…und den Tautologien der Justiz, der Sinnlosigkeit des Glaubens des Künstlers als Vorbild, der massenmedialen Bilderbeeinflussung, Deutschland als Schwamm und Handkes desillusionierenden Blick, was den Nobelpreis angeht.
In dem Essay »Die Tautologien der Justiz« beschreibt Handke 1969 als Prozessbeobachter das Vorgehen der (deutschen) Justiz gegen die Hausbesetzer- und Demonstrantenszene. Bereits damals spricht er überaus deutlich dem Gericht die Möglichkeit ab, ein unvoreingenommenes Urteil fällen zu können – woran das liegt, wäre eine separate Erörterung wert…
Es ist eigentlich ziemlich klar woran das liegt. An Vor-Urteilen, die eigentlich nichts mit Gerichtsbarkeit zu tun haben. In den USA ist man, jedenfalls vor einem Gericht, unschuldig bis zum Urteil. Unter dem deutschen Justizsystem ist man, wenn arretiert, erst einmal schuldig bis zum eventuellen Freispruch. Da sind von vornherein die Akzente anders gesetzt.
Das Tautologische von dem Handke da sehr schön beobachtend spricht, hängt also eher mit Habitus, mit Mief, mit dem Obrigkeitsdenken zusammen, die tief in der Volkspsyche verankert sind. Hier ja manchmal auch, wenn man sich das berühmte Gerichtsverfahren gegen die »Chicago Sieben« nach der 68er Democratic Convention ansieht, mit dem Richter Hoffman. Richter, die dann sich eher wie verklemmte Väter/Mütterchen benehmen, und nur aus Zufall Richter sind, oder was man sich davon vorstellt, also dem »gesunde Volksempfinden« Ausdruck verleihen.
Aus dem Handke-Text zitiert:
»…die Tatsachen, wenn sie später, bei den Fragen ‘Recht oder Unrecht’ und ’schuldig oder unschuldig’, beurteilt werden sollen, [brauchen] gar nicht mehr beurteilt zu werden, weil sie schon vorher derart beschrieben wurden, dass sie die Urteile vorweg nehmen: sie sind selber schon die Urteile.«
Ja, das stimmte schon zu der damaligen Zeit (60er/70er Jahre). Ob sich da was verändert hat, bin ich nicht in der Lage zu beurteilen. Man [ich] bringe diese schöne Handke Schrift in Zusammenhang mit seiner Beurteilung des Tribunals in Den Haag.
In einem der Interviews dieses Jahres hielt er der das Tribunal schon gerechtfertigt, um die verschiedenen Kriegverbrecher (serbischer, kroatischer, bosniakischer und kosovo-albanischer Provenienz) vor Gericht zu stellen, aber er fand, das Gericht sei nicht das richtige für Milosevic. Er sparte ihn da aus, da er ihn schon für vor-verurteilt hielt, und sagte, M. solle, wenn dann in Belgrad vor ein Gericht gestellt werden. (Zur der Zeit lief ja ein Verfahren in Belgrad, dass Milosevic posthum und ohne dass er sich hat persönlich verteidigen können, verurteilte. Auch das spart Handke aus.) Ich finde die Unterscheidung, die er zwischen Milosevic und den anderen Angeklagten macht (viele von ihnen inzwischen verurteilt, einige schon wieder frei gelassen) nicht überzeugend. Handke spart ihn schon seit Jahren aus, bspw. »Rund um das grosse Tribunal« [a.k.a. rund um den »heissen Brei«]. Er macht mehr oder weniger Milosevics’ Untergebene für die Untaten verantwortlich – woher weiss Handke das überhaupt?
Warum kommt jemand auf die Idee, Handke als Entlastungszeuge für Milosevic zu benennen?
Er wäre nur als »Charakterzeuge« in Betracht gekommen, da er ja wohl, soweit wir wissen, nie unmittelbar in Milosevics’ Taten eingebunden war.
Wir wissen sehr wenig über sein Verhältnis zu Milosevic und Familie. Zu Milosevic’ Zeit wurden Handkes Stücke in Belgrad gespielt, jetzt haben sein Mitarbeiter Materic [»La Cuisine«] und andere grosse Schwierigkeiten, das da überhaupt etwas gespielt wird. Wir wissen nicht, ob sich Handke freundschaftlich zur Familie hingezogen fühlt – falls ja, warum hat er denn nicht als Zeuge ausgesagt? Das hätte wohl noch mehr Aufregung gegeben, als das Auftauchen bei der Beerdigung.
Die berühmte Frage nach dem Verhältnis von Macht und Künstler und der romantisch-/moralisierenden Einstellung speziell der Deutschen hierzu – nebst den »üblichen Verdächtigen« wie Heidegger, Céline, Hamsun oder auch Brecht und Benn…
Auf Anhieb fällt mir Nietzsches Bemerkung ein, dass nach dem Hund der Mensch Gottes zweite Missgeburt sei. Warum sollen Künstler, arme Tropfe, dem viel Schönes des Lebens versperrt, irgendwie weniger auf Macht und Mächtige dieser Welt angewiesen sein und sich weniger hundsföttisch benehmen? Aber warum muss die Masse immer auf einen Erlöser oder dann den Künstler als Erlöser warten? Schöne Worte darüber in »Über die Dörfer«. Ab einem gewissen Zeitpunkt ist der Menschen-Affe doch selbständig, oder nicht?
Eine der schönen Sachen in den »Tablas« ist, wie sich Handke über seine eigene Selbstgerechtigkeit lustig macht. Das ist ja der Kern des Gottes des Alten Testaments, dieser rachsüchtige Gott, der fordert, dass die Masse der Schafe immer in die selbe Richtung gehen; ein Gott, der alles Divergente, andere, intolerant abschaffen möchte. Die Leute, die da sich über seinen Meinungsunterschied so selbstgerecht aufregen, sollten sich eigentlich erst mal in ihrem eigenen Haushalt umschauen, was da so in Ordnung oder nicht ist. Unter einer wirklichen Diktatur, wie die der Nazis – welcher Verlass wäre auf diese so gerechten, moralisierenden? Im Gros würden sie doch brav mitschwimmen. Darüber könnten wir uns noch detailliert unterhalten...
Ich glaube ein Enzensberger Essay machte mich vor Jahren darauf aufmerksam, dass in der Zeit nach der französischen Revolution; dass heisst seit Anfang der modernen Demokratien, und ihren Diktaturen, Künstler aller Art eine kritische Einstellung zu aller Macht, allen Regierungen eingenommen haben, und Lobgesänge wer immer auf wen immer, eher komisch wenn nicht ekelerregend wirkten, da die Mächtigen oft genau so oder größere Ungeheuer waren als die vorhergehenden Könige. Im 20. Jahrhundert – dem der Diktatoren wie Hitler, Stalin, Mussolini, Mao, Parteidiktaturen aller Art – bleiben allerdings auch die wenige Nichtdiktatoren kaum des Lobpreisens würdig. Aber die wahrhaftig gewählten Staatoberhäupter sind auch weniger auf Lob von Künstlern angewiesen, da sie ja wenigstens eine Zeitlang den Rückhalt des Volkes besitzen. Deswegen wohl auch der Unterschied, dass Stalin, Mao, Hitler sich Statuen während ihrer Machtzeit haben bauen lassen, während Statuen für F.D.R. oder Disraeli erst nach Amtzeit oder ihrem Tod gebaut werden. Das Kontinuum ist zu beachten.
Da der Faschismus sowohl als der Kommunismus romantische und abenteuerliche und idealistische Quellen haben, hatten sich sehr viele Künstler insbesondere dem sozialistischen Impuls verschrieben; manche nur kurz. Andere, wie Elliot, fanden sich ihre Wurzeln in der Religion. Die Geschichte überfordert die meisten.
Um auf Handke zurückzukommen und seinem Verhältnis zu Milosevic. Vielleicht kommen ja noch Lobgesänge des angeblich heroischen oder tragischen. Aber bisher war doch kaum etwas. Sonst steht Handke, trotz eigener autoritärer Anlagen, wacker in der modernen Tradition der Skepsis gegenüber allen Mächtigen; siehe »Über die Dörfer«. Sein Machtgebiet heisst Sprache.
Glauben Sie, dass Handke den Versuch erkannt hat, dass einige sein Werk beginnen zu demontieren? Daher vielleicht die sehr eindeutigen Stellungnahmen in der SZ und im NZZ-Interview?
Na ja, wenn Buchläden sein Werk wegen seiner Einstellung zu Jugoslawien nicht mehr im Sortiment führen, merkt man das schon schnell. Aber mit Amazon oder ähnlichem ist der Leser nicht mehr so sehr auf das Sortiment angewiesen. Hier in Amerika sind glaube ich nur noch 6 [von ungefähr 20 verlegten] Büchern erhältlich, für die andern muss man sich an das Antiquariat wenden, wo die Preise so gestiegen sind, dass ich bereue nicht mehr von meinen eigenen Übersetzungen eingelegt zu haben.
Von all den Stücken die da, beinahe alle von mir übersetzt, im letzten Jahr hier, weltweit gespielt wurden, auf Englisch: zweimal »Selbstbezichtigung«. Dem war nicht immer so. Und bei einer der Aufführungen, im Cabaret des Yale Drama School, in New Haven, Connecticut, tauchte auch so einer auf, für den Handke=Milosevics=Hitler=Teufel war. »Atrocity atrocity atrocity«.
Das ist für einige viel erregender als Pornographie. Da schaltet das Gehirn ganz schnell auf Psychose und Selbstgerechtigkeit um. Und ist einer der wichtigsten, grundlegendsten Hebel der Meinungsmanipulation geworden. Mein eigenes erstes Erlebnis dieser Art war, als ich als Kind KZ Bilder in einem von der Besatzung finanzierten »broadsheets« herumguckte. Es waren Bilder von Buchenwald. Ich schaute, ob ich darin den idealisierten Großvater finden würde, der da befreit wurde. Es wäre mir nie eingefallen, als ich endlich Glück hatte als 12jähriger da weg zu kommen, ins Land der »Declaration of Independence«, das irgendjemand Auschwitz jemals bezweifeln könnte, oder so etwas als Werkzeug der Propaganda und Manipulation der Meinungen gebraucht würde.
Inzwischen hat diese bildliche Manipulation ein tägliches Massengewicht erreicht, dass sich ein Gefühl der allgemeinen Ohnmacht weltweit ausgebreitet hat, und der Indifferenz, der emotionalen Überforderung, einer negativ besetzten Empathie, mit Ausnahme der kleinsten persönlichen und städtischen Bereiche. Und wenn so etwas wie die Attacke auf das WTC und den Pentagon passiert wird es von einer Regierung zur Propaganda und Manipulation benutzt; statt darauf zu reflektieren: Warum wird man angegriffen?
Der lange Umweg zur kurzen Antwort: was ich da in den Deutschen durchs Web erreichbare Feuilletons zu lesen bekam, bei dem dritten »coming« der Handke-Yugo Kontroverse, lässt darauf schließen, das wenige Leute, die sich da aufregen, jemals irgendetwas von Handke gelesen haben, und wenn, dass es den geringsten Eindruck hinterlassen hat. Das einzige, was sie wissen, ist, das Handke eben nicht wie sie Milosovics als Teufel verdammt! Sogenannte Intellektuelle sind »Prét-à-Porter« wie der Rest, nur heisst ihre Kleidung ‘wohlfeile Meinung’.
Mit »Nie wieder Auschwitz« wurde ja der Angriffskrieg auf Jugoslawien/Kosovo 1999 speziell von der deutschen Politik gerechtfertigt. Eine ungeheuerliche Relativierung genau der gleichen politischen Klasse, die heute Handke als Heine-Preisträger ablehnt und ihm gar selbst Relativierung unterstellt. Wenn man sich das vergegenwärtigt, haben wir in Deutschland längst amerikanische Verhältnisse...
Ja, von hier aus sieht Deutschland oft wie der 51. Staat aus. Deutschland ein Schwamm, schon seit dem Dreissigjährigen Krieg. Oder seit der Hermannschlacht!
Deutschland – ein Schwamm? Wie meinen Sie das?
Aufsaugen; ein Anpassen an das gerade sprachlich und kulturell dominierende. Französisch im 18. Jahrhundert (was sich noch in meinem aristokratisch gefärbten Vokabular niedergeschlagen hat); die ganze Lateinisierung durch Mönchsübersetzungen der Sprache, besonders auch der Syntax. Hochdeutsch: unvergleichbar anders als/mit dem schönen »Platt«. Jetzt alles veramerikanisiert; versowjetisiert seinerzeit in Ostdeutschland (Norbert Elias: Über den Prozess der Zivilisation). Lesen Sie mal Kempowskis »Haben sie Hitler gesehen?«
Abschliessend noch: Glauben Sie, dass Handke den Nobelpreis annehmen würde?
Deborah Solomon fragte Handke in ihrem New York Times Magazine Interview, ob er glaube den Nobelpreis jetzt noch zu bekommen. Handke antwortete – diesen Interviews ist allerdings nicht zu trauen, da sie zusammengebastelt werden! – dass er sich diesen Preis jedenfalls zu einer Zeit gewünscht hätte, aber dass das wegen seiner Jugoslawien-Sache vorbei sei. Als Mitglied beider Amerikanischen P.E.N. Clubs wähle ich jährlich auf beiden schon für Handke seit ungefähr 30 Jahren. Nicht der Person, sondern des Werkes wegen, verdient er ihn wie kein anderer. Was er und sein vom Autismus begnadetes Wesen der Sprache, der Schrift, der Literatur ermöglicht haben. Ich erinnere mich als die Jelinek diesen Preis vor ein paar Jahren bekam, musste er sich gleich mal hinsetzen! For sure! Und die Jelinek war aber so groß zu sagen, dass unter Österreichern wenigstens sowas dem Handke gehörte. War der/die erste überhaupt unter all den grossen österreichischen Schriftstellern, dem dieser Preis zugesprochen wurde. Und die Aufregung hier schon wegen der Jelinek. Besonders unter den Neo-Cons! Was sich hier an Faschismus angestaut hat...
Michael Roloffs Webseite
Die Hauptseite seiner Textsammlung über Peter Handke