsehen mehr und habe auch schon lange keine Zeitung mehr gelesen, dürfte mich also hier gar nicht äußern zum Feuilleton, aber da Sie Fragen stellen, die mich auch irgendwie und wenigstens indirekt beschäftigen müssen, habe ich mich hier zu Wort gemeldet …
Ich sehe tatsächlich ein Auseinanderdriften nicht nur der Armen und Reichen. Die Intellektuellen werden sich in besonderer Weise entscheiden müssen, wo sie hingehören. Eine Polarisierung war vermutlich schon lange überfällig und wir werden sehen, was daraus wird.
Ich schrieb in meinem ersten Kommentar in Ihrem Blog von der Krise des politischen Systems. Diese Krise läßt sich nur dann wahrnehmen, wenn es einem nicht so toll geht oder/und wenn man ein gewisses Insiderwissen über bestimmte Sachverhalte erlangen konnte. Ich sehe den Kapitalismus nicht im Koma wie Sahra Wagenknecht, ganz und gar nicht, aber aus diesen beiden Gründen, weil die Situation wieder einmal falsch eingeschätzt wird von der linken Bewegung und der Kapitalismus vermutlich in einem Akt der Maßlosigkeit verteidigt werden wird, werden Entwicklungen auf uns zukommen, die eines Tages alles in Frage stellen könnten, worüber und wofür Sie hier eigentlich streiten wollen ...
Einverstanden, was Sie als Kritik gegen den Begriff des »Subkultur-Feuilletons« vorbringen. Mir ist kein besseres Wort eingefallen und ich halte »Gegen-Feuilleton« für zu ideologisch. Vielleicht sollte man es besser »Parallel-Feuilleton« nennen.
Die Vernetzung der Blogger blieb m. E. aus mehreren Gründen aus: Zum einen befördert das Geblogge den Individualismus. Jeder schreibt das, was er will, ungefiltert, ohne Gängelungen durch Redaktionen oder sonstige Hierarchien. Gleichzeitig blendet man dadurch Gegenpositionen per se aus; man trifft sich auf Blogs und hat im Prinzip die eine Meinung. Diskussionen werden entweder gar nicht oder sofort ad hominem geführt und es wird herumgetrollt. Wenn man sich mal die Mühe gemacht hat, im Heise-Forum zu lesen oder bei Niggemeier weiss man, wovon ich rede.
Derzeit entdecke ich einen deutlichen Gegenstrom: Weg von der Produktion und wieder hin zur Rezeption. Inzwischen ist von (fast) jedem (fast) alles gesagt. Vieles ist nur noch redundant. Das Internet macht vieles verfügbar, wofür man früher in Bibliotheken musste oder zum Kiosk. Auch wenn Sie keine Zeitung lesen, werden Sie Artikel aus FAZ, FR, SZ oder sonstwo lesen (je nach Bedarf und Interesse). Wieso dann über das gleiche Thema noch einen Blog lesen? Die knappste Ressource ist heute die Zeit.
Ich glaube nicht, dass die »kritische Masse« mehr aufgestaut hat als früher. Sie kommt nur direkter dazu, ihr Missfallen auszudrücken. Was früher in den Leserbriefen in den Redaktionsstuben ankam, hat man nur im 1%-Bereich mitbekommen. Heute ist man selbst bei moderierten Plattformen (FAZ, tagesschau.de) sehr viel schneller und unmittelbarer dabei. Man bekommt einfach mehr mit. Facebook und Twitter sind ebenfalls Medien, in denen jeder binnen Sekunden seinen Dampf ablassen und verhältnismässig weit publizieren kann. Wird dies verknüpft, entsteht schnell eine Lawine, die nicht immer gut und/oder richtig sein muss, aber Aufmerksamkeit erzeugt. Guttenberg wäre ohne Internet noch im Amt. Er ist aber nicht »wegen des Internet« nicht mehr im Amt, Dieser Unterschied ist vielen nicht klar, die eine Verschwörung wittern wollen.
Wie Sie glaube ich, dass wir ein Bildungsproblem haben. Die Länder halten sich zu Gute, dass die Abiturquote sukzessive gestiegen ist. Tatsächlich ist die das aber nur, weil gleichzeitig die Kriterien heruntergesetzt wurden. Hinzu kam, dass man ein Schuljahr einsparen wollte (damals war fast jeder dafür). Die Schüler lernen sehr viel selektiver, aber eben auch nur noch oberflächlicher. Neulich sprach ich mit einer Gymnasiastin, die etwas über den Klimawandel erarbeiten soll. Der Lehrer hatte im Vorfeld schon gesagt, dass man »stofforientiert« zu arbeiten habe, d.h. im Klartext: an den Vorgaben, die im Lehrbuch stehen. So züchtet man Papageien, aber keine mündigen Bürger.
@Gregor Keuschnig
Sie haben in allem recht.
Den heutigen Schulbetrieb kann ich nicht beurteilen, aber mir scheint, neben einer Unterforderung liegt da auch eine Überforderung durch ein Zuviel an unnützem Zeug vor, das aber unbedingt gelernt werden soll. Wie gesagt, wenn die Abiturienten nur die Hochschulreife erlangen, um einen besseren Ausbildungsplatz zu erlangen, dann wird ein Gesellschaftsziel verfehlt. Dessen ungeachtet ist es selbstverständlich gut, daß mehr Menschen eine höhere Schulbildung erlangen, zumal gerade so ein kompaktes und umfassendes Wissen, wie dies das Abitur bietet, später in der Hochschul-oder Berufsausbildung nicht mehr geboten werden kann. Dieses Wissen wird aber nur dann Früchte tragen, wenn es angewandt werden kann, wenn Assoziationen im Privat- und Berufsleben möglich werden ...
Sie haben auch recht, was dieses Nachgeplappere betrifft, diese Erziehung zur geistigen Unmündigkeit; das führt dazu, daß der Nachwuchs später nicht mal den verbleibenden Spielraum wahrnehmen wird, um kreativ sein zu können.
Nochmals zur Schmähung als Mittel zum Zweck.
Friedrich Hölderlin liebte die Deutschen und hoffte auf eine geistige Revolution, Auszug aus einem Brief vom 06.01.1797:
... „Dieser Charakter des bekannteren Teils des Menschengeschlechts ist gewiß ein Vorbote außerordentlicher Dinge. Ich glaube an eine künftige Revolution der Gesinnungen und Vorstellungsarten, die alles Bisherige schamrot machen wird, Und dazu kann Deutschland vielleicht sehr viel beitragen. Je stiller ein Staat aufwächst, um so herrlicher wird er, wenn er zur Reife kömmt. Deutschland ist still, bescheiden, es wird viel gedacht, viel gearbeitet, und große Bewegungen sind in den Herzen der Jugend, ohne daß sie in Phrasen übergehen wie sonstwo. Viel Bildung, und noch unendlich mehr! Bildsamer Stoff! – Gutmütigkeit und Fleiß, Kindheit des Herzens und Männlichkeit des Geistes sind die Elemente, woraus ein vortreffliches Volk sich bildet. Wo findet man das mehr als unter den Deutschen? Freilich hat die infame Nachahmerei viel Unheil unter sie gebracht, aber je philo-
sophischer sie werden, um so selbständiger.“ …
Aber ganz dazu im Gegensatz läßt er seinen Hyperion etwas sagen, was den Zorn einer ganzen Nation nach sich gezogen hätte, hätte es damals Fernsehen, Radio und das heutige Erscheinungsbild der Zeitungen gegeben. Es würde etwas den Rahmen sprengen, dies zu zitieren. Im 20. Jahrhundert bezog sich Wolf Biermann mit seinem Hölderlin-Lied auf diese Textstelle aus dem „Hyperion oder der Eremit in Griechenland“, „So kam ich unter die Deutschen ...“ Biermann zog eine Parallele und wieder wäre das nötig ... denn solange die Revolution von 1848 nicht erfolgreich beendet wird – so meine These -, wird es keine progressive Entwicklung mehr geben ...