Vi­deo­wän­de und Spa­ghet­tie­ssen

Da­ni­el Kehl­manns Re­de bei der Er­öff­nung der Salz­bur­ger Fest­spie­le. Das Pu­bli­kum ver­mag den Eklat ge­ra­de noch weg­zu­la­chen. Kehl­mann spricht von sei­nem Va­ter Mi­cha­el Kehl­mann, ei­nem Thea­ter­re­gis­seur, der sich dem in den 70er Jah­ren auf­kom­men­den Trend des »Re­gie­thea­ters« wi­der­set­ze und sich aus­drück­lich als Die­ner der Au­toren ver­stand, et­was was da­mals als per se re­ak­tio­nä­res Un­ter­fan­gen galt. Er ging un­ter in ei­nem Kli­ma der Re­pres­si­on, in der Ab­wei­chung ge­äch­tet ist.

Das Re­gie­thea­ter heu­te sei zum Pri­vat­ver­gnü­gen folg­sa­mer Pil­ger de­ge­ne­riert und ha­be sich weit­ge­hend von Stück und Au­tor ent­fernt. Die Fol­ge sei: Die Au­toren hiel­ten sich zu­rück.

Statt­des­sen im­mer das Glei­che, so Kehl­mann, aus­län­di­sche Freun­de zi­tie­rend: Vi­deo­wän­de und Spa­ghet­tie­ssen, ver­schmier­te Schau­spie­ler, die dau­ernd her­um­schrei­en. Ob dies, so süf­fi­sant ein­ge­streut, staat­lich vor­ge­schrie­ben sei, frag­ten die Freun­de. Kehl­mann dia­gno­sti­ziert ein fa­ta­les Bünd­nis zwi­schen Kitsch und Avant­gar­de, wo­bei er hier lei­der ein biss­chen un­ge­nau wird in sei­ner an­son­sten fei­nen Re­de, denn Avant­gar­de ist das nicht mehr, son­dern nur noch Si­mu­la­ti­on von dem, was die­se be­mit­lei­dens­wer­ten Pseu­do-Re­gis­seu­re für Avant­gar­de hal­ten.

Ich hal­te Kehl­mann für ei­nen über­schätz­ten Schrift­stel­ler. Aber er hat hier ei­nen ziem­li­chen Mut ge­wie­sen, in der Höh­le des Lö­wen den Lö­wen auf die Nach­tei­le des Fleisch­kon­sums hin­zu­wei­sen. Da­für zie­he ich mei­nen Hut.


Hier Aus­schnit­te aus der Kehl­mann-Re­de im Vi­deo­stream. Hier ei­ne kur­ze Zu­sam­men­fas­sung. Und jetzt hier die gan­ze Re­de.


Dank an Me­tep­si­lo­n­e­ma für den Hin­weis.


26 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Kehl­mann hat sei­ne ‘Ver­mes­sung der Welt’ zu 50% von T.C. Boyle ab­ge­schrie­ben: ‘Was­ser­mu­sik’ Schmä­lert das sei­nen Ruf? Eher nicht!

  2. 50% ist aber viel...
    (Ich ha­be mir nach »Ich und Ka­mi­ski« ei­ne bis heu­te an­dau­ern­de Kehl­mann-Pau­se ge­gönnt. Ich fand das Buch schreck­lich. Sei­ne Äu­sse­run­gen zu »Ruhm« fand ich sehr mar­ke­ting­af­fin. Schmä­lert das sei­ne Kom­pe­tenz zum Re­gie­thea­ter et­was zu sa­gen? Für mich nicht.)

  3. Ab­ge­schrie­ben!?
    Stimmt, ei­gent­lich hat sich Kehl­mann nicht nur von Ste­phen­sons Ba­ro­que Cy­cle in­spi­rie­ren las­sen; Boyle und Wa­ter Mu­sic sind da auch ganz hef­tig Pa­te ge­stan­den; ich fin­de, das macht nichts, in der deutsch­spra­chi­gen Li­te­ra­tur ge­hen sol­che Din­ge eh ziem­lich ab.
    Ich mei­ne, ich ha­be ja nicht so viel ge­le­sen, aber mög­li­cher­wei­se geht die­ser ‘re­spekt­lo­se’ Um­gang in der dt. Li­te­ra­tur schon seit Jean Paul mas­siv ab?
    Und na­tür­lich darf Kehl­mann sich zum Thea­ter äu­ßern wie je­der, der sich da­für in­ter­es­siert.

    [EDIT: 2009-08.18 11:16]

  4. In ei­ner Pro­vinz­stadt wie Se­at­tle
    wae­ren mir die mir be­kann­ten we­ni­gen be­ruehm­ten Ame­ri­ka­ni­schen »Re­gie­thea­ter­ma­cher« Ro­bert Wil­son und Pe­tar Sel­lars [des­sen Othel­lo in Wien schein­bar Wel­len schlaegt] schon sehr will­kom­men. Der wacke­re Bert Shar der jetzt zu­rueck nach New York kehrt nach­dem er or­dent­li­che Sa­chen am In­ti­man Thea­ter
    http://web.archive.org/web/20160323015037/http://www.intiman.org/
    ge­macht hat [das Othel­lo das hier jetzt spielt ist im­por­tiert und eher schwach au­sser ei­nem ganz gross­ar­ti­gen Iago, John Cam­pi­on, der ein­zie­ge der Schau­spie­ler der die Bri­ti­sche Schu­lung zum Shake­spear­dar­stel­ler und Spre­cher in­tus hat.] Ich hab noch nicht die gan­ze Kehl­mann Re­de ge­hoert – ob der Streit zwi­schen Re­gie und Au­toren Thea­ter aus­schliess­lich auf »links« »rechts« po­li­tisch auf­ge­teilt wer­den kann, be­zwei­fe­le ich aber jetzt schon, denn die Sen­kung an In­ter­es­se und Wich­tig­keit des Thea­ters, so­wie als mo­ra­li­sche An­stalt und als Gau­di liegt doch an dem ueber­hand­neh­men an­de­rer Me­di­en? nicht war? Mal wie­der Di­ka­tur und mehr Un­frei­heit! Dann wird schon wie­der auf­ge­passt auf Nu­an­cen der In­ter­pre­ta­ti­on.

  5. Wil­son und Sel­lars meint Kehl­mann si­cher­lich nicht. An­drea Breth und auch Stein, Dorn oder so­gar Pey­mann eher auch nicht. In Deutsch­land gibt es Re­gis­seu­re wie bspw. Cas­torf (Ber­lin), Gots­cheff oder auch Ciu­l­li, die sich sel­ber auch schon mal als »Werks­zer­trüm­me­rer« be­zeich­nen. Gots­cheffs In­sze­nie­rungs­kün­ste ha­be ich mehr­fach in Düs­sel­dorf er­lebt – ko­pu­lie­ren­de Men­schen auf der Büh­ne und Tex­te, die mit dem Stück nichts mehr zu tun hat­ten.

    Es gibt das al­les auch in mil­de­rer Form; neu­lich ha­be ich ei­ne Dür­ren­matt-In­sze­nie­rung der »al­ten Da­me « ge­se­hen, in der ein Düs­sel­dor­fer Kar­ne­vals­lied an­ge­stimmt wur­de.

    Es sind tat­säch­lich Re­ste ei­ner frü­her ein­mal »lin­ken« Sicht auf die ver­kru­ste­ten Struk­tu­ren, die man im Thea­ter na­tür­lich auch zer­trüm­mern woll­te. Da­bei ge­hen dann in­zwi­schen die Leu­te, wie Kehl­mann rich­tig sagt, lie­ber ei­nen Ro­man kau­fen oder schau­en ei­ne ame­ri­ka­ni­sche Fern­seh­se­rie.

    Vie­le der deut­schen Thea­ter­re­gis­seu­re sind Ego­ma­nen, die sich nicht the­ra­pie­ren als­sen, son­dern das Pu­bli­kum mit ih­rer Krank­heit be­lä­sti­gen.

    Das Schlim­me ist: Die­se ge­quirl­te Schei­sse wird vom Steu­er­zah­ler auch noch sub­ven­tio­niert. Nur des­halb kön­nen sie wei­ter­quir­len.

  6. Le­on­ce und Le­na
    Ich wür­de Wil­son da auch nicht ein­be­zie­hen wol­len. Sei­ne In­sze­nie­run­gen sind ziem­lich »ar­ti­fi­zi­ell«, Auf­füh­run­gen die ich ge­se­hen ha­be, blie­ben aber ex­akt am Text des Stückes.

  7. Un­frei­heit?
    Man sieht, wie es auf den Kon­text an­kommt: in Se­at­tle freut man sich über Wil­son und Sel­lars, hier na­tür­lich auch; aber un­term Jahr ist man in Salz­burg ei­gent­lich auch ganz glück­lich, wenn das Lan­des­thea­ter ‘brav’ für ein su­per­kon­ser­va­ti­ves Abo­nenn­ten­pu­bli­kum Stücke ‘werk­ge­treu’ ab­spielt; zu­min­dest geht es mir so. Ich ha­be die or­dent­li­chen Opern­in­sze­nie­run­gen, die aus Ko­sten­grün­den oh­ne Stars ge­macht wur­den, auch im­mer toll ge­fun­den; das hat sich mitt­ler­wei­le aus ver­schärf­ten Ko­sten­grün­den lei­der er­le­digt.
    Ich möch­te aber kei­ne neue Dik­ta­tur, da­mit man wie­der auf die Nu­an­cen ei­ner werk­treu­en In­sze­nie­rung hö­ren lernt.

    [EDIT: 2009-08-18 11:38]

  8. Al­so »zer­truem­mern« und De­kon­struk­ti­on sind ver­schie­de­ne Sa­chen...
    De­kon­struk­ti­on, wie so vie­les, stammt aus psy­cho­ana­ly­ti­schen Ver­fah­ren her, die im All­ge­mei­nen an­de­re als die ge­wohn­ten Ak­zen­te set­zen. Wie steht/ stand es mit Schlin­gen­sief? Ich les manch­mal Deut­sche Thea­ter Re­zen­sio­nen, aber was da ueber vie­les von dem we­ni­gen was ich ken­ne ver­zapft wird, laesst mich auf die Re­zen­sio­nen nicht viel Ver­lass ha­ben.

  9. Schlin­gen­sief hat sich wohl ein biss­chen ge­bän­digt. Von De­kon­struk­ti­on kann bei Leu­ten wie Cas­torf kei­ne Re­de sein, der Stücke »zer­stör­te«: die Tex­te hat­ten mit dem Stück nichts mehr zu tun (es wa­ren eher sei­ne ei­ge­nen); die Prot­ago­ni­sten schrie­en und/oder be­schmier­ten sich oder ko­pu­lier­ten per­ma­nent auf der Büh­ne. Cha­rak­ter­bil­dun­gen gab es da kei­ne mehr. Das galt bis vor kur­zem als »avant­gar­di­stisch«. Es ist schon wie Kehl­mann sagt: Wer das nicht emp­fin­den woll­te galt als Spie­ßer oder schlim­me­res.

  10. Cas­torf / Mül­ler
    Viel­leicht set­ze ich mich hier­mit in die Nes­seln: vor vie­len Jah­ren gabs von Cas­torf ‘Pen­si­on Schöl­ler’ ver­schnit­ten mit Mül­lers ‘Schlacht’. Ich habs lei­der nur auf Vi­deo ge­se­hen, fand es aber zum Brül­len im be­sten Sinn; na­tür­lich wie­der in­si­de­risch – ich würg­te da­mals furcht­bar an mei­ner Hei­ner Mül­ler-Diss, und fand die beid­sei­ti­ge Ver­ar­schung ein­fach groß­ar­tig. Im Üb­ri­gen hat Hei­ner Mül­ler selbst auf ‘Werk­treue’ kei­ner­lei Wert ge­legt, wie soll­te das bei die­sen Text- / Zi­tat-Ver­dich­tun­gen auch ge­hen; na­ja: sei­ne ei­ge­ne Ham­let / Ham­let­ma­schi­ne-In­sze­nie­rung am DT war ei­gent­lich sehr ‘brav’; da wur­de auch von der Ham­let­ma­schi­ne der Text fast mehr re­zi­tiert als ge­spielt; Pro­blem wa­ren nur Län­ge und Dun­kel­heit (gähn...) und die da­mals schon sehr ‘west­li­chen’ Prei­se am Pau­sen­buf­fet ;–).

    [EDIT: 2009-08-18 11:04]

  11. Was mir zu dem The­ma noch ein­faellt ist die­ses:
    Wenn ich auf ei­ne Ueber­schrift wie »Fa­des Co­si« in der Klei­nen Zei­tungs sto­sse,

    ueber die Auf­fueh­rung in Salz­burg: die un­ge­heu­re Ver­woehnt­heit der Re­zen­sen­ten die das Pu­bli­kum zu Pra­li­nen Wuen­schen an­lei­ten: wo ist das »gut ge­nug« ge­blie­ben? Je­der will im­mer May­bach fah­ren! Auf wel­che Art und Wei­se ver­hunzt die im­mer an­dau­e­r­en­de uns in die Trau­e­me ver­fol­gen­de Ad­ver­sing uns in un­se­rer al­les ver­schlin­gen­den Kon­sum Kul­tur??

  12. Ge­nau!
    Wie ent­la­stend, die­ses state­ment! Darf’s auch ein­fach mal or­dent­lich in­sze­niert sein, mu­si­ka­lisch an­spre­chend, oh­ne grund­stür­zend neue Sicht­wei­sen? Nur Re­zen­sen­ten jet­ten ei­gent­lich von Pre­mie­re zu Pre­mie­re, vie­le an­de­re wol­len ein­fach mal ei­ne Oper auf der Büh­ne se­hen und hö­ren. Wie nor­mal und ‘lang­wei­lig’ ...

    [EDIT: 2009-08-18 10:15]

  13. Man muss deut­lich sa­gen, dass man­che Thea­ter am Ran­de ih­rer Exi­stenz ste­hen. Die Städ­te le­ben da­von, dass es in ih­rem Ge­mein­we­sen ei­nen in­ter­es­sens­frei­en Dis­kurs gibt. Wirt­schaft und Po­li­tik ver­tre­ten ih­re In­ter­es­sen, Kunst und Kul­tur be­nö­ti­gen den Raum, um sich auf die­se In­ter­es­sen zu be­zie­hen, der aber auch ge­schützt sein muss.

    In­ter­es­sens­frei­er Dis­kurs? Das gibt es gar nicht (weiss Khuon ganz ge­nau). Er will nur Sub­ven­tio­nen und stellt in­di­rekt die un­zu­tref­fen­de Glei­chung auf: Min­der­heits­pro­gramm = gu­tes Pro­gramm. Da­von le­ben die­se sub­ven­tio­nier­ten Stadt­thea­ter­räu­ber seit vier­zig Jah­ren.

    Khuons Aus­sa­gen be­inhal­ten nur po­li­ti­sche und/oder öko­no­mi­sche State­ments. Wie ein äs­the­tisch an­spruchs­vol­les Thea­ter aus­se­hen soll, was nicht zur Trieb­be­frie­di­gung we­ni­ger Teil­neh­mer bei­trägt, sagt er (aus gu­tem Grund) auch nicht. Er will lie­ber, dass al­les so wei­ter­geht. Wäh­rend­des­sen lee­ren sich die Thea­ter­räu­me im­mer mehr.

    Wenn man die­ses In­ter­view ge­le­sen hat, weiss man ei­gent­lich, wie un­in­ter­es­sant und un­in­spi­riert Thea­ter im Mo­ment ist; ins­be­son­de­re, wenn es ideo­lo­gisch über­frach­tet wird.

    [EDIT: 2009-08-03 17:22]

  14. noch was ueber re­gie thea­ter...
    http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=me&dig=2009/08/01/a0203&cHash=7d6c0e939e

    mal se­hen wo­hin das al­les aus­le­uft, wer da her­aus­ge­or­fen wird... und was sich da aen­dern wird... zu noch was schlim­me­ren? schoe­nes grass in­te­riew in der sams­tag 1 august/ 09 aus­ga­be der frank­fur­ter
    rund­schau... des­sen was er an mei­nun­gen er von sich gibt mir viel mehr ge­fal­len als sei­ne schwer­fael­li­gen ro­ma­ne jetzt.

  15. Schö­ner Ar­ti­kel. Lott­mann stim­me ich voll zu. Frau Mül­ler hat schon re­si­gniert und sucht nur noch die Per­len im Mist­hau­fen. Sie un­ter­stellt Kehl­mann Igno­ranz. Das ist sie aber sel­ber, weil sie nicht zur Kennt­nis nimmt, dass äs­the­ti­sche Su­che, die sie aus­macht, längst nur noch ein Kreis­ver­kehr in die Sack­gas­se ist.

    Die Leu­te blei­ben nicht weg, weil es sie skan­da­li­siert, son­dern weil es sie lang­weilt. Das ist – An­spruch hin oder her – im­mer noch ei­ne Tod­sün­de und un­mit­tel­ba­rer Aus­druck ge­schei­ter­ter äs­the­ti­scher Mit­tel.

  16. Schö­ne Sät­ze
    spricht Herr Kelhmann da zum Teil. Der Ten­denz der vor­an­ge­gan­ge­nen Kom­men­ta­re kann ich mich nur an­schlie­ßen. Das letz­te Mal, dass ich in ei­nem der ge­stan­de­nen Ber­li­ner Thea­ter war, saß ich nur noch kopf­schüt­telnd im Saal: Von Ib­sens Bau­mei­ster Soll­ness war nichts üb­rig ge­blie­ben; statt­des­sen ging es der Re­gie trau­ri­ger­wei­se nur noch dar­um, Be­zie­hungs­ki­sten zu in­sze­nie­ren, die im Stück noch nicht ein­mal an­satz­wei­se an­ge­deu­tet sind. Haupt­sa­che, ein­mal am Abend huscht je­mand nackt über die Bret­ter und treibt’s mit je­mand an­de­rem.

    Ich drif­te ab; ich woll­te ei­gent­lich al­lein Kehl­manns Schluss­satz (zu­min­dest der Schluss­satz die­ses Zu­sam­men­schnitts) zi­tie­ren, weil ich ihn – wie Du Gre­gor, schon über die ge­sam­te Re­de schreibst – mu­tig fin­de, auf­rich­tig: Frü­her oder spä­ter kommt viel­leicht für je­den Künst­ler der Au­gen­blick, da sein Weg und der Zeit­ge­schmack sich tren­nen. Häu­fig ist Be­har­ren ein Zei­chen der Ver­stock­heit; manch­mal aber auch das ein­zig Rich­ti­ge. Es wä­re er­leich­ternd, ja: er­leich­ternd, zu se­hen, es gä­be die Ein oder An­de­re, den Ein oder An­de­ren, der ihm mit ei­ner sol­chen Stel­lung­nah­me öf­fent­lich folg­te.

  17. Viel­leicht...
    ist die Zeit ja ein­fach noch nicht »reif« hier­zu fol­gen: Noch gilt es als avant­gar­de-feind­lich, die sa­kral da­her­kom­men­den In­sze­nie­rungs­künst­ler so fron­tal an­zu­grei­fen. Noch hilft ih­nen die­se selbst­ge­klöp­pel­te Rit­ter­rü­stung des Pro­gres­si­ven, um die At­tacken der »Re­gres­si­on« oh­ne Ver­wun­dung zu pa­rie­ren. Zu sehr ist der Ap­pa­rat in­zwi­schen ge­ölt; man den­ke auch an die sehr gu­ten Ge­häl­ter die­ser Stücke­zer­trüm­me­rer, die noch nach Be­lie­ben ih­re ver­koch­ten Kar­tof­feln als De­li­ka­tes­se an­prei­sen. Es lebt sich doch so gut von den Sub­ven­tio­nen der­je­ni­gen, die als Fei­gen­blatt für ihr Ba­nau­sen­tum an­de­re Ba­nau­sen non­cha­lant fi­nan­zie­ren. (Nein, das ist kein Plä­doy­er für die Mas­sen­kom­pa­ti­bi­li­tät des Thea­ters oder gar von Kunst, son­dern ex­akt das Ge­gen­teil.)

  18. Re­gie­thea­ter und bö­se Ab­sicht
    Ich fin­de Kri­tik am Re­gie­thea­ter zu­läs­sig und oft see­ehr an­ge­mes­sen; mir ist zu­letzt ‘das Ge­impf­te auf­ge­gan­gen’, als man mir letz­tes Jahr auf der (Salz­bur­ger Fest­spiel-) Per­ner-In­sel ei­nen ‘Tar­tuf­fe’ mit Hei­ner Mül­ler-Zi­ta­ten auf­ge­motzt zur Welt­un­ter­gangs-/Schlacht­haus­phan­ta­sie ‘ver­edelt’ rein­drücken woll­te. Da füh­le ich mich als ‘mün­di­ger’ Le­ser und Thea­ter­ge­her ver­arscht; Mo­lie­re und Hei­ner Mül­ler wer­den da schon gar miss­braucht. Da hält mich nur noch der Re­spekt vor der Lei­stung der Schau­spie­ler im Ses­sel.
    Hat aber nichts mit Vi­deo­wän­den und an­geb­lich ewi­gem Spa­ghet­ti-Es­sen zu tun; wie oft geht Kehl­mann ei­gent­lich ins Thea­ter; oder ich zu sel­ten?
    Vi­deo­wän­de: wer war das vor ei­ni­gen Jah­ren in Salz­burg? Eh Schlin­gen­sief (oder Pa­pa Cas­torf?) mit der ‘End­sta­ti­on Sehnsucht’-Verwurschtung? Da­ge­gen hat­te ich gar nichts, aber erst, als Ti­tel und Au­tor­zei­le ge­än­dert wa­ren. Sun­nyi Mel­les hat in ih­rer Re­ak­ti­on auf Kehl­mann (Salz­bur­ger Nach­rich­ten) in al­ler Ge­las­sen­heit das klei­ne Wört­chen ’nach’ (Au­tor so­wie­so) ins Spiel ge­bracht, und al­ter­na­tiv noch auf Hei­ner Mül­lers ‘Ham­let­ma­schi­ne’ ver­wie­sen. Der konn­te sich da­mit so­gar das Wort Be­ar­bei­tung spa­ren. Es kann ganz leicht ge­hen; und da­mit fal­len die ewi­gen Dis­kus­sio­nen um die ‘Pro­spekt­wahr­heit’ weg; ein biss­chen halt auch der Pro­vo­ka­ti­ons­cha­rak­ter; der hat sich so­wie­so längst er­schöpft; gibt doch wg ‘Kunst’ kei­ne Saal­schlach­ten mehr – oder hab ich et­was ver­säumt?

  19. Das Wört­chen...
    »nach« gibt es ja schon (we­nig­stens teil­wei­se), was den Miß­brauch (eh’ ein Mo­de­wort ge­wor­den, war­um al­so nicht auch hier an­wen­den: »Au­toren­miß­brauch« et­wa) nur ein biss­chen mil­dert. Es ist eben sehr ver­füh­re­risch un­ter Vor­spie­ge­lung fal­scher Tat­sa­chen Leu­te ins Thea­ter zu locken, die bei kla­rer Dik­ti­on eh zu Hau­se blei­ben wür­den (und ir­gend­wann dann blei­ben).

    Und wie Sie und Mi­cha­el schon schrei­ben: Der Thea­ter­be­trieb (noch mehr wie der Li­te­ra­tur­be­trieb) ist fast nur noch selbst­re­fe­ren­ti­ell für sich sel­ber da. So geht das »Ba­sis­wis­sen« über ein Stück (die »werk­treue In­sze­nie­rung«) ein­fach ver­lo­ren, weil die Re­gis­seu­re He­ge­mo­ne des Gei­stes sind und die Sin­ne der Zu­schau­er ver­stop­fen mit ih­ren Idio­syn­kra­si­en.

  20. Ich ver­ste­he...
    ... den Ein­wand nicht: Noch gilt es als avant­gar­de-feind­lich, die sa­kral da­her­kom­men­den In­sze­nie­rungs­künst­ler so fron­tal an­zu­grei­fen. Der Ver­gleich ist ver­mut­lich un­taug­lich, aber was zum Ge­gen­stand ei­ner Kri­tik wird, ent­schei­det doch bit­te nicht die Zeit, die noch nicht reif ist. Ich stel­le mich auf Fach­kon­fe­ren­zen auch an’s Vor­trags­pult und wer­fe mei­nem Pu­bli­kum ähn­li­che Sät­ze wie Dei­nen vor, dass par­al­lel zum Thea­ter­be­trieb auch die Mas­se der gei­stes­wis­sen­schaft­li­chen Aka­de­mie fast nur noch selbst­re­fe­ren­ti­ell für sich sel­ber da ist. Die Be­fürch­tung, dass das nie­mand hö­ren möch­te, hat­te ich auch; was mich aber nicht da­von ab­hielt, es zu sa­gen. Ich ver­ste­he die­ses schnel­le klein Bei­geben nicht. Um Dein Bild auf­zu­grei­fen: Mag sein, dass der Mo­tor gut ge­ölt ist, aber oh­ne neue­re Bau­tei­le kommt er ein­fach nicht aus.

  21. Re­pres­si­on?
    Noch ein­mal zu­rück zu Kehl­mann; er schafft es glatt, das Re­gie­thea­ter mit ‘links’ und dies mit ‘Kli­ma der Re­pres­si­on’ zu ver­bin­den.
    Ich zweif­le nicht dar­an, dass Kehl­mann se­ni­or auch zu Zei­ten des ‘Aus­bruchs’ des Re­gie­thea­ters an vie­len Stadt- und Lan­des­thea­tern mit Hand­kuss ge­nom­men wor­den wä­re; ich kann nur ver­mu­ten, dass er das als Star nicht woll­te. Wä­re ei­ne le­gi­ti­me Ent­schei­dung.
    Wo aber ist die Re­pres­si­on? Wirk­li­che Re­pres­si­on gab es im Öster­reich der Nach­kriegs­zeit; der so­ge­nann­te Brecht­boy­kott (na­tür­lich gab es in Öster­reich nie ei­nen of­fi­zi­el­len Ra­di­ka­len­er­lass, das hat man schon an­ders hin­ge­kriegt), Gott­fried von Ein­ems kur­ze Zeit bei den Salz­bur­ger Fest­spie­len; der Um­gang mit den we­ni­gen Kom­mu­ni­sten in Wien; die hat­ten im­mer­hin ihr ei­ge­nes, klei­nes Thea­ter, die Sca­la ...
    Al­les kei­ne Front­li­ni­en ent­lang ‘links=Regietheater’, war al­les ja auch frü­her.
    Ein ech­tes Pro­blem ist zwei­fel­los, wenn Sub­ven­tio­nen ‘wett­be­werbs­ver­zer­rend’ wir­ken; ein Thea­ter (wo­mit auch im­mer) leer zu spie­len und es pas­sier­te nichts. Kon­junk­tiv; es pas­siert seit lan­gem et­was, wie wir zu Zei­ten schrump­fen­der Kul­tur­bud­gets wis­sen!
    Was Kehl­mann als ‘wun­der­ba­ren’ Teu­fels­kreis kon­stru­iert; Regie=Urheber – Au­tor hält sich zu­rück, etc. stimmt so ge­ne­rell nicht. Ge­ra­de die Salz­bur­ger Fest­spie­le, als rich­ti­ger Kul­tur­kon­zern, der rei­che Ein­zel­gä­ste eben­so braucht wie fi­nanz­kräf­ti­ge Spon­so­ren, schaf­fen seit lan­gem den Spa­gat al­len et­was zu lie­fern; al­les an­de­re wä­re auch das To­des­ur­teil, und das wis­sen die Da­men und Her­ren im Di­rek­to­ri­um ge­nau.
    Re­gie = Ur­he­ber: ein ex­trem po­si­ti­ves Bei­spiel war heu­er die »Judith«-Produktion auf der Per­ner-In­sel; die Mon­ta­ge aus Bi­bel- und Heb­bel-Tex­ten mit mu­si­ka­lisch per­fekt ge­brach­ten Vi­val­di-Opern­aus­schnit­ten (Ko­pro­duk­ti­on mit Schau­spiel und Staats­oper Stutt­gart); hier hat der Re­gis­seur zu­sam­men mit Co-Text­lie­fe­ran­tin An­ne Tis­mer zwei­fel­los Ur­he­ber­rech­te an­zu­mel­den.
    Was mich am Bei­trag von ANH wei­ter oben wun­dert: ist es wirk­lich so schwie­rig, Schau­spie­ler zu fin­den, die Ver­maß spre­chen kön­nen? Ich fin­de das dau­ernd; in die­ser Stutt­gart-Ko­pro­duk­ti­on, bei An­drea Breth, wo im­mer sie in­sze­niert, auch am klei­nen, an­geb­lich so ex­pe­ri­men­tel­len Toi­haus in Salz­burg, an dem ich einst ge­ar­bei­tet ha­be. Viel­leicht liegt es dar­an, dass die Be­set­zungs­bü­ros die­ses Kri­te­ri­um gar nicht in ih­rer Kar­tei füh­ren und so­mit gar nicht wis­sen, dass et­wa der ge­eich­te Wer­be­spre­cher xy das pro­blem­los könn­te?
    Klar je­den­falls, dass die heu­te 30-jäh­ri­gen am Gym­na­si­um wohl kei­ne Schil­ler-Bal­la­den mehr aus­wen­dig ler­nen muss­ten, und schon gar kei­nen Ho­mer im Ori­gi­nal; und Hei­ner Mül­ler mit sei­nen ver­track­ten Vers­ma­ßen ist auch schon ei­ne Zeit lang aus der Mo­de ...

  22. @willyam
    Schön den Fin­ger in die Wun­der ge­legt. Ich mein­te le­dig­lich: Die Zeit ist nicht reif, ei­ne ent­spre­chen­de Ar­gu­men­ta­ti­on über­haupt nur an­zu­neh­men; – und das im fast wört­li­chen Sinn.

    Am kon­kre­ten Bei­spiel der Kri­tik des Re­gie­thea­ters: Der­je­ni­ge, der die Ex­zes­se dort kri­ti­siert gilt so lan­ge als Pa­ria, bis sich der Main­stream (wal­se­risch: Zeit­geist) dem an­nimmt. Es ist lei­der nicht im­mer so ein­fach wie im Mär­chen um des Kai­sers neue Klei­der als das Kind aus­ru­fen konn­te, dass der Kai­ser nackt war. Das sa­hen al­le – al­lei­ne: es trau­te sich nie­mand zu sa­gen, weil sie ja an­son­sten für »dumm« gal­ten.

    Das ist heu­te nicht an­ders. Des­halb kann das al­les ge­sagt wer­den (und auch mit Recht) – al­lei­ne: es kommt auf den Mul­ti­pli­ka­tor an, der es sagt. Ich kann mir hier im Blog die Fin­ger wund schrei­ben – es be­kommt ma­xi­mal ein Na­se­rümp­fen. Wenn Kehl­mann das sagt, dann wird es min­de­stens dis­ku­tiert. Der Lauf der Dis­kus­si­on in den Feuil­le­tons zeigt, dass die­je­ni­gen, die an die­sem Mum­pitz-Thea­ter sehr gut ver­die­nen, noch ein­mal die Kur­ve krie­gen. D. h. die Ab­wehr­waf­fen funk­tio­nie­ren noch; der An­griff konn­te zu­rück­ge­schla­gen wer­den (zwar un­ter Ver­lu­sten, aber im­mer­hin).

    Kehl­manns Achil­les­ver­se war die Ar­gu­men­ta­ti­on mit sei­nem Va­ter – je­der un­ter­stellt ihm jetzt per­sön­li­che Mo­ti­ve. Da­bei geh­te s doch – so die Geg­ner Kehl­manns – um die »Kunst«. Hät­te er tat­säch­lich ei­nen me­dia­len Hype um sei­ne At­tacke ge­schmie­det, d. h. sich als avant­gar­di­stisch ge­riert, wä­re die Sa­che viel­leicht an­ders ver­lau­fen.

    Das »klein bei­geben«, wel­ches von Dir (zu Recht) kri­ti­siert wird, ist letzt­lich nur ei­ne Fol­ge von – sor­ry, das klingt ein biss­chen alt­vä­ter­lich jetzt – Er­fah­rung.

  23. @wemo
    Sie ha­ben si­cher­lich ei­ne bes­se­re Über­sicht was das Thea­ter an­geht als ich. Und – das mei­ne ich Ernst: Sie be­ur­tei­len die öster­rei­chi­sche Thea­ter­sze­ne. Das ist noch et­was ganz an­de­res (was ich im­mer ge­merkt ha­be, als ich in Wien in die Burg ging; zu Zei­ten von Pey­mann bspw).

    Die Glei­chung »Re­gie­thea­ter = links« ist so falsch nicht. Sie ist na­tür­lich wie al­le sol­che Glei­chun­gen ein biss­chen ver­ein­fa­chend. Aber sie stimmt m. E. ins­be­son­de­re was Deutsch­land an­geht im­mer noch: Pey­mann, Stein, Zadek -> al­les im po­li­ti­schen Spek­trum »Lin­ke« bzw./und in den 68ern so­zia­li­siert und spä­te­tens in der Post-68er Ära re­üs­siert. Dann gibt es ein paar »Neu­tra­le« (was man auch an den Auf­füh­run­gen merkt). Cas­torf, Schlin­gen­sief et. al. sind dann schon Wohl­stands­kin­der­re­gis­seu­re, die ihr po­li­ti­sches Po­stu­lat als Mon­stranz vor sich her­tra­gen. Die we­ni­gen »Rech­ten« wie bspw. Sy­ber­berg spie­len kaum ei­ne Rol­le; sie sind ge­äch­tet. Man kann tat­säch­lich teil­wei­se von der Ve­he­menz des links-al­ter­na­ti­ven po­li­ti­schen Im­pe­tus her auf die Stücke­zer­trüm­me­rungs­stär­ke schlie­ssen. Wer das dann nicht möch­te, gilt ein­fach als »Spei­sser« oder Dumm­kopf (s. o. -> das Phä­no­men der We­ber bei An­der­sen).

    Ich glau­be schon, dass Kehl­manns Va­ter, wenn er denn ge­gen den Zeit­geist agiert hat­te, Pro­ble­me be­kam. Ge­ne­rell sind die ka­te­go­ria­len Denk­struk­tu­ren bei Künst­lern ge­le­gent­lich sehr aus­gren­zend (im Ge­gen­satz zum Po­stu­lat).

    Ich ha­be per se nichts ge­gen Thea­ter­sub­ven­tio­nen. Der Staat sub­ven­tio­niert in Gän­ze ei­nen der­ar­ti­gen Mist, da kommt es auf die paar Mil­lio­nen für ein Tha­ter auch nicht an. Die deut­sche Stadt­thea­ter­land­schaft fin­de ich gut. Den­noch glau­be ich, dass im Zwei­fel we­ni­ger im­mer mehr ist. Und pro­ble­ma­tisch wird es, wenn Sub­ven­tio­nen zum al­lei­ni­gen Mo­tor des Ge­schäfts wer­den. Zwar soll man sich nicht zur Quo­ten­hu­re ei­nes (ima­gi­nä­ren) Pu­bli­kums ma­chen. Aber man darf auch nicht die Glei­chung »Kunst = Min­der­hei­ten­pro­gramm = des­we­gen gut« auf­ma­chen und da­mit al­les an­de­re nie­der­drücken.