Da­ni­el Kehl­mann: Licht­spiel

Licht­spiel ist von Da­ni­el Kehl­mann, hat fast 500 Sei­ten und ist ein Ro­man, ge­nau­er: ei­ne spe­zi­el­le Form von Künst­ler­bio­gra­phie. Im Zen­trum steht der deut­sche Film­re­gis­seur Ge­org Wil­helm Pa­bst (1885–1967), der sich ir­gend­wann G. W. Pa­bst nann­te. Seit den 1920er Jah­ren galt Pa­bst zu­sam­men mit Fritz Lang, Ernst Lu­bit­sch und Fried­rich Wil­helm Mur­nau als ei­ner der ...

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Ernst Lo­thar: Das Wun­der des Über­le­bens

Ernst Lothar: Das Wunder des Überlebens
Ernst Lo­thar:
Das Wun­der des Über­le­bens

Als Ernst Lo­thar sei­ne Au­to­bio­gra­phie »Das Wun­der des Über­le­bens« pu­bli­zier­te, war er 70 Jah­re alt. 1890 als Lo­thar Ernst Mül­ler in Brünn ge­bo­ren (der Va­ter war Rechts­an­walt, die Mut­ter »hat­te sich das La­chen früh­zei­tig ab­ge­wöhnt«), sie­del­te die Fa­mi­lie (es gab noch zwei äl­te­re Brü­der, Ro­bert, der früh ver­starb und der 1882 ge­bo­re­ne Hanns, der spä­ter als Hans Mül­ler-Ei­ni­gen als Ly­ri­ker und Dra­ma­ti­ker re­üs­sier­te) 1904 nach Wien. Lo­thar stu­dier­te Ju­ra und Ger­ma­ni­stik und pro­mo­vier­te 1914 zum Dr. jur. Aus sei­nen Rei­se­plä­nen nach En­de des Stu­di­ums wur­de nichts. Der Krieg brach aus. Im­mer­hin: Lo­thar wur­de (war­um auch im­mer) für kriegs­un­fä­hig er­klärt und zu ei­nem Staats­an­walt als Ge­hil­fe nach Wels ver­setzt. Er hei­ra­te­te 1914 und die Töch­ter Aga­the (*1915) und Jo­han­na (*1918, ge­nannt »Han­si«) kom­plet­tier­ten die Fa­mi­lie. Lo­thar hat­te be­reits wäh­rend des Stu­di­ums mit dem Schrei­ben an­ge­fan­gen; erst Ge­dich­te, dann Ro­ma­ne. Aus sei­ner Schrift­stel­ler­tä­tig­keit re­sul­tiert die Än­de­rung des Na­mens.

Wenn man die im Zsol­nay-Ver­lag er­schie­ne­ne Neu­auf­la­ge der »Er­in­ne­run­gen« Ernst Lo­thars (so der Un­ter­ti­tel des Bu­ches) ge­le­sen hat, er­kennt man drei Mo­men­te, die sein Le­ben nicht nur ge­prägt, son­dern exi­sten­ti­ell er­schüt­tert ha­ben. Da ist zu­nächst der Zu­sam­men­bruch der Do­nau­mon­ar­chie Öster­reich-Un­garn 1918. Aus 53 Mil­lio­nen wer­den plötz­lich nur mehr 7 Mil­lio­nen, die sich Öster­rei­cher nen­nen (durf­ten). Die »Macht und Herr­lich­keit oh­ne Bei­spiel« der »Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Eu­ro­pa« – so eu­pho­risch wird er im Rück­blick – ist zer­stört. Jetzt kann der Le­ser die Epi­so­de zu Be­ginn, die er­ste Kind­heits­er­in­ne­rung, bes­ser ein­ord­nen. Sie be­steht dar­in, dass Lo­thar ei­ne De­mon­stra­ti­on von Tsche­chen in sei­ner Ge­burts­stadt Brünn re­ka­pi­tu­liert, die für ei­ne Se­zes­si­on von Öster­reich-Un­garn ein­tre­ten. Jetzt ist es ein­ge­tre­ten: Sei­ne Hei­mat be­steht nur mehr als ein Tor­so. Er emp­fin­det es nichts we­ni­ger als ei­ne Ver­stüm­me­lung sei­nes Le­bens.

Als »sein« Land zu­sam­men­bricht, ist man im Buch auf Sei­te 30; noch wei­te­re 330 Sei­ten fol­gen. Und wer die­se Art von »hy­ste­ri­scher Lie­be«, wel­che »die Gren­zen des nor­ma­len Pa­trio­tis­mus« streift (so Da­ni­el Kehl­mann im Nach­wort) vor­ei­lig als Na­tio­na­lis­mus oder gar Chau­vi­nis­mus ab­tut, wird mit der wei­te­ren Lek­tü­re Schwie­rig­kei­ten ha­ben. Lo­thars Idea­li­sie­rung der k.u.k.-Monarchie ist nicht pri­mär po­li­tisch zu ver­ste­hen. Er macht sich kei­ne Mü­he, die po­li­ti­schen Im­pli­ka­tio­nen Öster­reich-Un­garns, die Struk­tu­ren der Min­der­hei­ten in dem Staats­ge­bil­de oder gar die Ur­sa­chen des Krie­ges zu ana­ly­sie­ren. Statt­des­sen sucht er nach dem Krieg Sig­mund Freud auf, um sich er­klä­ren zu las­sen, wie er den Ver­lust sei­ner Hei­mat über­win­den kön­ne. Die Ant­wort Freuds in der Be­schrei­bung die­ses Ge­sprächs ist ei­ner der Hö­he­punk­te des Bu­ches.

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Da­ni­el Kehl­mann: Du hät­test ge­hen sol­len

Daniel Kehlmann: Du hättest gehen sollen
Da­ni­el Kehl­mann:
Du hät­test ge­hen sol­len

Ein na­men­lo­ser Dreh­buch­schrei­ber fährt An­fang De­zem­ber mit Frau Su­san­na und der vier­jäh­ri­gen Toch­ter Esther in die Ber­ge. Sie ha­ben über AirBnB ein Haus an­ge­mie­tet. Der Mann muss un­be­dingt die Fort­set­zung sei­ner er­folg­rei­chen Film­ko­mö­die schrei­ben; der Produ­zent sitzt ihm im Nacken. Er lebt mit sei­nen Fi­gu­ren Ja­na und El­la, ent­wirft al­ber­ne Dia­lo­ge, ba­stelt an Beziehungs­problemen. All dies fin­det sich in ei­nem Ta­ge­buch, in dem er ne­ben sei­nen Dreh­buch­ent­wür­fen un­ter­schieds­los auch pri­va­te Din­ge wie die di­ver­sen Strei­te­rei­en mit Su­san­na (die im­mer­hin, im Ge­gen­satz zu ihm, ir­gend­wann ein­mal stu­diert hat) oder die eher put­zig-hilf­lo­sen Dia­lo­ge mit Esther no­tiert.

So wird der Le­ser Zeu­ge des sich fül­len­den Ta­ge­buchs und zu­wei­len ver­schwim­men die Gren­zen zwi­schen Schrei­be­rei und re­al Er­leb­tem. Es ist fast ein Drit­tel der Er­zäh­lung vor­bei, als der Au­tor mit dem Au­to die Ser­pen­ti­nen­stra­sse hin­un­ter ins Dorf in den Ge­mischt­wa­ren­la­den fährt. Nein, es ist kein schö­nes Dorf: ei­ne Stra­ße, ei­ne Kir­che und ge­gen­über der La­den. Al­le Kli­schees, die man von ei­nem Tan­te-Em­ma-La­den ab­seits der Tou­ris­mus­rou­ten in Bay­ern ha­ben kann, wer­den sorg­fäl­tig aus­ge­brei­tet. Der In­ha­ber ist lang­sam, schrul­lig und spricht Dia­lekt. Und der La­den ist teu­er. Vor al­lem aber macht er ein paar my­ste­riö­se An­deu­tun­gen zum Haus, fragt, wie es sich dort wohnt und ob er mit dem Be­sit­zer ge­spro­chen ha­be und rät schließ­lich un­ver­hofft: »Geht schnell weg.« Et­was Ge­heim­nis­um­wit­ter­tes brei­tet sich aus und nach der Rück­kehr vom Dorf­la­den wird das An­we­sen, zu­nächst als ge­räu­mig und fast lu­xu­ri­ös emp­fun­den, schnell zu ei­nem Spuk­haus. Die Toch­ter, die von den El­tern nachts mit ei­ner Vi­deo­ka­me­ra be­ob­ach­tet wird, kann nicht mehr schla­fen und auch Su­san­na fühlt sich un­wohl. Der Er­zäh­ler wird von al­ler­lei Merk­wür­dig­kei­ten er­schüt­tert. Er bleibt bei­spiels­wei­se im Spie­gel un­sicht­bar. Ein gru­se­li­ges Bild ei­ner Frau mit »eng bei­ein­an­der­lie­gen­den Au­gen« ist plötz­lich nicht mehr da. Alp­träu­me ver­ur­sa­chen zit­tern­de Hän­de. Rech­te Win­kel sind nicht mehr 90 Grad, son­dern 100 oder 80. Und wer hat »Geh weg« ins Ta­ge­buch ein­ge­tra­gen? Dann ent­deckt er auch noch auf dem Mo­bil­te­le­fon von Su­san­na zwei­deu­ti­ge SMS ei­nes ge­wis­sen Da­vid.

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»Nur, wenn sie müs­sen…«

Vom Elend von Dis­kus­sio­nen um Pla­gia­te bei Schrift­stel­lern

Fontaine-Duchamp
(Fo­to: By Mi­cha L. Rie­ser (Own work) [CC BY-SA 3.0 or GFDL ], via Wi­ki­me­dia Com­mons)

Über­sicht:

I. Von Kopf­jä­gern
II. In­ter­tex­tua­li­tät bzw.: »Man macht sich leicht lä­cher­lich«
III. Kast­ber­ger ./. Kehl­mann
IV. Epi­log – mit ei­nem Vor­schlag zur Gü­te

En dé­tail:

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Wol­lust des Un­ter­gangs – 100 Jah­re Tho­mas Manns »Der Tod in Ve­ne­dig« (Hg. v. Hol­ger Pils und Ker­stin Klein)

Wollust des Untergangs - 100 Jahre Thomas Manns "Der Tod in Venedig"
Wol­lust des Un­ter­gangs – 100 Jah­re Tho­mas Manns »Der Tod in Ve­ne­dig«

1912, vor ein­hun­dert Jah­ren, er­schien Tho­mas Manns No­vel­le »Tod in Ve­ne­dig«. An­lass für ei­ne Sonderaus­stellung des Hein­rich-und-Tho­mas-Mann-Zen­trums (bis 28.5. im Bud­den­brook­haus in Lü­beck; ab Herbst dann in Mün­chen) mit dem et­was knal­li­gen Ti­tel »Wol­lust des Un­ter­gangs«. Wer die Aus­stel­lung nicht be­su­chen kann, soll­te sich den opu­len­ten, gleich­na­mi­gen Band des Wall­stein-Ver­lags zu­le­gen, der nicht nur als Ka­ta­log zur Aus­stel­lung fun­giert son­dern auch wie ein sol­cher duf­tet. Ne­ben sechs Auf­sät­zen, die, wie die In­itia­to­ren Ker­stin Klein und Hol­ger Pils her­vor­he­ben, »ei­gens für die­sen Band ver­fasst« wur­den, gibt es vier Es­says von Schrift­stel­ler­kol­le­gen (Wolf­gang Koep­pen, Ma­rio Var­gas Llosa, Da­ni­el Kehl­mann und Her­bert Ro­sen­dor­fer), wo­von nur Ro­sen­dor­fers kur­zer Bei­trag neu ist. Da­nach wer­den auf über 60 Sei­ten (»Ga­le­rie«) in präch­ti­ger Qua­li­tät di­ver­se Zeich­nun­gen, Aqua­rel­le, Col­la­gen und Bil­der von 21 Künst­lern ge­zeigt in de­nen der Au­tor, Ve­ne­dig und Sze­nen aus der No­vel­le the­ma­ti­siert wer­den.

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Vi­deo­wän­de und Spa­ghet­tie­ssen

Da­ni­el Kehl­manns Re­de bei der Er­öff­nung der Salz­bur­ger Fest­spie­le. Das Pu­bli­kum ver­mag den Eklat ge­ra­de noch weg­zu­la­chen. Kehl­mann spricht von sei­nem Va­ter Mi­cha­el Kehl­mann, ei­nem Thea­ter­re­gis­seur, der sich dem in den 70er Jah­ren auf­kom­men­den Trend des »Re­gie­thea­ters« wi­der­set­ze und sich aus­drück­lich als Die­ner der Au­toren ver­stand, et­was was da­mals als per se re­ak­tio­nä­res Un­ter­fan­gen galt. Er ging un­ter in ei­nem Kli­ma der Re­pres­si­on, in der Ab­wei­chung ge­äch­tet ist.

Das Re­gie­thea­ter heu­te sei zum Pri­vat­ver­gnü­gen folg­sa­mer Pil­ger de­ge­ne­riert und ha­be sich weit­ge­hend von Stück und Au­tor ent­fernt. Die Fol­ge sei: Die Au­toren hiel­ten sich zu­rück.

Statt­des­sen im­mer das Glei­che, so Kehl­mann, aus­län­di­sche Freun­de zi­tie­rend: Vi­deo­wän­de und Spa­ghet­tie­ssen, ver­schmier­te Schau­spie­ler, die dau­ernd her­um­schrei­en. Ob dies, so süf­fi­sant ein­ge­streut, staat­lich vor­ge­schrie­ben sei, frag­ten die Freun­de. Kehl­mann dia­gno­sti­ziert ein fa­ta­les Bünd­nis zwi­schen Kitsch und Avant­gar­de, wo­bei er hier lei­der ein biss­chen un­ge­nau wird in sei­ner an­son­sten fei­nen Re­de, denn Avant­gar­de ist das nicht mehr, son­dern nur noch Si­mu­la­ti­on von dem, was die­se be­mit­lei­dens­wer­ten Pseu­do-Re­gis­seu­re für Avant­gar­de hal­ten.

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