Alice Schwarzer irrt, weil sie den letzten Satz nicht gelesen hat: In dem Artikel von Iris Radisch in der ZEIT über die neueste Anti-Pornographie-Kampagne der »Emma«-Herausgeberin dreht Radisch mehrere rhetorische Pirouetten, landet dann in den Armen des »Bild«-Girls – aber (und hier irrt Frau Schwarzer eben) sie stimmt ihr nicht zu: Die Kälte, die eine Durchsexualisierung der Gesellschaft zur Folge hat, lässt sich mit den alten Waffen des Geschlechterkampfes nicht mehr besiegen steht da. Heisst übersetzt: Frau Schwarzer, das schaffen wir auch ohne ihre antiquierten Methoden.
Worum geht es bei »PorNO«? Dass eine ins Hintertreffen gekommene Emanzipationsbewegung wieder neue Atemluft zugefächert bekommen möchte? Immerhin hat die ZEIT (aber nicht nur sie) vor rund einem Jahr die Notwendigkeit eines neuen Feminismus postuliert – ohne die Ikone der Vergangenheit, deren Bedeutungsverlust bereits damals spürbar war. Frau Schwarzer zog es zwischenzeitlich vor, auf Muslime einzudreschen, Papst Johannes-Paul II als Nachgeber vor islamischen Terrorismus zu diffamieren und Zwangsmissionierungen von Kopftuchträgerinnen vorzunehmen, die sie alle prophylaktisch (d. h. ohne sie im Einzelfall gefragt zu haben) in Kollektivschutz nahm.
Jetzt ist mit frischem Wind der alte Feind entdeckt: Der Mann und sein Machtanspruch, den er unter anderem bzw. vor allem durch die Sexualität ausübt. Die These der Durchsexualisierung unserer Gesellschaft ist nicht neu – in possierlicher Harmlosigkeit hat sich Ariadne von Schirach dem schon in Buchform angenommen (sie steuert einen Artikel zur »Emma«-Kampagne bei). Mit frischen Kohlen springt nun Alice Schwarzer auf den müden Zug, um ihm die richtige Fahrt zu geben.
Erst einmal die Definition (von der Webseite von Emma):
Pornografie ist die Verknüpfung in Text oder Bild von sexueller Lust mit Lust an Erniedrigung und Gewalt (Es geht also bei der Kritik an Pornografie nicht um Kritik an Nacktheit, Erotik oder Sexualtität).
(Der Schreibfehler ist authentisch, aber wir wissen, dass »Sexualität« gemeint sein dürfte. Er ist vielleicht aber ein bisschen exemplarisch.)
Einverstanden. Aber rennt man da nicht offene Türen ein? Geht es tatsächlich um die »Gangbang«-Videos, von denen Iris Radisch Schulhöfe überschwemmt wähnt? (Nebenbei bemerkt: Wo sind denn da die Erziehungsberechtigten?) Oder geht es um mehr? Was ist beispielsweise konkret mit »Erniedrigung« gemeint? Wir finden leider auf der Emma-Seite keine weitere Erklärung. Aber Frau Radisch hilft:
[…] der Minirock und das Vergewaltigungsvideo – dies ist die These aller Anti-Porno-Kampagnen –, sind Ausdruck der bis heute ungebrochenen Gewaltherrschaft der Männer über die Frauen. Der in weiblicher Selbstbestimmung getragene Minirock, die in weiblicher Souveränität wasserstoffblond gefärbten Haare, die weibliche Lust an Sex und Pornografie sind in dieser Lesart mehr als ein Widerspruch in sich: Sie sind Lügen, Selbsttäuschungen der Frau, die den Ausgang aus der männlich verschuldeten Unmündigkeit noch nicht gefunden hat.
Dachte ich’s mir doch: Die posierende Frau am Strand; das laszive Musikvideo eines eher durchschnittlich begabten Sängersternchens; der provozierende Blick in der Disco oder im Zug – alles Selbsttäuschungen. In Wahrheit sind die Frauen – das folgert aus dieser These – immer noch blöd wie vor dreissig Jahren, als sie willig ihrem Mann das Abendessen servierten. Heute servieren sie eben sich dazu – wissen aber gar nicht, dass sie dabei der geheimen Macht des Patriarchats erlegen sind.
Wenn Alice Schwarzer das glaubt, dann sieht sie ihre Arbeit der letzten dreissig Jahre in einem sehr schlechten Licht. Und sie hält immer noch die Frauen für das, wofür viele Männer sie in den 60er Jahren hielten. Soviel Frauenverachtung aus der Emanzipationsecke erstaunt. Welch’ einen Selbsthass man da so durch die Gegend schleppen muss.
Iris Radisch beginnt in ihrem Artikel dieses Postulat zu befragen: Müssen Frauen sich … noch immer von Alice Schwarzer darüber belehren lassen, dass »rein genitale Sexualität« unweiblich, dass ein »vaginaler Orgasmus« nicht möglich und die »Penetration« der weiblichen »Lust oft eher hinderlich« sei? Tja, sagt jetzt vermutlich Frau Schwarzer: Alleine die Frage ist schon aus der männlichen Sicht gestellt. Und gegen dieses Totschlagsargument kann man natürlich nicht mehr diskutieren, ohne dass man selber in den Topf der Porno-Befürworter gesteckt wird. Die Heilige Katholische Kirche hat Erfahrung in dieser Art der paranoiden Argumentationsführung – man nannte das seinerzeit Inquisition. Das hatte Millionen Tote gefordert – darunter sehr viele Frauen, die als Hexen verbrannt wurden. Die Opfer der Inquisition konnten eigentlich machen was sie wollten: Gaben sie ihr »Vergehen« zu, wurden sie umgebracht. Bestritten sie ihre »Taten« – dann auch. Die Grossinquisitoren und Frau Schwarzer – gewisse Parallelen sind unverkennbar.
Zur Unterstützung ihrer vorübergehenden Kehre in die Emma-Fraktion bemüht Frau Radisch auch Porno-Rapper und –natürlich! – Michel Houellebecq (so widerlich diese Bushidos tatsächlich sind zeigt dies erschreckend, dass Iris Radisch von Houellebecq gar nichts verstanden hat). Aber – und da hat Iris Radisch recht – der alte Aktionismus (drollig: 100 Aufkleber für inkriminierende Darstellungen kosten 10 Euro) greift nicht mehr. Eine Initiative für ein Gesetz gegen Pornografie als Verstoß gegen die Menschenwürde und gegen Frauenhass als Volksverhetzung ist gut gemeint. Aber bereits heute gibt es gegen die angesprochenen Exzesse (beispielsweise bei Rap-Musik) Gesetze, die auch angewandt werden. Wobei Verbote gerade die Verbreitung im Internet-Zeitalter noch beschleunigen. Wem wäre mit einer Tugenddiktatur geholfen, die Frauen nach Stringtangas durchsucht und zu Unterhosen verpflichtet (nebenbei erwähnt: ich – ein Mann! – will sie auch nicht sehen – also bitte, ja?)?
Medienkampagnen wie »PorNO« ersetzen nicht eine grundlegende Debatte um neue gesellschaftliche Entwürfe (von bildungspolitischen Fragen bis zur vielbeschworenen und viel missbrauchten Wertediskussion). Sie befriedigen letztlich nur das Ego ihrer Macher und bringen ein paar Schlagzeilen. Wir hoffen auf die Nach-Schwarzer-Ära.
Ich fühle mich durchaus angesprochen von der Thematik. Weniger die einschlägigen Videos finde ich interessant, als viel mehr die vielleicht harmlose, aber auf den Punkt gebrachte Argumentation von Frau von Schirach in ihrem Artikel, dem eben, was sie als laszive Sternchenbewegungen ausmachen. Die Pornofikation des Alltags ist für mich das Thema, an dem mich so eine Emma-Kampagne abholen kann. Nicht der theoretische Umbau des ganzen. Wie sie richtig bemerken liegen da eine Menge Reflexe in der Luft, beispielsweise die undurchdringliche Argumentation einer Alice Schwarzer, wie sie die oben schildern.
Ich muss mich hier als Vater outen, um den Punkt zu machen. Entschuldigen sie das bisschen Betroffenheit an dieser Stelle. Den Alltag mit Kindern zu bewältigen kann trotz Selektion des Medienkonsums schwierig sein. Werbung die sich an der Ästhetik der Pornographie orientiert ist eine Sache. Man kann ihr kaum entgehen. Sternchen bei MTV sind Vorbilder fürs Kinderzimmer. Im eigenen Vorbild im Umgang mit meiner Frau und als bekennender Hausmann, aber auch entlang der Argumente von Emma und Mitstreiterinnen, versuche ich meiner Tochter ein Frauenbild zu vermitteln, dass vielschichtige Kompetenzen darstellt (mein Sohn profitiert sicherlich auch). Das nennt man vielleicht Bildung.
Welches Bild überlassen wir jenen jungen Menschen, die dieses Angebot nicht wahrnehmen können? Muss man dafür nicht auch medial lauter werden?
Um mich als Nichtvater
zu outen: Ja, auch mir sind die fast schon zum Standard gewordenden sexuell aufgeladenen MTV/VIVA-Videos auch zu viel. Und dann der Nachahmeffekt in Altstädten und sonstigen Vergnügungsräumen. Habe ich noch die Freiheit, entsprechende Fernsehsender abzuschalten, so entkomme ich zu bestimmten Jahres- und Tageszeiten den dreiviertel-entblössten Hinterteilen (nebst Stringtangas) von (im günstigsten Fall) 16jährigen Mädchen kaum noch. Von Bauchfreiträgerinnen ganz zu schweigen. Wer dann – bei Gelegenheit – Schuluniformen ins Gespräch bringt, gilt schnell als Uniformfetischist.
Aber der Gedanke, die Intention, der PorNO-Kampagne ist ja ein anderer. Er ist nicht primär den vergänglichen Auswüchsen von Modetrends gewidmet. Bauchfrei und Stringtanga sind Zeitphänomene – man erinnere an die Schocks, die einst Miniröcke verursachten – und also vergänglich. Pornovideos sind – entgegen der landläufigen Meinung – nicht ständiger Begleiter der aktuellen Jugendkultur. Die Darstellungsschwellen sind allerdings durch die Sexualisierung von Werbung gefallen. Aber dies mit einer Verbots- und Tugendwelle sondersgleichen zu beantworten ist doch – mit Verlaub – von vorgestern. Verbote schaffen immer neue Reize. Wir kommen, wenn wir Frau Schwarzer folgen, in eine McCarthy-Situation hinein. Jede entblösste Brust (Janet jackson in den USA!)wird dann zur Katastrophe. Und danach dann bitte zu den Nachrichten und dem Zoom auf die Blutlachen von Kriegs- oder Terroropfern.
Und ja, Sie haben Recht: Es geht um Bildung! Aber die erlangt man nicht mit solch’ billigen Entrüstungskampagnen. Sie sind nur Selbstbefriedigung für – der Kommentar en-passant sagt es – Leute, die Komplexitätsreduzierung betreiben wollen.
Papiertiger & Selbstaufklärung
....dabei wäre das eigentlich nicht schlecht, Einzelheiten und Strategien, Naive und Nutznießer der Pornographisierung noch des letzten Tinnefs immer wieder mal und unter weiterführenden Aspekten zu befragen. (Interessante Analysen und Denkansätze etwa bei „Porno-Pop. Sex in der Oberflächenwelt“ von Jörg Metelmann.)
Man hat den Eindruck, es sind die Geltungsansprüche dieser Rundumthesen, die den Restelan zur Differenzierung der Themen mit erledigen (wollen): Die gute alte Komplexitätsreduzierung.
Houellebecq gehört natürlich in jedem Fall verteidigt, selbst wo er irrt oder sich in seinen Manirismen verheddert. Die Zoten-Rapper ahnen langsam selber, wie blöde sie sind, und die Konsumenten derselben sind wohl unerreichbar, d.h. eh nicht zu retten, es sei denn womöglich durch die zarte Liebe, wenn sie eine Freundin haben.
Dass jemand wie Radisch – und vor mir aus auch die anderweitig als zuständig erachtete Thea Dorn – da mal querschießen (und die Phalanx der Frauen zu diesem Thema ist ja längst nicht geschlossen, wie die Schwesternschaft der Frau Schwarzer da suggeriert), finde ich aber gut.
Ansonsten ist Pornographie aber wohl eine nicht mehr aus der Welt zu schaffende Realität, da Bedürfnis. Und zu ihrer Natur gehört es eben, dass sich keine Majorität über ihre vielfältigen Erscheinungsfomen wird einigen können. Wahrscheinlich nicht einmal dann, wenn auch da in Foucault’schem Sinne alle über alles restlos aufgeklärt sind und die Sache damit vollends Mainstream ist. Frau Schwarzer ist da ja seit längerem schon angekommen, also zahn- und harmlos.
Radisch & Houellebecq
Frau Radischs Engagement ist vielleicht nicht ganz uneigennützig. Mit ihrem Buch »Die Schule der Frauen« versucht sie sich ja seit einiger Zeit selber an einem neuen Feminismus, der sich von der Schwarzers Bevormundung deutlich unterscheidet.
Ich habe nicht alle Bücher von Houellebecq gelesen (nur drei), aber in keinem habe ich jenen so oft behaupteten Frauenhass dezidiert als Lebensmaxime oder gar Vorbild gesehen. Höchstens als Auswuchs einer vollkommen atomisierten Gesellschaft. Ich würde nicht so weit gehen, Houellebecq als Kapitalismuskritiker zu bezeichnen (das wäre auch zu platt), aber die Sehnsucht nach menschlichen Zuneigung, nach Mit-Menschlichkeit im fast christlichen Sinn, habe ich »Elementarteilchen« schon hinein- oder herausgelesen.