Das un­wür­di­ge Count-Up

Als im Lau­fe des heu­ti­gen Vor­mit­tags (27. Fe­bru­ar 2010) die Mel­dun­gen über das schreck­li­che Erd­be­ben vor der Kü­ste Chi­les auf­ka­men, wur­de dies na­tür­lich auch Ge­gen­stand di­ver­ser Me­di­en. Das bei die­sen Ge­le­gen­hei­ten er­bärm­li­che und wür­de­lo­se »Count-Up« be­gann fast so­fort: Trotz un­si­cher­ster Nach­rich­ten­la­ge wer­den im­mer wie­der sinn­lo­se Zah­len von To­des­op­fern wei­ter­ge­mel­det.

Es be­gann mit ver­meint­lich 16 Op­fern, die auch bei SWR1 ge­mel­det wur­den. Die Geo­gra­phie­kennt­nis­se des Re­dak­teurs wa­ren je­doch eher be­schei­den, wie man se­hen kann:

SWR1

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Bar­ba­ra Hoff­mei­ster: S. Fi­scher, der Ver­le­ger

Barbara Hoffmeister: S. Fischer - Der Verleger
Bar­ba­ra Hoff­mei­ster: S. Fi­scher – Der Ver­le­ger
In den 70er Jah­ren gab es im deut­schen Fern­se­hen ei­ne Sen­dung mit dem Ti­tel »Das ist ihr Le­ben«. Pro­mi­nen­te wur­de un­ter ei­nem Vor­wand in ein Stu­dio ge­lockt. Dort war­te­te ein auf­ge­kratz­ter Mo­de­ra­tor mit ei­nem Mäpp­chen auf sie, ging die ein­zel­nen Sta­tio­nen des Le­bens die­ses Pro­mi­nen­ten durch, lud ehe­ma­li­ge Freun­de und so­ge­nann­te Weg­ge­fähr­ten des Ga­stes ein (ty­pi­sche Kör­per­be­we­gung: die Um­ar­mung des seit Jah­ren nicht mehr Ge­se­he­nen) und frisch­te die Kar­rie­re­hö­he­punk­te auf (sel­te­ner die Rück­schlä­ge). Das hat­te ir­gend­wie den Charme von Klas­sen­tref­fen, Stamm­tisch und vor­weg­ge­nom­me­ner Grab­pre­digt. Un­ver­ges­sen die Per­si­fla­ge von Lo­ri­ot auf die­se Sen­dung, in der der Mo­de­ra­tor dem fik­ti­ven Schau­spie­ler »Ted Brown« man­gels Ver­füg­bar­keit kei­nen Schul­ka­me­ra­den aus der ei­ge­nen Klas­se prä­sen­tie­ren konn­te, son­dern nur je­man­den, der zur glei­chen Zeit in ei­ner an­de­ren Stadt zur Schu­le ging. »Er ist Ih­nen al­so völ­lig un­be­kannt« – und trotz­dem heu­te im Stu­dio. »Kön­nen wir jetzt ge­hen« fragt dann ir­gend­wann Ted Brown, als die Re­kon­struk­tio­nen im­mer ab­stru­ser wur­den.

Ein biss­chen er­in­nert Bar­ba­ra Hoff­mei­sters Buch »S. Fi­scher, der Ver­le­ger« an die­se Si­tua­ti­on. Da wer­den Zi­ta­te von Im­re Kér­tesz und Sieg­fried Un­seld in ei­ne Le­bens­ge­schich­te des aus­ge­hen­den 19. Jahr­hun­derts ein­ge­streut und man fragt sich wo­zu. Zwar ver­mei­det Hoff­mei­ster die Gat­tungs­be­zeich­nung »Bio­gra­fie« und ver­wen­det statt­des­sen den Be­griff der »Le­bens­be­schrei­bung«, aber so ganz ver­mag sie den bio­gra­fi­schen An­spruch nicht auf­zu­ge­ben. Die di­rek­te Quel­len­la­ge scheint al­ler­dings min­de­stens zu be­stimm­ten Le­bens­pha­sen Fi­schers eher dürf­tig. Hin­zu kommt ei­ne ver­tief­te Ver­schwie­gen­heit Fi­schers. Er hat­te we­der Ta­ge­buch ge­schrie­ben, noch äu­ßer­te er sich re­gel­mä­ßig in der Öf­fent­lich­keit. Da­her übt sich die Au­torin in Spe­ku­la­tio­nen, die sie je­doch im­mer­hin als sol­che kenn­zeich­net. Den­noch be­frem­den ir­gend­wann die zahl­los er­schei­nen­den Kon­junk­ti­ve. Na­tür­lich könn­te sich Fi­scher auf der Welt­aus­stel­lung am Stand der »Fir­ma S. Reich & Co.« be­fun­den ha­ben. Oder wo­mög­lich un­ter den Schau­lu­sti­gen ir­gend­ei­ner Ver­an­stal­tung ge­we­sen sein. Wahr­schein­lich war Fi­scher am 29. Ju­li 1890 bei der Grün­dungs­ver­samm­lung der »Frei­en Büh­ne« da­bei und wenn ja, so weiß Hoff­mei­ster zu­ver­läs­sig, dürf­te ihm die Mas­sen­ver­an­stal­tung nicht be­hagt ha­ben. Aber was wür­de dies be­deu­ten? Und war­um ver­stei­fen sich die­se Ver­mu­tun­gen ab und an fast zu Un­ter­stel­lun­gen?

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Lasst doch mal die Klei­nen nach vor­ne *

Ein Schmie­ren­thea­ter

Va­ter und Toch­ter in der Kü­che. Er hat ge­ra­de die Ja­va-Ma­schi­ne pro­gram­miert und in we­ni­gen Se­kun­den spru­delt ein Lat­te-Mac­chia­to in ein Ro­sen­thal-Glas. Die Toch­ter dreht ih­re Haar­spit­zen.

  • Ver­fick­te Schei­ße!
  • Bit­te?
  • Schei­ße.
  • Was ist, Klein­chen?
  • Ey, ich hab kei­nen Schul­ab­schluss, bin zwar ein Wun­der­kind, kann mir aber nix mer­ken, al­so mit dem Gott­schalk bei Wet­ten, dass, das geht auch nicht, au­sser ich könnt’ da mo­geln oder so.
  • Hm.
  • Was soll ich bloss ma­chen? Ich hab’ kei­nen Bock auf die­ses be­schis­se­ne Volks­büh­nen-Le­ben hier. Nur so als Grou­pie rum­tur­nen.

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Bar­ba­ra Gress­leh­ner: Der Ge­ruch der Stil­le

Barbara Gresslehner: Der Geruch der Stille
Bar­ba­ra Gress­leh­ner: Der Ge­ruch der Stil­le

Wie kurz­wei­lig und quä­lend, wie aus­ufernd und auf­put­schend, wie fremd und auf­wüh­lend kön­nen doch knapp ein­hun­dert­vier­zig Sei­ten mit ein­und­zwan­zig Er­zäh­lun­gen sein. Na­tür­lich gibt es be­rüh­ren­de und kit­schi­ge, groß­ar­ti­ge und sche­ma­ti­sche, gu­te und we­ni­ger gu­te. Im­mer er­zählt ei­ne Frau oder es wird aus der Sicht ei­ner Frau er­zählt; mei­stens in der Ich-Form. Aber es wan­delt sich im Lau­fe des Bu­ches et­was Grund­sätz­li­ches. Nicht nur der zu­nächst la­ko­ni­sche, ja fast coo­le Ton. Die Er­zäh­lung vom her­un­ter­fal­len­den, auf das Stra­ßen­pfla­ster nie­der­knal­len­de Kla­vier ist lu­stig, die Re­de an den ima­gi­nä­ren Fö­tus im Mut­ter­leib dü­ster und die Er­zäh­lung der selbst­er­füll­ten Mord-Pro­phe­zei­ung skur­ril und sie treibt ei­nem den er­sten Schau­er über den Rücken, aber das war nicht al­les. Schon am An­fang heißt es fast pro­gram­ma­tisch: Es ist im­mer noch al­les viel grau­er, als es sein soll­te.

Un­merk­lich ge­rät der Le­ser in die­sen Stru­del. Es ist kein Ro­man und dann gibt es doch plötz­lich die­se Klam­mer. Die­ses ge­mein­sa­me The­ma. Die Hö­rig­keit. Die Prot­ago­ni­stin­nen kön­nen nicht an­ders. Sie ge­ben sich als Die­ne­rin, Skla­vin, Ser­va hin. Sie er­le­ben das al­les nicht, es er­lebt sie. Es sind kei­ne Ge­walt­phan­ta­sien mehr, es ist Ge­walt. Es sind Träu­me, die ech­ter sind als die Wirk­lich­keit.

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Die Un­fä­hig­keit, zu goog­len

Der Vor­wurf des Pla­gi­ats ist der schlimm­ste, den man ei­nem Schrift­stel­ler ma­chen kann. Da­her soll­te man mit sol­chen Be­schul­di­gun­gen vor­sich­tig um­ge­hen. Pla­gi­ats­ge­schich­ten ha­ben meist nicht nur Ent­hül­lungs­cha­rak­ter. Die schlech­ten Ent­hül­lun­gen de­nun­zie­ren auch im­mer gleich mit. Es gibt zahl­rei­che Bei­spie­le für Kam­pa­gnen, die ge­le­gent­lich durch­aus die In­ten­ti­on hat­ten, Schrift­stel­ler auch öko­no­misch zu ver­nich­ten.

Die De­fi­ni­ti­on von dem, was man »Pla­gi­at« nennt, ist recht klar. Ne­ben der recht­li­chen Er­klä­rung, gibt es auch ei­ne ethi­sche. Bei­de In­ter­pre­ta­tio­nen ma­chen es so schwie­rig fest­zu­stel­len, ob et­was Pla­gi­at ist, ein Mo­tiv ver­wandt wur­de oder ob es ei­ne Ver­än­de­rung oder Wei­ter­ent­wick­lung ei­nes Mo­ti­ves ist.

Deef Pir­ma­sens hat in sei­nem Web­log »die ge­fühls­kon­ser­ve« He­le­ne He­ge­manns Best­sel­ler »Axolotl Road­kill« mit dem Buch »Stro­bo« des Blog­gers »Ai­ren« ver­gli­chen und ver­blüf­fen­de Par­al­le­len fest­ge­stellt, die er aus­führ­lich do­ku­men­tiert.

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Ben­ja­min Stein: Die Lein­wand

Benjamin Stein: Die Leinwand
Ben­ja­min Stein: Die Lein­wand

Gar nicht so ein­fach, mit dem Le­sen die­ses Bu­ches an­zu­fan­gen. Denn man hat un­ver­hofft zwei Mög­lich­kei­ten. Ent­we­der man be­ginnt mit dem Teil von und über Am­non Zi­chro­ni oder man wen­det das Buch, dreht es um 180 Grad und be­ginnt mit Jan Wechs­ler. (Ei­ne an­de­re Idee, die Ka­pi­tel so­zu­sa­gen ab­wech­selnd zu le­sen, dürf­te aus Grün­den der Prak­ti­ka­bi­li­tät fast aus­schei­den; hier­für hät­te man min­de­stens zwei Le­se­zei­chen ein­bin­den müs­sen. Und au­ßer­dem bleibt das Pro­blem, wo man be­ginnt.)

Bei­de Tei­le sind fast pa­ri­tä­tisch. Man ahnt: Wie man es auch be­ginnt – es bleibt ei­ne Ent­schei­dung, die die Re­zep­ti­on prä­gen wird. Man wird nie er­fah­ren, wie es ge­we­sen wä­re, wenn man an­ders be­gon­nen hät­te. Viel­leicht wer­den ein­mal die Le­ser von Ben­ja­min Steins Buch »Die Lein­wand« an­hand ih­res An­fangs­ka­pi­tels un­ter­schie­den zwi­schen Zi­chro­ni- oder Wechs­ler-Ein­stei­ger. Ob sich die bei­den La­ger je­mals mit­ein­an­der ver­stän­di­gen kön­nen? Tat­säch­lich dürf­ten sie zwei un­ter­schied­li­che Bü­cher ge­le­sen ha­ben. Und die­ses schein­bar so spa­ßi­ge Spiel­chen passt am En­de er­staun­lich gut zu At­mo­sphä­re und In­ten­ti­on die­ses Bu­ches.

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Pro­vinz­kri­ti­ker

Ver­spä­te­te Be­mer­kun­gen zu ei­ner Pseu­do­kri­tik über Ste­phan Tho­mes Buch »Grenz­gang«

Ste­phan Thome hat ei­nen Feh­ler ge­macht. Er hat­te sich in der Ku­lis­se sei­nes Hei­mat­or­tes Bie­den­kopf für die Li­te­ra­tur­bei­la­ge der »Zeit« (Ok­to­ber 2009) fo­to­gra­fie­ren las­sen (die Bil­der sind nicht on­line). Ei­ne Bild­un­ter­schrift lau­tet: »Ste­phan Thome lebt zwar ge­ra­de in Tai­wan, geht hier aber im hei­mat­li­chen Bie­den­kopf für uns in die Hocke.« Je­der, der auch nur ei­nen Fun­ken Ge­fühl für Spra­che hat, er­kennt die ver­bor­ge­nen In­vek­ti­ven. Zu­sammen mit der Re­zen­si­on von Iris Ra­disch er­gibt dies ei­ne schwung­vol­le De­nun­zia­ti­on des Ro­mans »Grenz­gang«.

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Die­ter We­del: Gier / ARD

Die­ter We­del hat ei­nen Film über die »Gier« ge­macht. Über Fi­nanz­jon­gleu­re, die An­le­gern sa­gen­haf­te Ren­di­ten ver­spre­chen. Wo­bei die mei­sten die­ser An­le­ger den Un­ter­schied zwi­schen Ren­di­te und Ge­winn noch nicht ein­mal so ge­nau ken­nen, wes­halb man die ver­ein­fa­chen­de For­mu­lie­rung »Fak­tor« ver­wen­det. »Fak­tor 13« be­deu­tet, dass man das 13fache des »ein­ge­setz­ten« Gel­des zu­rück­be­kom­men soll. Bei die­ser Art Ver­spre­chen fragt of­fen­sicht­lich nie­mand, wie dies ge­sche­hen soll. Die An­ti­zi­pa­ti­on des er­war­ten­den Ge­winns ge­nügt zu­erst ein­mal.

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