Bull­shit oc­cu­p­ied

Ei­nen »pla­ka­ti­ven Text« kün­digt das »Ti­tel Ma­ga­zin« an, der den »re­si­gnier­ten« Le­ser auf­rüt­teln will. Ein al­ter To­pos des Feuil­le­tons wird da be­dient: Man nimmt den Le­ser, der sich nicht weh­ren kann, in den Arm und spricht – na­tür­lich un­ge­fragt – für ihn. Nicht der ein­zi­ge Trick. Denn was dann von Thor Kun­kel folgt, ist ein ha­stig zu­sam­men­ge­stop­pel­tes, lar­moy­an­tes Ge­plap­per mit reich­lich sach­li­chen Feh­lern gar­niert. Das Pro­to­koll ei­nes Wut­li­te­ra­ten, der um Auf­merk­sam­keit win­selt, in dem er mög­lichst dra­stisch die­je­ni­gen an­schreit, de­ren Zu­nei­gung er doch so er­sehnt.

Früh wird klar: Es geht Kun­kel über­haupt nicht um Li­te­ra­tur­kri­tik. In sei­nem Text ist nicht ein Wort dar­über zu fin­den. Es geht um das »Be­triebs­sy­stem«, die­ses omi­nö­se Hin- und Her­ge­scha­cher, was sich zur Ver­blüf­fung vie­ler Jungli­te­ra­ten jen­seits so­zia­ler Netz­werke ab­spielt. In Köln hat man da­für den Di­mi­nu­tiv »Klün­gel« er­fun­den. Kun­kel ent­deckt den Klün­gel im­mer wie­der neu. So weit, so schlecht. Und so be­kannt. Aber se­lek­ti­ve Wahr­neh­mung ist im­mer der Freund des Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­kers. Wo bleibt die fach­li­che Aus­ein­an­der­set­zung? Wo blei­ben Hin­wei­se auf ei­ne al­ter­na­ti­ve Literatur­kritik jen­seits der Loven­bergs, Ra­dischs, Wei­der­manns und Schecks? Statt­des­sen greift er lie­ber in die Kli­schee­ki­ste und suhlt sich in sei­nen Ori­gi­na­li­tät si­mu­lie­ren­den In­vek­ti­ven. Man sieht ihn förm­lich jauch­zen, wie er ei­ne schie­fe Me­ta­pher an die an­de­re klebt. Der Le­ser, zum Auf­rüt­teln be­stellt, gähnt und spen­det sanf­tes Mit­leid.

In­ter­es­san­ter als die­ser post­pu­ber­tä­re Zwangs­vul­ga­ris­mus ist die Re­zep­ti­on die­ses Tex­tes. Kun­kel ist näm­lich durch­aus ein Mit­spie­ler; er ist Au­tor meh­re­rer Ro­ma­ne. Aber weil er ein Mit­spie­ler des Sy­stems ist, dass er so ver­ab­scheut, wird sein Text mul­ti­pli­ziert (hier), re­zi­piert und kom­men­tiert (sie­he hier). So bleibt er im Ge­schäft. Und wer weiß – der Pa­ria kann viel­leicht beim näch­sten Ro­man mit Be­gna­di­gung rech­nen. Un­ver­hofft zeigt die­se Re­zep­ti­on von Kun­kels Sua­da mehr als der Text sel­ber, wie es um die Selbst­re­fe­ren­tia­li­tät des Be­triebs be­stellt ist. Das ist we­nig­stens ei­ne Er­kennt­nis.

Aber der Le­ser, der stört hier nur. Er fin­det fun­dier­te Li­te­ra­tur­kri­tik und Ar­gu­men­te zur Kri­tik an der Kri­tik an­ders­wo.

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  1. Die ein­zi­ge Er­kennt­nis, die ich aus der Ver­öf­fent­li­chung des Kun­kel-Ar­ti­kels zie­he, ist die, dass das Ti­tel-Ma­ga­zin of­fen­bar wahl­los Tex­te von Au­toren ver­öf­fent­licht und An­sprü­che sei­ner Le­ser da­bei völ­lig miss­ach­tet. Wenn in so ei­nem Kun­kel-Text noch nicht ein­mal die ba­nal­sten In­fos zur Sa­che stim­men, wie sehr muss man dann erst den Ar­gu­men­ten miss­trau­en?

    Was das für Rück­schlüs­se auf die re­dak­tio­nel­le Red­lich­keit des Ti­tel-Ma­ga­zins zu­lässt, dar­über mag sich jetzt je­der sein ei­ge­nes Ur­teil bil­den.

  2. Da­mit nie­mand sagt, ich wür­de kei­ne ab­wei­chen­den Mei­nun­gen auf­neh­men, sei dies aus der Face­book-Sei­te von Herrn Kun­kel zi­tiert, den man mir per Mail dan­kens­wer­ter Wei­se zu­schick­te:

    Hal­lo Freun­de, die Re­ak­tio­nen auf mei­ne klei­ne Kri­ti­ker-Schel­te sind mal wie­der be­zei­chend: Wie im­mer sind es aus­schließ­lich Wa­den­bei­ser und Möch­te­gern-Au­toren, die sich zur Ver­tei­di­gung der Feuil­le­tons auf­schwin­gen. Die Kri­ti­sier­ten stra­fen mich von der Hö­he ih­rer me­di­en­po­li­ti­schen Macht­po­si­ti­on her­ab bis­her mit ei­si­gem Schwei­gen... Au­ßer dem ge­schei­ter­ten Au­toren Marc Reich­wein drischt auch die Cli­que um den be­ruf­lich ge­de­mü­tig­ten Möch­te­gern-Pop­li­te­ra­ten Mar­tin v. Arndt (ich glau­be, er macht jetzt auf Lehrer)auf mich ein. »Oc­cu­py Bull­shit« stam­melt da bei­spiels­wei­se ein völ­lig hy­ste­ri­scher Lo­thar Struck vor sich hin. Selbst die Über­schrift sei­nes nach ab­ge­stan­de­nen Te­sto­ste­ron rie­chen­den Schriebs hat er bei http://www.tumblr.com ge­klaut! Ein klei­ner He­ge­mann al­so, er kann stolz auf sich sein.

    Je­der Kom­men­tar er­üb­rigt sich da.

  3. Klei­ne Kor­rigen­da: Ich ma­che nicht auf Leh­rer, das wür­de ich den ar­men Kin­dern doch nicht an­tun, mei­ne De­mü­ti­gung an ih­nen aus­zu­las­sen; die ha­ben mit PISA und Bo­lo­gna doch schon ge­nug zu tun.
    Wo­her al­ler­dings der »Pop­li­te­rat« kommt, ist mir schlei­er­haft. Ich war schon im­mer eher ein Ver­fech­ter eli­tä­rer Struk­tu­ren in der Li­te­ra­tur. Neo­sym­bo­lis­mus und so. Pop? Och nö.

  4. Ein Au­tor, der sich in ei­nem schlecht ge­schrie­be­nen, schlecht re­cher­chier­ten und rund­um ideen­lo­sen Text dar­über be­schwert, dass ihn das Feuil­le­ton igno­riert, ver­sucht ei­nen an­de­ren Schrift­stel­ler mit der Be­zeich­nung »ge­de­mü­tig­ter Möch­te­gern-Pop­li­te­rat« zu dis­kre­di­tie­ren? Der selbst ein Pro­blem da­mit zu ha­ben scheint, dass es Feuil­le­to­ni­stin­nen gibt, die die Un­ver­schämt­heit be­sit­zen, ihn nicht zu ado­rie­ren (des­we­gen ja Zie­gen), aber den Kri­ti­kern sei­nes Rants, nix an­de­res ist es ja, ab­ge­stan­de­nen Te­sto­ste­ron-Ge­ruch und ähn­li­che von ei­ner Art Im­po­tenz­angst dik­tiert zu schei­nen­de In­vek­ti­ven um die Oh­ren haut ? Äh... hat der nie­mand, der ihm von so­was drin­gend ab­rät?
    Zu­mal er ja nun selbst bis­her nur Ro­ma­ne ver­öf­fent­licht hat, die so of­fen­sicht­lich auf die Er­re­gungs­punk­te des Feuil­le­tons hin kon­stru­iert sind, dass ich es ei­gent­lich als klei­nen Kom­pe­tenz­be­weis sel­bi­gen Feuil­le­tons an­se­he, den Typ seit län­ge­rem zu igno­rie­ren. Ja, das Feuil­le­ton der gro­ßen Zei­tun­gen schmort viel zu sehr im ei­ge­nen Saft und re­zen­siert am Pro­gramm der gro­ßen Ver­lag ent­lang – nur: ein mit­tel­al­ter, wei­ßer Mann, der mit dem Auf­re­gungs­po­ten­zi­al von Na­zis, SM-Sex und an­de­ren Pu­ber­täts-Fan­ta­sien her­um han­tiert und da­bei schlich­te­sten Gro­schen­ro­man-Stil schreibt, oh­nen da­von ir­gend­ein äs­the­ti­sches Be­wusst­sein zu ha­ben – das fehlt mir als Feuil­le­ton-Le­ser nun wirk­lich nicht.

  5. Zi­tat: »Au­ßer dem ge­schei­ter­ten Au­toren ...« – ich kann dem Da­tiv im­mer noch nicht. :-)
    So­viel Zeit müss­te man schon ha­ben, wenn man sich denn der­ma­ssen er­gei­ert.

    Aber ich hal­te mich an­son­sten raus, weil ich näm­lich kei­ne Zeit ha­be für so­was.

  6. Mei­ne er­ste Re­ak­ti­on auf den Text war auch eher ein an­ge­wi­der­tes Schul­ter­zucken. Ar­gu­ment­struk­tur wie beim Bro­der­line-Jour­na­lis­mus: Die sind al­le ge­gen mich, al­so hab ich recht. Und die­ser auf­ge­regt, hoch­ge­züch­te­te Sound, als wür­de man ei­ne Jet-Tur­bi­ne an­wer­fen nur um über ei­ne 1m-Hür­de zu sprin­gen.

    Nach die­ser er­sten Ab­wehr­re­ak­ti­on möch­te ich aber doch zu be­den­ken ge­ben, dass man­ches, was ich da las, doch auch so ähn­lich auf dem Be­gleit­schrei­ben zu le­sen sein könn­te? Z.B.:
    Ih­re meist kurz­le­bi­gen Er­re­gungs­ge­mein­schaf­ten die­nen als Ap­pe­ti­zer für ei­ne be­stimm­te Pro­dukt­pa­let­te, die nun mal zu­fäl­lig aus Bü­chern be­steht.

    Die­se auf­ge­dreh­te Rhe­to­rik ließ mich auch gleich Un­ge­nau­ig­kei­ten wit­tern, al­ler­dings sind mei­ne Feuil­le­ton-Kennt­nis­se zu be­grenzt, dass ich wirk­lich den Fin­ger drauf le­gen könn­te. Könn­tet ihr viel­leicht Bei­spie­le nen­nen?

    PS. Der Herr der Dschun­gel sieht in dem Kun­kel-Text ei­ne »wirk­lich vor­züg­li­che Po­le­mik« ( http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/machpela-feld-oestlich-von-mamre-im-boehmerjournal-des-donnerstags-dem/#55774818 )

  7. @Phorkyas
    Ei­ni­ge Un­re­gel­mä­ssig­kei­ten sind im Reich­wein-Link er­wähnt. Win­kels ist auch kein Sau­er­län­der, son­dern Düs­sel­dor­fer. Das Kleist-Zi­tat ist ein Bi­bel­text und wur­de von Kleist als Pa­ra­phra­se be­nutzt.

    »Er­re­gungs­ge­sell­schaf­ten« ist ja ein Be­griff von Slo­ter­di­jk. Den ver­wen­de ich durch­aus. Aber die gan­zen an­de­ren un­ter­ir­di­schen Sot­ti­sen im Kun­kel-Text sind doch lä­cher­lich: Frau Ra­dischs Po­ny­fri­sur bei­spiels­wei­se. Da ist je­mand un­zu­frie­den mit sei­ner Wahr­neh­mung und be­klagt das (an­geb­li­che) Tot­schwei­gen. Na­tür­lich ist der Ent­zug von Auf­merk­sam­keit ein we­sent­li­ches Ele­ment, wie sich das Feuil­le­ton un­be­que­mes vom Hal­se hält. Aber ob man da­durch re­üs­siert, in dem man die Leu­te mit Schmutz be­wirft?

    Es wun­dert mich, dass Herbst das so po­si­tiv auf­nimmt. Es ist weit un­ter sei­nem Ni­veau.

    Po­le­mi­ken die­ser Art ha­ben im üb­ri­gen nur so lan­ge ih­re Gül­tig­keit, bis das un­ar­ti­ge Kind wie­der in die Feuil­le­ton-Fa­mi­lie auf­ge­nom­men wird. Dann lä­chelt man ver­mut­lich über sei­ne Ju­gend­sün­den. Kun­kel ist da na­tür­lich nicht mehr zu hel­fen. Wer so et­was schreibt (pdf), sonnt sich zu ger­ne in sei­ner Pa­ria-Exi­stenz.

  8. Dok­tor D
    Herr K. schlägt wei­ter um sich: sie­he hier.

    Manch­mal ge­nügt es, nur den Leu­ten bei ih­rer Selbst-De­kon­struk­ti­on zu­zu­schau­en. Ein Ar­ti­kel­chen auf der Sei­te han­delt da­von, wie man fä­hi­ge Jour­na­li­sten an phy­sio­gno­mi­schen Äu­ßer­lich­kei­ten er­kennt. Das spricht für sich...

  9. Ge­stern und heu­te ha­be ich im­mer wie­der mal, krank­haft fas­zi­niert von die­sem Spek­ta­kel ge­kränk­ter ma­chi­sti­scher Ei­tel­keit, auf die Face­book-Sei­te ge­schaut... Vie­le Fans hat er nicht, aber ver­mut­lich be­stä­tigt das nur sei­ne Selbst­ein­schät­zung als ver­bor­ge­nen Groß-Schrift­stel­ler... dem Mann ist nicht zu hel­fen. Aber im­mer wie­der er­staun­lich wie we­nig Selbst­di­stanz Men­schen so ha­ben kön­nen, die sich für in­tel­li­gent hal­ten.

  10. Was auch im­mer man von ei­ner Po­le­mik in­halt­lich er­war­ten mag, ich ha­be den Text nur zur Hälf­te ge­le­sen, dann ab­ge­bro­chen; er ist, wie schon an­de­ren Orts fest­ge­stellt wur­de, zu lang­at­mig, zu schlecht ge­schrie­ben, un­kom­pri­miert, geht zu sehr durch­ein­an­der ... die Lust, die ei­ne ele­gant for­mu­lier­te Po­le­mik zu ent­fa­chen ver­mag, fehlt.

  11. @Doktor D/metepsilonema
    Ein Körn­chen Wahr­heit ist in Kun­kels Be­schrei­bung ja durch­aus ent­hal­ten, aber die Oh­ren de­rer, die er er­rei­chen will, ver­stop­fen ja mit je­der In­vek­ti­ve nur um so mehr. Da­her ist Kun­kels Text kon­tra­pro­duk­tiv. Wenn es ihm um die Sa­che gin­ge, sä­he er das ein. Da­von kann aber gar nicht die Re­de sein: es geht nur um sein Ego und sei­ne ge­kränk­te Ei­tel­keit. Na­ja, wenn es ir­gend­wann mal ein Dschun­gel­camp für In­tel­lek­tu­el­le gibt (oder die­je­ni­gen, die sich da­für hal­ten), kann er sich ja be­wer­ben.

  12. Fra­ge: Geht es auch oh­ne Schmä­hun­gen ? Ant­wort: Nein, sonst wür­de sich nie­mand der Sa­che an­ge­nom­men ha­ben hier und sonst­wo. Oc­cu­py the Feuil­le­tons! lau­tet die ab­so­lut be­rech­tig­te Auf­for­de­rung an al­le Kul­tur­schaf­fen­den. Der Slo­gan miß­ach­tet al­ler­dings die ob­jek­ti­ven Be­din­gun­gen, die mit der Fra­ge „Wem ge­hört das Feuil­le­ton ?“, er­kun­det wer­den könn­ten; und dar­über dann und an den ei­ge­nen in­ne­ren Wi­der­sprü­chen wür­de der Wi­der­stand schnell in sich zu­sam­men­bre­chen.
    Das po­li­ti­sche Sy­stem steckt in ei­ner Kri­se, und das wirkt sich auch auf den Li­te­ra­tur ‑und Kunst­be­trieb aus, nicht al­lein da­durch, daß es und weil es noch im­mer den ar­men Künst­ler gibt. Was ist das für ei­ne Ge­sell­schaft, die ei­nen Teil ih­rer Eli­ten in – re­la­ti­ver- Ar­mut ver­kom­men läßt ? Men­schen blei­ben links lie­gen, die zur Ideen­bil­dung der, ins­be­son­de­re, sich für ge­bil­det hal­ten­den Be­völ­ke­rung bei­tra­gen, und das ist der Be­völ­ke­rungs­teil, der nicht nur ab und zu ein Buch liest, es ist der Teil, dem es zu­meist auch er­heb­lich bes­ser geht als der Durch­schnitts­be­völ­ke­rung !
    In ei­nem Zeit­al­ter, da die Pu­blic Re­la­ti­ons aus­schließ­lich durch Mei­nungs­mo­no­po­le be­stimmt wer­den, ist dem Li­te­ra­ten oder Künst­ler die Platt­form ent­zo­gen, auf der und mit der so­wie durch die er sei­ne Theo­rie, sei­ne Po­si­ti­on ver­mit­teln kann. Gleich­wohl be­darf es ei­ner Platt­form, die nicht al­lein als Wer­be­trä­ger für die ein­zel­nen künst­le­ri­schen Pro­duk­te dient. Das Feuil­le­ton soll­te viel­mehr ei­ne Wer­bung für Li­te­ra­tur und Kunst bzw. de­ren kon­sti­tu­ie­ren­de Ideen sein. Ein Feuil­le­ton soll­te mehr sein als bloß Buch­re­zen­si­on. Un­se­re Dis­kus­si­ons­kul­tur ist, weil die Feuil­le­tons so sind wie sie sind, des­halb un­ter­ent­wickelt wie in ei­ner Dik­ta­tur.
    Un­se­re Welt ist viel kom­pli­zier­ter ge­wor­den seit Goe­thes und Kleists Ta­gen, denn ei­gens da­für aus­ge­bil­de­te Jour­na­li­sten müs­sen heu­te als Ver­mitt­ler zwi­schen der künst­le­ri­schen Kul­tur und dem Re­zi­pi­en­ten fun­gie­ren. Aber weh, der Jour­na­list hat ei­ge­ne li­te­ra­ri­sche Am­bi­tio­nen, die über das Feuil­le­ton hin­aus­rei­chen …, dann dürf­te sich der Ge­brauch des Be­griffs Ob­jek­ti­vi­tät zur Ver­an­schau­li­chung in­te­gren Stre­bens schnell zur in­halts­lee­ren Phra­sen­dre­sche­rei re­la­ti­vie­ren. O weh aber erst, wenn der Jour­na­list sich als Die­ner sei­nes Herrn er­weist und nach dem Mot­to schreibt: Wes Brot ich freß, des Lied ich sing. Die­se po­li­ti­sche Pro­ble­ma­tik wird auf den Po­li­tik­sei­ten der Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten nie­mals of­fen an­ge­spro­chen und schon gar nicht im Feuil­le­ton, wo man sich hin­ter rein literarischen/künstlerischen Kri­te­ri­en zu ver­stecken sucht. Ein Drin­nen und ein Drau­ßen muß sich zwangs­läu­fig auf­bau­en, und so hat Thor Kun­kel in die­sem we­sent­li­chen Punkt recht, wenn er schreibt: „ … Es ist der sound der up­per­class, für die – wie der Fall Gut­ten­berg wohl hin­läng­lich be­wies – Wett­be­werbs­ver­zer­rung ei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit ist. Ih­re eli­tä­re Hal­tung be­grün­det sich nicht auf Sach­kom­pe­tenz, son­dern der Tat­sa­che, dass sie drin­nen sind und die an­de­ren drau­ßen.“ Ich stim­me mit Kun­kel nicht über­ein, wenn er das Wort – wie im­mer ge­meint – „Wett­be­werbs­ver­zer­rung“ ge­braucht, denn dem wä­re schon ein biß­chen im­pli­zit, daß der Vor­wurf, der ihm nun ge­macht wird, rich­tig sei, er füh­le sich we­gen Nicht­be­ach­tung ge­kränkt. Fühl­te er sich als Li­te­rat im Kon­kur­renz­kampf wie ein Un­ter­neh­mer, dürf­te er sich al­ler­dings auch nicht be­schwe­ren. Auch dar­in, wie er das Wort „äs­the­tisch“ be­nutzt, könn­te ich ihm nicht fol­gen. Das We­sen des Kon­flikts rührt eben nicht aus un­ter­schied­li­chen Be­wer­tun­gen der literarischen/ künst­le­ri­schen Qua­li­tät, son­dern ob man da­zu­ge­hört zur Up­per­class und de­ren li­te­ra­ri­scher Com­mu­ni­ty oder nicht. Sei­ne Wi­der­stands­for­de­rung ba­siert kaum auf ei­ner sub­stan­ti­el­len Ana­ly­se des Feuil­le­tons ..., aber er macht auf­merk­sam und nicht zu ver­ges­sen auf die­sem Jahr­markt der Ei­tel­kei­ten: No­bo­dy is per­fect ...

  13. @Bernd Boes­ke
    Ich glau­be nicht, dass Schmä­hun­gen die ein­zi­ge Mög­lich­keit sind, im Ka­ko­pho­nie-Kon­zert des Me­di­en­be­triebs (und/oder des Feuil­le­tons) über­haupt noch wahr­ge­nom­men zu wer­den. Bis auf ein paar Kra­wall­char­gen er­reicht man so ziem­lich das Ge­gen­teil von dem, was man möch­te. Wer Iris Ra­disch als »Ir­re Ra­disch« schmäht, darf sich nicht wun­dern, wenn er nicht wahr­ge­nom­men wird.

    Was Sie zur »Up­per­class« sa­gen, trifft mei­nes Er­ach­tens den Kern der Sa­che, den ich ver­sucht ha­be dar­zu­stel­len: Kun­kel ge­hör­te sel­ber zur »Up­per­class« und gou­tier­te das dann. Erst als er nicht mehr wahr­ge­nom­men wur­de – schlim­mer als ein Ver­riss – ließ er sich zu sei­nen Aus­fäl­len hin­rei­ßen. Mensch­lich ver­ständ­lich, wenn auch we­nig er­folg­ver­spre­chend. Ein biss­chen ist es im­mer so, dass der­je­ni­ge, der ei­ne Klas­sen­ge­sell­schaft gei­ßelt schnell in den Ge­ruch kommt, sel­ber zu kurz ge­kom­men zu sein. So­bald die­se Leu­te wie­der in den Kreis der »Up­per­class« auf­ge­nom­men sind, läßt dann meist ihr Re­bel­len­tum nach. Sie kön­nen das an zahl­rei­chen Bei­spie­len fest­ma­chen; es gibt nur we­ni­ge Aus­nah­men. Ich ver­ur­tei­le das gar nicht, aber es zeigt sich mir dar­in, dass die Ent­rü­stun­gen we­ni­ger der Sa­che als der ei­ge­nen Per­son gel­ten.

    Ich ha­be ein paar Pro­ble­me mit Ih­rem pro­gram­ma­ti­schen An­satz: »Das Feuil­le­ton soll­te viel­mehr ei­ne Wer­bung für Li­te­ra­tur und Kunst bzw. de­ren kon­sti­tu­ie­ren­de Ideen sein«, schrei­ben Sie. Das klingt mir – mit Ver­laub – ein biss­chen wals­er­haft nach dem Im­pe­ra­tiv der pu­ren Af­fir­ma­ti­on des Zeit­ge­nös­si­schen per se (sor­ry für die Quel­le, aber et­was an­de­res fand ich in der Ei­le nicht). Nein, das Feuil­le­ton soll­te nicht Wer­bung sein und je­den da­her­ge­lau­fe­nen Scheiß min­de­stens lau­warm lo­ben oder we­nig­stens »süf­fig« ver­rei­ßen. Das Feuil­le­ton soll­te kan­tig, schwie­rig und vor al­lem un­be­stech­lich sein. Im Dis­kurs wird – so die The­se – ge­nug Ge­le­gen­heit zur Dia­lek­tik er­mög­licht. Was fehlt, ist m. E. die Brei­te. Ich ver­ste­he es z. B. nicht, war­um man­che Bü­cher 20 x be­spro­chen wer­den und an­de­re gar nicht. Hier fehlt es an Mut (ist es das rich­ti­ge Wort?). Und auch an Ver­mö­gen. Wenn Sie viel­leicht ei­ni­ge der Tex­te auf die­sem Blog hier (un­ter »Li­te­ra­tur­kri­tik in der Kri­tik«) le­sen, wer­den Sie fest­stel­len, dass auch ich noch an­de­re Pro­ble­me mit dem »Hoch­feuil­le­ton« ha­be. Aber ich möch­te auch kein Feuil­le­ton, in dem Au­toren und Künst­ler be­stim­men, was wie be­spro­chen und dis­ku­tiert wird.

    Ein Sub­kul­tur-Feuil­le­ton ist lei­der bis­her nicht ent­stan­den. Kurz glaub­te ich, in Blogs oder Fo­ren wür­de so et­was ent­ste­hen. Dann bräuch­te man das be­stehen­de nicht zu be­set­zen, son­dern wür­de ei­ne Al­ter­na­ti­ve schaf­fen. Aber dar­um geht es vor al­lem dem Herrn Kun­kel nicht.

  14. @Gregor Keu­sch­nig
    Nun, ich den­ke, wir sind uns schon ei­nig. Nee, ein Pro­gramm bzw. Kon­zept fürs Feuil­le­ton ha­be ich lei­der nicht, es är­gert mich fast, wenn das so klang; auch bin ich völ­lig Ih­rer Mei­nung, daß ein Feuil­le­ton durch­aus ei­nem er­wei­ter­ten Kul­tur­be­griff fol­gen soll­te und ent­spre­chend kri­tisch sein muß, „kan­tig, schwie­rig und vor al­lem un­be­stech­lich“ wie Sie schrei­ben. Es ver­steht sich folg­lich, daß ich ei­ne „pu­re Af­fir­ma­ti­on des Zeit­ge­nös­si­schen“ nicht als er­stre­bens­wer­te Hal­tung wie Pra­xis et­wa gut­hei­ßen könn­te.
    Ich fürch­te nur, daß es zu die­sem Main­stream der gro­ßen Mas­sen­me­di­en wirk­lich kei­ne funk­tio­nie­ren­de Al­ter­na­ti­ve gibt, so­lan­ge kei­ne kom­plet­te Ver­lin­kung und zeit­glei­cher Auf­bau der kri­ti­schen Blogs auf dem Mo­ni­tor mög­lich wird. Nur durch Zu­fall ha­be ich bei­spiels­wei­se Ih­re Sei­te ge­fun­den. Die In­ter­net­blogs eig­nen sich je­doch un­gleich bes­ser für den dis­kur­si­ven Um­gang mit­ein­an­der als das ei­ne Zei­tung zu lei­sten ver­mag.
    Wenn ich von ei­ner Wer­bung für Li­te­ra­tur und Kunst bzw. de­ren kon­sti­tu­ie­ren­de Ideen schrei­be, dann mei­ne ich das eher sehr all­ge­mein und zu­gleich ein biß­chen auf Tie­fe ab­zie­lend. Die feuil­le­to­ni­sti­sche Spra­che möch­te sich nur nicht in der Trocken­heit und lang­wei­li­gen Sach­lich­keit wis­sen­schaft­li­cher Stu­di­en ver­lie­ren, blie­be noch an­zu­mer­ken. An­re­gung zur Aus­ein­an­der­set­zung muß das Ziel sein, nicht in­to­le­ran­te Re­zen­si­on oder Ver­kün­di­gung von Po­stu­la­ten. We­der Nor­ma­ti­ve noch Be­lie­big­keit soll­ten den an­re­gen­den Cha­rak­ter ei­nes Feuil­le­tons ver­hin­dern kön­nen, des­halb soll­ten die Sei­ten des Feuil­le­ton wirk­lich Raum bie­ten zu be­stän­di­gem Dis­kurs, um Wi­der­sprü­che aus­zu­räu­men, aber auch zu be­stä­ti­gen, wo kei­ne Ei­ni­gung mög­lich sein kann. Um das aber zu er­rei­chen, müs­sen zu­nächst die di­ver­gie­ren­den Po­si­tio­nen be­kannt sein, d.h. die Pres­se oder auch die Blogs müs­sen in­for­mie­ren über das Ge­sche­hen, und das auch fern des Main­stream – im Drau­ßen und gar im to­ta­len Ab­seits Wo­mit sich gleich neue Fra­gen und Pro­ble­me er­ge­ben …, aber ich will Sie und Ih­re Le­ser­schaft nicht wei­ter lang­wei­len ...

  15. Harghhh, war­um denn das: »...ich will Sie und Ih­re Le­ser­schaft nicht wei­ter lang­wei­len...«? Neh­men wir doch in Kauf, dass sich der ein oder an­de­re Le­ser lang­weilt, oder? Ent­schei­dend ist doch, ob wir uns lang­wei­len. Und ich lang­wei­le mich nicht.

    Ich stim­me Ih­nen zu, dass sich Blogs bzw. auf ei­ne Web­sei­te ver­netz­te, mit­ein­an­der kom­mu­ni­zie­ren­de »Blog­ger« – die dann In­di­vi­du­en wä­ren – hät­ten fin­den müs­sen und ei­ne Sub­kul­tur hät­ten ent­ste­hen las­sen. Das ist lei­der aus­ge­blie­ben und in An­be­tracht der Re­gres­si­on der »kri­ti­schen Mas­se« hin zum Kon­sum und we­ni­ger zur Pro­duk­ti­on im Mo­ment auch nicht mehr zu er­war­ten. In­ter­es­sant ist die Fra­ge, war­um die Ver­su­che ei­ner Bün­de­lung ge­schei­tert sind. Und was dies für das so­ge­nann­te Hoch-Feuil­le­ton be­deu­tet.

  16. @Gregor Keu­sch­nig

    Na das Hoch-Feuil­le­ton lacht sich scheckig. Das Ge­blog­ge stört erst, wenn ei­ne kom­plet­te Ve­net­zung kommt und der un­mit­tel­ba­re schnel­le Aus­tausch wich­ti­ger er­scheint als das ge­druck­te Wort, das ich ex­tra kau­fen muß. Tech­ni­sche Pro­ble­me und er­heb­li­che Wis­sens­lücken über die Mög­lich­kei­ten des In­ter­net ver­hin­dern noch die Ver­net­zung, aber die wird kom­men, wenn nicht an­de­res in­zwi­schen ge­schieht, so oder so, frü­her oder spä­ter. Ein Pro­blem deu­tet sich an ...
    Kul­tur­po­li­tisch hal­te ich al­lein schon den Be­griff Sub­kul­tur für frag­wür­dig, weil es wohl nun mal so ein­fach ist, daß es ein Oben und ein Un­ten, ein Drin­nen und ein Drau­ßen gibt. Al­le wol­len nach oben und nie­mand will drau­ßen blei­ben, das er­gibt sich al­lein schon, weil kul­tu­rel­le Tä­tig­keit zu­nächst auch nur Er­werbs­ar­beit sein kann ... Ei­ne Sub­kul­tur müß­te qua­si ge­gen al­les an­stin­ken – aber wie soll­te das ge­hen ? Selbst die Punktrup­pe The Ex­ploi­ted spielt doch mit und ih­ren Part im bür­ger­li­chen Kul­tur­be­trieb, die ge­bets­müh­len­ar­tig pro­pa­gier­te Frei­heit be­stä­ti­gend, ob­wohl schon ganz an­de­res vor sich geht ...

    Mein Ein­druck ist, daß die kri­ti­sche Mas­se im Zu­neh­men be­grif­fen ist. Im Mo­ment neh­men wir kei­ne Be­we­gung wahr, fast wie von Phy­sik und Che­mie be­schrie­ben: Nichts ge­ahnt und dann knallt’s – Tja lei­der un­kon­trol­liert, wie im­mer in der Ge­schich­te, oder ? Nun, die Phy­si­ker und Che­mi­ker kön­nen ganz ge­nau vor­her­sa­gen, wann et­was knallt. Durch ver­schie­de­ne Ge­sell­schafts­wis­sen­schaf­ten lie­ße sich auch für das po­li­ti­sche Sy­stem man­ches vor­her- und aus­sa­gen, was manch ei­nem von un­se­ren groß­ar­ti­gen Po­li­ti­kern nicht sehr ge­fal­len dürf­te.
    Das wach­sen­de Un­be­ha­gen im Volk kann man schon er­fas­sen, auch oh­ne, daß man gleich zum Ge­sell­schafts­for­scher wird. Wenn man z.B. die ZDF_Blogs durch­sieht, kann man ein ge­wal­ti­ges Ge­schimp­fe der Leu­te wahr­neh­men, si­cher, das mehr oder we­ni­ger qua­li­fi­ziert und das in­tel­lek­tu­el­le Ni­veau er­reicht oft nicht mal das des Blat­tes „mit den vier gro­ßen Buch­sta­ben“, aber es regt sich eben was. Wie auch, soll­te nicht end­lich der deut­sche Mi­chel auf­wa­chen kön­nen aus sei­nem deut­schen Traum an­ge­sichts des zu­neh­men­den rea­len Ein­kom­mens­ver­lu­stes durch Ge­halts-und Lohns­ta­gna­ti­on und die leicht in­fla­tio­nä­re Ten­denz(, die sich hof­fent­lich nicht noch stei­gern wird) ?! Die al­te Bun­des­re­pu­blik der Zeit vor 1989 liegt seit 1984, als Schrö­der mit sei­ner Agen­da zu­schlug, end­gül­tig im Ster­ben … Zwar senk­te man die Lohn­ne­ben­ko­sten, konn­te ein we­nig den ten­den­zi­el­len Fall der Pro­fi­tra­te ab­fe­dern, aber das ver­schlech­ter­te die Le­bens­qua­li­tät und das kann nicht gut sein, weil dar­aus in po­li­ti­scher Hin­sicht nie­mals et­was Po­si­ti­ves ent­ste­hen konn­te und auch in Zu­kunft nicht ent­ste­hen wird.
    Halb­wegs in­ter­es­sant sind auch die Ent­wick­lun­gen in der so­ge­nann­ten Mit­te, wo man of­fen­bar be­ginnt, sich ge­gen­sei­tig fer­tig­zu­ma­chen …
    Die Be­völ­ke­rung hat ein gro­ßes Bil­dungs­pro­blem (und jeg­li­che De­bat­te über die Qua­li­tät der Feuil­le­tons könn­te sich schon von da­her er­le­di­gen.) Ver­mut­lich noch nie gab es in Deutsch­land so vie­le Ab­itu­ri­en­ten wie in die­sem Jahr­zehnt und trotz­dem ma­chen die mei­sten von ih­nen wohl kei­nen Ge­brauch von ih­rer Hoch­schul­rei­fe. Ein Un­ding ist das und ei­ne Ver­schleu­de­rung von Zeit, Geld und mensch­li­chem Po­ten­ti­al.
    Eben­so trau­rig er­scheint mir die Ent­wick­lung, daß Na­tur­wis­sen­schaf­ten in der öf­fent­li­chen Wert­schät­zung im­mer we­ni­ger gel­ten als Re­li­gi­on. Wer­den Na­tur­wis­sen­schaf­ten wert­ge­schätzt, dann der­ge­stalt, daß spek­ta­ku­lä­re wie ein­fach spe­ku­la­ti­ve Aspek­te im Vor­der­grund ste­hen. Ma­the­ma­tik wird nicht als Wis­sen­schaft, aber da­für ganz falsch als Na­tur­wis­sen­schaft dar- und vor­an­ge­stellt. Dies aus Grün­den, die aus dem selbst­ver­ne­bel­ten Wis­sen­schafts- und Uni­ver­si­täts­be­trieb her­rüh­ren. (In Deutsch­land wur­de, so­weit mir be­kannt, nicht ein ein­zi­ges Mal die Tat­sa­che für öf­fent­lich er­wäh­nens­wert er­ach­tet, daß die Fi­nanz­kri­se auch aus ma­the­ma­ti­schen Er­wä­gun­gen, aber eben aus halt­lo­sen Spe­ku­la­tio­nen her­aus aus­ge­löst wur­de.) Es gibt Ta­bus, die man nicht für mög­lich hal­ten wür­de …
    In­so­fern könn­te man mei­nen, geht es den gei­stes­wis­sen­schaft­li­chen und schön­gei­stig künst­le­ri­schen Be­rei­chen gut in Deutsch­land, be­mes­sen auch an dem ge­wal­ti­gen Wind, den in­zwi­schen vor al­lem das öf­fent­lich-recht­li­che Fern­se­hen um die Kul­tur zu ent­fa­chen ver­sucht. Aber ich ha­be da so mei­ne Zwei­fel, denn durch das schlech­te Er­schei­nungs­bild an­de­rer Ge­sell­schafts­be­rei­che läßt sich si­cher kein wirk­li­ches Blü­hen der Feuil­le­tons kon­sta­tie­ren. Die Kri­tik an den Mas­sen­me­di­en er­scheint mir je­den­falls zu­neh­mend be­rech­tig­ter, aber ich se­he kei­ne Lö­sung. Ich be­zeich­ne die­se Me­di­en als In­stru­men­ta­ri­um der obe­ren Zehn­tau­send. Mei­ne Sicht kann des­halb von je­ner ge­wis­sen li­te­ra­ri­schen Com­mu­ni­ty leicht als sub­jek­tiv und über­spannt dar­ge­stellt wer­den, wes­halb ich mir auch je­den Ge­dan­ken dar­über schen­ken darf.
    Ich sel­ber se­he kein Fern­se­hen mehr und ha­be auch schon lan­ge kei­ne Zei­tung mehr ge­le­sen, dürf­te mich al­so hier gar nicht äu­ßern zum Feuil­le­ton, aber da Sie Fra­gen stel­len, die mich auch ir­gend­wie und we­nig­stens in­di­rekt be­schäf­ti­gen müs­sen, ha­be ich mich hier zu Wort ge­mel­det …
    Ich se­he tat­säch­lich ein Aus­ein­an­der­drif­ten nicht nur der Ar­men und Rei­chen. Die In­tel­lek­tu­el­len wer­den sich in be­son­de­rer Wei­se ent­schei­den müs­sen, wo sie hin­ge­hö­ren. Ei­ne Po­la­ri­sie­rung war ver­mut­lich schon lan­ge über­fäl­lig und wir wer­den se­hen, was dar­aus wird.
    Ich schrieb in mei­nem er­sten Kom­men­tar in Ih­rem Blog von der Kri­se des po­li­ti­schen Sy­stems. Die­se Kri­se läßt sich nur dann wahr­neh­men, wenn es ei­nem nicht so toll geht oder/und wenn man ein ge­wis­ses In­si­der­wis­sen über be­stimm­te Sach­ver­hal­te er­lan­gen konn­te. Ich se­he den Ka­pi­ta­lis­mus nicht im Ko­ma wie Sahra Wa­gen­knecht, ganz und gar nicht, aber aus die­sen bei­den Grün­den, weil die Si­tua­ti­on wie­der ein­mal falsch ein­ge­schätzt wird von der lin­ken Be­we­gung und der Ka­pi­ta­lis­mus ver­mut­lich in ei­nem Akt der Maß­lo­sig­keit ver­tei­digt wer­den wird, wer­den Ent­wick­lun­gen auf uns zu­kom­men, die ei­nes Ta­ges al­les in Fra­ge stel­len könn­ten, wor­über und wo­für Sie hier ei­gent­lich strei­ten wol­len ...

  17. Ein­ver­stan­den, was Sie als Kri­tik ge­gen den Be­griff des »Sub­kul­tur-Feuil­le­tons« vor­brin­gen. Mir ist kein bes­se­res Wort ein­ge­fal­len und ich hal­te »Ge­gen-Feuil­le­ton« für zu ideo­lo­gisch. Viel­leicht soll­te man es bes­ser »Par­al­lel-Feuil­le­ton« nen­nen.

    Die Ver­net­zung der Blog­ger blieb m. E. aus meh­re­ren Grün­den aus: Zum ei­nen be­för­dert das Ge­blog­ge den In­di­vi­dua­lis­mus. Je­der schreibt das, was er will, un­ge­fil­tert, oh­ne Gän­ge­lun­gen durch Re­dak­tio­nen oder son­sti­ge Hier­ar­chien. Gleich­zei­tig blen­det man da­durch Ge­gen­po­si­tio­nen per se aus; man trifft sich auf Blogs und hat im Prin­zip die ei­ne Mei­nung. Dis­kus­sio­nen wer­den ent­we­der gar nicht oder so­fort ad ho­mi­nem ge­führt und es wird her­um­ge­trollt. Wenn man sich mal die Mü­he ge­macht hat, im Hei­se-Fo­rum zu le­sen oder bei Nig­ge­mei­er weiss man, wo­von ich re­de.

    Der­zeit ent­decke ich ei­nen deut­li­chen Ge­gen­strom: Weg von der Pro­duk­ti­on und wie­der hin zur Re­zep­ti­on. In­zwi­schen ist von (fast) je­dem (fast) al­les ge­sagt. Vie­les ist nur noch red­un­dant. Das In­ter­net macht vie­les ver­füg­bar, wo­für man frü­her in Bi­blio­the­ken muss­te oder zum Ki­osk. Auch wenn Sie kei­ne Zei­tung le­sen, wer­den Sie Ar­ti­kel aus FAZ, FR, SZ oder sonst­wo le­sen (je nach Be­darf und In­ter­es­se). Wie­so dann über das glei­che The­ma noch ei­nen Blog le­sen? Die knapp­ste Res­sour­ce ist heu­te die Zeit.

    Ich glau­be nicht, dass die »kri­ti­sche Mas­se« mehr auf­ge­staut hat als frü­her. Sie kommt nur di­rek­ter da­zu, ihr Miss­fal­len aus­zu­drücken. Was frü­her in den Le­ser­brie­fen in den Re­dak­ti­ons­stu­ben an­kam, hat man nur im 1%-Bereich mit­be­kom­men. Heu­te ist man selbst bei mo­de­rier­ten Platt­for­men (FAZ, tagesschau.de) sehr viel schnel­ler und un­mit­tel­ba­rer da­bei. Man be­kommt ein­fach mehr mit. Face­book und Twit­ter sind eben­falls Me­di­en, in de­nen je­der bin­nen Se­kun­den sei­nen Dampf ab­las­sen und ver­hält­nis­mä­ssig weit pu­bli­zie­ren kann. Wird dies ver­knüpft, ent­steht schnell ei­ne La­wi­ne, die nicht im­mer gut und/oder rich­tig sein muss, aber Auf­merk­sam­keit er­zeugt. Gut­ten­berg wä­re oh­ne In­ter­net noch im Amt. Er ist aber nicht »we­gen des In­ter­net« nicht mehr im Amt, Die­ser Un­ter­schied ist vie­len nicht klar, die ei­ne Ver­schwö­rung wit­tern wol­len.

    Wie Sie glau­be ich, dass wir ein Bil­dungs­pro­blem ha­ben. Die Län­der hal­ten sich zu Gu­te, dass die Ab­itur­quo­te suk­zes­si­ve ge­stie­gen ist. Tat­säch­lich ist die das aber nur, weil gleich­zei­tig die Kri­te­ri­en her­un­ter­ge­setzt wur­den. Hin­zu kam, dass man ein Schul­jahr ein­spa­ren woll­te (da­mals war fast je­der da­für). Die Schü­ler ler­nen sehr viel se­lek­ti­ver, aber eben auch nur noch ober­fläch­li­cher. Neu­lich sprach ich mit ei­ner Gym­na­sia­stin, die et­was über den Kli­ma­wan­del er­ar­bei­ten soll. Der Leh­rer hat­te im Vor­feld schon ge­sagt, dass man »stoff­ori­en­tiert« zu ar­bei­ten ha­be, d.h. im Klar­text: an den Vor­ga­ben, die im Lehr­buch ste­hen. So züch­tet man Pa­pa­gei­en, aber kei­ne mün­di­gen Bür­ger.

  18. @Gregor Keu­sch­nig

    Sie ha­ben in al­lem recht.

    Den heu­ti­gen Schul­be­trieb kann ich nicht be­ur­tei­len, aber mir scheint, ne­ben ei­ner Un­ter­for­de­rung liegt da auch ei­ne Über­for­de­rung durch ein Zu­viel an un­nüt­zem Zeug vor, das aber un­be­dingt ge­lernt wer­den soll. Wie ge­sagt, wenn die Ab­itu­ri­en­ten nur die Hoch­schul­rei­fe er­lan­gen, um ei­nen bes­se­ren Aus­bil­dungs­platz zu er­lan­gen, dann wird ein Ge­sell­schafts­ziel ver­fehlt. Des­sen un­ge­ach­tet ist es selbst­ver­ständ­lich gut, daß mehr Men­schen ei­ne hö­he­re Schul­bil­dung er­lan­gen, zu­mal ge­ra­de so ein kom­pak­tes und um­fas­sen­des Wis­sen, wie dies das Ab­itur bie­tet, spä­ter in der Hoch­schul-oder Be­rufs­aus­bil­dung nicht mehr ge­bo­ten wer­den kann. Die­ses Wis­sen wird aber nur dann Früch­te tra­gen, wenn es an­ge­wandt wer­den kann, wenn As­so­zia­tio­nen im Pri­vat- und Be­rufs­le­ben mög­lich wer­den ...
    Sie ha­ben auch recht, was die­ses Nach­ge­plap­pe­re be­trifft, die­se Er­zie­hung zur gei­sti­gen Un­mün­dig­keit; das führt da­zu, daß der Nach­wuchs spä­ter nicht mal den ver­blei­ben­den Spiel­raum wahr­neh­men wird, um krea­tiv sein zu kön­nen.

    Noch­mals zur Schmä­hung als Mit­tel zum Zweck.
    Fried­rich Höl­der­lin lieb­te die Deut­schen und hoff­te auf ei­ne gei­sti­ge Re­vo­lu­ti­on, Aus­zug aus ei­nem Brief vom 06.01.1797:
    ... „Die­ser Cha­rak­ter des be­kann­te­ren Teils des Men­schen­ge­schlechts ist ge­wiß ein Vor­bo­te au­ßer­or­dent­li­cher Din­ge. Ich glau­be an ei­ne künf­ti­ge Re­vo­lu­ti­on der Ge­sin­nun­gen und Vor­stel­lungs­ar­ten, die al­les Bis­he­ri­ge scham­rot ma­chen wird, Und da­zu kann Deutsch­land viel­leicht sehr viel bei­tra­gen. Je stil­ler ein Staat auf­wächst, um so herr­li­cher wird er, wenn er zur Rei­fe kömmt. Deutsch­land ist still, be­schei­den, es wird viel ge­dacht, viel ge­ar­bei­tet, und gro­ße Be­we­gun­gen sind in den Her­zen der Ju­gend, oh­ne daß sie in Phra­sen über­ge­hen wie sonst­wo. Viel Bil­dung, und noch un­end­lich mehr! Bild­sa­mer Stoff! – Gut­mü­tig­keit und Fleiß, Kind­heit des Her­zens und Männ­lich­keit des Gei­stes sind die Ele­men­te, wor­aus ein vor­treff­li­ches Volk sich bil­det. Wo fin­det man das mehr als un­ter den Deut­schen? Frei­lich hat die in­fa­me Nach­ah­me­r­ei viel Un­heil un­ter sie ge­bracht, aber je phi­lo-
    so­phi­scher sie wer­den, um so selb­stän­di­ger.“ …
    Aber ganz da­zu im Ge­gen­satz läßt er sei­nen Hy­pe­ri­on et­was sa­gen, was den Zorn ei­ner gan­zen Na­ti­on nach sich ge­zo­gen hät­te, hät­te es da­mals Fern­se­hen, Ra­dio und das heu­ti­ge Er­schei­nungs­bild der Zei­tun­gen ge­ge­ben. Es wür­de et­was den Rah­men spren­gen, dies zu zi­tie­ren. Im 20. Jahr­hun­dert be­zog sich Wolf Bier­mann mit sei­nem Höl­der­lin-Lied auf die­se Text­stel­le aus dem „Hy­pe­ri­on oder der Ere­mit in Grie­chen­land“, „So kam ich un­ter die Deut­schen ...“ Bier­mann zog ei­ne Par­al­le­le und wie­der wä­re das nö­tig ... denn so­lan­ge die Re­vo­lu­ti­on von 1848 nicht er­folg­reich be­en­det wird – so mei­ne The­se -, wird es kei­ne pro­gres­si­ve Ent­wick­lung mehr ge­ben ...