Matthias Matussek: Das katholische AbenteuerHans-Georg Gadamers Prämisse für das Gespräch – »Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere Recht haben könnte« – ist für den potentiellen Leser dieses Buches die Minimalanforderung. Ansonsten sollte man lieber verzichten und seine Vorurteile im Garten der Akklamation pflegen (etwas, was nicht nur für dieses Buch gilt).
Dabei gibt es sofort Grund zur Kritik. Der eigentlich schöne Buchtitel »Das katholisches Abenteuer« wird durch die flapsig-überflüssige Unterzeile »Eine Provokation« sofort wieder nivelliert (das hätte sich vielleicht dem Leser noch selber erschlossen). Und der hehre Anspruch, hier erzähle jemand von seinem katholischen Glauben in den Zeiten des forsch-plappernden Atheismus wird durch das blöde Cover mit Hörnchen, Dreizack und Heiligenschein konterkariert. Marketing ist wohl alles und Matthias Matussek muss unbedingt als Feuilleton-Krawallbär verkauft werden – drunter geht’s nicht.
Schade, denn da hat jemand durchaus etwas zu sagen. In den besten Augenblicken berührt das Bild des gläubigen Katholiken Matussek in der zynischen Spaßgesellschaft mit ihrer anödende[n] Dauerironie sogar.
Das Pseudonym von Matthias Horx in »World of Warcraft« lautet Heilpriester Planetarius. Als man das ungefähr in der Mitte des Buches erfährt, ist man nicht mehr sonderlich überrascht. Hier ist jemand, der nach langer (und suggestiver) Rede mit forschem Gestus und angelsächsisch angehauchtem Optimismus seinem Leser auf die Schulter klopft und »alles Gute« wünscht. Lässt man sich auf sein »Buch des Wandels« ein, bleibt man zuverlässig von den großen Katastrophen verschont. Fast nebenbei soll sich beim Leser das wohlige Gefühl einstellen, Zigtausende Seiten Lektüre gespart zu haben. Nachfrager, Abwäger, Skeptiker, Kritiker – sie gehören allesamt der Gruppe der Alarmisten an. Das hat man endlich schwarz auf weiß. Daneben gibt es noch die mehr oder weniger gleichgültigen Stoiker und, nachdem diese Zweiklassengesellschaft wider Erwarten doch nicht ausreicht, kommen noch die Wandelhektiker à la Sloterdijk dazu, die nur mit Imperativen agieren und reglementieren können. Ein schöner Beleg dafür, dass Horx Sloterdijks Buch nicht verstanden hat. Aber wenn es nur das wäre…
Christopher Hitchens: Der Herr ist kein Hirte
In dem Film »Modern Times« (»Moderne Zeiten«) von 1936 muss der Arbeiter Charlie (gespielt von Charlie Chaplin) mit zwei Schraubenschlüsseln laufend Schrauben anziehen. Charlie verinnerlicht diese immergleichen Fliessbandbewegungen so stark, dass er irgendwann diese auch an den Brustwarzen, Nasen oder Hinterteilen seiner Kollegen, an irgendwelchen Knöpfen, an Hydranten – und schliesslich auch an vorbeiflanierenden Frauen wie der Sekretärin des Chefs und einer korpulenten Dame auf der Strasse ausüben möchte. Charlie sieht überall nur noch Schrauben. Alles muss von ihm festgeschraubt werden. Er steht vor dem Wahnsinn; die Monotonie seiner Arbeit hat seine Sinne vorübergehend deformiert.
Arbeitsverhältnisse wie 1936 gibt es kaum noch. Dennoch kann es auch heute noch passieren, dass eine einseitige Ausrichtung einer Tätigkeit zu der Ausblendung dessen, was man vielleicht ‘vollständige Wahrnehmung’ nennen könnte, führen kann. Ich habe Grund zu der Annahme, dass dies bei dem Journalisten Christopher Hitchens der Fall ist. Hitchens’ selektive Wahrnehmung dokumentiert sein Buch Der Herr ist kein Hirte.
»Der Gotteswahn« ist ein Missionierungsversuch, eine Kampfschrift wider alles und allem, was in irgendeiner Form mit Transzendenz in Verbindung gebracht werden kann. Der rationalistische Furor des britischen Evolutionsbiologen Richard Dawkins ist eine Mischung zwischen krudem Weltverbesserungspathos, der Paranoia frommer Exorzisten, die überall nur noch Besessene sehen, die von ihrer Krankheit zu heilen sind und einem archaisch-jakobinischem Moralverständnis. Der monotheistischen Chauvinismus speziell des Christentums hat es ihm angetan (früh werden Konfuzianismus und Buddhismus ausgeklammert; sie werden flugs als ethische Systeme eingeordnet) und sein Bildersturm für einen radikalen Atheismus nimmt im Laufe des Buches wahrhaft kulturrevolutionärere Züge an (verflacht dann allerdings auf den letzten 50 Seiten).
Religion ist eine »psychiatrische Krankheit«
Es ist eigentlich ganz einfach. Zunächst einmal wird der Atheismus als tapferes, grossartiges Ziel ausgegeben. Dann verweigert Dawkins ausdrücklich und dezidiert den religiösen Gefühlen von Menschen seinen Respekt – vermutlich, um historische Ungerechtigkeiten ein für allemal auszugleichen (der bewusstseinserweiternde Feminismus der 68er ist da sein »Lehrmeister«). Eigentlich also ein Vorgehen, welches dem freimütig bekannten Zweck der Bekehrung zuwiderläuft, denn gemeinhin gewinnt man einen Menschen für eine Idee nicht dadurch, in dem man seine bisherigen Überzeugungen in den Dreck zieht. Nachdem dann Albert Einstein und – etwas später ‑Thomas Jefferson als Gesinnungsgenossen vereinnahmt wurden (bei Jefferson unterschlägt Dawkins allerdings dessen Bewunderung dem Neuen Testament gegenüber, welches in der sogenannten »Jefferson Bible« mündete) geht es dann los: Religion ist eine psychiatrische Krankheit, ein Virus, sie entsteht durch Fehlfunktionen einzelner Gehirnmodule; ihre Verfechter sind sehr viel dümmer als Atheisten (gläubige Katholiken haben – immer noch nach Dawkins – eine unterdurchschnittliche Intelligenz).