Sie sind hier, weil Sie es an Demut, an Selbstdisziplin haben fehlen lassen. Sie wollten den Akt der Unterwerfung nicht vollziehen, der der Preis ist für geistige Gesundheit. Sie zogen es vor, ein Verrückter, eine Minderheit von einem einzelnen zu sein. Nur der geschulte Geist erkennt die Wirklichkeit, Winston. Sie glauben, Wirklichkeit sei etwas Objektives, äusserlich Vorhandenes, aus eigenem Recht Bestehendes. Auch glauben Sie, das Wesen der Wirklichkeit sei an sich klar. Wenn Sie sich der Selbsttäuschung hingeben, etwas zu sehen, nehmen Sie an, jedermann sehe das gleiche wie Sie. Aber ich sage Ihnen, Winston, die Wirklichkeit ist nicht etwas an sich Vorhandenes. Die Wirklichkeit existiert im menschlichen Denken und nirgendwo anders. Nicht im Denken des einzelnen, der irren kann und auf jeden Fall bald zugrunde geht: nur im Denken der Partei, die kollektiv und unsterblich ist. Was immer die Partei für Wahrheit hält, ist Wahrheit. Es ist unmöglich, die Möglichkeit anders als durch die Augen der Partei zu sehen. Diese Tatsache müssen Sie wieder lernen, Winston. Dazu bedarf es eines Aktes der Selbstaufgabe, eines Willensaufwandes. Sie müssen sich demütigen, ehe Sie geistig gesund werden können.
In einem Punkt ist Orwells Zukunftsphantasie längst Realität geworden: Die Wahrheitsminister sind unter uns. Sie sind so zahlreich und so mächtig, dass sie den Diskurs, das öffentliche Diskutieren kontroverser Themen seit Jahren, seit Jahrzehnten bestimmen. Das Philistertum der Wahrheitsminister ist nicht zu verwechseln mit dem, was man als (wissenschaftlich belegten oder moralisch erarbeiteten) Konsens bezeichnet. Wahrheitsminister begründen Wahrheiten über das konsensuelle einer Gesellschaft hinaus. Sie sind nicht nur die Türhüter, sie sind die Exegeten des Konsens. Sie interpretieren ihn aus, richten dabei über gut und böse, über richtig und falsch. Daumen hoch oder Daumen runter. Wahrheitsminister sind dabei nicht zu verwechseln mit dem vergleichsweise harmlosen Mainstream. Wankelmütig sind sie selten; nur die normative Kraft des Faktischen verleitet sie gelegentlich dazu, ihre Wahrheiten anzupassen.
Wahrheitsminister sind selten in Lobbys organisiert. Derartige Offensichtlichkeiten mögen sie nicht. Zusammenschlüsse wie die INSM beispielsweise bestehen aus Mainstream-Jüngern, die die Gewissheiten der Wahrheitsminister kaum tangieren.
Die Kriterien der Wahrheitsminister werden nicht hinterfragt – das gehört zu den von ihnen selbst erschaffenen Regeln. Wer es dennoch wagt, wird sofort diskreditiert; wenn notwendig auch ad hominem. Das feine, meist unsichtbare Netzwerk der Wahrheitsminister sorgt dafür, dass irgendein »Anti...«-Wort schnellstens die intellektuelle Reputation des Abtrünnigen guillotiniert. Dabei wissen sie, irgend etwas wird immer hängen bleiben. Ein »Anti...«-Wort (in ganz schlimmen Fällen auch ein »Pro...«-Wort) klebt wie eine Vorstrafe auf dem Delinquenten. Es verfällt nie; Bewährung wird nicht gewährt. Ausser, wenn sie selber fehlen (was selten publik wird, da ihr eigenes Leben sakrosankt ist). Dann erwarten sie das, was sie anderen verwehren.
Ganz selten gibt es auch Wahrheitsminister in der politisch aktiven Klasse. Normalerweise versichern sich die Politiker des Wohlwollens der Wahrheitsminister. Als Gegenleistung stellt man beispielsweise die Dogmen des Parteienstaates nicht infrage. Eine Hand wäscht die andere.
Die ganz wichtigen Wahrheitsminister nennt man in der Öffentlichkeit Päpste. Hiermit wird noch einmal ihre Unfehlbarkeit unterstrichen. Sie widersprechen dem Attribut nur aus vordergründiger Bescheidenheit. In Wirklichkeit sind sie geschmeichelt; gelegentlich vielleicht ein bisschen unwirsch, das es so lange gedauert hat mit der Beförderung.
Vergangene Woche gab es in Deutschland offensichtlich einen neuen Literaturpapst. Marcel Reich-Ranicki, der sich seit Jahrzehnten vergeblich gegen diese Bezeichnung »gewehrt« hat, wurde laut Herrn Beckmann von Hellmuth Karasek abgelöst. Das Veränderung nicht immer Fortschritt bedeutet, ist daran allerdings deutlich abzulesen: Während Reich-Ranicki in seiner Verbohrtheit wenigstens noch Herausforderung bot, pinkelt der neue Papst in einer allgemeinen Moralbesoffenheit nur seine selbst aufgestellten Denkmäler an. Karasek hätte die Frage, ob er die Wahl annehme, lieber ablehnend beantworten sollen. Obwohl Roger Willemsens Charakterisierung von Karasek (bereits 1999) das Wesen des Wahrheitsminister Karasek schön erklärt: Was ihn überforderte – und das passiert »der Kunst« leicht mal -, das Ambitionierte, Engagierte, radikal Wahrhaftige, formal Gelöste, Experimentelle, Unkommerzielle, Anstrengende, das nicht wie Karasek primär das Massenpublikum penetrieren will, all das ist »arrogant« und zeugt von »elitärem Dünkel«. Aber wer schützt das Publikum vor der Arroganz des Kritikers, der gegen das Verschwinden Godards eine Huldigung an Tom Gerhard anzubieten hat! Aber nicht jeder Wahrheitsminister taugt zum Papst. Naja, von Reich-Ranicki nach Karasek – die Republik bekommt, was sie verdient.
Die Wahrheitsminister in der Literatur werden es auch unter grössten Anstrengungen nicht schaffen, die Öffentlichkeit dauerhaft und umfassend mit ihrem Geschmack zu usurpieren. Schlimmer sind die Wahrheitsminister in den gesellschaftlichen und politischen Diskursen. Ihr Wirken beschädigt die Urteilskraft und das intellektuelle Denken einer Gesellschaft dauerhafter.
Wichtig zu unterscheiden ist, dass die Wahrheitsminister sich zwar unter Umständen der »political correctness« (PC) bedienen, also jener Strömung, die aus den USA zu uns herübergeschwappt ist, und uns in »Neusprech«-Ambitionen vorschreiben möchte, wie wir was auszudrücken und zu empfinden haben. Aber nur die Lakaien der Wahrheitsminister, die Exekutoren des Neusprech, assistieren in dieser Richtung (mangels nicht vorhandener Fähigkeiten, beispielsweise selbständig zu denken). Sie benötigen dieses Gerüst der PC wie ein Schamane, der Knochen in Luft wirft, um damit seine Urteile zu fällen.
Wahrheitsminister bedienen sich der PC nur als zusätzliche Illustration ihrer Wahrheit. Niemand käme auf die Idee, die PC auf ihre Äusserungen anzuwenden. Dies käme einer Gotteslästerung gleich. Wie schlimm Häresie bestraft wird, musste neulich Botho Strauss (wieder einmal) erfahren, als er emphatisch (und vielleicht ein wenig überpointiert) einer Lea-Rosh-Kultur widersprach, in der sich deutscher Geist nur geduckt bewegen soll oder rückschaudernd erstarren und jede erhobene Stirn, etwa zum Ausschauhalten, als pietätlos und missliebig angesehen wird.
Arme Wichte, die sich, an die PC und ihre gelegentlich drolligen Auswüchse verbeissend, in einer Anti-PC-Haltung erschöpfen und damit glauben, in jedem Diskurs nur aufgrund der Tatsache, dass sie gegen den Strom reden, schon Recht haben. Sie können natürlich genüsslich von den PC-Apologeten vorgeführt werden. Denn tatsächlich benutzen sie meistens ihre Attacken auf die PC nur, um sich als Opfer zu stilisieren und ihre (oft) antidemokratischen Affekte damit zu verbrämen. Hieraus jedoch per se jede Anti-PC-Bewegung zu diskreditieren, ist natürlich Unsinn. Das ficht die Lakaien der Wahrheitsminister aber nicht an. Sie fühlen sich schliesslich moralisch überlegen und ihre letzte Frage, ihr letztes Erinnern an eine Neugier ist schon sehr lange her.
Die Verkündiger der Wahrheit argumentieren schon lange nicht mehr. Oft genug sind ihre Argumente nur tautologische Schlüsse. »Ich sage es, und weil ich es so sage, stimmt es.« Wahrheitsminister reagieren schnell restriktiv. Toleranz kennen sie meist nur in einer Richtung. Komplizierte Sachverhalte reduzieren sie entweder auf Schlagworte oder personalisieren sie. Sie haben sich damit der Komplexitätsreduzierung durch die Medien hervorragend angepasst. Ihre Phraseologie ist griffig. Berührungsängste zu Boulevard-Medien haben sie längst abgelegt.
Die Wahrheitspäpste und Wahrheitsminister erkennt man auch an ihrer Körpersprache. Und daran, dass sie in den Hauptnachrichtensendungen des (öffentlich-rechtlichen) Fernsehens gezeigt werden. Sie umgeben sich mit einer monarchischen, absolutistischen Aura. Häufig ist ihr Erscheinungsbild in einem Punkt anders als das »normaler« Menschen. Kleine, immer wiederkehrende Accessoires schaffen auch für diejenigen, die ein schlechtes Namensgedächtnis haben, einen Wiedererkennungswert. Das kann ein Schal sein, der – unabhängig von der jeweiligen Temperaturlage – locker um die Anzugjacke gelegt ist. Oder die Anzugjacke selber wird nur auf die Schultern gelegt. (Wetten, Sie wissen, welche Persönlichkeiten gemeint sind?) Oft sitzen sie vor Bücherwänden oder vor unaufgeräumten Schreibtischen, die ihr Wissen und ihre Wichtigkeit unterstreichen sollen.
Man kennt etliche von ihnen schon seit Jahrzehnten. Sie haben keine Talkshow ausgelassen. In regelmässigen Abständen geben sie Interviews – in der ZEIT, im Spiegel, Focus, FAZ, SZ, usw. Ihre Meinungen sind bis in die kleinsten Verästelungen öffentlicher Themen immer präsent. Gibt es Neues, Kontroverses, treffen sie zielsicher ihr Urteil. Wenn man sich die Diskurse in der Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten ein bisschen angetan hat, dann weiss man oft genug schon vorher ihr Urteil. Amen.
Wahrheitsminister bestimmen aber nicht nur die Urteile in Diskursen. Sie bestimmen auch, was überhaupt zur Diskussion zugelassen wird. Seit es allerdings das Internet gibt, wird das Ausmass ihrer Verdrängungskultur transparenter.
Da ist beispielsweise Jostein Gaarders Text »Gottes auserwähltes Volk«. Wenige Tage nach seinem Erscheinen am 5. August wurde er vom Englischen ins Deutsche in einem deutschen Weblog ins Netz gestellt.
Der als »antiisraelisch« denunzierte Text Gaarders hat bis heute keine Chance bekommen, in einem Printmedium (von Radio und Fernsehen ganz abgesehen) abgedruckt zu werden. In der FAZ, der NZZ und der TAZ gab es kurze Statements. Diese Artikel gaben – natürlich – die Meinung der Wahrheitsminister wider. So wurde beispielsweise Gaarders Titel flugs wurde als »ironisch« abgetan und ihm unterstellt, er befürworte eine Art Zwangsumsiedlung der Israelis. Im Musterkombinat der Wahrheitsminister, Spiegel Online, wurde verkündet, dass jeder, der diesen Text gutheisse, ein Antisemit sei.
Diese Gewissheiten sind für den Zeitungsleser, Radiohörer oder Fernsehzuschauer nicht hinterfragbar. Sie wären es nur, wenn im Medium der Kritik auch der inkriminierte Beitrag abgedruckt oder äquivalent anderweitig verfügbar wäre. Aber nicht einmal Spiegel Online hat einen Hinweis auf die deutsche Version gebracht (der Link zum englischen Text funktioniert nur temporär).
Was bleibt, ist, dass der unkritische (und/oder überforderte) Leser mit der Primitivgleichung ‘Jostein Gaarder = Antisemit’ abgespeist wird. Ein Armutszeugnis für Journalismus und ein Triumph für die Wahrheitsminister und ihre Steuerung von Diskursen.
Wovor haben die Wahrheitsminister eigentlich Angst?
Über die Multiplikatoren der Wahrheitsminister muss noch gesprochen werden: Die Journalisten. Beziehungsweise diejenigen, die sich dafür halten. Sie träufeln diese Wahrheiten über ihre Medien in die Köpfe der Menschen wie ein Gourmet Zitronensaft über die Austern. Über sie erfahren wir, was die Wahrheitsminister für Humor halten, was Kunst ist (vor allem: was es nicht ist), wer ein Kriegsverbrecher ist (und wer nicht), ab wann man Antisemit ist (das geht sehr schnell), wie man Frauen oder besser noch ganze Völker emanzipiert, was blasphemisch ist und was nicht, wie man freie Meinungsäusserung auszulegen hat und wann sie nicht gilt.
Die Multiplikatoren der Wahrheitsminister bestimmen, wann ein Thema in den Vordergrund rückt – und wann nicht. Sie bestimmen den Grad der Entrüstung – oder auch (seltener) der Gelassenheit. Sie sind von jedem Beleg ihrer Urteilskompetenz befreit; jeder Imbissbudenbesitzer oder Strassenmusikant muss mehr Nachweise beibringen, seine Tätigkeit ausüben zu dürfen. Die selbstgegebene Einstufung »Experte« genügt.
Die Wahrheitsminister definieren, was Terrorismus ist und was »Kampf gegen den Terror«. Sie definieren, wann eine Aggression vorliegt und wann das Selbstverteidigungsrecht gilt. In Windeseile schubladisieren sie. Die Ergebnisse werden durch die Multiplikatoren verbreitet. Droht einmal der Standpunkt der Wahrheitsminister nicht zu dominieren, wird mit (fragwürdigen) Behauptungen das entsprechende Medium diskreditiert.
Die höchste Beförderung eines Journalisten ist die zum Wahrheitsminister und dann irgendwann zum Wahrheitspapst. Das geschieht nicht häufig. Denn zum Wahrheitsminister wird man nicht durch deskriptives oder opportunistisches Verhalten, sondern muss selbst aktiv Wahrheiten begründen. Journalisten, die besonders treu den Wahrheitsministern folgen und ihre Urteile mit besonders niederträchtiger Demagogie würzen, werden jedoch belohnt. Es gibt auch Journalisten, die scheinbar gegen die Wahrheitsminister opponieren und ihrerseits sehr polemisch und bissig gegen sie agieren. Manchmal sind das aber nur Doppelagenten. Man könnte dafür den Begriff der »Broderline«-Persönlichkeit konzipieren (nicht zu verwechseln mit der Borderline-Persönlichkeit; eine Krankheit, die noch existentieller ist).
Wer glaubt, dass das Internet und die (fast) unumschränkte Publikationsmöglichkeit Abhilfe schaffen, irrt leider. Auch hier versuchen die Lakaien der Wahrheitsminister mittels technischer und menschlicher Power die Deutungshoheit zu gewinnen. Es gelingt ihnen, da die Alternativen oft genug nur pöbelnde Dummschwätzer sind und auf ihren Weblogs oder in Foren ihren (rechts-)radikalen Müll absondern. Das Internet verschärft oft genug die Polarisierung eines Diskurses, nicht unbedingt die Tiefe (und somit Qualität). Demjenigen, der sich dem Konformitätsdruck der Wahrheitsminister verweigert aber auch keine Heimat in antidemokratischen Visionen finden kann, wird dann häufig noch Zuflucht in spirituelle oder esoterische Gewissheiten suchen. Eine Wahl zwischen Scylla und Charybdis.
Was ist das Ziel der Wahrheitsminister? Haben sie finanzielle oder ökonomische Interessen? Meistens eher nicht. Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Aber wenn sich eine Handlung, eine Meinung, ein Standpunkt als finanziell einträglich für denjenigen erweist, der sie vertritt, so ist das ein lobbyistisches Agieren. Wahrheitsminister verschmähen den schnöden irdischen Mammon; ihre Entlohnung liegt eher im immateriellen. Was sie zwar nicht von Buchkampagnen (o. ä.) abhält, aber das sind letztlich nur Appendizes zu ihren Gewissheitsstatements. Sie wollen die intellektuelle Hegemonie in der Bundesrepublik fortschreiben. Ihr Regiment ist nicht ernsthaft gefährdet, muss aber ständig aktualisiert werden. Der Nachwuchs ist schon da. An den sprunghaft steigenden Google-Ergebnissen bestimmter Persönlichkeiten erkennt man die Erben. Es geht also weiter.
Eine Frage wird der bis hierhin geduldige (oder auch schon entrüstete) Leser noch stellen: Wer sind denn bitteschön diese Diskursbestimmer und Angehörigen der Meinungskamerilla?
Tja, lieber Leser, wer das alles ist – lassen Sie doch mal Ihre Phantasie spielen! Überlegen Sie doch einmal, was Sie schon sehr lange nicht mehr befragt haben! Welcher Persönlichkeit hängen Sie allzu bereitwillig an den Lippen? Wann schalten Sie ganz gerne Ihre kritischen Fragen aus? Wann stimmen Sie hier etwas zu, was Sie anderswo ablehnen? Wo gibt es Ambivalenzen, die Sie erst beim näheren Hinsehen feststellen?
Wie steht es mit der selbstverschuldeten Unmündigkeit? Gibt man sich nicht allzu gerne den Gewissheiten hin, die einem mit der Zeit lieb und teuer geworden sind? Hat man sich vielleicht allzu bequem im Nest der festgefahrenen Meinungen eingerichtet? Die Wahrheitsminister reüssieren ja auch deshalb, weil sie Geborgenheit bieten; sie vermitteln das wohlige Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Gefolgschaft wird belohnt mit der Aufnahme in eine Art virtuelles Elysium. Es mag im Einzelfall schwierig sein, diese schön gepolsterten Sessel gelegentlich zu verschmähen und auf den harten Holzbänken Platz zu nehmen. Aber es könnte sich lohnen.
Erkannt
Zehn von zehn möglichen Punkten. Mit Abstand der beste Beitrag, den ich in den letzten Monaten im Infodschungel gelesen habe.
Und ja, ich glaube sie erkannt zu habe. Wobei der mit dem Schal fast schon als prototypisch ( sowohl in der Härte des angerührten Betons, als auch in dessen mangelnder Eignung als Fundament ) zu bezeichnen ist.
Broderline! Genial. Man erinnere sich an den Auftritt bei der amerikanischen Präsidentenwahl. Einen Wahrheitministerazubi möchte man ihn nennen.
Möglicherweise könnte es sich lohnen den Beitrag zu erweitern und zu vertiefen. Ich würde mich freuen.
Glückwunsch
vorzüglich!
»Droht einmal der Standpunkt der Wahrheitsminister nicht zu dominieren...«,
dann treten nicht immer nur die journalistischen Multiplikatoren in Aktion, manchmal – wenn es wirklich schlingert – bequemt sich die (z. B. terroristische) Wirklichkeit selbst, den Wahrheitsministern beizuspringen (pfui, ich Verschwörungstheoretiker).
Interessant übrigens noch zur Wirkungsmächtigkit der W. und ihrer Multiplikatoren: Ich sehe kein fern, lese weder Spiegel noch Focus, noch FAZ, Zeit, SZ, BZ usw (»nehme allerdings immer mal SPON mit«), kann also den Achal nicht zuordnen und werde doch vom Wirken der W. in umfassendster und widerwärtigster Weise erreicht.
Schwieriger Text,
aber gut. Broderline gefällt mir ausgezeichnet. Aber Doppelagenten sind die Wahrheitsminister wohl eher nicht. Ich vermute, dass sie sich selbst gegen Zweifel immunisiert haben und tatsächlich an das glauben, was sie sagen. Das ist eine wesentliche Voraussetzung für überzeugtes und überzeugendes Auftreten. Man kann es überall beobachten, dass fester Glaube eine stärkere Motivation als alles andere ist. Das ist die gemeinsame Grundlage aller Fundamentalismen.
Hervorragender Beitrag und, wie gewohnt, ein Lesegenuss. Die ewig gleichen „Experten“, XY-Päpste und Konsorten, die ihre Urteile meist unwidersprochen
zu allem und jedem abgeben dürfen (oder sollen), fallen mir schon seit langem unangenehm auf.
Außerdem verdanke ich Ihnen noch einen Erkenntnisgewinn: INSM, diese Abkürzung war mir bislang unbekannt und ich habe mal nachgeschaut. Jetzt weiß ich, was sie bedeutet und wer dahinter steckt und kann wieder ein wenig besser beurteilen, woher in manchen Veröffentlichungen der manipulierende Wind weht.
@ Der Dahergelaufene
Herzlich eingeladen, Ergänzungen / Einschübe hier zu posten (als Kommentar – vielleicht auch mehr?)
@ kranich05
Tatsächlich erstaunlich, wie festgezurrt das Netz der Wahrheitsminister auch dann noch greift, wenn man sich – wie Sie – versucht, diesem Strom zu entziehen. Sie erleben ja gerade auf Ihrem Blog wie schnell eines der gängigen »Anti«-Wörter wieder in die Welt geschleudert wird...
@ Köppnick
Da hat der »Dahergelaufene« ja dann tatsächlich recht – ich habe vergessen zu erwähnen, dass der Wahrheitsminister vollkommen immunisiert gegen Widersprüche ist.
»Doppelagent« ist dahingehend gemeint, dass sie so tun als seien sie ausserhalb des Mainstream stehend, in Wirklichkeit sind sie jedoch nur die verkleideten Schaufensterpuppen.
Der Gedanke zur Nähe des Fundamentalismus ist mir nicht gekommen. Interessant.
@ blackconti
Vielen Dank für das Lob. Manche Christiansen-Sendung (besonders im Wahlkampf 2005) war teilweise mit 2/3 oder gar 3/4 von INSM-Lobbyisten besetzt...
Ich bin hemmungslos begeistert und treibe auf meinem blog natürlich Werbung mit folgender Sentenz:
Nicht nur grenzgenial, sondern gottähnlich: »Broderline- Persönlichkeit« und »Musterkombinat der Wahrheitsminister«... Read and Enjoy!
Ursprünge
Interessant könnte zumindest die Frage nach der Quelle sein, der sie entsprungen sind. Vermutlich sind sie ein Produkt des Übergangs vom Paternalismus der Nachkriegsjahrzehnte zum Zeitalter der »German Angst«. Je weniger sich die Gesellschaft ihrer selbst vergewissenern konnte, desto anfälliger mochte sie gegenüber SB-Ideologen sein.
Wodurch generieren Sie ihre Glaubwürdigkeit? Durch Herkunft? Durch Funktion? Oder schlicht durch Dummstreistigkeit oder Charisma (Mir fallen Beispiele ein)? Vermutlich alles zusammen mit einer guten Prise Zufall gewürzt. Möglicherweise sind sie selbst nur Spielball, also mehr Getriebene den als Akteure.
@Peter
Der Kommentar ist sehr interessant. Ich glaube allerdings nicht, dass sie nur Spielball sind, also »Getriebene«. Ich glaube, sie sind Überzeugungsakteure. Sie wollen das Beste, sehen sich moralisch erhaben. Sie können so handeln, weil ihnen keiner sagt, dass sie nackt sind (wenn sie nackt sind). Im Kern haben sie recht – aber sie belassen es nicht keim Kern. Sie sind konservativ; ihr Weltbild ändert sich nicht (insbesondere, was ihre Gegner an geht).
Ja, die Geborgenheit
eine warme, feuchte, drogengeschwängerte Umgebung. Wenn sich das Hirn einmal in eine schwammartige Masse verwandelt hat, die sich am liebsten von der Geborgenheit nährt, dann sind es nur mehr Kriege und Revolutionen, die nach dem Verlauf von ein oder zwei Generationen wieder ein einigermaßen durchgeputztes Denken ermöglichen.
Aber als Orwell das schrieb, war es nach einem Krieg. Und deswegen ist die Prophezeihung so erschreckend. Wobei ich glaube, dass wir viel mehr in »der schönen neuen Welt« leben.
P.S. besteht da eine Verwandschaft zu bedeutenden Musikern in A.?
#8 – Halb zog es sie, halb fielen sie hin
»Getrieben« vielleicht in dem Sinne, dass sie sich plötzlich in einer Rolle wiederfanden, an der man Gefallen finden konnte. Wie eine zweite Haut in die man schlüpft und die zur Attitüde erstarrt.
Der Mann mit dem Schal z.B. kompensierte möglicherweise nur das Grauen seiner Kindheit und die Fehler seiner frühen Jahre mit einer biblischen ideologischen Strenge und fand den Ausgang aus der Rolle nicht mehr. Erzeugt wurde er, wie Sie schon schrieben, letztendlich von den Medien, die diese Rolle einfach erwarten.
Selbst integere Figuren, wie der Abkömmling ungarischer Adliger ( nur der Bruder trägt das Prädikat noch ) erstarrte gelegentlich in einem Raunen, dass seine Relevanz aus dem Raunen an sich erzeugte. Wie will da unser Mann bei IBM entrinnen, dem die Möglichkeiten vollständig fehlen (um auch mal Rätsel zu stellen).
Die Medien
haben der Attitüde sozusagen »Nahrung« gegeben und sie später immer wieder befeuert. Sie brauchen natürlich solche Figuren wie die Luft zum atmen. Wenn man (wie im konkreten Fall) jetzt feststellt, dass die Luft ein bisschen »kontaminiert« war, mutiert die Enttäuschung hierüber in eine fast kindliche Wut. Schon Goethe wusste, dass man sich immer selbst nur enttäuscht. Insofern sehe ich beispielsweise den »Fall Grass« und etliche der getätigten Äusserungen als Ausdruck eines virulenten Selbsthasses.
Im übrigen sind Ihre Rätsel sehr viel schwerer als meine. Ich muss noch überlegen...
Gaarder-Interview
Heute gab es ein merkwürdiges Interview mit Garder im Deutschlandfunk.
Nicht : Herr Gaarder Sie haben dem israelischen Staat in einem Zeitungsartikel die Anerkennung verweigert. Nein. Sondern : Herr Garder, Sie sind ein toller Mensch, Sie kümmern sich um Witwen und Weisen und helfen Kröten über die Straße. Übrigens, wo Sie gerade da sind. Sie haben doch so eine Artikel veröffentlicht. Wie kamen Sie nur dazu.
Merkwürdig.
Vielen Dank für den Hinweis
Immerhin wird Gaarders Text besprochen – obwohl er den meisten Hörern in Gänze auch nicht bekannt sein dürfte.
Insgesamt soll das Interview ja umfassender Gaarders gesamtes Wirken und Werk ein bisschen zeigen.
Was er zum Antisemitismus sagt, finde ich richtig.