»Schön – wie so vie­les« – Mi­cha­el Rol­off zu Pe­ter Hand­ke (II)

…und der Hand­ke-Re­zep­ti­on in Deutsch­land und den USA, Se­zes­sio­nen und Frei­heits­kämp­fen, Karl-Heinz Boh­rer und der Au­ssen­po­li­tik der Ver­ei­nig­ten Staa­ten.

fort­ge­setzt von hier

Es gab in den deut­schen Feuil­le­tons 1996 kaum Be­für­wor­ter für Hand­kes Po­si­ti­on; fast nur Hä­me. An­dre­as Kilb in der ZEIT da­mals war recht aus­ge­wo­gen. Mar­tin Wal­ser hat, glau­be ich, auch was po­si­ti­ves da­zu ge­sagt. Ei­ni­ge schwie­gen. Wil­fried F. Schoel­ler, da­mals beim Hes­si­schen Rund­funk, sass wäh­rend der Frank­fur­ter Le­sung nur un­weit von mir und war sicht­lich auf Hand­kes Sei­te. Ei­ne Sen­dung, die Hand­kes Po­si­ti­on mal aus­ge­wo­gen dar­stell­te, gab es nicht. Wä­re die »Win­ter­li­che Rei­se« oh­ne die­se fron­ta­le Me­di­en­kri­tik ge­we­sen, son­dern ein pu­rer Rei­se­be­richt – man wä­re nicht so über ihn her­ge­fal­len.

Es war, glau­be ich, nicht nur die Me­di­en­kri­tik. Das Buch be­ginnt ja ge­nau­so gut be­grün­det wie das »Ab­schied des Träu­mers vom Neun­ten Land«. Hand­ke gibt Re­chen­schaft ab für sei­ne Po­si­ti­on – al­so man kann ganz ver­nünf­tig mit ihm über­ein­stim­men, oder eben nicht. Ja, dann kommt die Pro­vo­ka­ti­on über die Me­di­en, aber so­weit ich mich jetzt er­in­ne­re, stürz­ten sich die­se Leu­te doch auf ihn, weil er et­was an­de­res be­rich­te­te, nicht was sie in ih­ren Ver­teu­fe­lun­gen be­stä­tig­te. »An­ders­gel­be Nu­del­ne­ster« war das aus­lö­sen­de Wort wor­auf sich die Bie­ster stürz­ten. Kommt mir vor wie bei ei­ner He­xen­jagd.


Ja, die »Nu­del­ne­ster« hat­ten es al­len an­ge­tan: Win­kels, Lau, dem Herrn Sco­bel in der »Kul­tur­zeit«... Und dann der »Som­mer­li­che Nach­trag«. Die Fra­ge ist, ob Hand­ke ein­fach auf der »Wel­le« wei­ter­rei­ten woll­te und aus Trotz wei­ter­ge­schrie­ben hat – oder ob sein En­ga­ge­ment »echt« ist.

Nein, das ist voll­kom­men au­then­tisch! So ist der Kerl. Nach der er­sten Rei­se muss­te er mei­nes Er­ach­tens we­gen Sre­bre­ni­ca un­be­dingt so ei­nen nach­träg­li­chen Be­richt er­stel­len. Und dann auch zum Ko­so­vo Krieg 1999; na­tür­lich muss­te er hin. Auf die Be­richt­erstat­tung ist ja wirk­lich kein Ver­lass. Man be­kommt we­nig­stens ei­ge­ne Ein­drücke, wenn auch viel­leicht ein­sei­ti­ge.

Und so ziem­lich mit der­sel­ben aben­teu­er­li­chen Trup­pe; ei­ner von de­nen taucht ja zum er­sten mal in der Knei­pe au­ßer­halb Salz­burg im »Nach­mit­tag ei­nes Schrift­stel­lers« auf. Was aber un­gün­stig ist, weil er auch die gu­ten Be­richt­erstat­ter, wie Mi­cha­el Dan­ner oder Chris Hedges, von der NY Times re­ser­viert be­trach­tet.

Er hat in vie­len Sa­chen recht, aber et­was in ihm sträubt sich na­tür­lich, dass so et­was über­haupt hat pas­sie­ren kön­nen, das Ser­ben-Ju­go­sla­wen [es ist nicht im­mer klar in­wie­fern er da Un­ter­schie­de sieht] so et­was ha­ben tun kön­nen. Hand­ke ist ein wirk­lich tief lie­ben­der und hilf­rei­cher Mensch. Trotz­dem, wenn man auch sei­ne un­an­ge­neh­men Sei­ten er­lebt hat, kann er als das Ge­gen­teil er­schei­nen, als ‘Ekel-Pe­ter’. Lei­der ver­trägt er als Ver­höh­ner das Ver­höhnt­wer­den über­haupt nicht. Er ist mir nicht ver­spielt ge­nug, oder nicht mehr, wird zu leicht hu­mor­los. Vie­les von den vie­len Preis­gel­dern ist dann so­fort wei­ter­ge­lei­tet wor­den (und nicht nur als öf­fent­li­che Ge­ste), auch jetzt der »Ber­li­ner Hei­ne Preis« – ei­ne Gau­di-Idee vom Pey­mann.

Ob er zum Be­gräb­nis von Mi­lo­se­vic fah­ren muss­te? In­zwi­schen bin ich auf sechs ver­schie­de­ne Grün­de ge­sto­ßen, die er an­ge­ge­ben hat für die­se Fahrt. Dass das ein ganz gro­ßer Eklat ge­ben wür­de, dass zu sa­gen »mit Mi­lo­se­vic« und da pho­to­gra­phiert zu wer­den... Na­ja, ei­ne Tor­tur ist es wohl dann erst nach­her ge­wor­den.

Da gibt’s ein »co­chon« in Frank­reich, der ein so gro­ßes Stück wie »Die Kunst des Fra­gens« ein­fach ab­setz­te, der Bo­zon­net, jetzt, am 26. Ju­li, ab­ge­sägt. Er hat das Stück wahr­schein­lich über­haupt nicht ge­le­sen, Bru­no Bay­en ver­traut, und dann ganz plötz­lich geht ihm da ein Licht auf, dass der Hand­ke kon­tro­vers ist. [Ge­meint ist die Ab­set­zung des Stückes »Das Spiel vom Fra­gen oder die Rei­se zum so­no­ren Land« vom Spiel­plan der Co­mé­die Fran­çai­se 2007 – sie­he hier und hier. Das Stück wird auch »Die Kunst des Fra­gens…« ge­nannt.]

Ich hat­te sehr früh den Ein­druck, dass Hand­ke ei­ne Art Rönt­gen­blick für Cha­rak­te­re hat­te. Hät­te ich ihn zu der Zeit bes­ser ge­kannt, hät­te ich je­man­den nicht so auf mei­ne be­rühm­te non­cha­lan­te über­op­ti­mi­sti­sche Schul­ter ge­nom­men. Viel­leicht bin ich aber auch ein ziem­li­cher Au­ssen­sei­ter, ein stör­ri­scher Mensch, des­we­gen ge­be ich Hand­ke in dem Fall von M. den was auf ame­ri­ka­nisch »be­ne­fit of the doubt« heisst. Viel­leicht ist Mi­lo­se­vic wirk­lich ein tra­gi­scher Fall. Je­den­falls ver­traue ich Hand­ke mehr als je­mand wie Ro­ger Co­hen von der NY Times. Der Hol­broo­ke fand Mi­lo­se­vic auch noch den be­sten der drei gro­ssen Wich­te, die die drei Re­gio­nen re­gier­te.

Karl-Heinz Boh­rer sag­te neu­lich, Hand­kes Ju­go­sla­wi­en-Bü­cher könn­ten in kei­nem Fall von sei­nem üb­ri­gen Werk se­pa­rat be­trach­tet wer­den – al­so hier die »gu­ten Bü­cher« und dort die »bö­sen«. Was ist Ih­re Mei­nung da­zu?

Ich ken­ne Herrn Boh­rer von Lon­don her. Ich ha­be vor lan­ger Zeit mal ei­nen Abend mit ihm und an­de­ren Leu­ten ver­bracht. Fand was er schrieb im­mer halb­wegs in­ter­es­sant. Aber die­se Fra­ge­stel­lung schon, über­haupt, viel­leicht nicht sei­ne, aber er lässt sich ja dar­auf ein, als ob die­se Ju­go­sla­wi­en Tex­te et­was so kri­mi­nel­les, aus­sät­zi­ges, in­dis­ku­ta­bles sei­en, und er und die gan­ze Welt wis­sen das, und dar­über be­steht al­so ein Kon­sens, treibt mich schon so­fort auf die Pal­me. Was kann da über­haupt da­bei her­aus­kom­men? Ei­ne Un­ter­hal­tung drit­ter Gar­ni­tur, für das al­ler­lang­wei­lig­ste al­ler Se­mi­na­re. Et­was für Lei­chen­samm­ler.

‘In­ter­tex­tua­li­tät’ ist noch so was lang­wei­li­ges für ei­ne Bran­che, de­ren Zweig sich selbst am Baum der Li­te­ra­tur ab­sägt, fällt mir da­bei ein. Boh­rer schrieb auch vor ei­ni­ger Zeit, dass Hand­ke ir­gend­wie nicht voll­kom­men der »Mo­der­ne« an­ge­hör­te: noch so was für dis­ku­tie­ren­de Lei­chen.

Ja, war­um soll man die denn auch aus­sor­tie­ren, se­pa­rie­ren – es sind doch sehr schö­ne Bü­cher. Die Rei­se­be­richt-Ein­drücke, eben dann viel­leicht ein we­nig un­über­legt und rasch nie­der­ge­schrie­ben. Man soll­te aus ih­nen her­aus­schöp­fen, was da zu schöp­fen ist: die mi­se­ra­ble Iris Ra­disch hat »Un­ter Trä­nen fra­gend« da­mals in der »Zeit«...das war gar kei­ne Re­zen­si­on, so je­man­den wür­de ich als Ver­le­ger, der ich ein­mal war, nicht ein­mal als Le­se­rin, was nicht das sel­be als Lek­tor ist, an­stel­len. Auch wenn sie Hand­kes Bel­le­tri­stik, wie die­sen »Spät­ver­such« »Don Ju­an« dann po­si­tiv be­wer­tet – wer ist das, der so je­mand über­haupt an­stellt? Zum Ver­gleich: am Herrn Grei­ner, auch von »Zeit«, ha­be ich nichts aus­zu­set­zen...

Was wür­de ei­gent­lich ge­sche­hen wenn sich der Kon­sens, trotz al­lem, als falsch, dumm und faul in­for­miert er­wei­sen wür­de? Wie vie­le die­ser Men­schen wür­den es zu­ge­ben, dass sie falsch ge­ur­teilt ha­ben, und sich dann ent­schul­di­gen? Kaum je­mand glau­be ich.

Ist Hand­kes En­ga­ge­ment für Ser­bi­en auch ei­nes wi­der den Ka­pi­ta­lis­mus? Ich den­ke bei­spiels­wei­se an sei­ne Be­schrei­bung, wie auf dem Markt Ben­zin bis zum letz­ten Trop­fen um­ge­füllt wird, da es so knapp ist – we­gen des Em­bar­gos.

Hand­kes Im­puls ist des ei­nes So­zia­li­sten, und zwar »dör­fi­scher« Art, al­so in­tim. Er scheint mir ei­ner der we­ni­gen der »up by your own boot­straps« Leu­te (»self-ma­de man«), der sei­ne Her­kunft aus der Ar­mut nicht ver­ges­sen ha­ben, und zwar ei­ne was Ernst Bloch das »bäue­ri­sche Tao« nennt – al­so ei­ne ge­wis­se Karg­heit in al­lem, in­klu­si­ve Se­xus – als in­ne­res Mass. Oder als Mass, wel­ches ihm Halt gibt, und zu dem er wie­der­keh­ren kann; es herrscht bei ihm noch im ge­wis­sen Sinn Nach­kriegs­zeit. Des­we­gen das Übel­wer­den, die Nau­sea bei den fet­ten Öster­rei­chern, dem gan­zen ame­ri­ka­ni­schen Fett­volk hier, das glück­li­cher­wei­se früh an Dia­be­tes ster­ben wird.

Die­se, sei­ne We­sens­art, führt na­tür­lich dann zu in­ne­ren und äu­sse­ren Kon­flik­ten, wie dem, in be­sten Ho­tels zu woh­nen, die Kre­dit­kar­te zücken, und so. An­son­sten auch könn­te man auf den Ge­dan­ken kom­men, dass er eher ari­sto­kra­ti­scher Her­kunft sei mit sei­nem Hass des Han­dels: ja schön zer­legt im »Bo­den­see«, auch in den »Un­ver­nünf­ti­gen«, über sich selbst lu­stig ge­macht als mit-Geld-voll­ge­stopf­ten ‑Ta­schen-Er­folgs­mensch in den »Dör­fern« und im »Gredos«-Buch (»Der Bild­ver­lust«) in dem »No­vo Ba­zaar« Teil bis zur Tod­lang­wei­lig­keit ge­gei­sselt. Geiz aber auf kei­nen Fall.

Wie ge­sagt: Kon­flikt zwi­schen ei­nem bes­se­ren Le­bens­stan­dard und der Her­kunft; auch mit dem au­to­ri­tä­ren, der eo ip­so Kern des »Au­tor-seins« ist. Der dann weiss, dass er ei­ni­ges viel bes­ser kann als al­le an­de­re, was ihn dann manch­mal da­zu ver­lei­tet sich für Kaf­ka oder Goe­the zu hal­ten als ob es nicht ge­nügt, die »Brief­mar­ke Hand­ke« zu sein!

Wor­über er wahr­schein­lich, hof­fent­lich, auch manch­mal lacht über die Lä­cher­lich­keit sol­chen Ver­gleichs­ma­nie. Und das Min­der­wer­tig­keitge­fühl so­wie sein Ge­gen­teil, die de­fen­si­ve Ar­ro­ganz, über­win­det. Was er da in »Un­ter Trä­nen fra­gend« be­ob­ach­tet hat, die­ses Zu­rück­ge­worfen­sein auf den ein­fa­chen Tausch­han­del, ist die Grund­la­ge des Mar­xis­mus, und des­we­gen ver­wun­der­te mich als er in ei­nem In­ter­view neu­lich sag­te, er be­für­wor­te die­sen voll­kom­me­nen Über­hand­neh­men des Ka­pi­tals im Nach­kriegs-Bel­grad, au­ßer dass er sich sei­nen Spass macht mit dem In­ter­view­er, um zu er­kun­den ob die­ser sich so bei Hand­ke ei­gent­lich aus­kennt, er führt ja vie­le In­ter­view­er an der Na­se her­um, spielt Katz und Maus mit ih­nen.

Es gibt den un­aus­rott­ba­ren Ge­dan­ken, in »« sei do­ku­men­tiert, dass Hand­ke Mi­lo­se­vic’ Fas­zi­na­ti­on er­le­gen sei und nur um Haa­res­brei­te wi­der­stan­den ha­be, sich als Ent­la­stungs­zeu­ge zur Ver­fü­gung zu stel­len. Ich le­se das kei­nes­wegs her­aus. Wie kommt die­ser Schluss zu­stan­de?

Die »Tab­las« sind am Schreib­tisch er­dacht. Ich glau­be, er hat sich über­legt, wie er die Leu­te da­von über­zeu­gen kann, dass ein so ver­ruch­ter Mann wie Mi­lo­se­vic ei­ne tra­gi­sche Fi­gur ist. Wie kann ich sie von mei­ner In­tui­ti­on über­zeu­gen das dem so ist. Ein Zeu­ge muss et­was be­zeu­gen kön­nen, was man hier so »Cha­rac­ter Wit­ness« nennt, da­für taug­te Hand­ke, da er ja nicht ak­tiv an ir­gend­wel­chen (an­geb­lich) kri­mi­nel­len Ak­te und Ak­ti­vi­tä­ten von M. da­bei war, ihn aber für den Ver­tre­ter, Be­wah­rer der Idee ei­nes Ver­ei­nig­ten Ju­go­sla­wi­en hält. Wie weit darf ein Be­wah­rer ge­hen?

Abra­ham Lin­coln als Ver­tei­di­ger der Ver­ei­nig­ten Staa­ten ist auch sehr, sehr weit ge­gan­gen. Hät­te die Uni­on ver­lo­ren, wä­re er da­für vor Ge­richt ge­stellt wor­den. Die La­ge auf dem Bal­kan war/ist weit kom­pli­zier­ter als sie 1860 in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten war.

Hand­ke sag­te ja in dem In­ter­view mit den Kroa­ten im »Glo­bus« wie­der, dass er als Zeu­ge auf­tre­ten soll­te – als hät­te er die »Tab­las« ver­ges­sen. Al­so der Im­puls, die­se Art Stolz be­steht dann im­mer noch; selt­sam.

Muss Hand­ke nicht an­neh­men, dass die kroa­ti­schen Le­ser von »Glo­bus« die »Tab­las« gar nicht ha­ben le­sen kön­nen (man­gels Über­set­zung bei­spiels­wei­se; ist ja nur in »Li­te­ra­tu­ren« er­schie­nen)?

Was Hand­ke an­nimmt wis­sen wir nicht. Aber er ist stolz dar­auf; das gibt er doch an. Wir ha­ben ja auch nicht die ge­ring­ste Idee, wie das In­ter­view ge­schnit­ten wor­den ist.

Kann die bra­chia­le Ab­leh­nung von Hand­kes Ar­gu­men­ta­ti­on auch da­mit zu­sam­men­hän­gen, dass Se­zes­si­ons­be­we­gun­gen seit der Zeit der Ko­lo­ni­al­kämp­fe fast im­mer als »Frei­heits­kämp­fe«, al­so po­si­tiv, ge­se­hen wur­den? Ich ken­ne kei­ne Se­zes­si­on, die nicht we­nig­stens zeit­wei­se in­tel­lek­tu­el­le Un­ter­stüt­zung be­kam. Selbst die Bas­ken hat­ten ih­re Freun­de und seit An­fang der 90er Jah­re so­gar die Tsche­tsche­nen, ob­wohl dort ein Idi­ot wie Du­da­jew der Füh­rer der Se­zes­si­ons­be­we­gung war.

Ja, die an­ti-ko­lo­nia­len Frei­heits­be­we­gun­gen, Nach­fol­ge des Zer­falls, der Selbst­zer­stö­rung der Eu­ro­päi­schen Ko­lo­ni­al­herr­schaft, ha­ben dann in ih­re Nach­fol­ge­im­pul­se zu un­zäh­li­gen klei­ne­ren Frei­heits-/Un­ab­hän­gig­keits­be­we­gun­gen ge­fun­den, die aber al­le schon im 19. Jahr­hun­dert ih­ren Keim hat­ten.

Es ist ja die Tra­gö­die der Ver­ei­nig­ten Staa­ten nach dem To­de Roo­se­velts, nicht un­ter­schei­den zu kön­nen zwi­schen an­ti­ko­lo­nia­len Frei­heits­be­we­gun­gen und Be­we­gun­gen, die un­ter die Knu­te des Kom­in­tern fie­len; ein ideo­lo­gisch, pa­ra­no­ides Fehl­ur­teil des ame­ri­ka­ni­schen Ka­pi­tals wel­ches zu dem Zer­fall die­ses Im­pe­ri­ums füh­ren wird...

Die USA hat doch im Kal­ten Krieg die Stell­ver­tre­ter­krie­ge ge­gen die UdSSR ge­führt; die »west­li­chen Be­frei­ungs­or­ga­ni­sa­tio­nen« un­ter­stützt – und die von den Rus­sen un­ter­stütz­ten be­kämpft...

Die USA hat je­de der na­tio­na­len Frei­heits­be­we­gun­gen, bis auf we­ni­ge – Ca­stro ganz am An­fang – un­ter­drückt und sich mit ty­ran­ni­schen Dik­ta­to­ren ein­ge­las­sen, oder sie in­stal­liert. In Mit­tel­ame­ri­ka ja schon seit dem 19. Jahr­hun­dert. Al­so, ich fall’ nicht mehr auf dies De­mo­kra­tie­ge­fa­sel her­ein. Die Rei­he der un­de­mo­kra­ti­schen, ty­ran­ni­schen Ak­te um di­rek­ten Ein­fluss, Kon­trol­le zu be­hal­ten oder wie­der zu ge­win­nen: Mos­sa­degh ab­ge­sägt in 1953, Schah in­stal­liert, mit un­an­ge­neh­men Fol­gen, die jetzt noch den Na­hen Osten be­ein­flus­sen; ich kann die­ses Ge­quas­sel über die »Mo­der­ne«, die der Is­lam ver­passt hat schon nicht mehr le­sen, als ob sich die fran­zö­si­sche, bri­ti­sche oder ame­ri­ka­ni­sche oder rus­si­sche »Mo­der­ne« in der Ge­gend au­sser in ih­rer Be­waff­nung noch ir­gend­wie an­ders »mo­dern« ge­zeigt hät­te…

Es wur­de den Fran­zo­sen ge­stat­tet, ih­re Ko­lo­ni­al­herr­schaft in In­do­chi­na wie­der her­zu­stel­len, nach­dem die Viet­na­me­sen den Ame­ri­ka­nern doch bei­gestan­den hat­ten in ih­rem Krieg ge­gen die Ja­pa­ner und un­ge­heu­er un­ter der ja­pa­ni­schen Be­set­zung ge­lit­ten ha­ben [auch wie­der so ei­ne Mil­li­on To­te]. Mei­ner Er­fah­rung und mei­nes Er­ach­tens ist nie­mand ver­trau­en­s­un­wür­di­ger als der »Yan­kee Trader«; die drei Dul­les Brü­der: Alan von der CIA, John Fo­ster, der Au­ssen­mi­ni­ster, und der drit­te ein epi­skopa­li­scher Bi­schof!

Die af­gha­ni­sche Re­gie­rung de­sta­bi­li­siert Carter/Brezinsky (1976) und dann die Mud­scha­hed­din aus der gan­zen Welt im­por­tiert, da­mit sie die Rus­sen be­kämp­fen, mit Stin­ger Mis­siles aus­ge­stat­tet. Die Über­bleib­sel, die man dann in 2003 zu­rück­zu­kau­fen such­te. Der Kon­go, An­go­la – ab­so­lut bru­ta­le Mach­po­li­tik; na­tür­lich schein­hei­lig wie sonst was.

Ti­to oder Ceau­ses­cu wa­ren ja auch »Schwei­ne­hun­de, aber un­se­re«; zwar kom­mu­ni­sti­sche, aber eben mit Tanks de­ren Roh­re ge­gen Osten ziel­ten. Ko­ste­te so um 100 Mil­lio­nen per Jahr, und war nach dem En­de des Kal­ten Krie­ges schein­bar nicht mehr not­wen­dig. Der Ame­ri­ka­ni­sche Au­ssen­mi­ni­ster, Bak­er, fand, dass »wir da kei­nen Hund hät­ten« um den schö­nen Te­xas Aus­druck »we don’t have a dog the­re« mal zu über­set­zen, und ich war lang ge­nug in West Te­xas um zu wis­sen, wie viel mehr die Män­ner dort ih­re Jagd­hun­de als ih­re Frau­en lie­ben....

Im Fal­le Ju­go­sla­wi­ens hat das bür­ger­li­che La­ger (ins­be­son­de­re in Deutsch­land) ei­nen »lin­ken Re­flex« an­ti­zi­pie­ren wol­len – nur, dass die Lin­ken, die es Anfang/Mitte der 90er Jah­re kaum noch wir­kungs­mäch­tig gab, ge­gen die Zer­schla­gung Ju­go­sla­wi­ens war.

Ja, der ju­go­sla­wi­sche Kom­mu­nis­mus schien ein mög­li­che­res, mensch­li­che­res Mo­dell als das der so­wje­ti­schen Par­tei­dik­ta­tur. Man muss­te sich schon ziem­lich hef­tig ge­gen Ti­to und die Par­tei­kor­rup­ti­on stel­len, um im Ge­fäng­nis zu lan­den.


Hand­ke hat viel­leicht recht, nicht ge­ra­de ori­gi­nell oder ge­ni­al, als er sag­te: wenn das öko­no­misch funk­tio­niert hät­te, wä­re es viel­leicht auch nicht nach »Stäm­men« ent­lang ge­platzt. In­wie­fern die An­er­ken­nung Deutsch­lands der kroa­ti­schen Tudj­man-Usta­scha-Nach­fol­ger­re­gie­rung und der Slo­we­ni­schen als För­de­rung der Se­zes­si­on ver­ant­wort­lich ist, bin ich nicht in der La­ge zu be­ur­tei­len. Da muss man, glau­be ich, ziem­lich ge­nau die ver­schie­de­nen Si­tua­tio­nen un­ter­su­chen, was da dem Zu­fall, der Tra­di­ti­on, den Mäch­te­ver­hält­nis­sen und dem öko­no­mi­schen, par­tei­li­chen, re­li­giö­sen und rein per­sön­li­chen zu­zu­schrei­ben ist.

Hand­ke je­den­falls hat­te bis zu die­sem Zeit­punkt noch nie ei­ne po­li­tisch mo­ti­vier­te Wut ge­lie­fert. So was weckt in mir, in­so­fern ich ei­ne ana­ly­ti­sche Stel­lung da­zu ein­neh­me, den Wunsch zu ver­ste­hen war­um dem so ist. Al­le die, in­klu­si­ve Hand­ke, die sol­che Wut­an­fäl­le als kin­disch ver­ur­tei­len, al­so mit mo­ra­li­schem Ekel­ge­fühl, ver­pas­sen das wich­ti­ge an ih­nen.

In den »Tab­las« steht, dass er nicht als Zeu­ge auf­tre­ten möch­te. Den ein­zi­gen Grund, den er di­rekt nennt ist die »Il­le­gi­ti­mi­tät oder Will­kür­lich­keit des Tri­bu­nals«, im Kern al­so: er glaubt, das Ge­richt kann nicht mehr an­ders, als Mi­lo­se­vic ver­ur­tei­len, was be­darf es da ei­nes Zeu­gen? Und was soll er be­zeu­gen? (Die­se Fra­ge stellt er nur sehr in­di­rekt.) Dem Vor­wurf, er »knei­fe« be­geg­net er ja of­fen­siv, et­wa nach dem Mot­to ‘Ich gel­te doch eh’ schon als Freund ei­nes Mas­sen­mör­ders – da kann es nicht mehr schlim­mer in der öf­fent­li­chen Mei­nung kom­men...’

Hand­ke zollt Mi­lo­se­vic ei­ne Art Re­spekt. Viel­leicht ver­gleich­bar mit dem Re­spekt, den er zu sei­nem slo­we­ni­schen Gross­va­ter Sivec hat­te, der ja schon 1921 sich für ein ver­ei­nig­tes Ju­go­sla­wi­en ein­stand. Je­den­falls ist die­se Ehr­furcht ei­gent­lich ei­ne neue No­te in sei­nem öf­fent­li­chen Ge­sang. In dem Werk, bei­spiels­wei­se in »Über die Dör­fer«, fin­det man schon An­zei­chen da­von. Er ge­hört ja üb­ri­gens auch in­zwi­schen der or­tho­do­xen Kir­che an.

Ich wer­de mir die »Tab­las« noch mal an­schau­en. Aber ich ha­be auch den Ein­druck, dass es Hand­ke mul­mig ge­wor­den ist bei der Vor­stel­lung da lan­ge Zeit ge­grillt zu wer­den, und viel­leicht wä­re das auch der Pro­vo­ka­ti­on zu viel. Ich glau­be, es steht in ei­nem der ver­öf­fent­lich­ten Ta­ge­bü­cher, dass er nicht glau­be sich, auch wenn er un­schul­dig sei, gut vor Ge­richt ver­tei­di­gen zu kön­nen.

Aber nach­dem er sich drei Stun­den mit M., viel­leicht auch mehr und, da er es ir­gend­wo ein­mal an­gibt, viel­leicht auch ein­mal zu­sam­men mit Ha­rold Pin­ter, im Ge­fäng­nis un­ter­hal­ten hat – er war be­ein­druckt, aber das war glau­be ich nicht das er­ste Mal, denn es schie­nen da ja fa­mi­liä­re Be­kannt­schaf­ten von frü­her aus Bel­grad zu be­stehen, je­den­falls deu­tet Hand­ke an, dass er zum Be­gräb­nis auch aus die­sem Grund ge­fah­ren sei.

Die Gra­de sei­ner Hal­tun­gen zu M. wech­seln ja ge­le­gent­lich von In­ter­view zu In­ter­view – je nach dem, mit wem er da spricht, wer ihn da an­ruft. Wenn Herr Grei­ner von der »Zeit« kommt, oder die Leu­te von der NZZ ist da mehr Ver­lass. Als Haus­herr in Cha­ville, scheint es mir, ist Hand­ke manch­mal her­risch, manch­mal sehr ver­spielt, manch­mal pas­siv-ag­gres­siv. Wenn er ein In­ter­view mit ei­nem Freund, Tho­mas Deich­mann von No­vo macht, wie zur Zeit des Ko­so­vo Krie­ges, sind sie gross­ar­tig und sehr er­gie­big.

...wird hier fort­ge­setzt...


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