…und der Handke-Rezeption in Deutschland und den USA, Sezessionen und Freiheitskämpfen, Karl-Heinz Bohrer und der Aussenpolitik der Vereinigten Staaten.
fortgesetzt von hier
Es gab in den deutschen Feuilletons 1996 kaum Befürworter für Handkes Position; fast nur Häme. Andreas Kilb in der ZEIT damals war recht ausgewogen. Martin Walser hat, glaube ich, auch was positives dazu gesagt. Einige schwiegen. Wilfried F. Schoeller, damals beim Hessischen Rundfunk, sass während der Frankfurter Lesung nur unweit von mir und war sichtlich auf Handkes Seite. Eine Sendung, die Handkes Position mal ausgewogen darstellte, gab es nicht. Wäre die »Winterliche Reise« ohne diese frontale Medienkritik gewesen, sondern ein purer Reisebericht – man wäre nicht so über ihn hergefallen.
Es war, glaube ich, nicht nur die Medienkritik. Das Buch beginnt ja genauso gut begründet wie das »Abschied des Träumers vom Neunten Land«. Handke gibt Rechenschaft ab für seine Position – also man kann ganz vernünftig mit ihm übereinstimmen, oder eben nicht. Ja, dann kommt die Provokation über die Medien, aber soweit ich mich jetzt erinnere, stürzten sich diese Leute doch auf ihn, weil er etwas anderes berichtete, nicht was sie in ihren Verteufelungen bestätigte. »Andersgelbe Nudelnester« war das auslösende Wort worauf sich die Biester stürzten. Kommt mir vor wie bei einer Hexenjagd.
Ja, die »Nudelnester« hatten es allen angetan: Winkels, Lau, dem Herrn Scobel in der »Kulturzeit«... Und dann der »Sommerliche Nachtrag«. Die Frage ist, ob Handke einfach auf der »Welle« weiterreiten wollte und aus Trotz weitergeschrieben hat – oder ob sein Engagement »echt« ist.
Nein, das ist vollkommen authentisch! So ist der Kerl. Nach der ersten Reise musste er meines Erachtens wegen Srebrenica unbedingt so einen nachträglichen Bericht erstellen. Und dann auch zum Kosovo Krieg 1999; natürlich musste er hin. Auf die Berichterstattung ist ja wirklich kein Verlass. Man bekommt wenigstens eigene Eindrücke, wenn auch vielleicht einseitige.
Und so ziemlich mit derselben abenteuerlichen Truppe; einer von denen taucht ja zum ersten mal in der Kneipe außerhalb Salzburg im »Nachmittag eines Schriftstellers« auf. Was aber ungünstig ist, weil er auch die guten Berichterstatter, wie Michael Danner oder Chris Hedges, von der NY Times reserviert betrachtet.
Er hat in vielen Sachen recht, aber etwas in ihm sträubt sich natürlich, dass so etwas überhaupt hat passieren können, das Serben-Jugoslawen [es ist nicht immer klar inwiefern er da Unterschiede sieht] so etwas haben tun können. Handke ist ein wirklich tief liebender und hilfreicher Mensch. Trotzdem, wenn man auch seine unangenehmen Seiten erlebt hat, kann er als das Gegenteil erscheinen, als ‘Ekel-Peter’. Leider verträgt er als Verhöhner das Verhöhntwerden überhaupt nicht. Er ist mir nicht verspielt genug, oder nicht mehr, wird zu leicht humorlos. Vieles von den vielen Preisgeldern ist dann sofort weitergeleitet worden (und nicht nur als öffentliche Geste), auch jetzt der »Berliner Heine Preis« – eine Gaudi-Idee vom Peymann.
Ob er zum Begräbnis von Milosevic fahren musste? Inzwischen bin ich auf sechs verschiedene Gründe gestoßen, die er angegeben hat für diese Fahrt. Dass das ein ganz großer Eklat geben würde, dass zu sagen »mit Milosevic« und da photographiert zu werden... Naja, eine Tortur ist es wohl dann erst nachher geworden.
Da gibt’s ein »cochon« in Frankreich, der ein so großes Stück wie »Die Kunst des Fragens« einfach absetzte, der Bozonnet, jetzt, am 26. Juli, abgesägt. Er hat das Stück wahrscheinlich überhaupt nicht gelesen, Bruno Bayen vertraut, und dann ganz plötzlich geht ihm da ein Licht auf, dass der Handke kontrovers ist. [Gemeint ist die Absetzung des Stückes »Das Spiel vom Fragen oder die Reise zum sonoren Land« vom Spielplan der Comédie Française 2007 – siehe hier und hier. Das Stück wird auch »Die Kunst des Fragens…« genannt.]
Ich hatte sehr früh den Eindruck, dass Handke eine Art Röntgenblick für Charaktere hatte. Hätte ich ihn zu der Zeit besser gekannt, hätte ich jemanden nicht so auf meine berühmte nonchalante überoptimistische Schulter genommen. Vielleicht bin ich aber auch ein ziemlicher Aussenseiter, ein störrischer Mensch, deswegen gebe ich Handke in dem Fall von M. den was auf amerikanisch »benefit of the doubt« heisst. Vielleicht ist Milosevic wirklich ein tragischer Fall. Jedenfalls vertraue ich Handke mehr als jemand wie Roger Cohen von der NY Times. Der Holbrooke fand Milosevic auch noch den besten der drei grossen Wichte, die die drei Regionen regierte.
Karl-Heinz Bohrer sagte neulich, Handkes Jugoslawien-Bücher könnten in keinem Fall von seinem übrigen Werk separat betrachtet werden – also hier die »guten Bücher« und dort die »bösen«. Was ist Ihre Meinung dazu?
Ich kenne Herrn Bohrer von London her. Ich habe vor langer Zeit mal einen Abend mit ihm und anderen Leuten verbracht. Fand was er schrieb immer halbwegs interessant. Aber diese Fragestellung schon, überhaupt, vielleicht nicht seine, aber er lässt sich ja darauf ein, als ob diese Jugoslawien Texte etwas so kriminelles, aussätziges, indiskutables seien, und er und die ganze Welt wissen das, und darüber besteht also ein Konsens, treibt mich schon sofort auf die Palme. Was kann da überhaupt dabei herauskommen? Eine Unterhaltung dritter Garnitur, für das allerlangweiligste aller Seminare. Etwas für Leichensammler.
‘Intertextualität’ ist noch so was langweiliges für eine Branche, deren Zweig sich selbst am Baum der Literatur absägt, fällt mir dabei ein. Bohrer schrieb auch vor einiger Zeit, dass Handke irgendwie nicht vollkommen der »Moderne« angehörte: noch so was für diskutierende Leichen.
Ja, warum soll man die denn auch aussortieren, separieren – es sind doch sehr schöne Bücher. Die Reisebericht-Eindrücke, eben dann vielleicht ein wenig unüberlegt und rasch niedergeschrieben. Man sollte aus ihnen herausschöpfen, was da zu schöpfen ist: die miserable Iris Radisch hat »Unter Tränen fragend« damals in der »Zeit«...das war gar keine Rezension, so jemanden würde ich als Verleger, der ich einmal war, nicht einmal als Leserin, was nicht das selbe als Lektor ist, anstellen. Auch wenn sie Handkes Belletristik, wie diesen »Spätversuch« »Don Juan« dann positiv bewertet – wer ist das, der so jemand überhaupt anstellt? Zum Vergleich: am Herrn Greiner, auch von »Zeit«, habe ich nichts auszusetzen...
Was würde eigentlich geschehen wenn sich der Konsens, trotz allem, als falsch, dumm und faul informiert erweisen würde? Wie viele dieser Menschen würden es zugeben, dass sie falsch geurteilt haben, und sich dann entschuldigen? Kaum jemand glaube ich.
Ist Handkes Engagement für Serbien auch eines wider den Kapitalismus? Ich denke beispielsweise an seine Beschreibung, wie auf dem Markt Benzin bis zum letzten Tropfen umgefüllt wird, da es so knapp ist – wegen des Embargos.
Handkes Impuls ist des eines Sozialisten, und zwar »dörfischer« Art, also intim. Er scheint mir einer der wenigen der »up by your own bootstraps« Leute (»self-made man«), der seine Herkunft aus der Armut nicht vergessen haben, und zwar eine was Ernst Bloch das »bäuerische Tao« nennt – also eine gewisse Kargheit in allem, inklusive Sexus – als inneres Mass. Oder als Mass, welches ihm Halt gibt, und zu dem er wiederkehren kann; es herrscht bei ihm noch im gewissen Sinn Nachkriegszeit. Deswegen das Übelwerden, die Nausea bei den fetten Österreichern, dem ganzen amerikanischen Fettvolk hier, das glücklicherweise früh an Diabetes sterben wird.
Diese, seine Wesensart, führt natürlich dann zu inneren und äusseren Konflikten, wie dem, in besten Hotels zu wohnen, die Kreditkarte zücken, und so. Ansonsten auch könnte man auf den Gedanken kommen, dass er eher aristokratischer Herkunft sei mit seinem Hass des Handels: ja schön zerlegt im »Bodensee«, auch in den »Unvernünftigen«, über sich selbst lustig gemacht als mit-Geld-vollgestopften ‑Taschen-Erfolgsmensch in den »Dörfern« und im »Gredos«-Buch (»Der Bildverlust«) in dem »Novo Bazaar« Teil bis zur Todlangweiligkeit gegeisselt. Geiz aber auf keinen Fall.
Wie gesagt: Konflikt zwischen einem besseren Lebensstandard und der Herkunft; auch mit dem autoritären, der eo ipso Kern des »Autor-seins« ist. Der dann weiss, dass er einiges viel besser kann als alle andere, was ihn dann manchmal dazu verleitet sich für Kafka oder Goethe zu halten als ob es nicht genügt, die »Briefmarke Handke« zu sein!
Worüber er wahrscheinlich, hoffentlich, auch manchmal lacht über die Lächerlichkeit solchen Vergleichsmanie. Und das Minderwertigkeitgefühl sowie sein Gegenteil, die defensive Arroganz, überwindet. Was er da in »Unter Tränen fragend« beobachtet hat, dieses Zurückgeworfensein auf den einfachen Tauschhandel, ist die Grundlage des Marxismus, und deswegen verwunderte mich als er in einem Interview neulich sagte, er befürworte diesen vollkommenen Überhandnehmen des Kapitals im Nachkriegs-Belgrad, außer dass er sich seinen Spass macht mit dem Interviewer, um zu erkunden ob dieser sich so bei Handke eigentlich auskennt, er führt ja viele Interviewer an der Nase herum, spielt Katz und Maus mit ihnen.
Es gibt den unausrottbaren Gedanken, in »« sei dokumentiert, dass Handke Milosevic’ Faszination erlegen sei und nur um Haaresbreite widerstanden habe, sich als Entlastungszeuge zur Verfügung zu stellen. Ich lese das keineswegs heraus. Wie kommt dieser Schluss zustande?
Die »Tablas« sind am Schreibtisch erdacht. Ich glaube, er hat sich überlegt, wie er die Leute davon überzeugen kann, dass ein so verruchter Mann wie Milosevic eine tragische Figur ist. Wie kann ich sie von meiner Intuition überzeugen das dem so ist. Ein Zeuge muss etwas bezeugen können, was man hier so »Character Witness« nennt, dafür taugte Handke, da er ja nicht aktiv an irgendwelchen (angeblich) kriminellen Akte und Aktivitäten von M. dabei war, ihn aber für den Vertreter, Bewahrer der Idee eines Vereinigten Jugoslawien hält. Wie weit darf ein Bewahrer gehen?
Abraham Lincoln als Verteidiger der Vereinigten Staaten ist auch sehr, sehr weit gegangen. Hätte die Union verloren, wäre er dafür vor Gericht gestellt worden. Die Lage auf dem Balkan war/ist weit komplizierter als sie 1860 in den Vereinigten Staaten war.
Handke sagte ja in dem Interview mit den Kroaten im »Globus« wieder, dass er als Zeuge auftreten sollte – als hätte er die »Tablas« vergessen. Also der Impuls, diese Art Stolz besteht dann immer noch; seltsam.
Muss Handke nicht annehmen, dass die kroatischen Leser von »Globus« die »Tablas« gar nicht haben lesen können (mangels Übersetzung beispielsweise; ist ja nur in »Literaturen« erschienen)?
Was Handke annimmt wissen wir nicht. Aber er ist stolz darauf; das gibt er doch an. Wir haben ja auch nicht die geringste Idee, wie das Interview geschnitten worden ist.
Kann die brachiale Ablehnung von Handkes Argumentation auch damit zusammenhängen, dass Sezessionsbewegungen seit der Zeit der Kolonialkämpfe fast immer als »Freiheitskämpfe«, also positiv, gesehen wurden? Ich kenne keine Sezession, die nicht wenigstens zeitweise intellektuelle Unterstützung bekam. Selbst die Basken hatten ihre Freunde und seit Anfang der 90er Jahre sogar die Tschetschenen, obwohl dort ein Idiot wie Dudajew der Führer der Sezessionsbewegung war.
Ja, die anti-kolonialen Freiheitsbewegungen, Nachfolge des Zerfalls, der Selbstzerstörung der Europäischen Kolonialherrschaft, haben dann in ihre Nachfolgeimpulse zu unzähligen kleineren Freiheits-/Unabhängigkeitsbewegungen gefunden, die aber alle schon im 19. Jahrhundert ihren Keim hatten.
Es ist ja die Tragödie der Vereinigten Staaten nach dem Tode Roosevelts, nicht unterscheiden zu können zwischen antikolonialen Freiheitsbewegungen und Bewegungen, die unter die Knute des Komintern fielen; ein ideologisch, paranoides Fehlurteil des amerikanischen Kapitals welches zu dem Zerfall dieses Imperiums führen wird...
Die USA hat doch im Kalten Krieg die Stellvertreterkriege gegen die UdSSR geführt; die »westlichen Befreiungsorganisationen« unterstützt – und die von den Russen unterstützten bekämpft...
Die USA hat jede der nationalen Freiheitsbewegungen, bis auf wenige – Castro ganz am Anfang – unterdrückt und sich mit tyrannischen Diktatoren eingelassen, oder sie installiert. In Mittelamerika ja schon seit dem 19. Jahrhundert. Also, ich fall’ nicht mehr auf dies Demokratiegefasel herein. Die Reihe der undemokratischen, tyrannischen Akte um direkten Einfluss, Kontrolle zu behalten oder wieder zu gewinnen: Mossadegh abgesägt in 1953, Schah installiert, mit unangenehmen Folgen, die jetzt noch den Nahen Osten beeinflussen; ich kann dieses Gequassel über die »Moderne«, die der Islam verpasst hat schon nicht mehr lesen, als ob sich die französische, britische oder amerikanische oder russische »Moderne« in der Gegend ausser in ihrer Bewaffnung noch irgendwie anders »modern« gezeigt hätte…
Es wurde den Franzosen gestattet, ihre Kolonialherrschaft in Indochina wieder herzustellen, nachdem die Vietnamesen den Amerikanern doch beigestanden hatten in ihrem Krieg gegen die Japaner und ungeheuer unter der japanischen Besetzung gelitten haben [auch wieder so eine Million Tote]. Meiner Erfahrung und meines Erachtens ist niemand vertrauensunwürdiger als der »Yankee Trader«; die drei Dulles Brüder: Alan von der CIA, John Foster, der Aussenminister, und der dritte ein episkopalischer Bischof!
Die afghanische Regierung destabilisiert Carter/Brezinsky (1976) und dann die Mudschaheddin aus der ganzen Welt importiert, damit sie die Russen bekämpfen, mit Stinger Missiles ausgestattet. Die Überbleibsel, die man dann in 2003 zurückzukaufen suchte. Der Kongo, Angola – absolut brutale Machpolitik; natürlich scheinheilig wie sonst was.
Tito oder Ceausescu waren ja auch »Schweinehunde, aber unsere«; zwar kommunistische, aber eben mit Tanks deren Rohre gegen Osten zielten. Kostete so um 100 Millionen per Jahr, und war nach dem Ende des Kalten Krieges scheinbar nicht mehr notwendig. Der Amerikanische Aussenminister, Baker, fand, dass »wir da keinen Hund hätten« um den schönen Texas Ausdruck »we don’t have a dog there« mal zu übersetzen, und ich war lang genug in West Texas um zu wissen, wie viel mehr die Männer dort ihre Jagdhunde als ihre Frauen lieben....
Im Falle Jugoslawiens hat das bürgerliche Lager (insbesondere in Deutschland) einen »linken Reflex« antizipieren wollen – nur, dass die Linken, die es Anfang/Mitte der 90er Jahre kaum noch wirkungsmächtig gab, gegen die Zerschlagung Jugoslawiens war.
Ja, der jugoslawische Kommunismus schien ein möglicheres, menschlicheres Modell als das der sowjetischen Parteidiktatur. Man musste sich schon ziemlich heftig gegen Tito und die Parteikorruption stellen, um im Gefängnis zu landen.
Handke hat vielleicht recht, nicht gerade originell oder genial, als er sagte: wenn das ökonomisch funktioniert hätte, wäre es vielleicht auch nicht nach »Stämmen« entlang geplatzt. Inwiefern die Anerkennung Deutschlands der kroatischen Tudjman-Ustascha-Nachfolgerregierung und der Slowenischen als Förderung der Sezession verantwortlich ist, bin ich nicht in der Lage zu beurteilen. Da muss man, glaube ich, ziemlich genau die verschiedenen Situationen untersuchen, was da dem Zufall, der Tradition, den Mächteverhältnissen und dem ökonomischen, parteilichen, religiösen und rein persönlichen zuzuschreiben ist.
Handke jedenfalls hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch nie eine politisch motivierte Wut geliefert. So was weckt in mir, insofern ich eine analytische Stellung dazu einnehme, den Wunsch zu verstehen warum dem so ist. Alle die, inklusive Handke, die solche Wutanfälle als kindisch verurteilen, also mit moralischem Ekelgefühl, verpassen das wichtige an ihnen.
In den »Tablas« steht, dass er nicht als Zeuge auftreten möchte. Den einzigen Grund, den er direkt nennt ist die »Illegitimität oder Willkürlichkeit des Tribunals«, im Kern also: er glaubt, das Gericht kann nicht mehr anders, als Milosevic verurteilen, was bedarf es da eines Zeugen? Und was soll er bezeugen? (Diese Frage stellt er nur sehr indirekt.) Dem Vorwurf, er »kneife« begegnet er ja offensiv, etwa nach dem Motto ‘Ich gelte doch eh’ schon als Freund eines Massenmörders – da kann es nicht mehr schlimmer in der öffentlichen Meinung kommen...’
Handke zollt Milosevic eine Art Respekt. Vielleicht vergleichbar mit dem Respekt, den er zu seinem slowenischen Grossvater Sivec hatte, der ja schon 1921 sich für ein vereinigtes Jugoslawien einstand. Jedenfalls ist diese Ehrfurcht eigentlich eine neue Note in seinem öffentlichen Gesang. In dem Werk, beispielsweise in »Über die Dörfer«, findet man schon Anzeichen davon. Er gehört ja übrigens auch inzwischen der orthodoxen Kirche an.
Ich werde mir die »Tablas« noch mal anschauen. Aber ich habe auch den Eindruck, dass es Handke mulmig geworden ist bei der Vorstellung da lange Zeit gegrillt zu werden, und vielleicht wäre das auch der Provokation zu viel. Ich glaube, es steht in einem der veröffentlichten Tagebücher, dass er nicht glaube sich, auch wenn er unschuldig sei, gut vor Gericht verteidigen zu können.
Aber nachdem er sich drei Stunden mit M., vielleicht auch mehr und, da er es irgendwo einmal angibt, vielleicht auch einmal zusammen mit Harold Pinter, im Gefängnis unterhalten hat – er war beeindruckt, aber das war glaube ich nicht das erste Mal, denn es schienen da ja familiäre Bekanntschaften von früher aus Belgrad zu bestehen, jedenfalls deutet Handke an, dass er zum Begräbnis auch aus diesem Grund gefahren sei.
Die Grade seiner Haltungen zu M. wechseln ja gelegentlich von Interview zu Interview – je nach dem, mit wem er da spricht, wer ihn da anruft. Wenn Herr Greiner von der »Zeit« kommt, oder die Leute von der NZZ ist da mehr Verlass. Als Hausherr in Chaville, scheint es mir, ist Handke manchmal herrisch, manchmal sehr verspielt, manchmal passiv-aggressiv. Wenn er ein Interview mit einem Freund, Thomas Deichmann von Novo macht, wie zur Zeit des Kosovo Krieges, sind sie grossartig und sehr ergiebig.
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Mehr von und über Michael Roloff:
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