»Das hat dir der Teu­fel ge­sagt«

I. Rum­pel­stilz­chen

Man mag sich die Ver­zweif­lung der Mül­lers­toch­ter vor­stel­len: Da ist sie von ih­rem geld­gei­len Va­ter zwecks Ver­hei­ra­tung zum Kö­nig ge­schickt wor­den. Sie kön­ne, so der Va­ter, Stroh zu Gold spin­nen – ei­ne Ei­gen­schaft, die über even­tu­el­le op­ti­sche und/oder cha­rak­ter­li­che De­fi­zi­te da­mals wie heu­te groß­zü­gig hin­weg­se­hen lässt. So nimmt denn der Kö­nig die Aus­sa­ge für ba­re Mün­ze, sperrt die Mül­lers­toch­ter über Nacht in ein Zim­mer und ver­gat­tert sie, das Ver­spre­chen ein­zu­hal­ten. An­dern­falls dro­he ihr der Tod.

In ih­rer Ver­zweif­lung zeigt sich ein klei­nes Männ­chen, wel­ches Ret­tung ver­spricht und am näch­sten Mor­gen ist das Stroh zu Gold ge­spon­nen. Noch zwei­mal wie­der­holt sich dies – der Kö­nig woll­te si­cher­heits­hal­ber ein One-Hit-Won­der ver­mei­den. Wa­ren die Be­loh­nun­gen, die das Männ­lein be­kam, an­fangs in An­be­tracht des zu Gold ge­spon­ne­nen Stroh selt­sam be­schei­de­ne Ga­ben (ein Hals­band und ein Ring), so for­der­te das Männ­chen in der drit­ten und ent­schei­den­den Nacht das er­ste Kind, wel­ches nach der Hoch­zeit zwi­schen ihr und Kö­nig ge­bo­ren wird. In ih­rer Not wil­ligt sie ein. Es kommt zur Hoch­zeit und zum Kind. Ein Jahr da­nach er­hält die Frau Be­such von dem Männ­chen, der sei­nen Lohn ein­for­dert. Sie ver­sucht, ihn mit al­len mög­li­chen Reich­tü­mern ab­zu­fin­den. Aber dies reizt ihn nicht – schließ­lich ver­fügt er ja über Fä­hig­kei­ten, mit de­nen er sich sel­ber die­se Reich­tü­mer schaf­fen könn­te. Er be­harrt auf sei­ner For­de­rung, gibt ihr je­doch ei­ne ver­meint­li­che Chan­ce: Wenn sie bin­nen drei Ta­ge sei­nen Na­men er­ra­te, ver­zich­tet er auf sei­ne For­de­rung.

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Is­lam-Fun­da­men­ta­lis­mus, Re-Is­la­mi­sie­rung und »Is­la­mis­mus«

Es­say zur Ge­schich­te is­la­mi­scher Re­form­be­we­gun­gen

1. Is­la­mi­sche Re­form­be­we­gun­gen

Is­lam-Fun­da­men­ta­lis­mus, Re-Is­la­mi­sie­rung und »Is­la­mis­mus« sind Schlag­wor­te für is­la­mi­sche Re­form­be­we­gun­gen. »Re­form« meint in den Of­fen­ba­rungs­re­li­gio­nen (Par­sis­mus, Ju­den­tum, Chri­sten­tum, Is­lam) die Rück­kehr zur »Rein­form« der re­li­giö­sen Leh­re auf Grund­la­ge der ge­of­fen­bar­ten Tex­te. Es han­delt sich al­so stets um ei­ne »Schrift­fröm­mig­keit«, wie auch im re­for­ma­to­ri­schen Chri­sten­tum die Rück­kehr zur Schrift als »Bi­bel­treue« ver­stan­den wird.

Im Ge­gen­satz zum Chri­sten­tum kennt der Is­lam kei­ne gro­ße Re­form­be­we­gung wie die lu­the­ri­sche, cal­vi­ni­sti­sche oder zwing­lia­ni­sche Re­for­ma­ti­on. Da­ge­gen gibt es von al­ters her klei­ne­re Strö­mun­gen und »Sek­ten« (im Sin­ne von is­la­mi­schen Schu­len), die zu­rück wol­len zu ei­nem »rei­nen Is­lam« als Ge­gen­bild des of­fi­zi­el­len, des »Ka­li­fat-Is­lams«, der als »ver­derbt« ab­ge­lehnt wird. Kenn­zeich­nend für die­se Sek­tie­rer ist die Ver­mi­schung von Re­li­gi­on und re­li­giö­ser Kul­tur mit po­li­ti­schen Zie­len (was sie wie­der­um von der ursprüng­lichen christ­li­chen Re­for­ma­ti­on un­ter­schei­det): is­la­mi­sche Re­form­be­we­gun­gen mün­den von je­her in po­li­ti­schen Ak­ti­vis­mus.

An­stel­le des Be­griffs Re­form­be­we­gung spricht die west­li­che Welt – al­ler­dings in zu­neh­mend ideo­lo­gi­sie­ren­der Wei­se – von »Is­la­mis­mus« oder ei­ner »Funda­mental­bewegung«, u.a. um po­si­ti­ve Kon­no­ta­tio­nen, die im We­sten mit dem Wort »Re­form« ver­bun­den sind, gar nicht erst auf­kom­men zu las­sen.

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Lutz Hach­mei­ster: So­zi­al­de­mo­kra­ten / ARD

Der Un­ter­ti­tel von Lutz Hach­mei­sters Film »So­zi­al­de­mo­kra­ten« klingt, als wä­re das Film­team in ein Straf­la­ger ver­bannt wor­den: »18 Mo­na­te un­ter Ge­nos­sen«. Und in et­wa sieht so auch der Film aus.

Hach­mei­ster be­ginnt mit dem Er­geb­nis der Bun­des­tags­wahl 2009 und dem schlech­te­sten Wahl­er­geb­nis der SPD »seit 1933«, wie die Ein­blen­dung lau­tet. Er zeigt Aus­schnit­te der um­ju­bel­ten Re­den von Stein­mei­er und Mün­te­fe­ring – ei­nem Echo, dass da­mals die Re­pu­blik fast ver­stör­te. Peer Stein­brück er­läu­tert dann, wie die­ser En­thu­si­as­mus bei ei­nem Wahl­er­geb­nis von knapp 23% der Stim­men zu er­klä­ren ge­we­sen sei. Stein­brück wird das zu an­de­ren Er­eig­nis­sen der jüng­sten Ver­gan­gen­heit noch mehr­mals tun. Sei­ne Stel­lung­nah­men sind die ein­zi­gen, die nicht in die­sen merk­wür­di­gen Ve­te­ra­nen­ton ver­fal­len, wie man ihn von Schrö­der, Mach­nig oder auch Cle­ment zu hö­ren be­kommt. Letz­te­rer skiz­ziert im­mer­hin das ak­tu­el­le Pro­blem der SPD: die feh­len­de Pro­gram­ma­tik.

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Ein stei­ni­ger Weg

Die Ver­hal­tens­mu­ster bei Mord- und Ter­ror­an­schlä­gen oder Amok­läu­fen lau­fen im­mer gleich ab. Man be­tont die Un­fass­bar­keit der Tat, stellt das Mon­strö­se her­aus, hebt den/die Tä­ter als Mon­ster aus jeg­li­cher so­zia­ler Ver­an­ke­rung her­aus und ruft in ei­ner Mi­schung aus Ah­nungs­lo­sig­keit, Ver­zweif­lung und vor­sätz­li­cher Dumm­heit nach Re­strik­tio­nen.

Po­li­ti­ker dä­mo­ni­sie­ren das In­ter­net wie wei­land welt­li­che und re­li­giö­se Macht­ha­ber den Buch­druck. Schon knapp ein­hun­dert Jah­re nach Gu­ten­bergs Er­fin­dung gab es die er­ste Aus­ga­be des »In­dex Li­brorum Pro­hi­bi­torum«, mit der die Kir­che ver­zwei­felt die po­li­ti­sche und spi­ri­tu­el­le Deu­tungs­macht in der Welt für al­le Zei­ten kon­ser­vie­ren woll­te. Da be­steht kein gra­vie­ren­der Un­ter­schied zwi­schen ei­nem mit­tel­al­ter­li­chen Papst und den af­fek­tiv agie­ren­den Po­li­ti­kern. Wie so häu­fig zeigt sich, dass das Ob­jekt des Res­sen­ti­ments weit­ge­hend un­be­kannt ist. Letzt­lich ist es ih­nen auch gleich­gül­tig; ent­schei­dend ist der Wunsch der Un­ter­wer­fung. So wer­den die Ta­ten von Mör­dern für die ei­ge­nen po­li­ti­schen Zwecke in­stru­men­ta­li­siert, wo­bei Ar­gu­men­te in An­be­tracht des weid­lich kol­lek­ti­ven Schocks, de­rer die Streß­ge­sell­schaft in An­be­tracht die­ses Aus­ma­ßes an De­struk­ti­on aus­ge­setzt ist, ent­behr­lich schei­nen. Haupt­sa­che, man be­frie­digt die Äng­ste der an­de­ren Ah­nungs­lo­sen.

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Ma­ja Ha­der­lap: En­gel des Ver­ges­sens

Am En­de re­ka­pi­tu­liert die ein­mal von ih­rem Va­ter Mic ge­nann­te Er­zäh­le­rin, dass der En­gel des Ver­ges­sens schlicht­weg ver­ges­sen ha­be, die Spu­ren der Ver­gan­gen­heit aus ih­rem Ge­dächt­nis zu til­gen. Die Schutz­en­gel, die das Kind be­hü­ten soll­ten und von der Mut­ter als klei­ne Bild­chen am Kin­der­bett an­ge­bracht wur­den, ha­ben ih­re Ge­stalt ver­lo­ren und wer­den – was für ...

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Li­te­ra­ri­sches Stil-Ex­pe­ri­ment

»Hirn­sti­mu­la­ti­on, Aus­wir­kun­gen auf den Nu­cleus ven­tra­lis in­ter­me­di­us tha­la­mi: Ich se­he die Not­wen­dig­keit ei­ner re­tro­spek­ti­ven Stu­die, in wel­cher der Tre­mor be­rück­sich­tigt wird. Ist er es­sen­ti­ell? Was ist über­haupt es­sen­ti­ell? Es­sen­ti­el­le Fett­säu­ren, Fet­te und Gly­ce­ri­de, un­ge­sät­tigt, ge­här­tet, was ist heu­te noch ge­sund? Ge­mü­se, Obst, Früch­te? Frau im Super­markt packt Scha­le mit Erd­bee­ren in ih­ren Ein­kaufs­wa­gen, kein ge­sun­der Ein­druck, auf­ge­dun­se­nes Ge­sicht, blas­ser Teint, gro­ße Au­gen­rin­ge, Pi mal den Ra­di­us 1 zum Qua­drat mi­nus Pi mal den Ra­di­us 2 zum Qua­drat, Ring­be­schleu­ni­ger, Syn­ch­ro­ton­strah­lung, im Be­reich der Gi­ga­elek­tro­nen­volt, Licht­ge­schwin­dig­keit, Mas­sen­zu­wachs. Rat­lo­sig­keit der Mas­sen, brei­te Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit in der Be­völ­ke­rung, Hat S. ei­ne Af­fä­re?

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Bit­te ins Fett­näpf­chen tre­ten

Der deut­sche Fern­seh­kon­su­ment ge­nie­ße noch die­sen Som­mer. Denn ab Herbst star­tet die ARD mit ei­ner Talk­show-Of­fen­si­ve fast bi­bli­schen Aus­ma­ßes: Jauch, Beck­mann, Plas­berg, Will, Maisch­ber­ger – im Vor­abend­pro­gramm ab 2012 Gott­schalk. Kei­ne Ah­nung, ob die Phoe­nix-Run­de – das klei­ne Re­fu­gi­um für die ge­pfleg­te Dis­pu­ta­ti­on am Abend – noch bleibt. Das ZDF wird frü­her oder spä­ter nach­zie­hen müs­sen. Frau Ill­ner an ei­nem Tag reicht wohl für das Gleich­ge­wicht des wö­chent­li­chen Schreckens nicht aus. Man fragt sich, wie die po­ten­ti­el­len Ge­sprächs-Kom­bat­tan­ten dies durch­ste­hen. Ver­ein­zelt gab es schon jetzt gro­ße Be­la­stun­gen. Ein Herr Chat­zi­markakis wur­de für gleich zwei Ka­ta­stro­phen zum Ex­per­ten er­nannt: Grie­chen­land und FDP. Un­ver­ges­sen der Tag des Auf­tritts in der »Münch­ner Run­de« und ei­ne Stun­de spä­ter bei Phoe­nix. Und kürz­lich trat er dann noch als Mo­ral­apo­stel in ei­ge­ner Sa­che auf (Stich­wort: Fal­scher Dok­tor).

Als im Pri­vat­sen­der RTL wei­land mit dem »Hei­ßen Stuhl« Pro­vo­ka­teu­re bzw. je­ne, die als sol­che emp­fun­den wur­den, in­qui­si­to­ri­schen Ver­hö­ren un­ter­zo­gen wur­den, droh­te bei den da­ma­li­gen Me­di­en­wäch­tern der Un­ter­gang der Kul­tur. Zwan­zig Jah­re spä­ter ha­ben Pro­grammdirektoren ih­re be­sten Sen­de­zei­ten zur rhe­to­ri­schen Schmier­sei­fen-Olym­pia­de à la »Spiel oh­ne Gren­zen« zur Ver­fü­gung ge­stellt. In­zwi­schen wer­den selbst die Sommer­interviews der Spit­zen­po­li­ti­ker wie hei­li­ge Tex­te ana­ly­siert und ge­deu­tet. Da ist es so­gar ei­ne Nach­richt, dass das Sak­ko der Kanz­le­rin farb­lich nicht zum Fra­ge­ses­sel pass­te.

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Ali­ce Mun­ro: Zu viel Glück

Alice Munro: Zu viel Glück
Ali­ce Mun­ro: Zu viel Glück

Es gibt Au­toren, die seit Jah­ren der­art in­nig ge­lobt wer­den, dass man ih­nen ir­gend­wann nicht ent­kom­men kann. Die über die Jah­re auf­ge­bau­te Er­war­tungs­hal­tung (»Literaturnobelpreis­kandidat!«) führt fast zwangs­läu­fig in ei­ne Ent­täu­schung (zu­meist mitt­le­rer Di­men­si­on): Na­ja, nicht schlecht – aber gleich No­bel­preis?

Es ge­hört zu den letzt­lich un­er­klär­li­chen Ge­heim­nis­sen ei­nes Le­ser­le­bens, war­um man sich aus­ge­rech­net für die­sen oder je­nen Au­toren be­gei­stert. Ist man dem Au­tor, der Au­torin na­he? Oder ist es das Ge­gen­teil, die un­er­reich­ba­re Di­stanz? Ergriffen­heit ver­sus Aben­teu­er­lust? Su­chen nach Par­al­le­len oder Flucht aus dem Be­kann­ten? Auf­ge­ho­ben­sein oder Stell­ver­tre­ter­le­ben?

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