Flo­ri­an L. Ar­nold: Ein un­ge­heu­er­li­cher Satz

Florian L. Arnold: Ein ungeheuerlicher Satz
Flo­ri­an L. Ar­nold:
Ein un­ge­heu­er­li­cher Satz

»No­vel­le« nennt Flo­ri­an L. Ar­nold sein Buch »Ein un­ge­heu­er­li­cher Satz«. Seit ei­ni­gen Jah­ren be­die­nen sich Ver­la­ge die­ser Gat­tungs­be­zeich­nung ver­mehrt, um kur­ze Er­zäh­lun­gen, die nicht als Ro­man ver­mark­tet wer­den kön­nen, auf­zu­wer­ten. »No­vel­le« dient da­bei Fall als Di­stink­ti­ons­merk­mal ge­gen­über »Er­zäh­lung«. Hier trifft die­se Spie­le­rei je­doch nicht zu. Es han­delt sich tat­säch­lich um ei­ne »un­er­hör­te Be­ge­ben­heit«, wie Goe­thes De­fi­ni­ti­on der No­vel­le lau­te­te. Der na­men­lo­se Ich-Er­zäh­ler, ein 13jähriger Jun­ge (?), wird ei­nes Ta­ges mit ei­nem »un­ge­heu­er­li­chen Satz« sei­nes Va­ters kon­fron­tiert: »Wir ge­hen weg«. Die Fol­gen wer­den ein­schnei­dend sein.

Man lebt in ei­ner Art Wild­nis; für sich, al­lei­ne. Die Zeit, in der die No­vel­le spielt, ist nicht eru­ier­bar. Zwei‑, drei­mal im Jahr fährt die Fa­mi­lie mit ei­nem al­ten, »selbst­mord­ge­fähr­de­ten« Au­to in die Stadt. Dort kauft man un­ter an­de­rem schwar­ze, un­li­nier­te Hef­te, die vom Va­ter ir­gend­wann zwang­haft voll­ge­schrie­ben und von der Mut­ter dann per Post nach »Igna­tu« ver­schickt wer­den. An­son­sten lebt man vom Ge­mü­se­gar­ten. Es scheint we­der Te­le­fon noch In­ter­net zu ge­ben. So­zia­le Kon­tak­te hal­ten sich in Gren­zen, blei­ben schließ­lich bis auf ei­nen ge­wis­sen Rö­sen­mar­rer gänz­lich aus (und so­fort denkt man bei die­sem Na­men an Roit­ha­mer aus Tho­mas Bern­hards »Kor­rek­tur«).

Der Va­ter, ei­ne Her­mann-Bur­ger-Fi­gur, ist ein rau­chen­der Me­lan­cho­li­ker, ge­heim­nis­voll in sei­nem schein­bar kin­di­schen Hass auf das Licht, die Son­ne, die Hit­ze, den Som­mer. Ein Mann, der mit sei­nem Sohn über ei­nen längst ver­wil­der­ten Fried­hof spa­ziert und Grab­steine buch­sta­biert, ent­zif­fert und sich von sei­nem Kind die Le­bens­da­ten aus­rech­nen lässt.

Wei­ter­le­sen ...

Wie man sich von sich selbst be­freit

Édouard Louis: Das Ende von Eddy
Édouard Lou­is:
Das En­de von Ed­dy
Der Erst­ling des jun­gen Édouard Lou­is als so­zia­les Lehr­stück

Édouard Lou­is hieß ur­sprüng­lich Édouard Bellegueu­le, und ge­ru­fen wur­de er »Ed­dy«. So steht es im auto­biographischen Ro­man, den der Au­tor 2012 in Pa­ris ver­öf­fent­lich­te, und auch in der Wirk­lich­keit ver­hält es sich so. »Schön­maul«, mit die­sem Na­men ist das Kind ge­straft; die ent­spre­chen­den Wort­spie­le wer­den gleich zu Be­ginn des Ro­mans zi­tiert. Édouard Lou­is, 22, hat sich von den Fes­seln sei­ner Her­kunft be­freit, in­dem er die­ses Buch schrieb. Die Be­frei­ung hat auch ei­nen fi­nan­zi­el­len Hin­tergrund, denn der jun­ge Au­tor ent­stammt ei­ner Schicht, die man als neu­es Lum­pen­pro­le­ta­ri­at be­zeich­nen könn­te, und sein Erst­ling war in Pa­ris ein Best­sel­ler. Die Vor­ge­schich­te sei­ner Be­frei­ung kann man in Das En­de von Ed­dy nach­le­sen. Schon der Ti­tel weist dar­auf hin: Ed­dy Bellegueu­le gibt es nicht mehr. Die Nie­der­schrift und Ver­öf­fent­li­chung des Ro­mans ist gleich­be­deu­tend mit sei­ner Ver­nich­tung.

En fi­nir avec Ed­dy lau­tet der Ti­tel im Ori­gi­nal. Hin­rich Schmidt-Hen­kel, ein außer­ordentlich ge­wand­ter Über­set­zer, der vie­le sprach­li­che Re­gi­ster zu zie­hen ver­steht, bil­det den von Lou­is häu­fig zi­tier­ten nord­fran­zö­si­schen So­zio­lekt ge­ra­de­zu lust­voll nach – beim Ti­tel scheint er mir aber et­was schmähstad ge­we­sen zu sein (oder hat ihn ein Lek­tor be­hin­dert?). »Schluß mit Bellegueu­le« wür­de pas­sen und kä­me dem Ori­gi­nal nä­her. Die Er­zäh­lung selbst hat et­was Ge­walt­tä­ti­ges, nach dem Selbst­ver­ständ­nis des Au­tors han­delt es sich um Ge­gen­ge­walt ge­gen das ge­walt­tä­ti­ge Sy­stem. Die da­von Be­trof­fe­nen und (im Buch) Be­schrie­be­nen be­zie­hen die li­te­ra­ri­sche Ge­walt aber auf sich selbst: Der will uns ver­nich­ten! Mit­samt sei­nem Ed­dy will Lou­is auch die Um­ge­bung zer­stö­ren, in der er auf­ge­wach­sen ist, al­so die kon­kre­ten Men­schen im Dorf Hal­len­court. Mach ka­putt, was dich ka­putt macht. Li­te­ra­tur ge­gen Ver­ro­hung. Ver­ro­hung ge­gen Li­te­ra­tur, ge­gen die Schwu­len, ge­gen die Weich­ei­er.

Wei­ter­le­sen ...

Fritz J. Rad­datz

Fritz J. Rad­datz ist tot. Wirk­lich? Oder ist es nur Spiel von ihm, die heuch­le­ri­schen Nach­ru­fe für ein neu­es Buch zu sam­meln? Man kennt das von Kin­dern, die sich nicht ge­nü­gend ge­liebt füh­len und dann er­le­ben möch­ten, wie El­tern und Freun­de sie auf ih­rer Be­er­di­gung be­wei­nen. Die Lek­tü­re der Ta­ge­bü­cher von Rad­datz ver­mit­tel­te mir ei­nen ...

Wei­ter­le­sen ...

Marc De­gens: Fuck­in Su­shi

Marc Degens: Fuckin Sushi
Marc De­gens: Fuck­in Su­shi
Niels Wawr­zy­ni­ak ist 16 oder 17, Gym­na­si­ast und wohnt seit dem Um­zug aus dem Ruhr­ge­biet mit sei­nen El­tern in Bonn. Bei ei­ner Schul­fei­er lernt er den et­wa gleich­altrigen Re­né ken­nen. Bei­de mö­gen Doom Me­tal und vor al­lem lan­ge Mu­sik­stücke. Niels’ er­ster iPod um­fasst 52 Ti­tel, 11 Std., 45 Mi­nu­ten. Ne­ben Bob Dy­lan, Ji­mi Hen­drix (»Ma­chi­ne Gun«), Kraft­werk (»Auto­bahn«) und den Doors (»When the mu­sic is over«) un­ter an­de­rem The Kni­fe, »To­mor­row in a year«, Sunn 0)) mit »Helio)))Sophist«, Das Bier­be­ben »Im Kreis«, Die Krupps mit »Stahl­werk­sin­fo­nie«, Cas­par Brötz­mann mit »Mas­sa­ker« und Ma­nu­el Gött­sch­nigs »E2-E4« (58:39) und T.Raumschmiere.

Niels hat ei­nen Bass. Re­né ei­ne Gi­tar­re und Ideen für Tex­te, die »roh und hart und ehr­lich« sind. Bei­de grün­den ei­ne Band: »R@’n’Niels« (Re­né ist R@ = »rat«). Ei­nes Sonn­tags fah­ren sie, um sich in Bonn nicht zu bla­mie­ren, nach Bad Mün­ster­ei­fel und spie­len dort vor dem Hei­no-Ca­fé. Der Er­folg ist über­schau­bar, aber die Saat keimt. Re­né ge­lingt es, den sechs Jah­re äl­te­ren Lloyd zu be­gei­stern. Von nun an ha­ben sie ei­nen Schlag­zeu­ger und Fah­rer in Per­so­nal­uni­on. Vor al­lem je­doch ei­nen Pro­ben­raum – in ei­nem Turm. Spä­ter kommt noch die Pun­ke­rin Ni­no mit ih­rem Key­board hin­zu. Aus dem Band­na­men »Fun­king Su­shi« wird schließ­lich »Fuck­in Su­shi«. Es geht um »Welt­frie­den und Ab­rent­nern«. Die Lo­gik ist ver­blüf­fend: War­um nicht nach der Schu­le mit der Ren­te be­gin­nen, Mu­sik ma­chen, tags­über Fern­se­hen (»Koch­sen­dun­gen, Zoo­re­por­ta­gen, Hal­len­fuß­ball oder Sommer­biathlon«) und erst dann, so ab 50, mit dem Ar­beits­le­ben be­gin­nen?

Wei­ter­le­sen ...

Joa­chim Zel­ter: Wie­der­se­hen

Joachim Zelter: Wiedersehen
Joa­chim Zel­ter: Wie­der­se­hen
Nach­dem Joa­chim Zel­ter 2010 mit »Der Minister­präsident« ge­konnt den Po­li­tik­be­trieb und drei Jah­re spä­ter die Li­te­ra­tur­sze­ne (»Ei­nen Blick wer­fen«) se­zier­te und per­si­flier­te, zielt er mit dem schel­misch-harm­lo­sen Ti­tel »Wie­der­se­hen« nun auf das in­sti­tu­tio­na­li­sier­te Bil­dungs­bür­ger­tum. Da­mit ist der Au­tor nun end­gül­tig auf­ge­bro­chen, ei­ne sa­ti­risch grun­dier­te Kul­tur­ge­schich­te der ak­tu­el­len Bun­des­re­pu­blik zu ver­fas­sen.

Nach mehr als zwan­zig Jah­ren lädt der un­kon­ven­tio­nel­le Deutsch­leh­rer Thor­sten Kort­hau­sen – von Fer­ne er­in­nert er an John Kea­ting aus dem »Club der to­ten Dich­ter« – sei­nen ein­sti­gen Mu­ster­schü­ler Ar­nold Lit­ten zu ei­ner klei­nen Par­ty nach Hau­se ein. Ar­nold ist in­zwi­schen ein an­ge­se­he­ner Ger­ma­ni­stik-Pro­fes­sor. Auf der Fahrt er­zählt er sei­ner Freun­din An­na die Be­son­der­hei­ten und Ex­tra­va­gan­zen Kort­hau­sens. Zum Bei­spiel des­sen er­ste Deutsch­stun­de in der Pri­vat­schu­le für »aus­nah­me­be­dürf­ti­ge Schü­ler«, die­ser »An­samm­lung von Auf­säs­sig­keit und Lust­losigkeit«. Nie­mand nahm den neu­en Leh­rer zur Kennt­nis. Schließ­lich be­tei­lig­te die­ser sich an ei­ner Schach­par­tie, die wäh­rend des Un­ter­richts ge­spielt wur­de. Ein ver­gnüg­lich zu le­sen­der An­ek­do­ten­strauß pras­selt da auf den Le­ser ein. So wird von Kort­hau­sen ei­ne Klas­sen­ar­beit Ar­nolds mit »Eins bis Sechs« be­no­tet – weil sie so­wohl sehr gu­te wie auch un­ge­nü­gen­de Pas­sa­gen ent­hält. Ein an­der­mal dann mit »Eins plus plus«. Oder die Sa­che mit dem Hund: Kort­hausen er­zählt Wun­der­din­ge von sei­nem Hund, den er ei­nes Ta­ges mit­bringt und die Auf­sicht bei ei­ner Klas­sen­ar­beit vor­neh­men lässt. Der Hund sei ag­gres­siv und bel­le so­fort wenn ge­schum­melt wür­de. Die Schü­ler sind ein­ge­schüch­tert und wa­gen kei­ne Ma­ni­pu­la­tio­nen. Am En­de er­öff­net Kort­hau­sen ih­nen, dass er den Hund aus dem Tier­heim ge­holt ha­be. Oder die­ser Schü­ler, der in vie­len Fä­chern Fünf stand und dann Vie­ren be­kommt, weil er mit Kort­hau­sen ei­nen stram­men Wald­lauf durch­steht.

Wei­ter­le­sen ...

Mi­chel Hou­el­le­becq: Un­ter­wer­fung

Michel Houellebecq: Unterwerfung
Mi­chel Hou­el­le­becq: Un­ter­wer­fung

Mi­chel Hou­el­le­becqs Ro­man »Unter­werfung« wur­de nicht zu­letzt we­gen der wenn auch län­ger zurück­liegenden kri­ti­schen, zum Teil durch­aus be­leidigenden Äu­ße­run­gen des Au­tors zum Is­lam arg­wöh­nisch un­ter­sucht. Die Ko­in­zi­denz zwi­schen der Erstver­öffentlichung und den schreck­li­chen Mor­den von Pa­ris liegt na­tür­lich au­ßer­halb des Ein­flus­ses des Au­tors. Was ei­ni­geR Hy­ste­ri­ker nicht da­von ab­hält, Hou­el­le­becq von nun an ei­ne Art Mit­ver­ant­wor­tung für das Ver­gan­ge­ne bzw. so­gar das Zu­künf­ti­ge zu­zu­wei­sen. Da­bei ist spä­te­stens seit Rush­dies »Sa­ta­ni­schen Ver­sen« klar, dass Ter­ro­ri­sten, Po­li­ti­ker und die mei­sten Me­di­en­ver­tre­ter bei al­len Dif­fe­ren­zen in ei­nem Punkt ei­ne Gemeinsam­keit ha­ben: Sie brau­chen das Werk bzw. die Re­ak­tio­nen dar­auf, die sie skandali­sieren und in­stru­men­ta­li­sie­ren nur als An­lass; ei­ne Lek­tü­re ist dann doch zu auf­wen­dig. Das hat in er­schüt­tern­der Wei­se die Dis­kus­si­on in Frank­reich ge­zeigt, in der Hou­el­le­becq die Ver­brei­tung rechts­extre­mer The­sen und so­gar Ras­sis­mus vor­ge­wor­fen wur­de.

Auch in Deutsch­land über­schlu­gen sich die Re­zen­sen­ten be­reits vor Er­schei­nen des Bu­ches mit ih­ren Ur­tei­len. Da­bei wur­de auch hier mit Akri­bie auf ei­ne po­ten­ti­el­le Is­lam­feind­lich­keit des Tex­tes bzw. des Au­tors ge­ach­tet, was aber­mals zeigt, dass das Feuil­le­ton zu­neh­mend die Rol­le des po­li­ti­schen An­stands­wau­waus wahr­neh­men möch­te, weil sich da­mit am mei­sten Di­stink­ti­on er­ar­bei­ten lässt. Noch selt­sa­mer als die­ser Ge­sin­nungs- und Re­zen­si­ons­wett­lauf mu­te­te die zu­wei­len auf­kom­men­de (ge­spiel­te?) Nai­vi­tät an, die fragt, war­um ei­gent­lich al­le jetzt plötz­lich ein li­te­ra­risch der­art mit­tel­mä­ssi­ges Buch be­spre­chen. Da­bei spielt es kei­ne Rol­le, dass das Ur­teil der li­te­ra­ri­schen Me­dio­kri­tät fast im­mer nur be­haup­tet wird; hand­fe­ste Be­le­ge feh­len zu­meist.

Ver­stopf­te Wasch­becken und Feh­ler in der Steu­er­erklä­rung

Der Plot des Ro­mans ist schnell er­zählt. Der Le­ser wird trans­for­miert in das Früh­jahr des Jah­res 2022. Fran­çois, ein mü­der fran­zö­si­scher Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor an der Pa­ri­ser Sor­bon­ne, bald 44 Jah­re alt, der über Jo­r­is-Karl Huys­mans dis­ser­tiert hat­te, weiß nicht mehr so recht, was er tun soll: »Mein In­ter­es­se für das Gei­stes­le­ben war sehr ab­ge­flaut, mei­ne ge­sell­schaft­li­che Exi­stenz war nicht zu­frie­den­stel­len­der als mei­ne kör­per­li­che, die ei­ne wie die an­de­re war ei­ne Ab­fol­ge klei­ner Wid­rig­kei­ten – ein ver­stopf­tes Wasch­becken, ei­ne nicht funk­tio­nie­ren­de In­ter­net­ver­bin­dung, Straf­punk­te für schlech­tes Fah­ren, be­trü­ge­ri­sche Putz­frau­en, Feh­ler in der Steu­er­erklä­rung -, die mich oh­ne Un­ter­lass quäl­ten und nie zur Ru­he kom­men lie­ssen.« Sei­ne Lie­bes­af­fä­ren sind im Semester­rhythmus ge­tak­tet. Nur mit der halb so al­ten My­ri­am ver­bin­det ihn mehr.

Wei­ter­le­sen ...

Der Fla­neur aus dem El­fen­bein­turm

Über den Dich­ter-Er­zäh­ler Xa­ver Bay­er

Treff­punkt: ei­ne Art Un­ort. Ein Ca­fé, ein­ge­rich­tet eher wie ein Wirts­haus, an ei­nem sams­tags un­ge­heu­er be­leb­ten Markt an der städ­ti­schen Pe­ri­phe­rie von Wien. Im halb­dunklen Raum des Ca­fés wäh­rend der zwei Stun­den kaum Gä­ste: an­de­re Welt, in der sich gut re­den – und schrei­ben läßt, denn Xa­ver Bay­ers Bü­cher ent­ste­hen hand­schrift­lich an Or­ten wie die­sem. Woh­nen tut er im Zen­trum, in ei­ner von der Groß­mutter übernommen­en Woh­nung mit ei­nem Miet­zins, der so nied­rig ist, daß ihn die Be­sit­zer has­sen, weil er im­mer noch nicht aus­ge­zo­gen ist. Mit die­sem Ge­dan­ken spielt er, weil er die hyper­kommerzialisierte In­nen­stadt zu­neh­mend un­er­träg­lich fin­det. Aber der Miet­zins ist heu­te auch an der Pe­ri­phe­rie zu hoch. Ei­ne lu­xu­riö­se und zu­gleich be­schei­de­ne Exi­stenz führt der Dich­ter, nicht as­ke­tisch, aber am Mi­ni­mum ent­lang. Das Wort »Lu­xus« ge­braucht Bay­er öf­ters, im­mer mit ent­schul­di­gen­der Ge­ste. Und als Dich­ter er­scheint er mir, seit ich ihn ken­ne, ob­wohl er in er­ster Li­nie ein Er­zäh­ler ist. Mor­gens nach dem Auf­ste­hen, er­zählt er, liest er ei­ne gan­ze Wei­le Ge­dich­te. So be­ginnt in der Re­gel sein Tag.

Xaver Bayer  ©  Leopold Federmair
Xa­ver Bay­er © Leo­pold Fe­der­mair
Schon als ich ihn das er­ste Mal traf, wirk­te er wie ei­ne Ge­stalt aus ei­ner an­de­ren Zeit. Ei­ner, der ein we­nig da­ne­ben­steht, räum­lich wie zeit­lich da­ne­ben, dies aber mit vol­lem Selbst­be­wußt­sein. Ei­ner, der durch die Zei­ten geht. Paul Jandl hat ihn vor mehr als ei­nem Jahr­zehnt, als Bay­er ein jun­ger New­co­mer war, der Ge­ne­ra­ti­on Golf zu­ge­ord­net und da­bei auch die Au­tos ge­meint, die in Bay­ers frü­hen Er­zäh­lun­gen, wo der Held mei­stens auf Ach­se ist wie in ei­nem Road-Mo­vie, fast em­ble­ma­tisch wir­ken. Ein ei­ge­nes Au­to, Flug­reisen, Com­pu­ter­spie­le – das sind für Bay­ers Hel­den Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten (wie für je­den mitt­ler­wei­le), es sind Rea­lia und Uten­si­li­en ei­ner Zeit, aber Bay­ers Li­te­ra­tur zeich­net sich ge­ra­de da­durch aus, daß sie all das, was ak­tu­ell ist und von Jour­na­li­sten ver­ehrt und be­re­det wird, be­gut­ach­ten und von sei­ner Ak­tua­li­tät be­frei­en. Auf der Su­che nach dem Leuch­ten, das oft ge­nug das Zu­fäl­li­ge und Flüch­ti­ge, ja, das Ver­ächt­li­che birgt. In Ge­sprächen über Li­te­ra­tur, frem­de wie ei­ge­ne, zielt Bay­er oft­mals auf das, was »Be­stand hat«, und schenkt dem, was kei­nen hat (was sich frei­lich erst im Lauf der Zeit er­weist), ein mü­des Lä­cheln. Das ist auch der Grund, war­um er Auf­trags­ar­bei­ten ab­lehnt; sie wür­den ihn in Denk- und Schreib­rich­tun­gen zwin­gen, die nicht aus ihm selbst kä­men. Ich glau­be nicht, daß es heu­te vie­le Au­toren gibt, die mit sol­cher Rein­heit dem Sinn ih­rer Exi­stenz nach­kom­men – ih­rer Be­ru­fung, um es alt­mo­disch aus­zu­drücken. Ei­nem Sinn, der sei­ne ei­ge­ne Frag­lich­keit in sich trägt, dem der Schrei­ben­de in vie­len Mo­men­ten aber auch ver­trau­en kann. Im neu­en Buch, Ge­heim­nis­vol­les Kni­stern aus dem Zau­ber­reich, rührt Bay­er an bei­de Sei­ten, ei­ne Pen­del­be­we­gung be­schrei­bend, ein sanf­tes, zu­wei­len un­merkliches Hin und Her zwi­schen Va­ni­tas und der Hoff­nung, man kön­ne dem Le­ben, auch die­sem hier, in die­ser und die­ser Ge­ne­ra­ti­on, zu­stim­men.

Wei­ter­le­sen ...