Wel­ten­zer­stö­rer

War­um der Hol­ly­wood-Film »Op­pen­hei­mer« den ja­pa­ni­schen Ki­no­zu­se­hern vor­ent­hal­ten wird

In al­len Welt­ge­gen­den konn­te man wäh­rend der letz­ten Wo­chen den Hol­ly­wood-Film Op­pen­hei­mer se­hen, au­ßer in Ja­pan, al­so auch nicht in Hi­ro­shi­ma, der Stadt, die die Aus­wir­kun­gen der von Ro­bert Op­pen­hei­mer ko­or­di­nier­ten Er­fin­dung na­mens Atom­bom­be als er­ste und am här­te­sten zu spü­ren be­kam. Es gibt das Ge­rücht, daß der Film aus Ja­pan ver­bannt blei­ben soll; wahr­schein­li­cher ist, daß man ihm hier kei­nen gro­ßen Er­folg zu­traut und ihn spä­ter in Pro­gramm­ki­nos zei­gen wird. Kom­men­ta­re zum Film kön­nen wir im In­ter­net je­doch le­sen, so­gar ein drei­mi­nü­ti­ger Trai­ler ist uns ver­gönnt. In die­sem sieht man ei­ne Ex­plo­si­on, ei­nen wun­der­schö­nen ro­ten, ab­strakt blei­ben­den Feu­er­ball, der den gan­zen Raum hin­ter der Fi­gur aus­füllt. Dem Ver­neh­men nach läuft die Ex­plo­si­ons­pas­sa­ge in dem sonst an­schei­nend über­lau­ten Film oh­ne Ton ab. So kann man das Spek­ta­kel um­so ru­hi­ger ge­nie­ßen. Chri­sto­pher No­lan, der Re­gis­seur, hat die­se Sze­ne als »show­stop­per« be­zeich­net, er woll­te sie nicht mit Com­pu­ter­ani­ma­ti­on dre­hen. Das Pu­bli­kum soll­te an die­ser Stel­le, wenn schon nicht ap­plau­die­ren, dann zu­min­dest wow! flü­stern. »Hel­ler als tau­send Son­nen«, schrieb Ro­bert Jungk in den fünf­zi­ger Jah­ren, als Ro­bert Op­pen­hei­mer von den Kom­mu­ni­sten­jä­gern ver­folgt wur­de.

Ma­noh­la Dar­gis, Kri­ti­ke­rin der New York Times, fand es gut, daß der Film die rea­len Wir­kun­gen der bei­den er­sten Atom­an­grif­fe aus­spart. Um ihr Ar­gu­ment zu un­ter­mau­ern, zi­tiert sie Fran­çois Truf­f­aut, der mein­te, je­der Kriegs­film, auch An­ti­kriegs­fil­me, wür­den den Krieg glo­ri­fi­zie­ren. Truf­f­aut be­zieht sich al­ler­dings auf Spiel­fil­me, in de­nen Sol­da­ten beim Kriegs­hand­werk ge­zeigt wer­den. Ich glau­be nicht, daß er sa­gen woll­te, je­de Do­ku­men­ta­ti­on wür­de den Krieg ver­herr­li­chen. Dann wä­re auch das Frie­dens­mu­se­um auf dem Ground Ze­ro in Hi­ro­shi­ma, wo die er­ste der bei­den Bom­ben ex­plo­dier­te, bloß ein un­er­heb­li­ches Ele­ment der glo­ba­len Tou­ris­mus- und Un­ter­hal­tungs­in­du­strie. Ist es aber nicht, trotz der Ein­wän­de, die man nach der kürz­lich er­folg­ten Re­no­vie­rung des Mu­se­ums er­he­ben kann. Und trotz des gleich hin­ter dem ein­zi­gen da­mals – als Ske­lett – ste­hen­ge­blie­be­nen Ge­bäu­de, dem so­ge­nann­ten Hi­ro­shi­ma-Do­me, er­rich­te­ten Ori­zu­ru-Buil­dings, wo Tou­ri­sten ge­gen ein nicht ganz ge­rin­ges Ent­gelt selbst­ge­fal­te­te Kra­ni­che von der ober­sten Eta­ge se­geln las­sen und Sou­ve­nirs ein­kau­fen dür­fen. Ein Be­such des Frie­dens­parks und des Mu­se­ums weckt im­mer noch in je­dem nicht ganz ge­fühl­lo­sen Be­su­cher Ab­scheu ge­gen den Krieg, be­son­ders ge­gen den Atom­krieg. Und daß die Ein­zel­schick­sa­le der da­mals im Feu­er­ball Ver­brann­ten, Ver­schmol­ze­nen und Ver­strahl­ten ins Zen­trum der Aus­stel­lung ge­rückt wer­den, die hi­sto­ri­schen Zu­sam­men­hän­ge ein­schließ­lich ja­pa­ni­scher Kriegs­schuld aber im Hin­ter­grund blei­ben, än­dert an die­ser Be­trof­fen­heit gar nichts, im Ge­gen­teil. Ein Rück­griff auf hi­sto­ri­sches Do­ku­men­ta­ti­ons­ma­te­ri­al hät­te zwar kei­nen Show­stop­per-Ef­fekt im Op­pen­hei­mer-Film ge­bracht, aber den Ernst der An­ge­le­gen­heit un­ter­stri­chen. Mag sein, daß solch kru­de, schmerz­er­re­gen­de Bil­der die wohl­durch­dach­te Er­zäh­l­äs­the­tik des an­schei­nend rund­um ge­lun­ge­nen Films ge­stört hät­ten.

Auch oh­ne – aus dem er­wähn­ten Grund – Nolans Film ge­se­hen zu ha­ben, könn­te man den Glo­ri­fi­zie­rungs­ver­dacht eben­so­gut ge­gen die­sen wen­den. Dem Ver­neh­men nach ist nach dem so­ge­nann­ten Tri­ni­ty-Test im Ju­li 1945, al­so der er­sten ge­lun­ge­nen Atom­ex­plo­si­on, die Freu­de der For­scher und Ent­wick­ler an­ge­sichts des Feu­er­balls zu se­hen. Wird hier die ato­ma­re Zer­stö­rung glo­ri­fi­ziert? Viel­leicht nicht. Dem Kri­ti­ker der bri­ti­schen Film­zeit­schrift Em­pire je­den­falls dreht sich an die­ser Stel­le der Ma­gen um. We­nig spä­ter spricht der­sel­be Au­tor al­ler­dings von der »IMAX-boo­sted« Schön­heit der Tri­ni­ty-Se­quenz und fin­det sie »um­wer­fend«. Letzt­lich wird die Atom­er­zäh­lung wohl von der Am­bi­va­lenz und den Zwei­feln ge­tra­gen (oder ge­ret­tet?), die Cil­li­an Mur­phy – wie­der dem Ver­neh­men nach – an der Fi­gur Op­pen­hei­mers auf­zu­wei­sen ver­steht.

Hi­ro­shi­ma ist heu­te ei­ne ganz nor­ma­le Stadt; un­längst fand hier so­gar ein Gip­fel­tref­fen der G 7‑Weltmächte statt, al­les rei­bungs­los, das Stadt­zen­trum mit­samt Frie­dens­park ge­sperrt, Schu­len und Äm­ter ge­schlos­sen, kaum Ge­gen­de­mon­stra­tio­nen. Hi­ro­shi­ma ist ei­ne nor­ma­le Stadt mit nor­ma­lem Tou­ris­mus, wo die Ver­an­stal­ter schon mal das wun­der­schö­ne Mi­ya­ji­ma, ei­ne klei­ne In­sel vor der Kü­ste mit stei­len Ber­gen, dich­ten Wäl­dern, jahr­hun­der­te­al­ten Tem­peln und Schrei­nen, und das Ka­ta­stro­phen­sym­bol des Hi­ro­shi­ma-Do­me auf ei­nem Pla­kat ne­ben­ein­an­der mon­tie­ren, ganz ähn­lich, wie man es mit den zwei Block­bu­stern die­ses Som­mers ge­macht hat, um den Ba­stard »Bar­ben­hei­mer« zu ge­bä­ren – was in Ja­pan, an­ders als es die me­dia­le Er­war­tung in Über­see es will, nie­man­den juckt. Ein Tag in Hi­ro­shi­ma, vor­mit­tags die Schau­der des Atom­kriegs, nach­mit­tags die Schön­heit und Spi­ri­tua­li­tät des alt­ja­pa­ni­schen Um­gangs mit der Na­tur (die heu­te in Wahr­heit auf we­ni­ge Re­ser­va­te be­schränkt ist). Bar­bie kam so­gleich in die ja­pa­ni­schen Ki­nos, Op­pen­hei­mer, der zwei­te Block­bu­ster im Som­mer 2023, erst spä­ter in ei­ni­gen Pro­gramm­ki­nos, die kein Mas­sen­pu­bli­kum er­rei­chen.

Hi­ro­shi­ma ist ei­ne ganz nor­ma­le Stadt, nur daß die Be­woh­ner und auch ih­re po­li­ti­schen Ver­tre­ter et­was acht­sa­mer sind, wenn es um die Be­wah­rung des Frie­dens und der pa­zi­fi­sti­schen Nach­kriegs­ver­fas­sung geht, die kon­ser­va­ti­ve na­tio­na­le Po­li­ti­ker än­dern wol­len. In Eu­ro­pa muß­te ich bei Ge­sprä­chen im­mer wie­der mal de­men­tie­ren, daß der Bo­den hier auf al­le Zei­ten ver­seucht ist. Da­bei muß ich gar nicht dar­auf ver­wei­sen, daß ich hier jah­re­lang Boh­nen, To­ma­ten, Go­yafrüch­te ge­zo­gen und selbst ge­ges­sen ha­be; es ge­nügt, Bil­der vom Frie­dens­park an­zu­se­hen, wo auf dem Grund ab­so­lu­ter Zer­stö­rung gleich nach Kriegs­en­de Bäu­me ge­pflanzt und da­nach von den Be­woh­nern hin­ge­bungs­voll ge­pflegt wur­den, wes­halb sie heu­te, fast acht Jahr­zehn­te da­nach, be­son­ders schön wach­sen, mit be­son­ders in­ten­si­vem Grün – oder bil­den sich das na­tur­lie­ben­de Kriegs­geg­ner ein? Im­mer noch sieht man al­te Frau­en und Män­ner den Bo­den un­ter den Baum­kro­nen keh­ren. Es ist, als woll­ten sie das be­schei­de­ne Ge­dicht von Ta­mi­ki Ha­ra ver­wirk­li­chen, das am Kyo­ba­shi-Fluß in ei­nen Stein ge­mei­ßelt ist: »Laßt ewi­ges Grün ge­dei­hen / im Del­ta von Hi­ro­shi­ma.« Ha­ra er­leb­te und über­leb­te den An­griff vom 6. Au­gust 1945, er war da­mals vier­zig Jah­re alt und nahm sich 1951 das Le­ben.

Ei­nem an­de­ren Gärt­ner bin ich letz­tes Jahr be­geg­net, auf der In­sel Ni­no­shi­ma, die we­ni­ge Ki­lo­me­ter vom Ha­fen von Hi­ro­shi­ma ent­fernt liegt, aber kei­ne be­son­de­ren At­trak­tio­nen zu bie­ten hat. Ni­no­shi­ma dien­te seit dem 19. Jahr­hun­dert als Qua­ran­tä­ne-In­sel, ge­gen En­de des er­sten Welt­kriegs wur­den et­wa 500 deut­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne (aus Quing­dao, da­mals deut­sche Ko­lo­nie in Chi­na) hier­her ver­bracht und al­lem An­schein nach gut be­han­delt. Bei mei­ner Wan­de­rung sah ich in ei­nem sonst un­ge­nutz­ten Feld ei­nen weiß­haa­ri­gen Mann mit Blu­men be­schäf­tigt, ei­ne an­sehn­li­che Pflan­zung, wo auch im Herbst noch vie­les blüh­te. Er zö­ger­te ei­ne Wei­le, kam dann zu mir auf die Stra­ße, mach­te mich auch auf ein un­schein­ba­res Denk­mal auf­merk­sam. An die­sen Ort wa­ren im Au­gust 1945 et­wa 11.000 Atom­bom­ben­op­fer ge­bracht wor­den, von de­nen die mei­sten bald star­ben. Der Mann, jetzt acht­zig Jah­re alt, war 1943 auf der In­sel ge­bo­ren. Er hat­te kei­ne un­mit­tel­ba­re Er­in­ne­rung an die Ex­plo­si­on um 8 Uhr 15, wohl aber an die Re­ak­ti­on sei­ner An­ge­hö­ri­gen, an die ent­setz­ten Ge­sich­ter. An sei­nem Le­bens­en­de hat­te er es sich zur Auf­ga­be ge­macht, den Ort des Ge­den­kens, wo zahl­lo­se Op­fer im Mas­sen­grab ru­hen, mit na­tür­li­chen Mit­teln so schön wie mög­lich zu ge­stal­ten.

Im Jahr 2010 hat­te ich in ei­nem Ca­fé na­he dem Frie­dens­park von Hi­ro­shi­ma ei­ne Be­kann­te von Freun­den ge­trof­fen, die 1945 sech­zehn Jah­re alt war. Sie hat­te den Atom­pilz in den Ber­gen au­ßer­halb der Stadt ge­se­hen, wo sie als Schü­le­rin in der Kriegs­pro­duk­ti­on ar­bei­ten muß­te. Am Vor­mit­tag des 6. Au­gust ging sie al­lein los, um nach ih­ren An­ge­hö­ri­gen zu su­chen, die im Zen­trum wohn­ten bzw. ar­bei­te­ten. Zahl­lo­se Men­schen, oft selbst ver­letzt, irr­ten in der zer­stör­ten Stadt um­her, die Na­men von Op­fern, so­weit iden­ti­fi­ziert, wur­den pro­vi­so­risch an Haus­wän­de ge­schrie­ben. Frau Oku­da wuß­te ge­nau­so we­nig wie die an­de­ren, was ei­gent­lich ge­sche­hen war, und wur­de an die­sem Tag ver­strahlt. (Frau­en, die da­mals schwan­ger wa­ren, hat­ten spä­ter Fehl- und Miß­ge­bur­ten. Ei­ne lang­fri­sti­ge, bis heu­te an­hal­ten­de ge­ne­ti­sche Be­ein­träch­ti­gung der Men­schen von Hi­ro­shi­ma gibt es je­doch nicht.) Ih­ren Va­ter konn­te sie fin­den, aber die mei­sten An­ge­hö­ri­gen hat­ten nicht über­lebt. Frau Oku­da ist heu­te weit über neun­zig, sie muß­te zeit­le­bens Me­di­ka­men­te we­gen ei­ner Schä­di­gung der Bauch­spei­chel­drü­se ein­neh­men; ei­ne Ope­ra­ti­on, die ihr man­che Ärz­te emp­fah­len, hat­te sie stets ab­ge­lehnt. Sie war da­mals gu­ter Din­ge, ih­re Ge­schich­te aus der Kriegs­zeit er­zähl­te sie zum er­sten Mal, da­vor hat­te sie zu viel Scham emp­fun­den.

An­de­re Hi­ba­ku­sha, Über­le­ben­de des Atom­an­griffs, ha­ben im­mer wie­der von ih­ren Er­fah­run­gen er­zählt, um die kol­lek­ti­ve Er­in­ne­rung wach­zu­hal­ten. Be­kannt ist ein Fo­to aus dem Jahr 2016, wo US-Prä­si­dent Ba­rack Oba­ma ei­nen al­ten, am Stock ge­hen­den Ja­pa­ner um­armt – Shi­gea­ki Mo­ri, auch er ist noch am Le­ben. Man­che Hi­ba­ku­sha en­ga­gie­ren sich in der Frie­dens­be­we­gung, an­de­re sind stil­ler, woll­ten im­mer nur, wie die mei­sten Men­schen, ein nor­ma­les Le­ben füh­ren. Es gibt in Hi­ro­shi­ma ge­schul­te Mo­de­ra­to­ren, die die Er­zäh­lun­gen der al­ten Leu­te ver­mit­teln, ih­nen Struk­tur ver­lei­hen (bei Frau Oku­da war das nicht nö­tig, ich ha­be ih­re Ge­schich­te fast un­be­ar­bei­tet, nur über­setzt, in ei­nem Buch ver­öf­fent­licht). An­de­re über­set­zen die­se Er­zäh­lun­gen ins Eng­li­sche; im Frie­dens­mu­se­um kann man sol­che Ver­an­stal­tun­gen be­su­chen.

Hi­ro­shi­ma ist ei­ne nor­ma­le Stadt, aber ganz nor­mal ist sie bis heu­te nicht. Die Ge­schich­te, die Er­in­ne­rung läßt sich nicht aus­lö­schen. Bei ei­nem welt­wei­ten Atom­krieg könn­te das frei­lich die Fol­ge sein. Wie Op­pen­hei­mer sag­te, der wirk­li­che und auch – glau­be ich – der Op­pen­hei­mer des Films: »Now I am be­co­me de­ath, the de­stroy­er of worlds.« Wel­ten im Plu­ral, ge­leb­te wie auch er­zähl­te.

*

Ap­pen­dix

Jetzt ha­be ich den Film end­lich ge­se­hen, in ei­nem Ki­no in Wien. Vor mir saß ei­ne Ja­pa­ne­rin mit ih­rem eu­ro­päi­schen Mann und zwei Kin­dern, für so ei­nen Film ei­gent­lich zu jun­gen Kin­dern, »Halb­ja­pa­nern«, wie man in Ja­pan sa­gen wür­de. Mei­ne Ver­mu­tung im oben­ste­hen­den Text, zu dem mich ein Re­dak­teur der Neu­en Zür­cher Zei­tung auf­ge­for­dert hat­te, war nicht ganz falsch: »Letzt­lich wird die Atom­er­zäh­lung wohl von der Am­bi­va­lenz und den Zwei­feln ge­tra­gen (oder ge­ret­tet?), die Cil­li­an Mur­phy – wie­der dem Ver­neh­men nach – an der Fi­gur Op­pen­hei­mers auf­zu­wei­sen ver­steht.« Oh­ne Mur­phy wä­re der Film nicht viel wert – ob­wohl dar­in zahl­lo­se an­de­re sehr gu­te und re­nom­mier­te Schau­spie­ler mit­spie­len. Man kann das so for­mu­lie­ren, weil Mur­phys Op­pen­hei­mer ein­sam ist, selbst mit­ten im Ge­drän­ge der Mit­ar­bei­ter, die an der Ent­wick­lung der Bom­be ar­bei­ten, und auch dann, wenn er den Kon­takt zu Mit­men­schen sucht, et­wa je­nem wei­sen Al­ten na­mens Al­bert Ein­stein. Oder zu Ed­ward Tel­ler, sei­nem Kon­kur­ren­ten. Als po­ten­ti­el­ler Wel­ten­zer­stö­rer ist Op­pen­hei­mer nicht al­lein (das wä­re un­mög­lich), son­dern ein­sam. Auch als Ehe­mann und als Ge­lieb­ter ist er ein­sam. Ein­sam ne­ben sei­nem schrei­en­den Kind.

Mur­phy ver­sucht, die Bür­de des Wel­ten­zer­stö­rers, der gu­te Grün­de für sein Tun – die dro­hen­de Welt­herr­schaft der Na­zis – gel­tend ma­chen kann, sinn­fäl­lig zu ma­chen. Das ge­lingt ihm. Aber trotz der Fas­zi­na­ti­on Op­pen­hei­mers (ge­gen­über ver­bor­ge­nen und sehr fer­nen Wel­ten) und sei­nem Ent­set­zen (vor der Zer­stö­rung von Wel­ten und der ei­ge­nen Schuld) läßt ei­nem der Film kalt. Das al­les ist zu ab­strakt. Mich je­den­falls hat der Film nicht er­schüt­tert wie die Bil­der und die Er­klä­run­gen bei je­dem mei­ner Be­su­che im Frie­dens­mu­se­um von Hi­ro­shi­ma, das ich lie­ber Atom­bom­ben­mu­se­um nen­ne, selbst wenn ich nach­voll­zie­he, daß die un­ver­meid­li­che Frie­dens­sehn­sucht in die­ser Stadt bei der Na­mens­ge­bung Pa­tin stand. Die Kin­der von Hi­ro­shi­ma schrei­en tau­send­mal lau­ter als die Kin­der, um die sich Op­pen­hei­mer – dem Film zu­fol­ge – nicht küm­mern kann, weil ihm sei­ne Ar­beit als po­ten­ti­el­ler Wel­ten­zer­stö­rer we­der Zeit noch En­er­gie da­für läßt. Al­le Hi­ba­ku­sha ha­ben ge­schrien, so­fern ih­nen Zeit da­zu blieb und sie nicht im Se­kun­den­bruch­teil aus­ge­löscht wur­den.

Man könn­te ge­gen den Film ein­wen­den, er äs­the­ti­sie­re die ge­fähr­li­chen Theo­rien, die die Kern­spal­tung mög­lich mach­ten, durch schö­ne Bil­der von an­de­ren Wel­ten, die tat­säch­lich Phan­ta­sie­bil­der ei­nes ehr­gei­zi­gen Man­nes sind, den al­le als »Ge­nie« be­zeich­nen. Schö­ne und be­un­ru­hi­gen­de Bil­der. Die­se Bil­der in Eh­ren, hät­te der Re­gis­seur sie mit den un­schö­nen Bil­dern der Zer­stö­rung und des Leids kon­fron­tie­ren sol­len, ob do­ku­men­ta­risch oder nicht. Ein biß­chen, we­ni­ge Se­kun­den, wird ja im Film da­von be­rich­tet, frei­lich oh­ne ein ein­zi­ges Bild (rich­tig, es gab noch kein Fern­se­hen). Ei­ne sol­che fil­misch-er­zäh­le­ri­sche Kon­fron­ta­ti­on hät­te viel­leicht Er­schüt­te­rung be­wirkt. Der Re­gis­seur hat dar­auf ver­zich­tet, er blieb in sei­nem Äs­the­ti­zis­mus ge­fan­gen, woll­te und will durch­aus war­nen vor dem, was uns al­len be­vor­ste­hen könn­te, aber wie ich schon sag­te, das bleibt ab­strakt. Was uns, wenn das Schlimm­ste ein­tritt, be­vor­steht, ist das, was die Atom­bom­ben­op­fer von Hi­ro­shi­ma und Na­ga­sa­ki er­lebt ha­ben. Nichts an­de­res. Nichts Neu­es.

Die­se Kri­tik spa­re ich mir, ich emp­fin­de sie als wohl­feil. Si­cher, man hät­te ei­nen an­de­ren Film ma­chen kön­nen. Der Re­gis­seur woll­te aber die­sen Film ma­chen. Ich ge­hö­re zu de­nen, die die Ge­schich­te und Vor­ge­schich­te so­wie die Fol­gen der bei­den er­sten Atom­bom­ben­ab­wür­fe auf be­wohn­tes Ge­biet sehr gut ken­nen. Trotz­dem hät­te ich er­war­tet, daß mir der Film et­was Neu­es sagt, ir­gend­ein Blick­win­kel, ein noch so klei­ne Er­kennt­nis. Er sagt mir aber nichts, was ich nicht längst wüß­te. Auch die Zwei­fel, die Zer­ris­sen­heit, die mo­ra­li­schen Skru­pel vie­ler am Man­hat­tan Pro­ject Be­tei­lig­ter wa­ren mir be­kannt. Über die­sen To­pos geht der Film, geht auch die Schau­spiel­kunst Cil­li­an Mur­phys nicht hin­aus. Be­kannt war mir eben­falls die He­xen­jagd ge­gen (ver­meint­li­che) Kom­mu­ni­sten in der Mc­Car­thy-Ära, un­ter an­de­rem ge­gen Ber­tolt Brecht, der sich bei den Ver­hö­ren ähn­lich ge­fühlt ha­ben muß wie Op­pen­hei­mer. Die­se Ver­hö­re mit­samt den fil­mi­schen Rück­blicken wa­ren mir viel zu lang, mit den Schrecken des Atom­kriegs hat­ten sie nicht mehr viel zu tun. Ein an­de­rer Film, ein Kam­mer­spiel vol­ler Ver­hö­re, im Hol­ly­wood-Ki­no seit je­her be­liebt. Man woll­te Op­pen­hei­mer fer­tig ma­chen. Ei­fer­süch­te, Kar­rie­ris­mus, Ego­is­mus, Be­lei­digt­sein. Die im Ver­gleich zur hi­sto­ri­schen Wirk­lich­keit ver­mut­lich stark über­zeich­ne­te Ver­höh­nung des Lei­ters der Atom­ener­gie­kom­mis­si­on durch Op­pen­hei­mer – im Film mehr­mals ge­zeigt! – dient da­zu, mensch­li­che La­ster ins Spiel zu brin­gen, die dem Hel­den zum Ver­häng­nis wur­den.

Und mit­ten­drin der Show­down wie in je­dem be­lie­bi­gen Ac­tion-Film. Klas­si­sche Mu­ster…

Kurz: Ich hat­te star­ke, wenn­gleich am­bi­va­len­te Er­war­tun­gen, und sie wur­den so ziem­lich ent­täuscht. Mei­ne Ver­mu­tung zur Be­ant­wor­tung der ein­gangs ge­stell­ten Fra­ge lau­tet nun, nach­dem ich den Film ge­se­hen ha­be: Der ja­pa­ni­sche Ver­lei­her hat ihn des­halb nicht ins Pro­gramm auf­ge­nom­men, weil er an­nahm, er wür­de kein gro­ßer Er­folg wer­den. Man wür­de den Film ver­mut­lich als we­nig in­ter­es­sant, trotz schau­spie­le­ri­scher Groß­lei­stun­gen als lang­at­mig emp­fin­den. Zu­mal er Hi­ro­shi­ma und Na­ga­sa­ki bild­lich aus­spart, was ei­ni­ge Über­le­ben­de der Kriegs­ge­nera­ti­on als Af­front emp­fin­den. Der Film wä­re so we­nig er­folg­reich, wie es aus an­de­ren Grün­den – vie­le Ja­pa­ner kön­nen iro­ni­schen Dar­stel­lun­gen nicht viel ab­ge­win­nen – beim Bar­bie-Film der Fall war.

Con­clu­si­on: No Bar­ben­hei­mer in Ja­pan!

Der Teil des Tex­tes bis zum »Ap­pen­dix« wur­de größ­ten­teils am 6. Sep­tem­ber im Feuil­le­ton der Neu­en Zür­cher Zei­tung erst­mals pu­bli­ziert.

© Leo­pold Fe­der­mair

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

  1. Ei­nes der be­sten Be­gleit­schrei­ben, die ich je­mals ge­le­sen ha­be.
    Zum Nach­den­ken und Han­deln in ei­nem ernst­haf­ten Sin­ne und auf der Su­che nach We­sent­li­chem und Not­wen­dig­kei­tem ein gu­ter An­stoß.

    Sa­bi­ne Ranz­in­ger

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