Seriöse Fernsehkritik sei nicht mehr möglich meint Jan-Philipp Hein in seinem Artikel »Der TV-Untergang im Internet« auf »Spiegel Online«. Aber was so ein richtiger »Spiegel«-Reporter ist, der hat dann doch immer noch »einen« und das gallische Dorf des Herrn Hein ist David Harnasch und seine Webseite »Der Bildschirmarbeiter«. Hein verfasst eine Hommage auf Harnasch, offensichtlich der Fels in der Brandung der mediokren Kritikerzunft.
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Journalistenattrappen
Eigentlich eine Provinzposse, der sich u. a. Stefan Niggemeier in der letzten Woche da angenommen hat: Da druckt die »Torgauer Zeitung« eine Presseerklärung der NPD ab. Wörtlich und ohne Kommentierung. Ohne redaktionelle, sprich journalistische Bearbeitung oder Einbettung. Und ohne Not.
Nachlesen kann man das hier und hier. Die Kommentare bei Niggemeier sind allerdings interessant.
Versuch über die Wahrheitsminister
Sie sind hier, weil Sie es an Demut, an Selbstdisziplin haben fehlen lassen. Sie wollten den Akt der Unterwerfung nicht vollziehen, der der Preis ist für geistige Gesundheit. Sie zogen es vor, ein Verrückter, eine Minderheit von einem einzelnen zu sein. Nur der geschulte Geist erkennt die Wirklichkeit, Winston. Sie glauben, Wirklichkeit sei etwas Objektives, äusserlich Vorhandenes, aus eigenem Recht Bestehendes. Auch glauben Sie, das Wesen der Wirklichkeit sei an sich klar. Wenn Sie sich der Selbsttäuschung hingeben, etwas zu sehen, nehmen Sie an, jedermann sehe das gleiche wie Sie. Aber ich sage Ihnen, Winston, die Wirklichkeit ist nicht etwas an sich Vorhandenes. Die Wirklichkeit existiert im menschlichen Denken und nirgendwo anders. Nicht im Denken des einzelnen, der irren kann und auf jeden Fall bald zugrunde geht: nur im Denken der Partei, die kollektiv und unsterblich ist. Was immer die Partei für Wahrheit hält, ist Wahrheit. Es ist unmöglich, die Möglichkeit anders als durch die Augen der Partei zu sehen. Diese Tatsache müssen Sie wieder lernen, Winston. Dazu bedarf es eines Aktes der Selbstaufgabe, eines Willensaufwandes. Sie müssen sich demütigen, ehe Sie geistig gesund werden können.
In einem Punkt ist Orwells Zukunftsphantasie längst Realität geworden: Die Wahrheitsminister sind unter uns. Sie sind so zahlreich und so mächtig, dass sie den Diskurs, das öffentliche Diskutieren kontroverser Themen seit Jahren, seit Jahrzehnten bestimmen. Das Philistertum der Wahrheitsminister ist nicht zu verwechseln mit dem, was man als (wissenschaftlich belegten oder moralisch erarbeiteten) Konsens bezeichnet. Wahrheitsminister begründen Wahrheiten über das konsensuelle einer Gesellschaft hinaus. Sie sind nicht nur die Türhüter, sie sind die Exegeten des Konsens. Sie interpretieren ihn aus, richten dabei über gut und böse, über richtig und falsch. Daumen hoch oder Daumen runter. Wahrheitsminister sind dabei nicht zu verwechseln mit dem vergleichsweise harmlosen Mainstream. Wankelmütig sind sie selten; nur die normative Kraft des Faktischen verleitet sie gelegentlich dazu, ihre Wahrheiten anzupassen.