Rai­ner Ra­bow­ski: Mon­tag Ru­he­tag

Rainer Rabowski: Montag Ruhetag
Rai­ner Ra­bow­ski:
Mon­tag Ru­he­tag

Nach dem auch hap­tisch opu­len­ten Er­zäh­lungs- und Ge­dicht­band »Hal­te­stel­len«, der vorder­gründig vom Rei­sen und Un­ter­wegs-Sein (im wei­ten wie im na­hen) han­del­te, ist von Rai­ner Ra­bow­ski kürz­lich das de­zent-klei­ne Büch­lein »Mon­tag Ru­he­tag« er­schie­nen. Wenn man Pe­ter Hand­kes »Ver­such über den Stil­len Ort« als ei­ne Ge­schich­te über den ver­meint­li­chen Un-Ort Toi­let­te liest, der für den Er­zäh­ler im­mer wie­der eben auch zum »Asyl­ort« wur­de, so ist »Mon­tag Ru­he­tag«, die­ses Tri­pty­chon aus drei Ge­schich­ten, die zu ei­ner »Er­zäh­lung« zu­sam­men­ge­fasst wer­den, viel­leicht so et­was wie ein ‘Ver­such über den Fri­seur­la­den’; auch er zu­wei­len Asyl­ort, aber auch Fol­ter­stät­te.

Na­tür­lich fin­det sich auch in die­sem Buch der für Ra­bow­ski ty­pi­sche Sound des psy­cho­lo­gisch-re­fle­xi­ven Rea­lis­mus, dies­mal fast aus­schließ­lich ver­or­tet in Düs­sel­dorf (selbst in Thai­land er­in­nert er sich an ei­nen Düs­sel­dor­fer Fri­sier­sa­lon). Es ist aber deut­lich we­ni­ger ein Sich-Selbst-ins-Wort-Fal­len als sonst, was den Phä­no­me­nen mehr (Erzähl-)Raum gibt und den Le­ser mehr ins Nach­sin­nen ver­setzt. Et­wa wenn er von der Schmach und Ohn­macht er­zählt, als er als Kind auf den Fri­seur­stuhl muss­te (»Haare­schneiden ist ei­ne Ver­let­zung«). Oder der Le­bens­ab­schnitt, in der ei­nem die Fri­sur als Di­stink­ti­ons- oder son­sti­ges Merk­mal plötz­lich nicht mehr wich­tig war, ein Ak­zep­tie­ren »in der Welt des Aus­se­hens ein Au­ßen­sei­ter« zu sein und es trot­zig ge­nüg­te »gar kei­ne Fri­sur« ha­ben zu wol­len. Dann war der Fri­seur auf dem Flug­ha­fen ge­ra­de recht; so wur­de die War­te­zeit halb­wegs sinn­voll aus­ge­füllt.

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Klei­ne Bei­trä­ge zur Her­zens­bil­dung (1)

Ein In­ter­view mit Leo­pold Fe­der­mair, ge­führt von Ma­sa­hi­ko Tsu­chi­ya ‑1. Teil

Ma­sa­hi­ko Tsu­chi­ya: Du bist Au­tor, Über­set­zer und Kri­ti­ker. Wie un­ter­schei­dest du dich von­ein­an­der und wel­che Be­zie­hun­gen habt ihr zu­ein­an­der? Kannst du zu ant­wor­ten ver­su­chen, ob­wohl dir die Un­ter­schie­de viel­leicht nicht be­wusst sind?

Leo­pold Fe­der­mair: Bei der Lek­tü­re von so­ge­nann­ten in­ter­kul­tu­rel­len Schrift­stel­lern, die die Spra­che ge­wech­selt ha­ben und in­fol­ge­des­sen in ei­ner Fremd­spra­che schrei­ben, ha­be ich be­merkt, daß ei­ni­ge von ih­nen die sprach­li­chen Feh­ler, zu de­nen sie nei­gen, ab­sicht­lich pro­duk­tiv ma­chen. Die Fremd­spra­chig­keit wirkt auf ih­ren Stil. Das schicke ich vor­aus, weil ich dei­ne For­mu­lie­rung «Wie un­ter­schei­dest du dich von­ein­an­der?« äu­ßerst an­re­gend fin­de. Ich bin ich, aber ich bin auch ein an­de­rer, oder meh­re­re an­de­re. Ich be­stehe aus die­sen an­de­ren. Rim­bauds Satz »Je est un aut­re« ist heu­te schon ziem­lich ab­ge­dro­schen. Ich bin nicht ein an­de­rer, son­dern meh­re­re. Der Rei­he nach und gleich­zei­tig. Das ge­fähr­det nicht un­be­dingt die Ein­heit der Per­son (kann aber vor­kom­men, die­se Ge­fähr­dung).

Die drei Ak­ti­vi­tä­ten, die du nennst, wa­ren für mich nie streng ge­trennt. Al­le drei sind ver­schie­de­ne Be­rei­che von Li­te­ra­tur. Was ich ein­mal so­gar als Ti­tel für ei­nen klei­nen Auf­satz schrieb, muß ich im­mer wie­der be­kräf­ti­gen: DER ÜBERSETZER IST EIN AUTOR. Ei­ni­ge hal­ten das oh­ne­hin für ei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit. Ich sto­ße aber im­mer wie­der, auch jetzt vor kur­zem wie­der, auf Leu­te im Li­te­ra­tur­be­trieb, die das über­haupt nicht so se­hen. Man­che Ver­lags­leu­te hal­ten die Über­set­zer für Kü­chen­ge­hil­fen in ih­rem gro­ßen Be­trieb. Ent­spre­chend be­han­deln und be­zah­len sie sie.

In Be­zug auf Li­te­ra­tur­kri­tik war ich im­mer der An­sicht, daß ei­ne gu­te Kri­tik ei­ne klei­ne li­te­ra­ri­sche Form rea­li­siert. Als Kri­ti­ker muß ich häu­fig nach­er­zäh­len, Stim­mun­gen und Ein­drücke wie­der­ge­ben, Aus­ge­sag­tes ver­dich­ten. Ich ha­be nur be­grenz­ten Raum zur Ver­fü­gung, muß aufs We­sent­li­che zie­len, darf nicht zu sehr schwei­fen. Sub­jek­ti­ve Ein­drücke ver­sucht der Kri­ti­ker so zu ver­mit­teln, daß sie ei­ne All­ge­mein­heit in­ter­es­sie­ren oder auch über­zeu­gen. Das ist ei­ne li­te­ra­ri­sche Ak­ti­vi­tät, je­den­falls so, wie ich sie be­trei­be. Bei ei­nem Au­tor wie Jor­ge Lu­is Bor­ges ak­zep­tiert man selbst­ver­ständ­lich, daß in sei­nen ge­sam­mel­ten Wer­ken auch ein Band mit Kri­ti­ken ent­hal­ten ist, und ei­ner mit Vor­wor­ten.

Die, die am streng­sten tren­nen wol­len, sind mei­stens Aka­de­mi­ker, Uni­ver­si­täts­leu­te. In Eu­ro­pa ge­nau­so wie in Ja­pan. In den USA hat man an den Unis auch Platz für Schrift­stel­ler, und sie müs­sen sich in die­ser Ei­gen­schaft nicht ver­leug­nen.

Ich glau­be, daß ich als Au­tor ei­ne ähn­li­che Po­si­ti­on ha­be wie Laf­ca­dio Hearn vor über hun­dert Jah­ren. Auch Hearn war üb­ri­gens Über­set­zer (aus dem Fran­zö­si­schen). Und er hat für Zei­tun­gen ge­ar­bei­tet. Er leb­te in ganz ver­schie­de­nen Län­dern, war im­mer neu­gie­rig und hat­te die­sen eth­no­lo­gi­schen Blick. Er wur­de nie voll an­er­kannt, blieb im­mer Au­ßen­sei­ter. In Öster­reich ha­ben wir ei­nen Au­tor, der sich von vorn­her­ein als Universal­genie »po­si­tio­nier­te«, wie man heu­te sagt. Das konn­te und woll­te ich nie, auch des­halb, weil ich nicht glau­be, daß es noch Uni­ver­sal­ge­nies ge­ben kann. Des­halb ha­be ich das Kon­zept ei­ner »trans­ver­sa­len Äs­the­tik« ent­wickelt, in Op­po­si­ti­on zur glo­ba­li­sier­ten, glo­ba­li­sie­ren­den Kul­tur. In­ter­es­sant ist für mich nur, kon­kre­te Punk­te, Or­te, Wer­ke, Men­schen mit­ein­an­der zu ver­bin­den. All­ge­mei­ne Sche­ma­ta fin­de ich nicht in­ter­es­sant. Das Pro­blem für Leu­te wie Hearn und mich ist, daß man uns im­mer aufs Neue in Schub­la­den steckt: der Jour­na­list, der Be­schrei­bungs­künst­ler, der Sach­ver­stän­di­ge der neu­en fran­zö­si­schen Phi­lo­so­phie, der Über­set­zer, der Ja­pano­phi­le, der Pro­fes­sor usw. Nein! Wir sind vie­les und wis­sen das Vie­le un­ter ei­nen Hut zu brin­gen. Wir sind ein plu­ra­les Sub­jekt.

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Sprach­zwei­fel und Sprach­ver­trau­en

Über das Fort­wir­ken von Hof­mannst­hals Chan­dos-Brief

Für Gre­gor Keu­sch­nig,
und auch für Aki­ra Hot­ta, zur Er­mun­te­rung

Ei­ner der Tex­te, die ich oft wie­der­le­se, teils am Leit­fa­den des Zu­falls, beim Streu­nen zwi­schen den Bü­chern, dann wie­der an­ge­regt durch Kol­le­gen, ist der Chan­dos-Brief von Hu­go von Hof­manns­thal. Ein bei Au­toren be­lieb­ter Text, der sich gut zum Zi­tie­ren eig­net; man kommt nicht um ihn her­um. Bei mei­ner neue­sten Lek­tü­re ha­be ich ihn mehr als frü­her als Er­zäh­lung ge­le­sen, als Ge­schich­te mit re­la­tiv weit ge­spann­tem Er­zähl­bo­gen, der dann in der Ge­gen­wart kul­mi­niert, in den Au­gen­blicken der Epi­pha­nie. Kul­mi­niert wie ei­ne Brücke, die plötz­lich ab­bricht, ins Nichts führt – nicht in ei­ne hel­le oder dü­ste­re Zu­kunft, die wir ah­nen, son­dern ins Nichts.

Die­ser Lord Chan­dos ist ein jun­ger, be­gü­ter­ter Mann, einst­mals Schü­ler des be­deu­ten­den Phi­lo­so­phen Fran­cis Ba­con, dem er nach lan­ger Schwei­ge­zeit nun ei­nen Brief schreibt, den letz­ten, wie man ver­mu­ten muß. Chan­dos ist ein Schrift­stel­ler, ein Dich­ter, der mit sei­nen Schä­fer­spie­len ei­ni­gen Er­folg hat­te und nun mit sei­nem La­tein am En­de ist. Die Schäfer­dichtung war ein be­lieb­tes Gen­re im Hu­ma­nis­mus, al­so je­ner Kul­tur, der Ba­con und Chan­dos ent­stamm­ten; es wur­de noch im Ba­rock und Ro­ko­ko eif­rig be­dient. Der­lei Idyl­len kann Chan­dos nun nicht mehr schrei­ben, und auch sein epi­sches Groß­pro­jekt – in der Art ei­nes Ver­gil, mag man sich vor­stel­len – ist ge­schei­tert. Das ehe­ma­li­ge Ta­lent steht nun al­so mit lee­ren Hän­den da. Chan­dos be­fin­det sich nicht nur in ei­ner Schreib­kri­se, son­dern in ei­ner ra­di­ka­len Sprach­kri­se – um das Zau­ber­wort zu ge­brau­chen, das die Le­ser, Au­toren und Ger­ma­ni­sten und Kri­ti­ker, bis heu­te gern und oft et­was ge­dan­ken­los ver­wen­den. Die In­ter­pre­ta­ti­on ei­nes die­ser be­rufs­be­ding­ten Chan­dos­brief­le­ser will be­son­ders ori­gi­nell sein und läuft dar­auf hin­aus, daß der ge­reif­te Chan­dos künf­tig je­der Ori­gi­na­li­tät ent­sa­ge, das Dich­ten sein las­se und sich sei­nen Land­gü­tern wid­me. Das wä­re nun ei­ne ru­hi­ge, sinn­vol­le, der Ge­sell­schaft dien­li­che Art des Ver­stum­mens, die in der Li­te­ra­tur­ge­schich­te tat­säch­lich ein an­de­rer Dich­ter voll­zo­gen hat, kein fik­tio­na­ler, son­dern ein hi­sto­ri­scher: Ar­thur Rim­baud.

Die­se Lek­tü­re über­sieht, daß Chan­dos lei­det; der Ton sei­nes Brie­fes deu­tet eher dar­auf hin, daß das Lei­den un­heil­bar ist. Chan­dos ist in ei­ne Kri­se ge­ra­ten, die er nicht, viel­leicht nie mehr, zu lö­sen, der er nicht zu ent­ge­hen ver­mag. Sei­ne Kri­se ist in Wahr­heit ei­ne Ka­ta­stro­phe, ein Zu­sam­men­bruch. Al­ler­dings darf man nicht über­se­hen, wie es eben­falls ei­ni­gen Le­sern un­ter­lau­fen ist, al­len vor­an Her­mann Broch, daß der Chan­dos-Brief kei­nes­wegs nur »ne­ga­tiv« ist. Nein, er ent­hält zahl­rei­che lich­te Au­gen­blicke, Er­leb­nis­se, die of­fen­bar nur des­halb statt­fin­den kön­nen, weil er sich der Ka­ta­stro­phe aus­ge­setzt hat, statt ihr, wie es we­ni­ger ra­di­ka­le Au­toren tun mö­gen, den Rücken zu keh­ren und sprach­li­che, in letz­ter In­stanz al­so: ge­sell­schaft­li­che Kom­pro­mis­se zu schlie­ßen. Broch hat die­se Er­leb­nis­se, in de­nen das wahr­neh­men­de Sub­jekt sich in der um­ge­ben­den Welt der Din­ge auf­zu­lö­sen scheint, als Schritt in den Wahn­sinn be­zeich­net. Auch dar­in kann ich ihm nicht fol­gen. Will man über­haupt so et­was wie ein Auf­ge­ho­ben­sein in der Welt er­fah­ren, hat man sich zu­vor ei­ner Rei­he be­que­mer Si­cher­hei­ten und prag­ma­ti­scher Ori­en­tie­run­gen zu be­ge­ben. Chan­dos tut dies, in­dem er auf Kom­mu­ni­ka­ti­on zu­gun­sten von schwei­gend-spre­chen­der Kom­mu­ni­on ver­zich­tet. Ne­ben­her be­dient er sich wei­ter der gän­gi­gen Sprach­for­men, er ist durch­aus im­stan­de, sei­ne Ge­schäf­te zu er­le­di­gen und so zu tun, als ver­bän­de ihn noch et­was mit der bür­ger­li­chen Welt. Daß er im Brief an Fran­cis Ba­con sei­nen Er­leb­nis­sen in der Be­geg­nung mit klei­nen, un­schein­ba­ren Din­gen sprach­li­chen Aus­druck gibt, ist ein per­for­ma­ti­ves Pa­ra­dox. Chan­dos sagt näm­lich das, was er nicht sa­gen kann.

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Wie man sich von sich selbst be­freit

Édouard Louis: Das Ende von Eddy
Édouard Lou­is:
Das En­de von Ed­dy
Der Erst­ling des jun­gen Édouard Lou­is als so­zia­les Lehr­stück

Édouard Lou­is hieß ur­sprüng­lich Édouard Bellegueu­le, und ge­ru­fen wur­de er »Ed­dy«. So steht es im auto­biographischen Ro­man, den der Au­tor 2012 in Pa­ris ver­öf­fent­lich­te, und auch in der Wirk­lich­keit ver­hält es sich so. »Schön­maul«, mit die­sem Na­men ist das Kind ge­straft; die ent­spre­chen­den Wort­spie­le wer­den gleich zu Be­ginn des Ro­mans zi­tiert. Édouard Lou­is, 22, hat sich von den Fes­seln sei­ner Her­kunft be­freit, in­dem er die­ses Buch schrieb. Die Be­frei­ung hat auch ei­nen fi­nan­zi­el­len Hin­tergrund, denn der jun­ge Au­tor ent­stammt ei­ner Schicht, die man als neu­es Lum­pen­pro­le­ta­ri­at be­zeich­nen könn­te, und sein Erst­ling war in Pa­ris ein Best­sel­ler. Die Vor­ge­schich­te sei­ner Be­frei­ung kann man in Das En­de von Ed­dy nach­le­sen. Schon der Ti­tel weist dar­auf hin: Ed­dy Bellegueu­le gibt es nicht mehr. Die Nie­der­schrift und Ver­öf­fent­li­chung des Ro­mans ist gleich­be­deu­tend mit sei­ner Ver­nich­tung.

En fi­nir avec Ed­dy lau­tet der Ti­tel im Ori­gi­nal. Hin­rich Schmidt-Hen­kel, ein außer­ordentlich ge­wand­ter Über­set­zer, der vie­le sprach­li­che Re­gi­ster zu zie­hen ver­steht, bil­det den von Lou­is häu­fig zi­tier­ten nord­fran­zö­si­schen So­zio­lekt ge­ra­de­zu lust­voll nach – beim Ti­tel scheint er mir aber et­was schmähstad ge­we­sen zu sein (oder hat ihn ein Lek­tor be­hin­dert?). »Schluß mit Bellegueu­le« wür­de pas­sen und kä­me dem Ori­gi­nal nä­her. Die Er­zäh­lung selbst hat et­was Ge­walt­tä­ti­ges, nach dem Selbst­ver­ständ­nis des Au­tors han­delt es sich um Ge­gen­ge­walt ge­gen das ge­walt­tä­ti­ge Sy­stem. Die da­von Be­trof­fe­nen und (im Buch) Be­schrie­be­nen be­zie­hen die li­te­ra­ri­sche Ge­walt aber auf sich selbst: Der will uns ver­nich­ten! Mit­samt sei­nem Ed­dy will Lou­is auch die Um­ge­bung zer­stö­ren, in der er auf­ge­wach­sen ist, al­so die kon­kre­ten Men­schen im Dorf Hal­len­court. Mach ka­putt, was dich ka­putt macht. Li­te­ra­tur ge­gen Ver­ro­hung. Ver­ro­hung ge­gen Li­te­ra­tur, ge­gen die Schwu­len, ge­gen die Weich­ei­er.

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»Die gro­ße Ek­sta­se des Bild­schnit­zers Stei­ner«

Im METRO Ki­no­kul­tur­haus in Wien gibt es der­zeit ei­ne in­ter­es­san­te Film­schau: »Pe­ter Hand­ke geht ins Ki­no«. 27 Fil­me, die Pe­ter Hand­ke aus­ge­sucht hat, wer­den hier bis Mit­te No­vem­ber ge­zeigt wer­den. So­fern man die Zet­tel Hand­kes le­sen kann, sind nicht al­le sei­ne Wün­sche er­füllt wor­den, aber sehr vie­le. Das Pan­ora­ma der Aus­wahl ist breit ge­fä­chert: Es ...

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»Du weißt nicht, wo Gott wohnt«

TAGEBUCHEINTRAGUNGEN JULI 1984

Salz­burg, 6.7., Freitag...Treffe um ½ 3h P.H.1 in der Bar vom Ho­tel Bri­stol. Sei­ne gro­ße Mü­dig­keit – und Freund­schaft­lich­keit zu­gleich. Er schenkt mir ein Buch von Re­né Char, das er über­setzt hat, im letz­ten Som­mer2. Wir spre­chen ein we­nig ad Tal­mud, er liest seit ei­ni­ger Zeit Be­rakhot in ei­ner Gold­mann-Aus­ga­be – scheint da­von sehr be­ein­druckt zu sein, von den At­tacken auf Je­sus ab­ge­se­hen. Er­zäh­le ein we­nig ad mei­ner Ar­beit3 – auch mei­ne Sor­gen er­wäh­nend. Nach­dem ich ihn um Rat ge­fragt ha­be, sagt er: »Das ist dein Pro­blem, da­mit kann ich nichts an­fan­gen, hab ja auch noch nie so et­was ge­macht.« (So et­was wie ei­ne Bio­gra­fie...) Daß ich noch so lan­ge brau­chen wer­de, bis zur Fer­tig­stel­lung, sieht er nicht ein.

Er ist ganz in Weiß ge­klei­det – zieht die Schu­he aus, legt die nack­ten Fü­ße auf die bunt über­zo­ge­ne Bar-Couch.

In 2 Jah­ren viel­leicht wie­der ein Film: Wall­fahrt von Kärn­ten nach Fa­ti­ma. Aber zur Zeit ar­bei­tet er nichts Ei­ge­nes, über­setzt ei­gent­lich nur.

Sein Jam­mern, im­mer wie­der, so mü­de zu sein. Al­ler­dings um 6h auf­ge­stan­den – und jetzt, um 3h, trin­ken wir Wein in Li­ter­men­gen-. PH’s Freu­de über ein Ge­schenk, das ich ihm ma­che. Rät lan­ge, die Form ab­ta­stend – ich hat­te in der Stein­gas­se ein klei­nes Ding ge­fun­den, mit dem man Ent­fer­nun­gen auf Land­kar­ten ab­mes­sen kann. Idea­les PH-Ge­schenk. Und als er’s nicht er­ra­ten hat (ist wü­tend auf sich, des­we­gen, ob­wohl es ja kaum er­rat­bar ist – schimpft auf sich [...]) ist dann sei­ne Freu­de still, aber sicht­lich groß. Lieb auch, wie er das Ob­jekt be­rührt, mit dem Meß­räd­chen spielt, etc.

Ad Ma­rie4 ein we­nig, glau­be, daß da jetzt doch »Et­was« ge­schieht. Ob­wohl er kei­nes­wegs von ihr be­gei­stert ist – und un­ter ih­rer In­ten­si­tät lei­det. Zur Zeit ist sie in Ber­lin, Hel­lers5 mor­gi­gem Feu­er­werk we­gen. (...) Er wird im Som­mer in Frank­reich sein – und in Lon­don, mit Ami­na6.

Ir­gend­wann dann ins Ta­ges­licht, PH muss nach Leo­polds­kron, zur Frau Stein­wendt­ner7, dort Ab­schieds­fest für Il­se Ai­chin­ger, die nach dem Tod ih­rer Mut­ter von Groß­gmain nach Lon­don über­sie­delt. Er will sich da­vor drücken, geht aber doch. PH’s Be­mer­kung, mensch­liche Schick­sa­le in­ter­es­sier­ten ihn ei­gent­lich über­haupt nicht mehr. Und er wol­le nicht MITLEID emp­fin­den, mit Schick­sa­len, die ihm er­zählt wer­den – (nach­dem ich ihm sag­te, Il­se Ai­chin­gers Mut­ter sei im Krieg in Wien ein »U‑Boot« ge­we­sen).

Streu­nen noch ge­mein­sam durch die Stadt – glau­be, er ist et­was aus­ge­laugt, zur Zeit. Machst du mit Ma­rie Spa­zier­gän­ge?, fra­ge ich. Un­aus­denk­bar. Doch, 1x, 1 Stun­de lang, da re­de­te sie un­un­ter­bro­chen und sah NICHTS – »ja, Men­schen sind schon sehr ver­schieden...«, sagt er.

Sei­ne Sucht, Le­ber­kä­se oder Es­sig­wurst zu es­sen – wie lässt sich das mit der Talmud­lektüre ver­ein­ba­ren?

In der Nonn­ta­ler Haupt­stra­ße dann Ab­schied, vor ei­nem Fleisch­hau­er. Kurz zu­vor, bei ei­nem Brun­nen, läßt er das Kalt­was­ser auf sein Hand­ge­lenk rin­nen, wo der Puls klopft – und spritzt den spucken­den Brun­nen­kopf so ver­spielt und trau­rig an – sagt ach, wie schön es wä­re, nicht mehr zu le­ben. Be­schimp­fe ihn, die­ses Sat­zes wegen...er bleibt da­bei, nimmt ihn dann beim Ab­schied wie­der zu­rück, ich sol­le das al­les nicht so ernst neh­men, was er spre­che.

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  1. Peter Handke 

  2. Gemeint ist: Rückkehr stromauf. Gedichte 1964-1975. München 1984 

  3. Ich hatte mit der Niederschrift der Biografie Franz Werfels begonnen 

  4. Marie Colbin, PH's spätere Freundin, vgl. Begleitschreiben 20.11.2013 

  5. André Hellers Feuertheater mit der Klangwolke 

  6. Gemeint ist PH's 1969 geborene Tochter 

  7. Brita Steinwendtner ist eine österreichische Schriftstellerin. Sie lebt als Autorin, Regisseurin und Feuilletonistin in Salzburg 

Rein­hard Kai­ser-Mühlecker: Schwar­zer Flie­der

[...] Rein­hard Kai­­ser-Mühlecker er­zählt die Ge­schich­te von Fer­di­nand Gold­ber­ger mit gro­ßer sprach­li­cher Ge­nauigkeit. Da­bei spielt es für den Le­ser kei­ne Rol­le, dass »Schwar­zer Flie­der« ei­ne Wei­ter­füh­rung der »Gol­d­­ber­­ger-Sa­­ga« des Au­tors ist, die 2009 mit »Mag­da­len­aberg« be­gann, dann 2012 mit dem um­fang­rei­chen Ro­man »Ro­ter Flie­der« fort­ge­setzt wur­de und hier – schein­bar – sein En­de fin­det (der ...

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Ib­sen Award

»The In­ter­na­tio­nal Ib­sen Award« 2014 an – Pe­ter Hand­ke. Sehr schö­ne Be­grün­dung. Und ein Tritt in die Hin­tern der deut­schen Feuil­le­to­ni­sten, die seit Jah­ren das dra­ma­ti­sche Werk Hand­kes in Grund und Bo­den schrei­ben. Ein­zi­ge Aus­nah­me der letz­ten Jahr­zehn­te war »Im­mer noch Sturm«, was selbst ei­ne Fi­gur wie Sta­del­mai­er, der Reich-Ra­­nicki der Thea­ter­kri­ti­ker, nicht nie­der­ma­chen konn­te.