Zwei Vorbemerkungen:
1. Das dem Verfasser dieser Besprechung vorliegende Leseexemplar sei ein »unkorrigiertes Vorausexemplar«, wie der Verlag auf Seite 1 schreibt und man bittet hieraus nicht zu zitieren. Diesem Wunsch wurde nicht stattgegeben, denn es liegt weder ein anderes Exemplar vor – und grundsätzliche Veränderungen dürften nicht zu erwarten sein. Die Zitate sind kursiv gesetzt und müssen unter dem Vorbehalt des oben gesagten betrachtet werden.
2. Das Ende des Buches ist überraschend und pointiert. Es wird in dieser Besprechung verwendet und im entsprechenden Abschnitt ist eine Spoilerwarnung ausgesprochen. Das Buch ist ohne den Schluss nicht zu bewerten. Insofern kann auf eine Berücksichtigung des Spannungserhalts keine Rücksicht genommen werden.
Wisconsin/USA, 1950er Jahre. Gar und Trudy Sawtelle züchten Hunde, setzen die Arbeit von Gars Großvater John fort. Es kommt ihm dabei weniger auf hochgezüchtete Blutlinien als auf den Charakter der Tiere an. Penibel sucht Gar nach seinen eigenen, speziellen Kriterien Hunde aus und scheut dabei nicht auch außergewöhnliche Kreuzungen, die von den »normalen« Züchtern verpönt sind. Er hat einen Plan, bildet die Hunde aus, will ihren Charakter im Training hervorholen und formen (er lehnt das Wort Dressur ab und legt Wert darauf, dass man mehr züchtet als nur gut dressierte Promenadenmischungen). Die Entwicklungen der Tiere werden akribisch dokumentiert. Nach anderthalb Jahren werden sie für 1500 Dollar verkauft. Die Dokumentation geht weiter; Gar befragt die Besitzer regelmäßig und zieht hieraus Schlüsse für seine weitere Zucht.
Der sehnsüchtig erwartete eigene Nachwuchs stellt sich nach drei Fehlgeburten und einer Totgeburt (melodramatisch inszeniert) am 13. Mai 1958 ein. Der Sohn wird Edgar genannt. Die Schwangerschaft war glatt verlaufen (sic!) eine Komplikation trat erst in dem Moment auf, als er den ersten Atemzug tat, um zu schreien: Edgar gab Stille von sich – er ist stumm (aber nicht taub). Trudy verzweifelt fast, bis eine Freundin ihr Mut macht und Edgar eine entsprechende Vorschulausbildung bekommt. Der Junge wächst behütet heran, verwendet eine Gebärdensprache (die viele autodidaktische Elemente hat), geht später zur Schule (näheres hierzu erfährt man nicht; Mitschüler besuchen die Farm niemals und Edgar besucht auch nie Mitschüler) und übernimmt zu Hause bereits früh Aufgaben bei Pflege und Training der jungen Hunde. Fast ritualisiert obliegt ihm bereits mit fast vier Jahren die Namensfindung der jungen Welpen. Irgendwann kommt Claude, Gars Bruder (der eine blieb [Gar], der andere ging weg [Claude]), zu Besuch (Claude war furchtbar viel drinnen in letzter Zeit) aber das Idyll verträgt die unterschiedlichen Temperamente nicht. Es gibt Differenzen zwischen den Brüdern, die immer wieder aufflammen und in der Jugend der beiden liegen sollen (Einzelheiten bleiben unklar, aber vieles spricht dafür, dass ein Hund dabei eine Rolle spielt). Claude verlässt bald wieder die Farm und verdingt sich in Jobs in Mellon unter anderem beim Tierarzt (und wie sich später herausstellt, Teilhaber der Farm) Doktor Papineau. Es gibt noch seinen Sohn Glen, der Dorfpolizist, und Ida Paine, die Besitzerin des einzigen Ladens im Städtchen.
Kammerspiel in der amerikanischen Provinz
Fast wäre das Kammerspiel damit schon beschrieben – wenn es nicht die Hunde geben würde. Allen voran die Hündin Almondine, eine Art Haushund, besonders klug und warmherzig; Edgars Schatten (seine erste Erinnerung hat mit ihr zu tun). Es gibt einige Kapitel, in denen der allwissende Erzähler auch aus Almondines Sicht erzählt. Und später, aus dem ersten Wurf, den Edgar selber von Anfang an betreuen darf, sind es vor allem Essay, Tinder und Baboo.
So erwartet der Leser leicht angekitscht und atmosphärisch ein bisschen an die gute, alte »Waltons«-Familie erinnert eine müde plätschernde Lebensgeschichte. Obwohl: Wer würde sich für das Leben eines heute 50jährigen stummen Hundezüchters interessieren, der offensichtlich vollkommen unspektakulär aufwächst? Zumal Wroblewski der Versuchung vordergründig widersteht, die Stummheit des Jungen erzählerisch zu emotionalisieren (tatsächlich schwingt natürlich eine exotische Komponente mit, die jedoch nur zwischen den Zeilen anklingt, weil sie wohl mit dem amerikanischen political correctness-Zwang ansonsten kaum vereinbar wäre).
Die Lösung dieser Frage beginnt auf Seite 159. Man schreibt das Jahr 1973, Edgar ist 14 Jahre alt, seine Mutter mit dem Pickup in der Stadt und der Junge versorgt wie gewohnt »seinen« ersten Wurf, für den er seit ein paar Wochen die alleinige Verantwortung übertragen bekommen hat. Plötzlich hört er Geräusch, läuft nach unten und sieht seinen Vater auf dem Boden liegend. In Panik versucht er telefonisch Hilfe zu holen – aber natürlich bekommt er keinen Ton heraus, was seine Panik noch verstärkt. Der Vater stirbt und Edgar erleidet einen Nervenzusammenbruch. Die Obduktion ergab als Todesursache ein aufgebrochenes Aneurysma im Gehirn; Gar war chancenlos. Dennoch ergeht sich Edgar in Selbstvorwürfen. Gleichzeitig ist er nun gefordert, Gars Arbeit mindestens teilweise zu übernehmen. Trudy bekommt zur Unzeit auch noch eine Lungenentzündung; nur mit Mühe können beide den Betrieb aufrecht erhalten. Edgar flüchtet sich in die »Hundewelt«, entdeckt in den Dokumenten seines Vaters Korrespondenz mit arrivierten Züchtern, die ihn zwar respektierten, aber seine unorthodoxen Methoden ablehnten. Nach langem Zögern stimmt die Mutter zu, dass Claude ihnen zur Hand gehen soll. Während eines Unwetters erscheint Edgar der Vater als eine Art Regenmonster und beschuldigt Claude als seinen Mörder. Claude und Trudy nähern sich unterdessen an; Edgar sieht, wie sie sich küssen, was seine Skepsis noch verstärkt.
Klaustrophobische Welt
Wroblewski versucht nun einerseits Edgars Parallelwelt der Beschäftigung mit den Hunden zu erzählen und andererseits eine Drohkulisse aufzubauen, die Claude als hinterhältigen Mörder und Erbschleicher aufbauen soll. Die Hinweise sind irgendwann so deutlich, dass es unmöglich nicht stimmen kann. Der kleine Prolog zu Beginn, der von einer (nicht näher spezifizierten) Person erzählt, die in Korea 1952 ein starkes Gift kauft, ist spätestens dann entschlüsselt, als Edgar eine alte Spritze in der Scheune entdeckt. Dennoch ist Edgar hin- und hergerissen: Soll es einen Neuanfang geben oder beharrt er auf seiner Vermutung? Blickt er in die Zukunft oder in die Vergangenheit? Unendlich langsam bekommt man Einblick, wie sich in Edgar die Halluzination aus der Vatererscheinung zur Gewissheit formt. Als er mit Claude alleine ist, gebärdet er ihm, dass er ihn für den Mörder hält, was dieser jedoch nicht versteht, weil er Edgars Gebärdensprache nicht erlernt hat.
Der Leser kann es sich noch ein bisschen spannend machen, in dem er das Naheliegende (und Triviale) solange wie möglich leugnet. So knüpft er Hoffnungen daran, als Almondine beginnt, sich an Claude zu gewöhnen und sich zu seinen Füssen legt wie sonst nur in Edgars Anwesenheit. Der Junge reagiert mit Eifersucht und straft den geliebten Hund mit Missachtung. Endlich will er seine Mutter in der Scheune mit seinem Verdacht konfrontieren. Da er in seinem Wahn schon an eine Komplizenschaft Trudys in Betracht zieht, wendet er seiner Mutter gegenüber Gewalt an und als der Doktor zu Hilfe kommen will, stößt er ihn eine Treppe hinunter. Papineau ist sofort tot – ein déjà-vu für Edgar, der überhastet flieht und dabei (nicht ganz freiwillig) drei junge Hunde aus »seinem« Wurf mitnimmt.
Spätestens zeigt Wroblewskis Konstruktion Risse. Stellt er Edgars Flucht am Anfang noch als Affekt dar, so wird hieraus später eine Art Plan (er möchte nach Kanada zu sektenähnlichen Kommune, die im Buch »Starchild Colony« heisst). Wenig überzeugend die Erzählungen von Edgar in der »Wildnis« des Chequamegon-Forsts mit den drei teilweise noch verspielten Welpen. So planlos Edgar erscheint, so planlos scheint jetzt auch der Autor zu sein. Manchmal lässt er den Jungen er ein bisschen auf Thoreaus Spuren wandeln, dann ist die »Wildnis« wieder bedrohlich. Edgar brät selbstgefangene Fische oder bricht in Hütten ein, stiehlt Lebensmittel, räumt aber alles wieder ordentlich auf bevor er geht. Als die Not am Größten ist und sich ein Hund eine Glasscherbe in die Pfote getreten hat (was langatmig referiert wird), begegnet er Henry Lamb, einem raubeinigen, kauzigen aber dennoch liebenswürdigen Kerl, der die Versorgung des verletzten Tieres ermöglicht und den Flüchtigen ohne weitere Fragen akzeptiert, aufnimmt und wohnen lässt (rührend, wie Edgar zur Identitätsverschleierung einen falschen Namen angibt). Lamb will ihn schließlich mit seinem Wagen an die kanadische Grenze bringen. Bei einer Rast werden sie von einem Unwetter überrascht; über dem See, an dem sie rasten, entwickelt sich eine Windhose. Edgar nimmt dies zum Anlass für die Umkehr, schenkt Henry zwei seiner Hunde (er behält Essay) und wandert zurück nach Hause.
Showdown [Spoilerwarnung]
Es kommt zum Showdown. Vorher bekommt der Leser mit, dass Claude bei Glen versucht, Edgar eine Mitschuld für den Tod seines Vaters zu suggerieren. Edgar trifft auf der Farm ein, aber niemand ist zu Hause. Erschüttert stellt er fest, dass Almondine während seiner monatelangen Abwesenheit gestorben ist; eine Versöhnung ist nun ausgeschlossen. Edgar schreibt einen Zettel, dass er am nächsten Tag wiederkommt und entdeckt in einem Versteck in der Scheune die Giftflasche. Claude entdeckt den Zettel und verbirgt ihn vor Trudy. Stattdessen informiert er Glen, der mit Claudes Methode für aufmüpfige Hunde (Äther) versucht, Edgar zu einem privaten Verhör zu entführen. Edgar gelingt es im Kampf Kalk auf Glen zu kippen (was in Anbetracht der später behaupteten Menge des verwendeten Äthers schlichtweg unmöglich ist), dessen Augen daraufhin verätzt werden. Durch die Ätherdämpfe und die Glühbirne entzündet sich die Scheune und beginnt zu brennen. Edgar befreit zunächst die Hunde, die nach draußen entkommen und versucht dann die enorm wichtigen Zuchtdokumentationen des Vaters zu retten. Claude hilft zum Schein mit, während er die Giftflasche findet, die Spritze aufzieht und Edgar tötet, der nun mit Almondine wieder versöhnt wird. Aber Claude findet den Ausgang durch die Flammen nicht und kommt auch um. Als sich Trudy, die von dem erblindeten Glen festgehalten wird, lösen kann und bemerkt, dass weder Edgar noch Claude aus der Scheune kommen, versucht sie in die Scheune einzudringen, aus der urplötzlich ein Feuerblitz lodert, der sie tötet. Am Ende sehen wir nur noch die Sawtelle-Hunde, allen voran Essay, wie sie die Wiese…durchqueren.
Dachte man nach rund Zweidrittel des Romans noch, dass die Fortsetzung bereits in der Schublade des Autors drohend wartet, so ist man nach dem Ende dann doch zunächst einmal zufrieden, dass dem nicht so sein dürfte. In den USA wurde das Buch ein Millionenseller, was nicht zuletzt auch an der Promotion durch »Oprah’s Book Club« gelegen haben dürfte. Die Kritik überschlug sich im Lob und auch Kollegen wie Stephen King waren begeistert.
Keine falsche Bescheidenheit
Der Autor verstand es im Marketing geschickt, mit bildungsbürgerlichen Akzenten das Buch und dessen Leserschaft aufzuwerten und zu insinuieren, man lese mehr als nur einen gängigen Unterhaltungsroman. Er wies in selbstbewusster Manier auf Shakespeare hin und scheute sich nicht zu behaupten eine moderne, neue Version des Hamlet-Dramas geschrieben zu haben. Dass der Vergleich außer in ein paar plakativ gesetzten Parallelen (die unterschiedlichen Charaktere der Brüder; die Geister- bzw. Traumerscheinungen; Giftmord) ziemlich abwegig ist, stört die Masse der Marketingknechte in den Rezensionsstuben der amerikanischen Kritik anscheinend kaum, weil die meisten potentiellen Leser weder Interesse noch ausreichende Kenntnisse besitzen, dies zu überprüfen (eine amerikanische Bloggerin (?) hat dies mit durchaus eindeutigem Urteil versucht; ein lesenswerter Aufsatz).
Und wie diese Hochliteraturverweise auf die soap-konditionierten Unterhaltungsagenten wirken, erkennt man am entzückten Blick Oprah Winfreys, als sie fragt, warum denn ausgerechnet dieses Ende sein musste (und nicht ein »happy ending«) und Wroblewski bedeutungsschwer das berühmte Kafka-Wort zitiert, was bei uns (bedauerlicherweise) fast ein wenig abgegriffen erscheint, wonach ein Buch die Axt für das gefrorene Meer in uns zu sein habe. Dass Wroblewski dies falsch einleitet, in dem er suggeriert, Kafka habe damit erklären wollen, warum man »traurige Bücher« lese und dies dazu noch mit falscher Quellenangabe (»letter to Max Brod«) macht fällt niemandem auf (auch nicht, wie es die Begriffe »Tragödie« und »traurige Geschichte« einfach gleichsetzt).
Es wäre nun zu einfach den Erfolg des Buches auf die geschickten Bedeutungserhöhungen im Umfeld des Marketings zu reduzieren. Natürlich hat die Geschichte und insbesondere das »boy and the dog«-Motiv für sich genügend Rührpotential. Man merkt Wroblewskis Bemühen, dies zu verstärken vor allem in den Almondine-Kapiteln – insbesondere am Anfang und dann noch einmal ganz am Schluss, als sie stirbt. Zudem ist die Erzählstruktur sehr einfach und linear, so dass dem Leser auch hier keine Überforderung droht. Die Orientierung an bestimmte Schreibschulweisheiten leugnet Wroblewski erst gar nicht (dies ist in den USA nicht derart negativ konnotiert wie bei uns). Das überraschende und für Romane dieses Genres provokante (allerdings eher nicht überzeugende) Ende hebt den Roman dann vordergründig aus der Trivialliteraturschublade heraus (und das ist natürlich beabsichtigt).
Erscheinungen und Unwetter
Dabei gibt es unerträglich kitschige Stellen, beispielsweise als Gar ein Wolfsjunges entdeckt, welches jedoch keine Nahrung annimmt und verhungert – und dies in Verbindung mit Trudys Totgeburt gebracht wird. Gar kann am Grab des Wolfswelpen weinen (vorher am Grab des totgeborenen Babys nicht). Oder das letzte Silvester Edgars mit den Eltern, als er mit der Mutter tanzt und eine schüchterne, aber deutlich spürbare erotische Stimmung zwischen Sohn und Mutter herbeiphantasiert wird (die dann später die Eifersucht auf Claude begründen soll).
Und immer wenn der Plot im Matsch des banalen Alltags einzusinken droht, gibt es irgendeine Erscheinung, eine Vision oder ein Traum und dies fast immer in Verbindung mit einem Unwetter (Gewitter, Regen oder Sturm oder einfach alles zusammen), die den müden Karren wieder ein bisschen vorwärts schiebt. Das erinnert zuweilen an schlechte Kriminalfilme, in denen die Kommissare die neuesten Entwicklungen des Falles immer vom Mobiltelefon eingeflüstert bekommen.
Bei all dem bleiben außer Edgar und der Hündin Almondine die Figuren seltsam blass. Auch die Lichtgestalt in Edgars Leben, der Vater, vermag den Leser nicht sonderlich zu beeindrucken. Die Figur des »Bösewichtes« Claude krankt daran, dass Wroblewski einerseits so lange wie möglich Claudes Mord in der Schwebe halten will, andererseits jedoch insbesondere in den Szenen, in denen Claude mit Edgar alleine zusammen ist, eine atmosphärische Beunruhigung herbeiführen möchte (was allerdings gründlich misslingt; hier zeigen sich Wroblewskis Grenzen). Es wird niemals deutlich, warum Claude Gar umgebracht hat. Die Hundezucht wirft keine großen Erträge ab. Vage klingt an, Claude begehre Trudy – hierfür hätte jedoch nach Gars Tod mehr über deren Verhältnis erzählt werden müssen. Und warum Claude sich 1952 bereits eine Flasche Gift besorgt hat vermag der Roman auch nicht aufzulösen (nicht einmal eine Idee zu geben).
Dafür gibt es eine überbordende Symbolik – fast überall wird ein »Geheimnis«, eine Doppelbödigkeit behauptet, damit eine Mythenmaschinerie in der Rezeption zu erzeugt werden kann. Das beginnt mit dem Wortspiel im Namen »Sawtelle«, in dem Edgars Schicksal schon vorausbestimmt zu sein scheint: Wird doch in seiner Gebärdensprache das Erzählte erst durch das Sehen zugänglich. Edgar gibt dem Führhund seines Welpenwurfes den Namen Essay (französisch für Versuch). Nahezu jedes Ereignis wird entweder durch ein Zeichen eingeleitet oder bekommt auf einer zweiten Ebene eine Symbolik zugewiesen, die jedoch letztlich nur für sich steht und mit dem weiteren Verlauf der Ereignisse nichts oder kaum etwas zu tun hat. Überall gibt es diese Spuren, die nach Interpretation geradezu verlangen aber oft genug ins Leere verlaufen.
Pythia im Tante-Emma-Laden
So begibt sich Edgar unmittelbar vor den Ereignissen um den Tod von Dr. Papineau in den Laden von Ida Paine (»Pain« = Strafe, oder, im französischen: Brot – es handelt sich um den Lebensmittelladen und Edgar kauft Brot), die ihm plötzlich fast wie in Trance ominöse Orakelsprüche offenbart: »und wenn du gehst…dann komm nicht wieder, um keinen Preis. Lass nicht zu, dass der Wind dich umstimmt. Es ist nur der Wind, weiter nichts.« Monate später am See kurz nach dem Unwetter erinnert sich Edgar dieses Spruchs, ignoriert ihn jedoch und beschließt umzukehren. Für die Handlung des Buches hat Paines Orakel nur den Wert, dass dem Leser die Möglichkeit gegeben wird, klüger als Edgar zu sein. Dafür bedurfte es aber Edgars Erinnerung an das Orakel vor dessen Ignorieren nicht mehr. Dieser Einschub dient nur der Erinnerung des Lesers und der (weit ausholenden) Vorbereitung des Autors auf das Ende.
Sprachlich ist das Buch beim etwas gehobenen Unterhaltungsroman anzusiedeln. Manche Bilder sind ein wenig zu sehr gewollt (der Himmel [war] blass und von Sternen durchlöchert, Wolken waren wie Blutergüsse oder Dachbretter wie Gebeine), andere nahe am Naturkitsch (Gezwitscher und Geschmetter, als hätte die Sonne die Vögel in Brand gesetzt, Schnee, der bis Dezember auf sich warten [ließ] oder Schneeflocken, die an Grashalmen zitterten). Irgendwann gewöhnt man sich daran.
Ausgerechnet in den Passagen von Almondines Erzählung fallen seltsame Begriffe wie Tauscher des Empirischen, des Faktischen, des Mathematischen als Kategorisierung eines potentiellen Käufers eines Sawtelle-Hundes. Die Hundeschilderungen mit Edgar sind überraschenderweise meist frei von übertriebener Plüschigkeit, dafür jedoch langatmige Beschreibungsprosa und redundant. Selten sind vollkommene sprachliche Missgriffe wie bei der Betrachtung der Flasche mit dem Hangul-Schriftzeichen, als die Flüssigkeit darin […] wie reinstes hochdestilliertes Gift aussah. Jeder, der nur annäherungsweise im Chemieunterricht aufgepasst hat, weiss, dass »Gift« kein spezifisches Aussehen hat.
Das grösste Manko ist die Eindimensionalität, ja Marionettenhaftigkeit der Figuren, was natürlich auch damit zu tun hat, dass es keine Außeneinflüsse gibt (eine Fahrt nach Ashland ist schon fast ein Ereignis) und der ganze Roman dadurch hermetische, ja klaustrophobe Züge annimmt. Die wenigen Protagonisten zeigen im Verlauf des Buches keinerlei Genese. Ihr tatsächlicher Status bleibt dem Leser lediglich eine bestimmte Zeit verborgen; eine Entwicklung wird so nur simuliert. Essentielle Informationen beispielsweise zum Verständnis des Bruderkonfliktes werden erst gar nicht gegeben. Wroblewski irrt, wenn er Auslassung als erzählerisches Stilmittel mit als Verschweigen von Elementen begreift, die sich ohne seinen Hinweis vom Leser nicht rekonstruieren lassen, aber wesentliche Erkenntnisse verschaffen würden. Da Wroblewski sich eines auktorialen Erzählers bedient, wäre es ein leichtes über Retrospektiven die Verwerfungen herauszuheben, in die Geschichte zu integrieren und den Charakter der Protagonisten wenigstens ruchbar zu machen.
Die einzige Figur die sich im Laufe der Geschichte entwickelt ist Henry Lamb, der anfangs eher als Misanthrop und Hundehasser eingeführt wird, dann jedoch mit Freude und ohne Hintergedanken Edgar hilft und am Ende Baboo und Tinder annimmt, nachdem Edgar ihm rudimentäre Trainingseinheiten vorgestellt hatte. Alle anderen Protagonisten – inklusive Edgar, obwohl ein Wandel behauptet wird (aber eben nicht erzählt) – bleiben erratisch und sind dadurch sehr leicht auszurechnen.
Einem halbwegs ambitionierten Leser werden die Verzückungen, die dieses Buch in den USA ausgelöst hat, einigermaßen fremd anmuten. Die Worte, die der Verlag für die deutsche Ausgabe findet, sind – freundlich formuliert – sehr hoch gegriffen. Es muss befürchtet werden, dass das Buch in den üblichen massenmedialen Literaturwerbesendungen einen/eine prominente/n Fürsprecher/in finden wird und damit ein vergleichbarer Hype ausgelöst werden könnte.
Du sprichst mir aus der Seele. Allein mit der Kriminalgeschichte und den Geistererscheinungen hatte ich ziemliche Probleme, anderes, was Du benennst, führte ich auf »typisch amerikanisch« zurück. Ich habe es im Original gelesen, von daher macht es nicht wirklich etwas aus, daß Du aus einem unkorrigierten Vorausexemplar zitierst, denn auch im Englischen konnte der Eindruck von Kitsch nicht immer vermieden werden.... Danke für die Besprechung. LG tinius
Die Information ist wichtig. Zwischenzeitlich dachte ich schon, dass es an der Übersetzung liegt.
Ich bin tatsächlich gespannt, ob das Buch hier nur annäherend solche Furore auslöst wie in den USA.
@Gregor Keuschnig
Meine Gedanken zu einem Teil des obigen Buch-/Rezensionsinhaltes:
Charaktereigenschaften von Tier und Mensch: die einen lassen sich anzüchten und im Training hervorholen und formen ( die der Hunde). Die menschliche Persönlichkeit entwickelt und verändert sich im Laufe der Zeit, auch wenn versucht wird, eine Optimierung in Erziehung und sozialem Umfeld zu erreichen. Aber traumatische Ereignisse können betroffene Personen in schwere Krisen stürzen, was der Leser bei Edgar Sawtelle erlebt.
Ich weiß nur nicht, wieviel darf man in dieses Buch hineininterpretieren? Der Autor gibt viele Denkanstösse und scheint diese m.E. überhaupt nicht zu „befriedigen“ ( sei es im postiven oder negativen Sinne). Z.B. die Sprachlosigkeit von Edgar seit seiner Geburt. „Ist er sprachlos/taub geboren, weil er im übertragenem Sinne den Kinderwunsch seiner Eltern, die Fehlgeburten und die Totgeburt spürte und dies eine sog. erste Krise war?“ ( Wird sich der Autor bestimmt so nicht gedacht haben, behaupte ich mal, das er das ja gemeint haben könnte). Und die zweite Krise erlebt er in der Pubertät, als sein Vater vor seinen Augen stirbt. Bei Menschen, die sprechen können, kann so ein traumatisches Ereignis u.a. Sprachlosigkeit auslösen. Was muss Edgar in diesen schweren Stunden erleben? Eine Katastrophe!, ein Drama!, das ihn in eine akute Krise stürzen lässt. Beschreibt Wroblewski irgendeine Hilfestellung von Seiten der Mutter oder anderer Personen? Wie verarbeitet Edgar diese Krise? Nur mit der weiteren Aufzucht von Hunden? Mir ist das alles zu schwachbrüstig. Und wenn auch Wroblewski mit dieser Krise den Wendepunkt seines Roman einläuten will und es auch macht, lt. der Rezension keimt in mir der Verdacht auf, Wroblewski möchte die Gefühle der Leser „erhaschen“. Tiefgründiges passt zwischen Anfang und Erzählende nicht hinein.
( In „Timbuktu“ von Paul Auster wird die Obdachlosigkeit eines Menschens aus der Perspektive eines Hundes ( Hundename: Timbuktu ) geschildert. In meinen Leseraugen ein gelungenes Buch über ein „Psychogramm“ von Mensch und Hund).
Vielen Dank für diese weitere Rezension aus Ihrer Feder!
Nach dem Tod des Vaters bleibt durch die Verpflichtungen, die sich aus der Hundezucht ergeben, kaum Platz für das, was man gemeinhin als »Verarbeitung« eines solchen Schocks nennt. Dazu ist die tägliche Arbeit viel zu dominant.
Ich weiss nicht, ob das zu schwachbrüstig ist – es erscheint unter den gegebenen Umständen vom Setting her »normal« (Provinz; Farmleben; 1973!). Diesen Vorwurf würde ich eher in der literarischen Verarbeitung von Edgars »Lebenskrise« sehen – die Flucht in die Halluzinationen und dann diese räumliche Flucht nach dem Tod des Doktors (den er mindestens mitverschuldet hat). Diese Passagen sind die schwächsten, da sie der Persönlichkeit und der Wucht der Ereignisse nicht gerecht werden, sondern nur so dahinplätschern.
Und ich dachte schon, es lag an mir, dass ich mich in den Roman nicht so richtig einfinden konnte. Ich habe auch das englische Original gelesen und teile die hier vertretene Einschätzung ziemlich umfassend.
Ich hatte auch das Gefühl, der Autor könne sich nicht recht entscheiden, was er schreiben wollte. Mehrmals, wenn ich gerade begann, ein Gefühl für Situation und Charaktere zu entwickeln, wurde plötzlich alles umgerissen und neu aufgebaut (am deutlichsten nach Edgars Flucht). Ich empfand das durchgehend als unbefriedigend, und insgesamt war das Buch eher mühsam zu lesen, trotz einiger Glanzpunkte, die die Mühe vielleicht doch noch wert waren.
Ich wuerde mich schon gern zu diesem Titel aeussern
aber trotzdem ich in der USA lebe ist mir Autor sowie Buch unbekannt geblieben. ich bereue nicht mehr ein junger Staubsauger zu sein der zu der Zeit alles einsaugte! Ausserdem hab ich nicht die Zeit fernzusehen! Und wenn, zu einer Zeit war’s ganz nett mit Charlie Rose der interessante Gaeste hatte eingebettet zu werden.
http://www.charlierose.com/
Also, verlass ich mich auf des Keuschnigg’s seine Meinung.