Bil­dung und bil­den. Ge­dan­ken.

Im Un­ter­schied zu Wis­sen und In­for­ma­ti­on, die als sta­tisch oder fest­ge­fügt an­ge­se­hen wer­den, as­so­zi­iert man „bil­den“ und „Bil­dung“ mit ei­nem Vor­gang kon­ti­nu­ier­li­cher Ver­än­de­rung. Es ist sinn­voll, von ei­nem der­zei­ti­gen Stand des Wis­sens aus­zu­ge­hen, je­doch nicht von ei­ner ak­tu­el­len, zeit­ge­mä­ßen Form von Bil­dung, die im­mer über das blo­ße Sam­meln und Ord­nen in ei­ner Art Setz­ka­sten, ei­ner Kar­tei oder ei­nem Le­xi­kon, hinaus­geht, aber oh­ne den Er­werb von Wis­sen nicht denk­bar ist: Bil­dung liegt ei­ne be­stimmte Art und Wei­se der Hand­ha­bung von In­for­ma­ti­on und Wis­sen zu Grun­de, die sie erst kon­sti­tu­iert. Die In­hal­te des Bil­dungs­pro­zes­ses, die Art und Re­le­vanz des be­tei­lig­ten Wis­sens, kön­nen (und soll­ten) un­ter dem Aspekt des Ver­falls und der Er­neue­rung be­trach­tet wer­den.

Es liegt na­he, Bil­dungs­pro­zes­se als vor­läu­fi­ge, nie ab­ge­schlos­se­ne For­mung und Ge­stal­tung auf­zu­fas­sen. Aber was ver­än­dert sich ei­gent­lich, wor­in nimmt es sei­nen Aus­gang und wel­chen Zie­len dient es? In wel­chen Re­la­tio­nen muss ein Wis­sens­er­werb ste­hen, um Bil­dung ge­nannt zu wer­den? Und was macht das zwei­te ge­gen­über dem er­sten be­son­ders?

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Sahra Wa­gen­knecht: Frei­heit statt Ka­pi­ta­lis­mus

Ist es nicht merk­wür­dig, dass bis heu­te ei­ni­ge der schlimm­sten Dik­ta­tu­ren ein »de­mo­kra­tisch« in ih­ren Staa­ten­be­zeich­nun­gen füh­ren? Und/oder als »Volks­republik« so et­was wie Plu­ra­lis­mus sug­ge­rie­ren? War­um wer­den so häu­fig be­stimm­te Ter­mi­ni aus­ge­rech­net dann ver­wen­det, wenn sie ex­akt das Ge­gen­teil des­sen be­deuten, was man ge­mein­hin da­mit ver­bin­det? Und was hat das dau­er­haft für Aus­wir­kun­gen auf das ...

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»Im Kel­ler die Be­sti­en«

Vor­läu­fi­ger Ver­such über den ver­fem­ten Schrift­stel­ler Gerd Gai­ser

Auf den Nach­ruf zum Tod des Schrift­stel­lers Jo­sef W. Jan­ker er­hielt ich ei­nen Kom­men­tar von »zone­batt­ler« Ralph Sten­zel. Ralph hat­te sich 2007 in ei­nem kur­zen Bei­trag mit ei­nem ge­wis­sen Gerd Gai­ser be­schäf­tigt und mach­te mich auf auf­fäl­li­ge Par­al­le­len zwi­schen Jan­ker und Gai­ser auf­merk­sam. Das klang in­ter­es­sant und Ralph war so freund­lich, mir zwei an­ti­qua­ri­sche Bü­cher von Gai­ser zu­zu­sen­den: »Die ster­ben­de Jagd« und »Schluß­ball«.

Es ist nicht ganz ein­fach, ver­wert­ba­re In­for­ma­tio­nen über Gai­ser zu er­hal­ten. Das be­ginnt schon bei den An­ga­ben zur Per­son. Haupt­quel­le ist hier ein eher be­schei­de­ner Wi­ki­pe­dia-Ein­trag. Dem­nach wur­de Gerd Gai­ser 1908 als Sohn ei­nes Land­pfar­rers im württembergi­schen Ober­ri­ex­in­gen ge­bo­ren, stu­dier­te Kunst­ge­schich­te und Ma­le­rei, pro­mo­vier­te 1934 in Tü­bin­gen und ar­bei­te­te als Kunst­leh­rer. Gai­ser trat früh­zei­tig der NSDAP und dem NS-Leh­rer­bund bei (die Zah­len di­ver­gie­ren hier zwi­schen 1933 und 1937). 1941 er­schien sei­ne er­ste Buch­pu­bli­ka­ti­on – ein Ge­dicht­band mit dem Ti­tel »Rei­ter am Him­mel«. Gai­ser übt sich hier in Elo­gen an die Ideo­lo­gie des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus und an den »Füh­rer«. Im Krieg war er Luft­waf­fen­of­fi­zier bei den Jagd­flie­gern und ge­riet in Ita­li­en in kur­zer Gefangen­schaft. Nach dem Krieg schlug sich Gai­ser zu­nächst als Ma­ler durch, be­vor er 1947 wie­der in den Schul­dienst ein­trat und zwi­schen 1962 und 1973 als Pro­fes­sor für Kunst­ge­schich­te in Reut­lin­gen tä­tig war. Gai­ser hei­ra­te­te 1959 die Ma­le­rin Ire­ne Wid­mann. Er starb 1976 in Reut­lin­gen.

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Ty­ran­nei der Ent­span­nung? Ei­ne Re­plik auf Flo­ri­an Il­lies.

Mu­ße. Sieht man sich die­ses an­ge­staub­te, ver­al­te­te Wort ein­mal ge­nau an, dann er­kennt man ei­ne Sub­ver­si­vi­tät, die in der Ent­span­nung be­reits be­schnit­ten ist, weil sie zu dicht an die Wi­der­sprü­che, Miss­ver­ständ­nis­se und Ver­ir­run­gen un­se­rer Ta­ge her­an reicht. Flo­ri­an Il­lies sieht die­se Ver­hält­nis­se, ih­re „ka­pi­ta­li­sti­schen“ Be­din­gun­gen, aber er ver­lässt sie nicht, und deu­tet ei­nen Ge­gen­ent­wurf, wenn über­haupt, nur va­ge an.

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Der Mes­si­as der Mit­tel­schicht

Ge­dan­ken zu Thi­lo Sar­ra­zins Buch »Deutsch­land schafft sich ab« und die Dis­kus­si­on hier­über

Thilo Sarrazin: Deutschland schafft sich ab
Thi­lo Sar­ra­zin:
Deutsch­land schafft sich ab

I. Pro­log

Auf dem Hö­he­punkt der Wirt­schafts­kri­se, als der Steu­er­zah­ler (und nur der!) von der po­li­ti­schen Klas­se, die den Staat re­prä­sen­tiert, zum Bür­gen für des­sen selbst­ge­mach­te und selbst­ge­dul­de­te Feh­ler her­an­ge­zo­gen wur­de, ent­warf der Phi­lo­soph Pe­ter Slo­ter­di­jk in ei­nem sehr kon­tro­vers dis­ku­tier­ten Ar­ti­kel ei­ne Ge­gen­welt: »Die ein­zi­ge Macht, die der Plün­de­rung der Zu­kunft Wi­der­stand lei­sten könn­te, hät­te ei­ne so­zi­al­psy­cho­lo­gi­sche Neu­erfin­dung der ‘Ge­sell­schaft’ zur Vor­aus­set­zung. Sie wä­re nicht we­ni­ger als ei­ne Re­vo­lu­ti­on der ge­ben­den Hand.« Ei­ne Ge­sell­schaft, in der fast aus­schließ­lich der flucht­un­fä­hi­ge Ein­kom­men­steu­er­zah­ler den Staat und da­mit des­sen Aus­ga­ben er­wirt­schaf­tet, wäh­rend die Ka­ste der Ex­trem­ver­die­ner sich mit Hil­fe der Po­li­tik längst aus der so­li­da­ri­schen Ver­ant­wor­tung ent­fernt hat und die Un­ter­schicht zu Trans­fer­emp­fän­gern ent­mün­digt wer­den, be­schreibt Slo­ter­di­jk mit dra­sti­schen Wor­ten: »So ist aus der selbsti­schen und di­rek­ten Aus­beu­tung feu­da­ler Zei­ten in der Mo­der­ne ei­ne bei­na­he selbst­lo­se, recht­lich ge­zü­gel­te Staats-Klep­to­kra­tie ge­wor­den. Ein mo­der­ner Fi­nanz­mi­ni­ster ist ein Ro­bin Hood, der den Eid auf die Ver­fas­sung ge­lei­stet hat. Das Neh­men mit gu­tem Ge­wis­sen, das die öf­fent­li­che Hand be­zeich­net, recht­fer­tigt sich, ide­al­ty­pisch wie prag­ma­tisch, durch sei­ne un­ver­kenn­ba­re Nütz­lich­keit für den so­zia­len Frie­den – um von den üb­ri­gen Lei­stun­gen des neh­mend-ge­ben­den Staats nicht zu re­den.«

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Ver­such über die Dicht­kunst im In­ka­reich (IV)

««< Fol­ge III Fol­ge II Fol­ge I

Acht: Ly­ri­sche Gat­tun­gen; mit Schwer­punkt auf dem Lie­bes­lied so­wie ei­nem Ex­kurs über den Um­gang mit Lie­bes­leid und über an­di­ne Hoch­zeits­bräu­che.

Da uns die Chro­ni­sten Ge­be­te und Hym­nen in Pro­sa über­setzt ha­ben, zwei­feln man­che Au­toren an, dass der Vers über­haupt exi­stiert hat. Dies steht nun für mich au­sser Fra­ge; man weiss nur nicht, in­wie­weit die Über­tra­gun­gen an spa­ni­sche Me­tren an­ge­passt wur­den. Gar­ci­la­so spricht von „kur­zen und lan­gen Ver­sen“ und von „Sil­ben als Mass“. Wei­ter sagt Gar­ci­la­so: „No us­aron de con­so­nan­te en los versos, to­dos eran suel­tos.” Ich kann mir dar­auf nur ei­nen Reim ma­chen, wenn ich “con­so­nan­te” als “Gleich­klang“ über­set­ze, was dann hie­sse, dass kein Reim ver­wen­det wur­de.

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Ver­such über die Dicht­kunst im In­ka­reich (III)

«« Fol­ge II , Fol­ge I

Fünf: Das Haus des Wis­sens; Auf­ga­ben und Aus­bil­dung der Dich­ter, Phi­lo­so­phen, Prie­ster und Hof­schrei­ber.

Der Dich­ter im en­ge­ren Sin­ne heisst ha­r­auec, wört­lich „Er­fin­der“. Er „giesst die Ge­schich­te in Ver­se“ (Gar­ci­la­so). Sein Auf­ga­ben­ka­ta­log lässt sich aber nicht sau­ber ab­gren­zen zu an­de­ren Be­ru­fen. Der amau­ta, Phi­lo­soph, kom­po­niert eben­falls, ins­be­son­de­re Ko­mö­di­en und Tra­gö­di­en für den Hof und für Fest­ta­ge. Er fasst hi­sto­ri­sche Ge­schich­ten und Fa­beln in Pro­sa, gibt sie münd­lich wei­ter und stellt die kol­lek­ti­ve Er­in­ne­rung si­cher. Der amau­ta ist je­doch zu­gleich Wis­sen­schaft­ler und als sol­cher zu­stän­dig für Astro­lo­gie, Land­wirt­schaft, Mas­se und Ge­wich­te und die Ar­chi­tek­tur. Die Prie­ster­klas­se, mit Hym­nen, Ge­be­ten, An­ru­fun­gen und Ri­tua­len be­fasst, un­ter­teilt sich in meh­re­re hier­ar­chi­sche Stu­fen, bei­spiels­wei­se achi (Wahr­sa­ger) und omos (Ma­gi­er). Den quipu­ca­ma­yoc könn­te man viel­leicht als Schrei­ber oder Buch­hal­ter be­zeich­nen. Er führt die An­na­len und Wirt­schafts­sta­ti­sti­ken, hält aber auch Ge­set­zes­tex­te, An­wei­sun­gen für Ri­tua­le, jähr­li­che Be­rich­te aus den Pro­vin­zen und li­te­ra­ri­sche Er­zäh­lun­gen fest.

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Ver­such über die Dicht­kunst im In­ka­reich (II)

«< Fol­ge I

Drei: Gram­ma­tik und Kos­mo­vi­si­on des ru­na si­mi, ein me­di­zi­ni­scher Rat­ge­ber und wie mich um ein Haar hua­ca ge­streift hät­te.

Im ru­na si­mi (ge­nau­ge­nom­men han­delt es sich um ei­ne Grup­pe von 18 nah ver­wand­ten Spra­chen) of­fen­bart sich ei­ne Über­macht des ana­lo­gen über das de­duk­ti­ve Den­ken. Das Af­fek­ti­ve über­wiegt das Ra­tio­na­le, wes­halb die Spra­che kaum ab­strak­te Sub­stan­ti­ve kennt, da­für aber ei­ne rie­si­ge Fül­le von oft na­tur­be­zo­ge­nen Bil­dern und Me­ta­phern. Das ru­na si­mi ist ei­ne ag­glu­ti­nie­ren­de Spra­che mit nur we­ni­gen Re­gel­ab­wei­chun­gen in der Gram­ma­tik, ver­langt aber vom Spre­cher äu­sser­ste Prä­zi­si­on. Die üb­li­che Syn­tax ist Sub­jekt – Ob­jekt – Prä­di­kat, oh­ne da­bei je­doch starr zu sein. Fast im­mer liegt die Be­to­nung auf der zweit­letz­ten Sil­be, die beim An­fü­gen von Suf­fi­xen mit nach hin­ten wan­dert. Satz­zei­chen sind in­so­fern über­flüs­sig, als je­der Satz durch die Kom­bi­na­ti­on sei­ner Suf­fi­xe sei­ne ex­ak­te Be­stim­mung er­hält; Aus­sa­ge­satz und Fra­ge­satz bei­spiels­wei­se un­ter­schei­den sich nicht in ih­rer Satz­me­lo­die. Eben­so wer­den Be­to­nun­gen durch Suf­fi­xe aus­ge­drückt.

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