Entgegen allen Beteuerungen ist die auf Form und Sprache achtende, argumentativ-vergleichende Literaturkritik im Zeitungsfeuilleton längst auf dem Rückzug. Stattdessen wird einem biographistischen Literaturjournalismus gehuldigt, hauptsächlich bestehend aus Interviews, »Home Stories« und anderen, oft genug außerliterarischen Referenzen. Die Trivialisierung der Literaturkritik im Fernsehen schreitet allerdings noch stärker voran. An der Neuauflage des »Literarischen Quartetts« ist das gut sichtbar. Nach drei Sendungen kann man sich dahingehend ein Urteil bilden, dass das zarte Hoffnungs-Pflänzchen mit dem Namen »Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile«, welches man in Anbetracht der drei ständigen Diskutanten im Sommer noch hegte, an akuter Lieblosigkeit eingegangen ist.
Kurzer Blick zurück
Natürlich war die Hypothek des Reich-Ranicki-Quartetts sehr hoch. Sie wird nicht kleiner dadurch, dass man den Titel beibehielt (die Versuchung, einen »Kult« wiederzubeleben, war wohl zu groß). Vergessen oder verdrängt wurde auch, dass sich mit der Dauer der Reihe die Diskussionen unter Reich-Ranicki immer mehr in Richtung Entertainment entwickelten. Nach fünf Sendungen stieg Jürgen Busche aus, der das Gefühl seiner intellektuellen Überlegenheit nicht mehr verleugnen wollte und lieber Redenschreiber für Richard von Weizsäcker wurde. Die gestandene Literaturkritikerin Klara Obermüller hielt nur zwei Sendungen aus. Von da an entwickelten sich in der Stammbesetzung Reich-Ranicki, Karasek und Löffler mit der Zeit meist leicht vorhersehbare Interaktionen, die es für die vierte Person schwer machte, sich einzufügen, zumal Reich-Ranicki als Moderator das letzte Wort häufig für sich reklamierte.
Am Ende sollte den Zuseher nur interessieren, ob das Buch was »taugt«, wie sich der Moderator ausdrückte, und man dann zum nächsten »Fall« weitergehen könne. Als Löffler einmal das Wort »Fall« sanft kritisierend wiederholte, sah man Unverständnis ob solchen Feingefühls. Damit war man lange vor Facebook-Daumen und Amazon-Sternchen Trendsetter: Reich-Ranicks »Gefällt mir« galt in Smalltalks und auf Partys als Gottesurteil. Mehr wollte man nicht wissen; warum es gefällt (oder auch nicht), war für den klassischen Zwei-Buch-im-Jahr-Leser entbehrlich. Am Ende stolperte dann Sigrid Löffler über die Wucht der Komplexitätsreduktion. Als sie bei der Lobhudelei auf Haruki Murakami Altherrenlüsternheit diagnostizierte und auf literarische Kriterien pochte, wurde sie ad hominem angegriffen. Damit war die Sendung ihrer letzten literarisch-potenten Figur verlustig gegangen; Iris Radisch als Nachfolgerin blieb sich dahingehend treu, in Artikeln und Rezensionen zu poltern. In der Fernsehsendung nahm sie sich zurück.