Bei einer Literatur-Veranstaltung in einer Buchhandlung im Friedenauer Dichterviertel sprach die Referentin – eine berühmte Professorin übrigens – so rhetorisch brillant wie unterhaltsam über Thomas Mann und seine Familie und erwähnte dabei einen Zigeuner auf dem gelben Wagen. Das Publikum bestand ganz überwiegend aus jungen und weniger jungen Seniorinnen und Senioren besten, alteingesessenen Westberliner Bildungsbürgertums, sowie Studierenden der Literaturwissenschaften, und etliche schienen einander zu kennen. Man war eingeladen und aufgefordert, nach dem Vortrag zu diskutieren und Fragen zu stellen. Ich fragte nach dem »Zigeuner«, erfuhr, dass es sich um ein Zitat von Thomas Mann handle und erwiderte, dass es schön gewesen wäre, wenn sie das Zitat kenntlich gemacht hätte, weil der Begriff »Zigeuner« problematisch sei, worauf die Professorin sich sofort der nächsten Wortmeldung zuwandte, die ein anderes Thema betraf.
Hinterher schenkte der Buchhändler Wein aus, und eine jener bildungsbürgerlichen jungen Seniorinnen prostete mir zu mit den Worten, sie sei froh, dass ich das Zigeuner-Zitat angesprochen hätte, denn das Zitat sei falsch. In Wahrheit sei der Wagen grün und nicht gelb! Das könne man nachlesen, sie wisse es bestimmt. Wir nippten am Wein, sie trank weißen, ich roten. Auch dies sei sicher ein interessanter Aspekt, gab ich zu, jedoch sei es mir um etwas anderes gegangen, nämlich um den Begriff »Zigeuner«, der … und wurde unterbrochen damit, dass der Wagen aber wirklich grün …