Marc De­gens: Fuck­in Su­shi

Marc Degens: Fuckin Sushi

Marc De­gens: Fuck­in Su­shi

Niels Wawr­zy­ni­ak ist 16 oder 17, Gym­na­si­ast und wohnt seit dem Um­zug aus dem Ruhr­ge­biet mit sei­nen El­tern in Bonn. Bei ei­ner Schul­fei­er lernt er den et­wa gleich­altrigen Re­né ken­nen. Bei­de mö­gen Doom Me­tal und vor al­lem lan­ge Mu­sik­stücke. Niels’ er­ster iPod um­fasst 52 Ti­tel, 11 Std., 45 Mi­nu­ten. Ne­ben Bob Dy­lan, Ji­mi Hen­drix (»Ma­chi­ne Gun«), Kraft­werk (»Auto­bahn«) und den Doors (»When the mu­sic is over«) un­ter an­de­rem The Kni­fe, »To­mor­row in a year«, Sunn 0)) mit »Helio)))Sophist«, Das Bier­be­ben »Im Kreis«, Die Krupps mit »Stahl­werk­sin­fo­nie«, Cas­par Brötz­mann mit »Mas­sa­ker« und Ma­nu­el Gött­sch­nigs »E2-E4« (58:39) und T.Raumschmiere.

Niels hat ei­nen Bass. Re­né ei­ne Gi­tar­re und Ideen für Tex­te, die »roh und hart und ehr­lich« sind. Bei­de grün­den ei­ne Band: »R@’n’Niels« (Re­né ist R@ = »rat«). Ei­nes Sonn­tags fah­ren sie, um sich in Bonn nicht zu bla­mie­ren, nach Bad Mün­ster­ei­fel und spie­len dort vor dem Hei­no-Ca­fé. Der Er­folg ist über­schau­bar, aber die Saat keimt. Re­né ge­lingt es, den sechs Jah­re äl­te­ren Lloyd zu be­gei­stern. Von nun an ha­ben sie ei­nen Schlag­zeu­ger und Fah­rer in Per­so­nal­uni­on. Vor al­lem je­doch ei­nen Pro­ben­raum – in ei­nem Turm. Spä­ter kommt noch die Pun­ke­rin Ni­no mit ih­rem Key­board hin­zu. Aus dem Band­na­men »Fun­king Su­shi« wird schließ­lich »Fuck­in Su­shi«. Es geht um »Welt­frie­den und Ab­rent­nern«. Die Lo­gik ist ver­blüf­fend: War­um nicht nach der Schu­le mit der Ren­te be­gin­nen, Mu­sik ma­chen, tags­über Fern­se­hen (»Koch­sen­dun­gen, Zoo­re­por­ta­gen, Hal­len­fuß­ball oder Sommer­biathlon«) und erst dann, so ab 50, mit dem Ar­beits­le­ben be­gin­nen?

Wenn es noch ei­ner In­itia­ti­on von Niels be­durft hät­te, dann die­se beim Bob Dy­lan Kon­zert in Bonn im Som­mer 2012. Auf sei­nem iPod ist er ja drauf und ir­gend­wie das Idol sei­ner El­tern. Aber was dann auf dem Kon­zert ge­schieht, ist ei­ne Er­nüch­te­rung: »Er sah aus wie der Ka­pi­tän ei­nes Kreuz­fahrt­schiffs und ge­nau­so klang die Mu­sik.« Das mehr­heit­lich äl­te­re Pu­bli­kum fei­ert und tanzt – aber schein­bar we­ni­ger die ak­tu­el­len Dar­bie­tun­gen Dylans als die Er­in­ne­run­gen an ihr frü­he­res Le­ben. Niels ist ent­täuscht: »Ich dreh­te mich um, lief zum Aus­gang und ei­nes wur­de mir mit je­dem Schritt kla­rer. Ich ge­hör­te nicht vor die Büh­ne, son­dern dar­auf.«

Die vier von »Fuck­in Su­shi« su­chen und fin­den, pro­bie­ren und mu­si­zie­ren, das es ei­ne Freu­de ist. Der Le­ser von Marc De­gens’ Ro­man er­fährt von prak­tisch je­der Pro­be (und de­ren Ge­lin­gen oder nicht), ist stets in­for­miert über die Be­stel­lun­gen in di­ver­sen McDonald’s‑Läden (war­um ei­gent­lich die­ses Brat­wurst-Co­ver, wel­ches zu De­gens’ er­stem Ro­man viel bes­ser ge­passt hät­te?) , wird über den Pe­gel­stand des Mülls im Turm auf dem lau­fen­den ge­hal­ten (er wächst enorm), könn­te die An­zahl der aus­ge­trun­ke­nen Bier­do­sen und ge­rauch­ten Zi­ga­ret­ten in ei­ner Strich­li­ste füh­ren (der Zi­ga­ret­ten­kon­sum er­reicht pro­blem­los die Qua­li­tä­ten frü­he­rer »Kommissar«-Folgen) und wun­dert sich über die Ver­su­che der Band­mit­glie­der, mit rie­si­gen Lam­pen aus dem Bau­markt die Wän­de das dunk­le Turms aus­zu­leuch­ten.

Wer das jetzt als lang­at­mig oder gar be­lang­los emp­fin­det, mag wohl auch kei­ne Bü­cher von Wolf­gang Welt und hat dem­zu­fol­ge nichts ver­stan­den. Ge­ra­de in der de­tail­lier­ten Er­zäh­lung die­ser nur knapp an­dert­halb Jah­re liegt der Charme die­ses Ro­mans, den De­gens kon­ge­ni­al auch cross­me­di­al be­glei­tet. In den be­sten Au­gen­blicken er­lebt der Le­ser Niels’ pu­re Lust an der Mu­sik, am Mit­ein­an­der und Zu­sam­men­wir­ken. So zum Bei­spiel wäh­rend ei­nes der we­ni­gen, da­für aber wuch­ti­gen und um­ju­bel­ten Kon­zer­te:

»Als der Mit­tel­teil von Co­ver my song an­fing, dreh­te er [Re­né] sich vom Mi­kro­fon weg und stell­te sich mir ge­gen­über, Kopf an Kopf. Re­né war ganz nah und ich konn­te sei­nen Atem in mei­nem Ge­sicht spü­ren. Wir schau­ten uns in die Au­gen, und oh­ne dass wir et­was sa­gen muss­ten, wech­sel­ten uns­re Schlag­hän­de im sel­ben Mo­ment das In­stru­ment. Mit der lin­ken Greif­hand spiel­te Re­né Gi­tar­re und mit der rech­ten Hand mei­nen Bass, ich wie­der­um spiel­te mit der lin­ken Hand Bass und mit der rech­ten Hand Gi­tar­re. Das Über­kreuz­spie­len klapp­te noch bes­ser als im Pro­be­raum und das Pu­bli­kum tob­te.«

Es ist Freu­de und Ernst; man fühlt sich trotz des Al­ters­un­ter­schieds ir­gend­wie an Wim Wen­ders’ »Bue­na Vi­sta So­cial Club« und der sicht- und vor al­lem hör­ba­ren Spiel- und Le­bens­freu­de der Mu­si­zie­ren­den auf der Büh­ne er­in­nert. Niels er­lebt ein Ein­ver­ständ­nis mit der Welt – au­gen­blick­lang nur, aber den­noch von Dau­er, weil von ihm er­zählt wer­den kann und wird. Da­zu ge­hört, dass in dem Au­gen­blick, als die Kar­rie­re ge­ra­de durchzu­starten scheint (440.000 You­tube-Klicks und ein Band-Wett­be­werb), Niels’ Stern sinkt. Re­né ist mit Äu­ße­run­gen von Niels in ei­nem In­ter­view nicht ein­ver­stan­den und möch­te das Image der Band ver­än­dern – die lan­gen Stücke, für Niels es­sen­ti­ell, kürzt er der bes­se­ren Ein­gän­gig­keit hal­ber kur­zer­hand ab. Das sich nun ab­zeich­nen­de Aus­ein­an­der­bre­chen der Band stürzt Niels in ei­ne ve­ri­ta­ble Kri­se. Das En­de sei nicht ver­ra­ten. Nur so viel: Niels macht das, was Schrift­stel­ler ma­chen. Er holt die­se dem Ver­ges­sen an­heim­fal­len­de Zeit her­vor und kon­ser­viert sie. Und das ge­lingt mit ei­ner selt­sa­men und pa­ra­dox er­schei­nen­den Mi­schung aus La­ko­nik und Pa­thos.

Ne­ben der Le­bens­lust am und beim Mu­si­zie­ren geht es um die Freund­schaft zwi­schen Niels und Re­né. Schon De­gens’ er­ster Ro­man, »Das ka­put­te Knie Got­tes«, han­del­te von ei­ner am En­de »durch­hän­gen­den Schü­ler­freund­schaft« zwi­schen dem Be­ton­künst­ler Den­nis, der schließ­lich Welt­ruhm er­lang­te und sei­ne Ruhr­pott­freun­de ver­gaß und dem bür­ger­lich wer­den­den Ich-Er­zäh­ler Mark. Auch in »Fuck­in Su­shi« zer­bricht die käst­ne­ri­sche Freund­schaft. Vor­bei die Zei­ten als man ge­mein­sam so­gar Pe­nis-Ab­güs­se mach­te. Es bleibt nur Yan­nick, ein Nerd und Pi­rat, der al­ler­dings mit sei­ner Freun­din nach Ber­lin zieht.

Die Kon­zen­tra­ti­on auf die Band führt da­zu, dass an­de­re Fi­gu­ren zu kurz kom­men. So blei­ben Niels’ El­tern blas­se Fi­gu­ren: die Mut­ter als eh­ren­amt­li­che Mit­ar­bei­te­rin bei Ox­fam po­li­tisch ziem­lich kor­rekt und der Va­ter wird nur ein­mal als Fah­rer ge­braucht. Auch die ver­ehr­te Oma Fre­se, die am En­de des Bu­ches stirbt, hat nie so rich­tig ge­lebt. (Ob sie iden­tisch ist mit der stän­dig meckern­den El­se-Kling-Fi­gur aus De­gens’ Knie-Ro­man?) Die Auf­ge­regt­heit von Ni­nos El­tern wirkt auf­ge­setzt; die Ent­füh­rungs­sze­ne ist al­ler­dings ra­sant er­zählt. Eher sel­ten ruht das Buch aus­schließ­lich auf der ei­gent­lich kom­ple­xen Haupt­fi­gur Niels – es sind star­ke Stel­len, von de­nen man ger­ne mehr ge­le­sen hät­te. Et­wa wenn es um die Pseu­do­cool­ness sei­ner Klas­sen­ka­me­ra­den geht. Oder Niels’ Ver­hal­ten beim War­ten an Bahn­schran­ken. Und so man­che Sym­bo­lik (Eich­hörn­chen! Knie!) über­führ­te De­gens’ vom er­sten in den zwei­ten Ro­man.

Den­noch rührt »Fuck­in Su­shi« an. Und zwar im­mer dann, wenn Niels von sei­nem Glück­lich­sein in die­ser Band und mit der Mu­sik er­zählt. Ei­nem Glück, dass nicht ma­te­ri­ell ist und sich in dem Mo­ment ver­flüch­tigt, in dem Zu­ge­ständ­nis­se an Drit­te ge­macht wer­den. So­fort zer­bricht auch die Ein­heit der Grup­pe. Und je­der hat die­ses »Fuck­in Sushi«-Gefühl schon ein­mal ge­habt, die­se schö­ne, leicht alt­klu­ge Nai­vi­tät, wie sie Bo­tho Strauß in sei­nem Buch »Her­kunft« be­schreibt. Als Strauß dort sei­ne auf­kei­men­de Ju­gend­lie­ben zur Mu­sik, Li­te­ra­tur und vor al­lem zum Thea­ter re­ka­pi­tu­lier­te, wünsch­te er plötz­lich »nur ei­nen Bruch­teil die­ser Un­er­fah­ren­heit, die­ser fröh­li­chen Alt­klug­heit« des da­ma­li­gen Ober­schü­lers für das Heu­te zu­rück. Auch Niels ahnt, dass die­se Zeit der Un­be­schwert­heit nicht mehr kom­men wird. »Fuck­in Su­shi« ist ein Buch über den Ab­schied von der Kind­heit, oh­ne Rühr­se­lig­keit und fast im­mer auch oh­ne die an­son­sten häu­fig zu fin­den­de An­bie­de­rung an den Sprach­jar­gon der Ju­gend­li­chen. Schon jetzt bin ich ge­spannt, was Niels in zehn Jah­ren so al­les er­lebt hat.

5 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. »Wer das jetzt als lang­at­mig oder gar be­lang­los emp­fin­det, mag wohl auch kei­ne Bü­cher von Wolf­gang Welt und hat dem­zu­fol­ge nichts ver­stan­den.«
    Lang­at­mig UND be­lang­los ist al­len­falls die­se Re­zen­si­on. Nichts er­fährt man über die li­te­ra­ri­sche Qua­li­tät, nichts über den Kern der Äs­the­tik. Der Re­zen­sent schreibt wie ein SPIE­GEL-Prak­ti­kant, der über den letz­ten Tat­ort schrei­ben muss. Er er­zählt den In­halt. Die In­hal­te sind aber seit 3000 Jah­ren im­mer die­sel­ben.
    »Ge­ra­de in der de­tail­lier­ten Er­zäh­lung die­ser nur knapp an­dert­halb Jah­re« schreibt er hin, un­ser Re­zen­sent. Und schämt sich nicht. Wie­so? Weil er kei­ne Ah­nung da­von hat, dass schon die »de­tail­lier­te Er­zäh­lung« ei­nes ein­zi­gen Ta­ges et­wa 1000 Sei­ten zur Fol­ge hat. An­dert­halb Jah­re, »de­tail­liert« be­schrie­ben, wä­ren al­so ca. 540 000 Sei­ten.
    Der Re­zen­sent mag wohl kei­ne Bü­cher von Ja­mes Joy­ce und hat dem­zu­fol­ge nichts ver­stan­den.
    Und an­ge­sichts des Welt-Zi­tats (wenn es denn rich­tig zi­tiert ist) kann man nur be­ten: Herr! Lass Lek­to­ren vom Him­mel reg­nen.

  2. Wit­zi­ger­wei­se woll­te ich mei­nen Kom­men­tar an ge­nau dem­sel­ben Satz auf­hän­gen wie der Herr Grie­be: Ich lie­be näm­lich die Bü­cher von Wolf­gang Welt, und mag auch die­se Re­zen­si­on, die ist doch gut, hat mir ab­so­lut Lust ge­macht, das Buch zu le­sen. Es ist ein gän­gi­ger Ge­mein­platz, aber mei­nes Er­ach­tens auch ein gro­ßer Irr­tum, die The­men der Li­te­ra­tur sei­en seit drei­tau­send Jah­ren im­mer die­sel­ben. Je­den­falls wüss­te ich nicht, dass So­pho­kles oder Ho­mer schon über Band­grün­dun­gen, You­tube-Klicks und das Über­kreuz­spie­len von Bass und Gi­tar­re ge­schrie­ben hät­ten. Im­mer nur den Joy­ce vor sich her­zu­tra­gen als hei­li­ges Kalb, das ist doch auch kei­ne Hal­tung, zu­mal, wenn man den Ulysses auf die de­tail­lier­te Er­zäh­lung ei­nes Ta­ges re­du­ziert und das dann zum Maß­stab des­sen ma­chen woll­te, was »de­tail­lier­tes Er­zäh­len« be­deu­te.

  3. Ei­ne Re­zen­si­on mit Mu­sik­links! Wun­der­bar! Und auch noch zu ei­ner viel­ge­lieb­ten, im Feuil­le­ton – au­ßer von Diet­mar Dath – sehr stief­müt­ter­lich be­han­deln­den Mu­sik­gat­tung. Schon mal Dan­ke da­für.
    Und wer aus die­ser Re­zen­si­on nicht her­aus­le­sen kann, ob der Ro­man was für ihn ist – der soll­te das mit der Li­te­ra­tur so­wie­so las­sen. Das ist nix für ihn.