Bla­sen­pro­ble­me oder ge­sell­schaft­li­ches Sym­ptom?

1975, als Öster­reich noch ein kon­ser­va­ti­ves Länd­chen und auch in Wien nicht viel los war (ein kul­tu­rel­ler Ein­schnitt war die Be­set­zung des Schlacht­hof­ge­län­des Are­na 1976), ver­öf­fent­lich­te der Kärnt­ner Schrift­stel­ler Wer­ner Kof­ler sein Buch Gug­gi­le mit dem schalk­haf­ten Un­ter­ti­tel »Vom Brav­sein und vom Schwein­igeln«. Es war klar, was mit dem Brav­sein ge­meint war und auf wel­cher Sei­te es stand. In­zwi­schen ha­ben die letz­ten ver­blie­be­nen di­stan­zier­ten Be­ob­ach­ter den Ein­druck, daß sich das Brav­sein nach al­len Sei­ten aus­ge­brei­tet hat: Por­no­gra­phie, von Kof­ler einst künst­le­risch ge­nutzt, ist In­ter­net­nor­ma­li­tät, die Volks­mehr­heit be­kennt sich zum Athe­is­mus, Ver­ge­wal­ti­ger wie auch Grap­scher wer­den ste­hen­den Fu­ßes an­ge­zeigt und oft ver­ur­teilt, Schwu­le und Les­ben dür­fen hei­ra­ten, Trans­per­so­nen be­kom­men ei­ge­ne Klos, Frau­en be­set­zen im­mer mehr Macht­po­si­tio­nen – als Künst­ler tut man sich schwer, ein Au­ßen­sei­ter zu blei­ben. Ich weiß, es ist noch nicht al­les ganz kor­rekt. Im­mer noch emp­fin­den Op­fer Scham, wer­den Frau­en für glei­che Ar­beit un­gleich be­zahlt, gibt es Ar­mut trotz so­ge­nann­ter Min­dest­si­che­rung. Und die Rechts­extre­men, die Po­pu­li­sten, die Na­tio­na­li­sten, oder wie sie ge­nannt wer­den dür­fen, ste­hen auf der an­de­ren Sei­te und wa­chen bi­gott über das, was man frü­her un­ter »Brav­sein« ver­stand. Al­le, auf bei­den Sei­ten, for­dern »An­stän­dig­keit« ein; vie­le schwen­ken bei De­mos, für die al­le Sei­ten ih­re Grün­de ha­ben, ei­ne na­tio­na­le Flag­ge; ei­ni­ge, auf der an­de­ren Sei­te, pa­lä­sti­nen­si­sche.

In den öster­rei­chi­schen (und deut­schen) Buch­ver­la­gen wird im­mer mehr Li­te­ra­tur von Frau­en ver­öf­fent­licht, und auch in den Re­dak­tio­nen herrscht die­se Ten­denz. Beim Kla­gen­fur­ter Wett­le­sen ge­wan­nen seit 2011 fast nur Frau­en den Bach­mann­preis. Im An­fangs­jahr 1977 war un­ter den 13 Ju­ro­ren nur ei­ne Frau, das Ver­hält­nis än­der­te sich in den Fol­ge­jah­ren we­nig. Heu­te sind die Ju­ro­rin­nen in der Mehr­heit: nur knapp, man kann durch­aus nicht sa­gen, die Män­ner wür­den quo­ten­mä­ßig be­nach­tei­ligt. Al­les gut! Al­les kor­rekt. Al­les nor­mal. Weib­li­che Au­toren sind ein­fach bes­ser.

Manch­mal wird trotz­dem ge­strit­ten, wie neu­lich im Ley­kam Ver­lag, als die Au­torin Ger­traud Klemm aus ei­ner (rein weib­li­chen) An­tho­lo­gie wie­der aus­ge­la­den wur­de, weil sie Jah­re da­vor ei­nen Ar­ti­kel ver­öf­fent­licht hat­te, in dem sie an­geb­lich die Rech­te von – im Kor­rekt­heits­jar­gon – Trans­per­so­nen nicht ge­nü­gend ge­ach­tet hat­te. Sie wur­de nach­träg­lich ab­ge­kan­zelt und aus der An­tho­lo­gie aus­ge­la­den. So wie ich hier ris­kie­re, als dog­ma­ti­scher In­cel ab­ge­tan zu wer­den. Für al­les gibt es in der Welt der Kor­rekt­hei­ten, links wie rechts, Eti­ket­ten. Ly­dia Misch­kul­nig, Au­torin des Ley­kam Ver­lags, sprach her­nach vom »to­ta­li­tä­ren An­strich« ei­ner Her­aus­ge­be­rin­nen­schaft, die ab­wei­chen­de An­sich­ten of­fen­bar nicht ha­ben will. Ge­nau­er: Die Her­aus­ge­be­rin­nen wol­len kei­ne Per­so­nen, die bei an­de­rer Ge­le­gen­heit et­was ih­rer An­sicht nach Un­kor­rek­tes ge­äu­ßert hat. Das ist ein we­nig wie Sip­pen­haf­tung. Nicht was du jetzt schreibst, ist ent­schei­dend, son­dern das, was dein frü­he­res Ich ge­tan hat. Da­bei soll­ten Au­toren doch wis­sen, dass je­des Ich, nicht nur das von Au­toren, aus di­ver­sen Ichs be­steht. Mehr noch, es soll so­gar vor­kom­men, daß schlech­te Men­schen gu­te Wer­ke ver­fas­sen, oder auch Wer­ke, die ih­ren po­li­ti­schen Mei­nun­gen wi­der­spre­chen.

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Nach­rich­ten aus der Un­ter­hal­tungs­bran­che (II)

oder: Wie ethi­sche Wer­te in der Des­in­for­ma­ti­ons­ge­sell­schaft zer­brö­seln

Teil I

4

Ich ent­neh­me die­sen Über­le­gun­gen, die nichts an­de­res sind als Fest­stel­lun­gen des Of­fen­sicht­lich­sten (über das man nach wie vor we­nig spricht), zwei Punk­te, die ich ein we­nig wei­ter­spin­nen will. Er­stens, auf den Por­no­sei­ten und den so­ge­nann­ten Gesellschafts­seiten, in den so­cial net­works, wie es eu­phe­mi­stisch heißt, kann man Ama­teur­auf­nah­men von Ama­teur­spie­lern se­hen, doch bei wei­tem nicht in so gro­ßer Zahl, dass sie ne­ben dem pro­fes­sio­nel­len Por­no­ge­schäft ins Ge­wicht fal­len. Es ist dies ein Zei­chen da­für, das öffent­licher und pri­va­ter Be­reich auch auf der in­tim­sten Ebe­ne nicht mehr ge­trennt sind. Ei­ne nicht un­be­deu­ten­de Rol­le da­für spielt die Tat­sa­che, dass Re­pro­duk­ti­ons­in­stru­men­te, al­so Ka­me­ras al­ler Art, heu­te in­fol­ge tech­ni­scher Ent­wick­lun­gen, der all­ge­mei­nen Konsum­gier und des fak­ti­schen Wohl­stands für je­der­mann zu­gäng­lich sind. Je­der kann stän­dig Ab­bil­dun­gen von sich und sei­nen Näch­sten ma­chen und über­tra­gen und tut es auch. Ein Kind, das kein Han­dy mit Fo­to­ap­pa­rat be­sitzt, kann ne­ben sei­nen Freun­den nicht be­stehen. Ein Kind oh­ne In­ter­net­an­schluss kann auch nicht be­stehen. Mi­me­sis, Spie­ge­lung, ist ein Mas­sen­phä­no­men und ei­ne Mas­sen­zwangs­neu­ro­se ge­wor­den. Zu­gleich kön­nen bei wei­tem nicht al­le Per­so­nen vor den Schön­heits- und Geil­heits­idea­len be­stehen. Es fin­det ei­ne Aus­le­se statt. Die da­bei ent­ste­hen­den Krän­kun­gen wer­den durch se­kun­dä­re, pas­si­ve, vir­tu­el­le »Ak­ti­vi­tä­ten« in der Welt des Schein­tods kom­pen­siert.

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Nach­rich­ten aus der Un­ter­hal­tungs­bran­che (I)

oder: Wie ethi­sche Wer­te in der Des­in­for­ma­ti­ons­ge­sell­schaft zer­brö­seln

1

Vor ei­ni­gen Jah­ren frag­te mich ei­ne jun­ge, kaum zwan­zig­jäh­ri­ge Ver­käu­fe­rin in ei­ner der Wie­ner Bou­ti­quen, die sich in den Gas­sen hin­ter dem Ste­phans­dom ein­ge­ni­stet ha­ben, ob ich viel­leicht in der Un­ter­hal­tungs­bran­che tä­tig sei. Ich such­te ein Klei­dungs­stück für mei­ne Frau aus und hat­te ne­ben­bei mit die­sem gut ge­laun­ten Mäd­chen, das an sei­ner Ar­beit of­fen­bar Spaß fand, da­hin­ge­plau­dert. Ich war per­plex, als sie mir die­se Fra­ge stell­te. »Un­ter­hal­tungs­bran­che«, al­lein das Wort hät­te ich nicht in den Mund ge­nom­men. Ich frag­te sie, wie sie dar­auf kom­me, und er­fuhr, dass es mei­ne Re­de­wei­se war, die sie auf die Ver­mu­tung ge­bracht hat­te. Es hat­te zwar kei­ner­lei Ver­stän­di­gungs­schwie­rig­kei­ten zwi­schen uns ge­ge­ben, doch die Art mei­ner Wort­wahl und mehr noch die Tat­sa­che, dass ich über­haupt Wor­te mit Be­dacht aus­wähl­te in ei­nem Ge­spräch oh­ne je­de tie­fe­re Be­deutung (auch das ein Aus­druck, den sie wahr­schein­lich in der Un­ter­hal­tungs­bran­che zu­ordnen wür­de), hat­te sie ins Stau­nen ge­bracht. Ich glau­be, mit »Un­ter­hal­tungs­bran­che« mein­te sie Fern­se­hen, Zei­tun­gen, Zeit­schrif­ten... »News« oder »Wie­ner« oder was es da­mals so gab. Nicht ei­gent­lich das, was in der Nach­kriegs­zeit als »Show­busi­ness« im­portiert wur­de. Nein, kei­ne Schau, aber doch Un­ter­hal­tung, et­was Im­ma­te­ri­el­les; kei­ne Stof­fe und kein Bü­ro. Zu­gleich aber: Ge­schäft, al­so ernst­zu­neh­men. Viel­leicht, dach­te ich, ist Un­ter­hal­tung für die­ses Mäd­chen das Höch­ste. Eher klein­wüch­sig, kräf­tig, selbst­bewusst, mit har­mo­ni­schen Ge­sichts­zü­gen (wie­der so ein Aus­druck!), blick­te sie zu mir auf, leicht amü­siert, gu­ter Din­ge, wie je­den Tag.

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String­tan­ga vs. Un­ter­ho­se

Ali­ce Schwar­zer irrt, weil sie den letz­ten Satz nicht ge­le­sen hat: In dem Ar­ti­kel von Iris Ra­disch in der ZEIT über die neue­ste An­ti-Por­no­gra­phie-Kam­pa­gne der »Emma«-Herausgeberin dreht Ra­disch meh­re­re rhe­to­ri­sche Pi­rou­et­ten, lan­det dann in den Ar­men des »Bild«-Girls – aber (und hier irrt Frau Schwar­zer eben) sie stimmt ihr nicht zu: Die Käl­te, die ei­ne Durch­sexua­li­sie­rung der Ge­sell­schaft zur Fol­ge hat, lässt sich mit den al­ten Waf­fen des Ge­schlech­ter­kamp­fes nicht mehr be­sie­gen steht da. Heisst über­setzt: Frau Schwar­zer, das schaf­fen wir auch oh­ne ih­re an­ti­quier­ten Me­tho­den.

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