Warum der Hollywood-Film »Oppenheimer« den japanischen Kinozusehern vorenthalten wird
In allen Weltgegenden konnte man während der letzten Wochen den Hollywood-Film Oppenheimer sehen, außer in Japan, also auch nicht in Hiroshima, der Stadt, die die Auswirkungen der von Robert Oppenheimer koordinierten Erfindung namens Atombombe als erste und am härtesten zu spüren bekam. Es gibt das Gerücht, daß der Film aus Japan verbannt bleiben soll; wahrscheinlicher ist, daß man ihm hier keinen großen Erfolg zutraut und ihn später in Programmkinos zeigen wird. Kommentare zum Film können wir im Internet jedoch lesen, sogar ein dreiminütiger Trailer ist uns vergönnt. In diesem sieht man eine Explosion, einen wunderschönen roten, abstrakt bleibenden Feuerball, der den ganzen Raum hinter der Figur ausfüllt. Dem Vernehmen nach läuft die Explosionspassage in dem sonst anscheinend überlauten Film ohne Ton ab. So kann man das Spektakel umso ruhiger genießen. Christopher Nolan, der Regisseur, hat diese Szene als »showstopper« bezeichnet, er wollte sie nicht mit Computeranimation drehen. Das Publikum sollte an dieser Stelle, wenn schon nicht applaudieren, dann zumindest wow! flüstern. »Heller als tausend Sonnen«, schrieb Robert Jungk in den fünfziger Jahren, als Robert Oppenheimer von den Kommunistenjägern verfolgt wurde.
Manohla Dargis, Kritikerin der New York Times, fand es gut, daß der Film die realen Wirkungen der beiden ersten Atomangriffe ausspart. Um ihr Argument zu untermauern, zitiert sie François Truffaut, der meinte, jeder Kriegsfilm, auch Antikriegsfilme, würden den Krieg glorifizieren. Truffaut bezieht sich allerdings auf Spielfilme, in denen Soldaten beim Kriegshandwerk gezeigt werden. Ich glaube nicht, daß er sagen wollte, jede Dokumentation würde den Krieg verherrlichen. Dann wäre auch das Friedensmuseum auf dem Ground Zero in Hiroshima, wo die erste der beiden Bomben explodierte, bloß ein unerhebliches Element der globalen Tourismus- und Unterhaltungsindustrie. Ist es aber nicht, trotz der Einwände, die man nach der kürzlich erfolgten Renovierung des Museums erheben kann. Und trotz des gleich hinter dem einzigen damals – als Skelett – stehengebliebenen Gebäude, dem sogenannten Hiroshima-Dome, errichteten Orizuru-Buildings, wo Touristen gegen ein nicht ganz geringes Entgelt selbstgefaltete Kraniche von der obersten Etage segeln lassen und Souvenirs einkaufen dürfen. Ein Besuch des Friedensparks und des Museums weckt immer noch in jedem nicht ganz gefühllosen Besucher Abscheu gegen den Krieg, besonders gegen den Atomkrieg. Und daß die Einzelschicksale der damals im Feuerball Verbrannten, Verschmolzenen und Verstrahlten ins Zentrum der Ausstellung gerückt werden, die historischen Zusammenhänge einschließlich japanischer Kriegsschuld aber im Hintergrund bleiben, ändert an dieser Betroffenheit gar nichts, im Gegenteil. Ein Rückgriff auf historisches Dokumentationsmaterial hätte zwar keinen Showstopper-Effekt im Oppenheimer-Film gebracht, aber den Ernst der Angelegenheit unterstrichen. Mag sein, daß solch krude, schmerzerregende Bilder die wohldurchdachte Erzählästhetik des anscheinend rundum gelungenen Films gestört hätten.
Auch ohne – aus dem erwähnten Grund – Nolans Film gesehen zu haben, könnte man den Glorifizierungsverdacht ebensogut gegen diesen wenden. Dem Vernehmen nach ist nach dem sogenannten Trinity-Test im Juli 1945, also der ersten gelungenen Atomexplosion, die Freude der Forscher und Entwickler angesichts des Feuerballs zu sehen. Wird hier die atomare Zerstörung glorifiziert? Vielleicht nicht. Dem Kritiker der britischen Filmzeitschrift Empire jedenfalls dreht sich an dieser Stelle der Magen um. Wenig später spricht derselbe Autor allerdings von der »IMAX-boosted« Schönheit der Trinity-Sequenz und findet sie »umwerfend«. Letztlich wird die Atomerzählung wohl von der Ambivalenz und den Zweifeln getragen (oder gerettet?), die Cillian Murphy – wieder dem Vernehmen nach – an der Figur Oppenheimers aufzuweisen versteht.