Ma­thi­as Enard: Tanz des Ver­rats

Ei­gent­lich sind es zwei ganz un­ter­schied­li­che Ge­schich­ten, die der fran­zö­si­sche Schrift­stel­ler Ma­thi­as Enard in sei­nem neue­sten Ro­man er­zählt. Und das spie­gelt sich (ab­sicht­lich oder nicht?) be­reits in der deut­schen Über­set­zung des Ti­tels. Im Ori­gi­nal heißt der Ro­man Dé­ser­ter, in der deut­schen Über­set­zung von Hol­ger Fock und Sa­bi­ne Mül­ler Tanz des Ver­rats. Zum ei­nen han­delt es ...

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Ma­thi­as Enard: Der per­fek­te Schuss

Mathias Enard: Der perfekte Schuss
Ma­thi­as Enard:
Der per­fek­te Schuss

2003 er­schien vom da­mals 31jährigen Her­aus­ge­ber und Über­set­zer Ma­thi­as Enard das be­mer­kens­wer­te Ro­man­de­but La per­fec­tion du tir (et­wa: »Die Per­fek­ti­on des Schie­ßens«). Haupt­fi­gur ist ein na­men­los blei­ben­der Ich-Er­zäh­ler, der zu Be­ginn 17 Jah­re alt ist. Der Ro­man spielt in ei­nem nicht nä­her ge­nann­ten Land, in dem ein Bür­ger­krieg tobt. Da­mals mut­maß­te man, dass der Li­ba­non ein Vor­bild ge­we­sen sein könn­te. Mir er­schei­nen die ju­go­sla­wi­schen Se­zes­si­ons­krie­ge nä­her­lie­gend. Die Kom­bat­tan­ten des Ro­mans kön­nen sich ver­stän­di­gen, spre­chen die glei­che Spra­che. Der Ver­lag schreibt zu Be­ginn, dass Enard für die »vor­lie­gen­de Über­set­zung« des Der per­fek­te Schuss ge­nann­ten, von Sa­bi­ne Mül­ler über­setz­ten Bu­ches, den Text »neu durch­ge­se­hen« ha­be (Enard spricht her­vor­ra­gend Deutsch). Die ak­tu­el­le Nach­rich­ten­la­ge ver­lei­tet da­zu, den Text in die Ukrai­ne zu ver­or­ten, was wo­mög­lich jetzt auch den Han­ser-Ver­lag er­mun­tert hat, ihn zwan­zig Jah­re spä­ter zu pu­bli­zie­ren.

Er­zählt wird im Prä­ter­itum rück­blickend auf et­was mehr als ein Jahr. Der Er­zäh­ler ist be­reits seit drei Jah­ren »da­bei«, ver­ließ das Gym­na­si­um, ver­mut­lich, weil es ge­schlos­sen wur­de. Er lebt mit sei­ner 50jährigen Mut­ter zu­sam­men, die dem Wahn­sinn oder der De­menz ver­fal­len ist und die zu Be­ginn pfle­ge­be­dürf­tig ist. Der Va­ter, einst ein wohl­ha­ben­der Bau­un­ter­neh­mer, starb bei ei­nem Sturz vom Ge­rüst; es ist nicht klar, ob dies ei­ne Tat ei­nes der schlecht­be­zahl­ten Ar­bei­ter war oder ein Un­fall. Die Mut­ter zer­brach dar­an.

Ein­zel­hei­ten zu dem Krieg gibt es nicht. Er zeigt un­ter­schied­li­che In­ten­si­tä­ten, trifft die Be­tei­lig­ten in Wel­len. Im­mer wie­der gibt es Waf­fen­still­stän­de, die aber nur kur­ze Zeit hal­ten. Der Er­zäh­ler lebt in ei­ner Stadt, von der er je nach La­ge wie bei ei­nem re­gel­mä­ßi­gen Ar­beits­ver­hält­nis an die Front geht und abends wie­der nach Hau­se kom­men kann. Ein­mal er­lebt die Stadt ei­nen star­ken Ar­til­le­rie­an­griff, bei dem Wohn­häu­ser ge­trof­fen wer­den; am Ran­de auch das Haus, in dem er lebt.

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Ma­thi­as Enard: Das Jah­res­ban­kett der To­ten­grä­ber

Da­vid Ma­zon, 1990 ge­bo­ren, ist ein flei­ßi­ger An­thro­po­lo­gie­stu­dent und zieht 2018 zu For­schungs­zwecken für ein Jahr von Pa­ris in den We­sten Frank­reichs, in das Dorf La Pierre-Saint-Chri­­sto­­phe, Dé­part­ment Deux-Sè­­­v­­res. Dort le­ben »nach der letz­ten Volks­zäh­lung 649 Ein­woh­ner« oder »284 Herd­feu­er, wie die Al­ten sa­gen wür­den«. Nach Ni­ort, der »Ver­si­che­rungs­haupt­stadt« Frank­reichs, sind es 15 Ki­lo­me­ter. Da­vid ...

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Das Ge­setz des Le­sens

Es gibt Bü­cher, de­nen man nicht ge­wach­sen ist. We­nig­stens nicht so­fort. Man liest sie, aber es fällt ei­nem nichts da­zu ein. Oder es fällt ei­nem zu­viel ein. Zu­viel, was man nicht auf­schrei­ben kann oder will. Ein sol­ches Buch ist »Der Idi­ot des 21. Jahr­hun­derts« von Mi­cha­el Klee­berg. Ich be­kam es im Au­gust letz­ten Jah­res zu­ge­schickt. ...

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Ma­thi­as Énard: Kom­pass

Mathias Enard: Kompass
Ma­thi­as Enard: Kom­pass

Schon 2010, in sei­nem opu­len­ten wie fa­mo­sen Werk »Zo­ne« hat­te sich Ma­thi­as Énard ei­ner Re­gi­on ver­schrieben, dem Mit­tel­meer, mach­te es zum my­thi­scher Raum, durch­maß ihn von Tan­ger bis Ga­za und al­les was von oder nach der »Zo­ne« kommt und das, was sich in »ihr« ab­ge­spielt hat­te, wur­de ob­ses­siv an­ge­saugt und er­zäh­le­risch ver­ar­bei­tet. Énard brauch­te hier­für ei­ne zwie­lich­ti­ge Fi­gur, ei­nen Kriegs­ver­bre­cher und Spi­on, der die Welt als ei­ne Ab­fol­ge von Hass und Ge­walt de­fi­nier­te und Ge­schichts­li­ni­en und Er­eig­nis­se von 218 vor Chri­stus bis zu den Mas­sa­kern der di­ver­sen Ju­go­sla­wi­en-Krie­ge der 1990er Jah­re her­an­zog und mit­ein­an­der ver­band, ge­treu dem Mo­tiv der Haupt­fi­gur, die »Ge­schich­te ist ei­ne Er­zäh­lung von rei­ßen­den Tie­ren, ein Buch, in dem auf je­der Sei­te Wöl­fe vor­kom­men« und so ist auch die­ses Buch, atem­los, ex­pres­siv, nicht ganz oh­ne Punkt und Kom­ma, son­dern nur oh­ne Punkt; die 600 Sei­ten be­stehen aus viel­leicht zwei Dut­zend ab­ge­schlos­se­nen Sät­zen, al­les steht hin­ter- und ne­ben­ein­an­der, ein Sog, der fes­sel­te, ab­stieß und an­zog und das al­les gleich­zei­tig.

Und nun al­so »Kom­pass« und die Zo­ne ist dies­mal nicht das Mit­tel­meer son­dern der Ori­ent; es gibt al­so Schnitt­men­gen aber nur geo­gra­phi­sche, aber es ist al­les an­ders. In »Zo­ne« wird die Höl­le er­zählt, per­so­nal aus Sicht ei­ner Per­son, wäh­rend ei­ner mehr­stündigen Zug­fahrt. In »Kom­pass« ist es ein ir­di­sches Pa­ra­dies, evo­ziert von ei­nem Ich-Er­zäh­ler, dem öster­rei­chi­schen Mu­sik­wis­sen­schaft­ler Franz Rit­ter, der schlaf­los in ei­ner Nacht in Wien sein Le­ben re­ka­pi­tu­liert, nicht nur aber auch weil er ei­ne töd­li­che Dia­gno­se sei­nes Arz­tes er­hal­ten hat. Er­staun­lich, wie we­nig man am En­de über Rit­ter als Per­son weiß. Aka­de­misch ist er ein Schü­ler von Jean Du­ring und nach ei­ge­ner Aus­sa­ge glück­lich, dem 20. Jahr­hun­dert »wi­der­stan­den« zu ha­ben (was sich dann be­wahr­hei­tet). Al­les an­de­re Per­sön­li­che bleibt dif­fus, selbst sein Al­ter muss man schät­zen (sei­ne Mut­ter ist 75), aber auf die Per­son Rit­ter kommt es ei­gent­lich gar nicht an, ob­wohl das Buch auch ei­ne Lie­bes­ge­schich­te ist (üb­ri­gens kei­nes­falls die Ge­schich­te ei­ner nur ge­schei­ter­ten Lie­be, wie so man­che Re­zen­sen­ten dies hin­ein- oder her­aus­le­sen). Die Lie­be sei­nes Le­bens, der Kom­pass sei­ner Ob­ses­si­on, ist die am En­de Mitt­vier­zi­ger Ori­en­ta­li­stin Sa­rah (es bleibt beim Vor­na­men), ei­ne »no­ma­di­sche Aka­de­mi­ke­rin«, rot­haa­rig, ge­bil­det, wis­sens­dur­stig, the­sen­freu­dig, per­fekt ara­bisch und per­sisch spre­chend, ei­ne »glän­zen­de Kar­rie­re« ma­chend, ein­ge­la­den auf »pre­sti­ge­träch­ti­gen Kol­lo­qui­en« welt­weit – al­les in Al­lem gu­te Vor­aus­set­zun­gen.

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Ma­thi­as Énard: Er­zähl ih­nen von Schlach­ten, Kö­ni­gen und Ele­fan­ten

Mathias Énard: Erzähl ihnen von Schlachten, Königen und Elefanten
Ma­thi­as Énard:
Er­zähl ih­nen von Schlach­ten, Kö­ni­gen und Ele­fan­ten

Im­mer noch wirkt Ma­thi­as Énards fa­bel­haf­tes hi­sto­ri­sches Mit­tel­meer-Epos »Zo­ne« nach. Zum Bei­spiel wenn ich ei­ne Kar­te des Mit­tel­mee­res se­he oder Be­rich­te über die­se Re­gi­on hö­re. Die Er­eig­nis­se des Jah­res 2011 in den ara­bi­schen Län­dern wür­den neu­en Stoff für Bel­li­zist, Ge­heim­agent und Fa­schist Fran­cis Ser­vain Mir­ko­vić lie­fern, der auf sechs Stun­den Zug­fahrt von Mai­land nach Rom die Ge­schich­te des Mit­tel­meers mit ih­ren po­li­ti­schen Ver- und Ent­wick­lun­gen, Krie­gen und fal­schen Hel­den auf­fä­chert. Und so hört die­se Po­ly­pho­nie des Grau­ens nie­mals auf, son­dern er­hält stän­dig neue Nah­rung. Un­mög­lich, die­ses er­zäh­le­ri­sche Ver­fah­ren (an­ge­lehnt an Ho­mers Il­li­as) bei­zu­be­hal­ten. Énard hat das erst gar nicht ver­sucht (sol­che Form des Selbst­pla­gi­ats wä­re auch des Gu­ten zu­viel), son­dern legt mit »Er­zähl ih­nen von Schlach­ten, Kö­ni­gen und Ele­fan­ten« ein gänz­lich an­de­res Buch vor; fast nur ein Büch­lein mit sei­nen 170 groß­zü­gig ge­füll­ten Sei­ten. Aber bei al­ler Dif­fe­renz – es gibt durch­aus ein gut ver­bor­ge­nes Band zum in Duk­tus und Form so gänz­lich an­de­ren Buch.

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Ma­thi­as Énard: Zo­ne

Fast 600 Sei­ten ei­ne Sua­da oh­ne Punkt in 21 Ka­pi­teln (plus drei Ka­pi­tel »Zi­ta­te« aus ei­nem fik­ti­ven Buch aus dem li­ba­ne­si­schen Bür­ger­krieg). Ka­pi­tel, die über 40, 50 und mehr Sei­ten ge­hen – be­stehend nur aus ei­nem ein­zi­gen Satz; ei­ne Blei­wü­ste, in der sich der Le­ser zu­wei­len ver­irrt, ver­ir­ren soll, ganz schnell taucht er dort hin­ein, ...

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