Ro­ger Wil­lem­sen: Der Knacks

Roger Willemsen: Der Knacks

Ro­ger Wil­lem­sen: Der Knacks

Der Ti­tel klingt ei­gent­lich harm­los: »Der Knacks«. Und ob­wohl Ro­ger Wil­lem­sen gleich am An­fang vom Ster­ben und Tod sei­nes Va­ters er­zählt (er ist zu die­sem Zeit­punkt 15 Jah­re alt), ent­steht zu­nächst der Ein­druck ei­ner Art feuil­le­to­ni­stisch-apho­ri­sti­schen Phä­no­me­no­lo­gie. Die Sen­ten­zen sind klin­gend, manch­mal so­gar lu­zi­de; ge­le­gent­lich fast zu schön. Aber im­mer wei­ter wird man in den Sog des Phä­no­mens des Knacks ge­zo­gen.

Zu­nächst gibt es ei­ni­ge De­fi­ni­ti­ons­ver­su­che. Im Sog der Ver­lu­ste ist er [der Knacks] der Sog heisst es am An­fang ein we­nig rät­sel­haft. Oder: Der Knacks ist ein Schub, der erst im Rück­blick wirkt. Un­klar bleibt (zu­nächst), wel­cher Art der Schub ist. Et­was trennt sich, er­mü­det, ver­liert Far­be, schei­tert, gibt auf. Wil­lem­sen will den Bruch vom Knacks ab­gren­zen. Der Knacks tritt eben nicht an die Ober­flä­che und wird nicht im Schock ge­bo­ren. Wäh­rend die Be­we­gung des Schocks…vor al­lem in die Tie­fe geht, zeigt sich die des Knacks in [der] Flä­che. Und spä­ter der Un­ter­schied zwi­schen Knacks und Trau­ma: Wäh­rend das trau­ma­ti­sche Er­leb­nis der Nar­be ver­gleich­bar ist, er­scheint der Knacks als Fal­te…, die an kei­nem Tag ent­stan­den, in kei­ner Si­tua­ti­on be­grün­det ist und sich doch durch­setzt als die Si­gna­tur der Zeit, all­mäh­lich. Der Knacks, die­se Dis­kon­ti­nui­tät ei­ner Per­son, ist nicht mo­no­kau­sal, er pas­siert nie auf­grund ei­nes ein­zi­gen Er­eig­nis­ses.

Er­mü­dungs­bruch

Nach ei­ni­gen Um­krei­sun­gen, die nicht im­mer tref­fen (Strin­genz ist Wil­lem­sens Stär­ke nicht), fällt nach ei­nem Vier­tel des Bu­ches in ei­nem klei­nen Ex­kurs in die Welt der Tech­nik das ent­schei­den­de Wort. Es lau­tet Er­mü­dungs­bruch. Der Knacks ist ein Er­mü­dungs­bruch, der sich pro­zes­su­al in das Le­ben ein­ge­fres­sen hat. Im selbst­be­wusst wer­den­den Knacks er­scheint nicht das Le­ben, das ge­führt wird, son­dern je­nes, das führt. Er ist eben mehr als nur ei­ne Zä­sur. Und er ist ir­rever­si­bel und grenzt sich da­mit vom trau­ma­ti­schen Er­leb­nis ab. Der Knacks ist nicht be­han­del­bar; die Psy­cho­ana­ly­se muss hier ver­sa­gen. Ein Ex­or­zis­mus ist nicht mög­lich. Jetzt däm­mert dem Le­ser: Hier geht es um mehr als ein Po­sie­ren im Welt­schmerz-Pa­thos oder ei­nen locke­ren Es­say ei­nes mid­life-kri­seln­den Mitt­fünf­zi­gers.

Manch­mal wi­der­spricht sich Wil­lem­sen al­ler­dings (ge­wollt?). Et­wa wenn er, ein biss­chen lau­nig, vom be­gin­nen­den Al­ter spricht: Und dann kommt der Tag, an dem man sich das Al­ter vor­stel­len kann, sei­ne Des­il­lu­si­on, sei­ne Bit­ter­keit, den be­grenz­ten Ak­ti­ons­ra­di­us. An dem Tag be­ginnt man wirk­lich zu al­tern. Der Mensch in ei­ner Flucht von er­sten Ta­gen: Der Tag, an dem man ein Me­di­ka­ment ver­schrie­ben be­kommt, das man bis ans En­de sei­nes Le­bens neh­men muss; der Tag, an dem man das Ge­län­der braucht, um ei­ne Trep­pe ab­wärts zu steigen…der Tag, an dem man im Zug den Kof­fer nicht mehr al­lein auf die Ab­la­ge bekommt…Dann kommt der Tag, an dem man »zu alt« für et­was ge­wor­den ist, und es ab jetzt dau­ernd für ir­gend­et­was sein wird… An sol­chen Stel­len, die wun­der­bar zi­tier­bar sind (be­son­ders der eben­falls auf das Al­ter ge­münz­te Satz Man wird klü­ger, aber düm­mer), ver­liert der Au­tor dann letzt­lich sei­nen Ge­gen­stand zeit­wei­lig aus dem Au­ge. Denn der Knacks, so Wil­lem­sen vor­her, er­scheint im­mer erst re­tro­spek­tiv und als Pro­zess. Die ge­schil­der­ten Ein­schnit­te sind eher Zä­su­ren – in der Re­gel ei­nem Da­tum zu­zu­ord­nen, di­rekt er­lebt und nicht erst er­in­nert.

Der Knacks ist kom­pri­mier­te Zeit. Er bahnt sich an, tritt aus der La­tenz ins Ma­ni­fe­ste, und selbst der au­gen­blick­li­che Schrecken ei­nes Er­eig­nis­ses hängt nicht so sehr mit sei­nem Ein­tre­ten als viel­mehr mit sei­ner An­bah­nung zu­sam­men. Auf dem Kri­stal­li­sa­ti­ons­punkt er­scheint der Knacks. Und na­tür­lich hat es mit der Be­schleu­ni­gung zu tun: Der Knacks…ist et­was, das im Zei­chen ei­ner be­schleu­nig­ten Zeit, ei­ner, die Be­we­gung meint, nicht er­schei­nen kann. Man sieht aus dem Fen­ster und er­kennt, schwim­mend auf der Schei­be, sich selbst, sieht sich im Schrecken: das al­ler Ge­schwin­dig­keit ent­zo­ge­ne Spie­gel­bild des­sen, der man nie sein woll­te. Die Be­schleu­ni­gung ver­zö­gert nur die­sen Blick auf sich sel­ber und in der Ge­schwin­dig­keit ver­wischt der Knacks sei­ne Spur. Und schon Ca­sa­no­va wuss­te, wie man das Le­ben »be­täub­te«, in dem sein Ver­strei­chen durch das Ver­gnü­gen un­merk­lich mach­te.

Gro­sse Wor­te und klei­ne Mi­nia­tu­ren.

Wil­lem­sen kennt so­wohl die gro­sse Ge­ste des auf­trump­fen­den Ge­sell­schafts­kri­ti­kers als auch die Mi­nia­tur des fei­nen Be­ob­ach­ters. Sein Lob­lied auf die Be­sitz­lo­sig­keit wirkt arg wohl­feil. Und wenn er die Knacks-Me­ta­pho­rik auf die Ge­sell­schaft, die Me­di­en, Selbst­mör­der, Sport­ler, Por­no­dar­stel­ler, die Stadt­ar­chi­tek­tur und Welt­raum­fah­rer an­ge­wen­det (oder auch ver­wirft), tritt er manch­mal mit arg un­dif­fe­ren­zie­ren­dem Ge­stus auf. Et­wa wenn er pau­schal meint, Astro­nau­ten und Kos­mo­nau­ten sei­en nach ih­rem Raum­flug wun­der­lich, spi­ri­tu­ell, un­zu­gäng­lich ge­wor­den, weil der An­blick der Schöpfung…ihr Knacks ge­wor­den ist. Oder wenn er Hei­mat (in an­de­rem Zu­sam­men­hang) im­mer als In­be­griff des Ver­lo­re­nen sieht. Ge­le­gent­lich scheut er auch vor dem Pa­thos nicht zu­rück, wenn er po­stu­liert, dass dort wo frü­her die See­le saß, heu­te der Knacks zu Hau­se ist. Oder es wird ein biss­chen kryp­tisch: Im Knacks…verdichten sich die Er­eig­nis­se, die nicht vor­han­den sind.

Zar­ter und ein­gäng­li­cher sind da die Split­ter, Mi­nia­tu­ren, Mut­ma­ßun­gen und An­dich­tun­gen. Das Krei­sen­de um und mit dem Knacks wird epi­so­disch und gleich­nis­haft, wie zum Bei­spiel hier:

»Duf­te nicht so«, sagt der lang­jäh­ri­ge Freund, als die Freun­din aus­geh­fer­tig aus dem Ba­de­zim­mer kommt.
»Es sind Lock­stof­fe«, sagt sie ko­kett.
»Es ist ei­ne Über­do­sis an che­mi­schen In­for­ma­tio­nen!«
Als sie ein Jahr spä­ter ge­trennt sind, kann sie sich nicht mehr er­in­nern, wann und war­um ih­re Tren­nung be­gann. Aber sie duf­tet nicht mehr.


Und es wird auch mit gro­ssen und wuch­ti­gen rhe­to­ri­schen Mit­teln Kul­tur­kri­tik auf höch­stem Ni­veau prak­ti­ziert. Man ist er­staunt, über wel­che Be­ob­ach­tungs- und Ur­teils­ga­be Wil­lem­sen ver­fügt, der im Ge­sicht ei­ner Frau wäh­rend ei­ner Bahn­rei­se nicht nur ih­re ak­tu­el­le Le­bens­la­ge be­schrei­ben kann, son­dern auch ziel­si­cher den Knacks zu or­ten ver­mag. Lässt sich der Le­ser aber auf die­se li­te­ra­ri­sche All­wis­sen­heit ein, so kommt er in den Ge­nuss sehr an­re­gen­der und oft ge­nug ver­gnüg­li­cher Aper­çus.

Wil­lem­sen er­kennt da­bei durch­aus das Di­lem­ma des in der Mo­der­ne le­ben­den Men­schen. Er soll ein In­di­vi­du­um sein, sich aber nicht un­ter­schei­den. Er ent­deckt, dass der grö­sse­re Scha­den in der Ge­gen­wart wohl nicht von dem aus[geht], was Men­schen tun, son­dern was sie ge­sche­hen las­sen. Aber auch Glück oder Er­folg blei­ben schal. Man schei­tert vor dem Er­folg, er­lei­det in ihm sei­ne Nie­der­la­ge, viel­leicht, weil es kein An­kom­men gibt in der Um­ar­mung. Was bleibt ist He­do­nis­mus oder Zy­nis­mus oder De­pres­si­on und schliess­lich Selbst­mord, denn ge­gen die Ero­sio­nen der Auf­klä­rungs- und Bil­dungs­ideen, die den »neu­en Men­schen« such­ten, setzt die Ge­gen­wart den mul­ti­plen, den iro­ni­schen Cha­rak­ter oder den schie­ren Men­schen des Wer­be­bil­des, der in je­dem Au­gen­blick auf der Hö­he sei­ner Voll­kom­men­heit exi­stiert. Es wird spä­ter erst klar, wie ernst es dem Au­tor da­mit ist.

Der Knacks, ver­kannt zu sein.

Schein­bar selbst­kri­tisch wird auch ver­merkt: Das Schrei­ben bie­tet die be­ste Mög­lich­keit, sich der ei­ge­nen Dumm­heit zu ver­ge­wis­sern. Dau­ernd stösst der Schrei­ben­de auf Din­ge, die er nicht sein, nicht se­hen, nicht auf den Be­griff brin­gen kann. Es gibt ei­nen Mo­ment des Er­wa­chens in die­ser Er­fah­rung, den Au­gen­blick, in dem sich die­ser Schrei­ben­de sei­nes Schei­terns ver­ge­wis­sert und vom miss­glück­ten Satz zum schad­haf­ten Werk, zur man­geln­den Per­son, zum nicht­ge­führ­ten Le­ben kommt. Der Knacks des Au­tors, so Wil­lem­sen: ver­kannt zu sein. (Ob man das so ge­nau wis­sen will?)

In ih­rer Schön­heit zeigt die­se Sen­tenz al­ler­dings ex­em­pla­risch, wor­in manch­mal das Pro­blem des Bu­ches, spe­zi­ell die­ser Stel­len, liegt: Wil­lem­sen schreibt dies so, als möch­te er Wi­der­spruch pro­vo­zie­ren. Wie al­le Me­lan­cho­li­ker hofft er auf den ret­ten­den Ein­spruch, die zün­den­de Wi­der­le­gung, die flam­men­de Ge­gen­re­de – was aber un­ter­bleibt. Plötz­lich er­schei­nen all die li­te­ra­ri­schen Zeu­gen, mit de­nen sich Wil­lem­sen um­gibt wie Ver­ge­wis­se­run­gen der ei­ge­nen Ver­sehrt­heit: na­tür­lich Scott Fitz­ge­rald (»The Crack-Up«), aber auch Jo­sef Roth (»Flucht oh­ne En­de«), Jo­seph Con­rad (»Schat­ten­li­nie«) und Franz Kaf­ka (die Ge­gen­sei­te, bei­spiels­wei­se Ten­nes­see Wil­liams, be­kam kei­ne La­dung; manch­mal kann es ein Feh­ler sein, nur Freun­de ein­ge­la­den zu ha­ben).

Lei­der wird nicht aus­ge­führt, ob der Knacks ein sin­gu­lä­res Phä­no­men ist oder ob im Lau­fe des Le­bens meh­re­re »Knack­se« (aus un­ter Um­stän­den un­ter­schied­li­chen Le­bens­ab­schnit­ten kom­mend – Be­ruf, Part­ner­schaft, Um­welt) »er­wor­ben« wer­den kön­nen. In­dem Wil­lem­sen den Knacks auch auf Ge­mein­we­sen an­wen­det und so­zu­sa­gen kol­lek­ti­viert, wer­den meh­re­re »Knack­se« im Lau­fe des Le­bens denk­bar. Aber ist dies auch ge­meint? Oder ist DER Knacks DER rich­tungs­wei­sen­de Er­mü­dungs­bruch im Le­ben des mo­der­nen Men­schen (mei­stens ist es üb­ri­gens ein Mann)? Und auch nur am En­de wird deut­lich: Hier be­schreibt je­mand ein Phä­no­men der Mo­der­ne, des mo­der­nen (oder post­mo­der­nen) Men­schen, der mit Glücks­ver­hei­ssun­gen und –ver­spre­chun­gen ir­gend­wann über­for­dert zu sein scheint. Ein Tua­rag oder ein Be­woh­ner der mon­go­li­schen Step­pe dürf­te die­ses Buch wohl höch­stens als Sci­ence-Fic­tion-Ro­man le­sen oder kopf­schüt­telnd bei­sei­te le­gen.

Und ge­le­gent­lich scheint der Knacks ei­ne all­zu vor­ei­lig ein­ge­setz­te Dia­gno­se ei­nes schwer­mü­tig-hy­po­chon­dri­schen Zu­stan­des zu sein, et­wa wenn da­von die Re­de ist, der Mensch er­le­be im Knacks sei­nen Kurs­sturz oder mit der Ka­ta­stro­phe von Tscher­no­byl sei die Au­ssen­welt von et­was er­reicht, das man als Knacks be­zeich­nen könn­te. Das schlägt auch ein­mal in (un­frei­wil­li­ge) Ko­mik über, et­wa wenn Kon­sum­kri­tik da­hin­ge­hend be­trie­ben wird, dass Pro­duk­te ei­ne apo­ka­lyp­ti­sche Welt her­bei [hal­lu­zi­nie­ren], die gleich hin­ter dem Knacks liegt.

Das Buch ist ernst ge­meint. Und es ist ernst.

Wun­der­bar al­ler­dings die Aus­füh­run­gen zum Knacks in der Kunst. An­hand der fort­lau­fen­den Re­stau­rie­run­gen von Leo­nar­dos »Abend­mahl« stellt Wil­lem­sen fest, dass man in­zwi­schen ein Ori­gi­nal sieht, auf dem es nichts Ori­gi­na­les mehr gibt. Go­yas be­rühm­tes Dik­tum »Auch die Zeit ist ein Ma­ler«, mit dem er dem Kö­nig von Spa­ni­en die Re­stau­rie­rungs­ar­bei­ten von Ge­mäl­den ab­lehn­te, führt Wil­lem­sen auf das »Abend­mahl« fort: Wä­re es al­so nicht der zu­min­dest wahr­haf­tig­ste Zu­gang zu Leo­nar­do ge­we­sen, man hät­te ihn der Zeit über­ge­ben und sein Ver­schwin­den als ge­nu­in künst­le­ri­schen Akt ver­stan­den? Dann wä­re Leo­nar­do der Ma­ler ge­we­sen, der den Knacks ge­malt und durch ihn den Tod in das Werk hät­te ein­tre­ten las­sen.

Bei al­ler Locker­heit und auch ob­wohl Wil­lem­sen kei­ne wis­sen­schaft­li­che Schrift ab­lie­fert: Das Buch ist ernst ge­meint. Bei­spiels­wei­se dann, wenn aus­ge­spro­chen klug und emp­find­sam über die To­des­sehn­sucht von Kin­dern ge­äu­ssert wird: Ei­ner­seits wird…der Ver­lust an­ti­zi­piert, den das ei­ge­ne Ver­schwin­den in der Mit­welt aus­lö­sen wür­de, an­de­rer­seits über­ant­wor­tet sich das Kind in der Idee des selbst­ge­wähl­ten To­des der Ho­heit die­ses To­des und wird dar­in sou­ve­rän.

Oder wenn er am Schluss des Bu­ches in ei­nem be­ein­drucken­den Ka­pi­tel fern jeg­li­chen Rühr­kit­sches vom Krebs­tod ei­ner gu­ten Freun­din er­zählt. Mehr­deu­tig sei­ne Er­zäh­lung von der Be­er­di­gung der Frau und dem Zu­sam­men­ste­hen der Freun­de am Grab: Wir tauch­ten aus Mo­na­ten der Trä­nen, des Man­gels und der Angst auf und blick­ten uns im­mer noch un­gläu­big an, in der Hoff­nung, der Wirk­lich­keit doch noch für ei­ne Zeit­lang aus­wei­chen zu kön­nen. Und wenn nach all den vor­her im Buch ge­tä­tig­ten The­sen und Aus­füh­run­gen über den Selbst­mord (oder auch Frei­tod; Wil­lem­sen ver­wirft die­sen Be­griff al­ler­dings) plötz­lich ein Satz wie Der Tod ist zu wich­tig, um sich ihm ge­gen­über auf das Ge­wäh­ren­las­sen ein­zu­stel­len zu le­sen ist, dann stockt dem Le­ser der Atem und so manch sa­lop­pes Bon­mot der zu­rück­lie­gen­den mehr als zwei­hun­dert­fünf­zig Sei­ten zoomt man sich noch­mals her­an, um es et­was ge­nau­er zu be­trach­ten. Et­was, es gin­ge ir­gend­wann nur noch dar­um, den Knacks zu kit­ten. Al­so im Kern han­de­le es sich um Über­le­bens­ver­su­che.

Am En­de hat man den Ein­druck, Ro­ger Wil­lem­sen führt uns zu­rück in die Welt des Fa­tums, des letzt­lich un­ent­rinn­ba­ren Schick­sals, denn dem Knacks ent­kommt man in un­se­rer Zi­vi­li­sa­ti­on nicht. Er ist zwar nicht de­zi­diert ne­ga­tiv kon­no­tiert, aber er »pro­gram­miert« uns und ist un­wi­der­ruf­lich. Die Kennt­nis über ihn, die Selbst­re­fle­xi­on oder Selbst­ver­ge­wis­se­rung, he­ben sei­ne Wir­kung nicht auf; lin­dern noch nicht ein­mal. Er ist da­mit tücki­scher als al­les an­de­re, in­klu­si­ve das, was man land­läu­fig De­pres­si­on nennt.

Man ist ge­neigt, das Buch in das Feuil­le­ton-Re­gal zu stel­len. Aber die Su­che nach dem Knacks lässt ei­nem nicht mehr los. Und mit ihm das Fra­gen.


Die kur­siv ge­druck­ten Pas­sa­gen sind Zi­ta­te aus dem be­spro­che­nen Buch.

25 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Das war loh­nens­wert zu le­sen!
    (Zu­mal ich mir an­ge­wöhnt hat­te, die­sem Men­schen eher aus­zu­wei­chen. Jetzt weiß ich gar nicht mehr, war­um.)

  2. Dan­ke (we­nig­stens ein Le­ser, den­ke ich jetzt).

    Ich mag Wil­lem­sen ei­gent­lich. Aus zwei Grün­den: Er­tens we­gen »Wil­lem­sens Wo­che« Mit­te der 90er Jah­re und sei­nem In­ter­view mit Ma­don­na. Er frag­te die Da­me, ob sie gut küs­se. Dies ver­stör­te Ma­don­na – aus­ge­rech­net sie, die kei­ne las­zi­ve Ge­ste auf der Büh­ne scheut, war em­pört. Der zwei­te Grund ist Wil­lem­sens Po­le­mik ge­gen Ka­ra­sek. Die war so gif­tig, dass er (Ka­ra­sek) mir fast schon leid­tat (nur kurz).

    Den »Li­te­ra­tur­club« hat er dann schlecht mo­de­riert (er schwätz­te ein­fach al­le an­de­ren Dis­ku­tan­ten in den Bo­den).

  3. Lie­ber Gre­gor, die Ge­ne­ra­ti­on ‘Knacks’ geht ih­ren Weg bis zum bit­te­ren En­de. Es ist mei­ne Ge­ne­ra­ti­on! – Die­se Tat­sa­che und Ih­re Re­zen­si­on ma­chen mir Lust , das Buch zu le­sen. Dan­ke!

  4. Ich ha­be bis­lang schon nicht die Vor­be­hal­te ge­gen Wil­lem­sen ver­ste­hen kön­nen. Ich hielt ihn im­mer für klug, be­le­sen und wort­ge­wandt. (Und für sei­ne manch­mal et­was kla­gend klin­gen­de Stim­me kann er nichts....): LG ti­ni­us

  5. Die kla­gen­de Stim­me lässt mich über­le­gen, ob ich den Ge­dan­ken, zu ei­ner Le­sung von ihm zu ge­hen, nicht doch ver­wer­fen soll.

    Viel­leicht lädt er mich aber auch ein (was ei­gent­lich voll­kom­men un­wahr­schein­lich ist, da er das hier nie­mals le­sen wird).

  6. Al­so so, wie mir Wil­lem­sen jetzt dar­ge­bracht wird, wird er als ei­ge­ner, ori­gi­nel­le­rer Kopf er­kenn­bar, wäh­rend ich ihn bis­her er in in­tel­lek­tu­el­len Mit­tel­la­gen kann­te.
    (Die an­ge­spro­che­nen Sen­dun­gen bzw. die Zwi­ste ken­ne ich al­le nicht. Da, wo ich ihn mal ge­se­hen ha­be – ich kann mich gar nicht dran er­in­nern -, war er mir un­ter all den elo­quen­ten Tal­king Heads nicht wei­ter auf­ge­fal­len. Aber wie­so soll­te er sich nicht ent­wickeln... bzw. ich.)

    Und @ G.K.: Kann es sein, dass Sie bei dem Buch per­sön­li­cher an­ge­gan­gen wur­den? Mir scheint es im­mer öf­ter, dass merkt man Re­zes­sio­nen dann auch an: nicht nur in den Quan­ten an Sym­pa­thie für ei­ne Sa­che, son­dern auch in den De­tails und ih­ren Ge­wich­tun­gen wie di­vers man ei­ne Sa­che durch­drun­gen hat. Das gä­be es dann ei­ne Ent­spre­chung. Klingt zwar erst mal ba­nal und na­he lie­gend, ist aber in mei­ner Wahr­neh­mung von Re­zes­sio­nen nicht die Re­gel.

    (In­ter­es­sant jetzt die Re­ak­tio­nen auf die Büch­nerpreis­re­de Wink­lers: Mir scheint, man kann im­mer gleich noch viel mehr dar­an ab­le­sen, als was ei­gent­lich re­fe­riert wird.)

  7. Wil­lem­sen ist nur ein Tick äl­ter als ich; au­sser dem Ge­schlecht ent­decke ich sonst kei­ne Par­al­le­len mehr. Ich glau­be den­noch, dass es ir­gend­wann so et­was wie ein Ge­ne­ra­tio­nen­er­le­ben gibt, auch wenn es sich nicht an den Le­bens­läu­fen fest­ma­chen lässt (die di­ver­gie­rend sein kön­nen). Ich glau­be auch, dass die Prä­gun­gen, die wir (fast wört­lich) mit der Zeit er­hal­ten, stär­ker sind, als wir ge­mein­hin an­neh­men.

    Um es klar zu sa­gen: Ich neh­me stark an, dass es beim in der No­der­ne le­ben­den nicht bei ei­nem »Knacks« bleibt; es sind im­mer meh­re­re. Das Phä­no­men fin­de ich ori­gi­nell, weil es das hy­ste­ri­sche und alar­mi­sti­sche ei­nes »Trau­ma« nicht hat. Gleich­zei­tig – und das ist per­fi­de – ist der Knacks wir­kungs­mäch­ti­ger als ein Trau­ma, weil er bei­spiels­wei­se, nach Wil­lem­sen, nicht be­han­del­bar ist. In­ter­es­sant wä­re her­aus­zu­fin­den, wann der Knacks zum Bruch wird, aber das un­ter­lässt der Au­tor (weil er doch eher dem Feuil­le­ton zu­ge­wandt ist). Auch die Über­le­bens­stra­te­gien nach dem Knacks (den Knack­sen?) kom­men zu kurz: die­ses Ar­ran­gie­ren mit dem Ma­kel; der Des­il­lu­sio­nie­rung. Die­ses Feh­len ei­ner strin­gen­ten Struk­tu­rie­rung ist ei­ner­seits scha­de, an­de­rer­seits wird da­durch das Phä­no­men nicht so­fort ka­putt­de­fi­niert.

    Tja, das mit dem Per­sön­li­chen scheint al­so ein Pro­blem zu sein. Oder zu wer­den. Aber ich ge­be zu be­den­ken: Ich schrei­be kei­ne Re­zen­sio­nen. Ich will gar kei­ne schrei­ben. Ich ver­wen­de für mei­nen Blog ei­nen Be­griff aus ei­ner Hand­ke-Sen­tenz: Be­gleit­schrei­ben. Und das ist nicht nur ein­fach ein an­de­res Wort, ein Syn­onym.

    Na­tür­lich sol­len das hier kei­ne per­sön­li­chen Be­find­lich­keits­auf­sät­ze sein. Wä­re dies der Fall – oder wür­de es in­zwi­schen so­weit sein, dann müss­te man (ich) so­fort auf­hö­ren. Und na­tür­lich ist es ein Stück weit not­wen­dig Di­stanz zum Buch, zum Su­jet, zum Au­tor zu hal­ten (im po­si­ti­ven wie im ne­ga­ti­ven Sin­ne). Aber das ist nur in Gren­zen mög­lich bzw. – und da­von bin ich über­zeugt – auch in Gren­zen nur wünsch­bar. Die »coo­le« Re­zen­si­on der F.A.Z. über Hand­ke oder Strauß ist es ja auch nicht. Sie si­mu­liert das nur.

    (Die Büch­nerpreis­re­de Wink­lers ha­be ich noch nicht ge­le­sen. Ich ha­be nur ei­ne Re­ak­ti­on mit­be­kom­men, die sinn­ge­mäss mein­te, es sei lang­wei­lig. Auch das er­scheint mir wie­der be­zeich­nend: Wenn das Feuil­le­ton für sei­ne Schar­müt­zel kein Fut­ter be­kommt, re­agiert es in­zwi­schen schon ge­lang­weilt. Auch hier nur zählt nur noch der Af­fekt. Wenn jetzt Kie­fer als Frie­dens­preis­trä­ger schon nichts Skan­da­lö­ses ge­lie­fert hat, dann we­nig­stens Wink­ler. Und wenn der nicht – was dann? Na­ja, es gibt doch noch Bro­der. Wo ist der ei­gent­lich ge­blie­ben? Hält der Bush das Händ­chen? Nie­mand weiss es.)

  8. Ich ha­be die er­sten paar Bü­cher Wil­lem­sens ge­le­sen; aber von Mal zu Mal lei­der mit we­ni­ger Ge­winn. Die­ses hier hab ich (noch) nicht.
    Auch sei­ne frü­hen TV-Sa­chen hab ich ger­ne ge­se­hen, er trau­te sich was (den FO­CUS-Chef aus­ein­an­der ge­nom­men, mit Fak­ten! Fak­ten!! Fak­ten!!!).
    Und Frau Us­hi­da, wie sie Mo­zart (oder wars Schu­bert?) ge­spielt hat, und wie er sie wun­der­voll vor­ge­stellt hat, das hat mich auf die­se wun­der­ba­re Pia­ni­stin erst auf­merk­sam ge­macht.
    Wil­lem­sens Auf­tritt bei Char­lot­te Ro­che al­ler­dings er­schien mir da­ge­gen et­was pein­lich. (TV hat’s aus gu­tem Grund ver­wei­gert, es war al­so nur »un­ter der Hand« bei You­Tube zu se­hen).
    Ich bin al­so am­bi­va­lent zu ihm.

  9. Den Auf­tritt ha­be ich nicht ge­se­hen, aber ich ge­be Ih­nen Recht: Manch­mal wirkt Wil­lem­sen in der Fern­seh­land­schaft de­plat­ziert. Wie ein in­tel­lek­tu­el­les Fei­gen­blatt, der auch im­mer brav sei­ne Sprüch­lein auf­sagt. Dann tut er mir leid. Auf sei­ner Home­page gibt es ei­ne Men­ge Ter­mi­ne. Er geht auf Le­se­rei­se. Und es gibt auch Fern­seh­auf­trit­te. Schau’­mer mal.

    Das mit Mark­wort hat­te ja neu­lich ein Nach­spiel. Wil­lem­sen hat­te (glau­be ich) bei SpOn noch­mal be­haup­tet, der »Fo­cus« ha­be ein al­tes Jün­ger-In­ter­view sei­ner­zeit als neu her­aus­ge­bracht. Ein Ge­richt schritt ein; die Be­haup­tung war un­wahr. Wil­lem­sen (und auch SpOn) wur­den ver­ur­teilt.

  10. apro­pos Knacks
    Ich brach­te ihn bis jetzt im­mer in Zu­sam­men­hang mit den Kin­dern der am und für den 20ten
    Ju­li Be­tei­lig­ten. Das fiel mir mit der Zeit auf, aber viel­leicht trifft es auf die
    gan­ze »ge­ne­ra­ti­on« der in der Hit­ler­zeit ge­bo­re­nen zu, aber das stimmt auch nicht
    wenn ich an all die frisch fröh­li­chen Kna­ben
    und Mäd­chen den­ke die da voll­kom­men un­be­trof­fe­nen da­von­ge­kom­men sind. Aber hin­ter dem »Knacks« lie­gen schon Trau­ma­ta, oft von lang­jäh­ri­ger Dau­er. Heil­bar schon, aber der Riss öff­net sich auch leicht wie­der,
    die Nar­be geht wie­der auf, ei­ne schlecht ge­heil­te Nar­be wä­re noch ei­ne De­fi­ni­ti­on

  11. Phi­lo­so­phi­sches Ra­dio
    Am Frei­tag war Wil­lem­sen in der Sen­dung Phi­lo­so­phi­sches Ra­dio im WDR5 zu hö­ren. Ei­ne Sen­dung, die sich ei­nem ge­setz­ten The­ma durch die Vor­stel­lung durch Jür­gen Wie­bicke und ei­nen Gast oder den Haus­phi­lo­so­phen und an­schlie­ßen­der Dis­kus­si­on mit dem Ex­per­ten UND Hö­rern nä­hert. So sehr mich die The­men häu­fig in­ter­es­sie­ren, be­rei­ten mir die An­ru­fe der Hö­rer meist kör­per­li­ches Un­wohl­sein. An­hö­ren kann man sich die Sen­dung hier (ca. ei­ne Stun­de).

    Wie im­mer kam mir Wil­lem­sen wie ei­ne stark ge­würz­te Spei­se vor, die auf den er­sten Ein­druck sehr schmack­haft ist, dann aber so auf­dring­lich wird, dass sie fast ab­sto­ßend er­scheint. Auch hat­te ich wie­der das Ge­fühl das Wil­lem­sen sei­ne Ar­bei­ten wie ein Kom­po­nist be­herrscht. Aus ei­nem gu­ten The­ma macht er auch ei­ne gu­te So­na­te, wo­bei das Hand­werk­li­che fast mehr im Ram­pen­licht steht, als der mu­si­ka­li­sche Ge­halt. Aber das ist wohl sei­ne Art. Ins­ge­samt aber ein in­ter­es­san­ter Ge­dan­ke mit viel Be­trof­fen­heits­ly­rik.

  12. Dan­ke für den Link. Dei­ne Ein­schät­zung tei­le ich zum gro­ssen Teil. Pein­lich wird es da, wo die Sen­dung in Le­bens­hil­fe ab­drif­tet und Aus­sa­gen der Hö­rer, die de­fi­ni­tiv nicht Wil­lem­sens Knacks-The­se tref­fen, von ihm noch ent­spre­chend um­ge­bo­gen wer­den. Ein­mal sagt der Mo­de­ra­tor fast hilf­los, dass er sei­ne ei­ge­ne Lek­tü­re nicht mehr wie­der­fin­det (ca. bei 28 Min). Er sprach mir da aus dem Her­zen.

    Das Buch ist wohl­tu­en­der. Ich möch­te es fast emp­feh­len.

  13. Hier ei­nie­ge Pscho­ana­ly­ti­sche links zum Knacks...Meldung an Ber­li­ner Blät­ter für Psy­cho­ana­ly­se und Psy­cho­the­ra­pie http://www.bbpp.de Wi­der­strei­ten­de Schu­len, die sich un­ter­ein­an­der ein kom­ple­xes Sy­stem wech­sel­sei­ti­ger fach­li­cher Ab­nei­gun­gen und An­er­ken­nun­gen lei­sten, ma­chen die the­ra­peu­ti­sche Pra­xis für be­dürf­ti­ge Lai­en erst recht un­durch­schau­bar. See­le in Not Von Har­ro Al­brecht | © DIE ZEIT, 13.11.2008 Nr. 47 Ein Knacks in der Psy­che – und ein lan­ger Lei­dens­weg be­ginnt: Vie­le Pa­ti­en­ten ver­lie­ren sich im Dickicht der The­ra­pie­kon­zep­te. Ärz­te ar­bei­ten nicht zu­sam­men, Kran­ke wer­den stig­ma­ti­siert. Ein Ham­bur­ger Pro­jekt zeigt, wie es bes­ser geht ….. Wei­ter: http://www.zeit.de. de/2008/47/PS-Psych­ia­trie

    Mel­dung an
    Ber­li­ner Blät­ter für Psy­cho­ana­ly­se und Psy­cho­the­ra­pie
    http://www.bbpp.de
    Wi­der­strei­ten­de Schu­len,
    die sich un­ter­ein­an­der ein kom­ple­xes Sy­stem
    wech­sel­sei­ti­ger fach­li­cher Ab­nei­gun­gen und An­er­ken­nun­gen lei­sten,
    ma­chen die the­ra­peu­ti­sche Pra­xis
    für be­dürf­ti­ge Lai­en erst recht un­durch­schau­bar.
    See­le in Not

    Von Har­ro Al­brecht | © DIE ZEIT, 13.11.2008 Nr. 47

    Ein Knacks in der Psy­che – und ein lan­ger Lei­dens­weg be­ginnt:
    Vie­le Pa­ti­en­ten ver­lie­ren sich im Dickicht der The­ra­pie­kon­zep­te.
    Ärz­te ar­bei­ten nicht zu­sam­men, Kran­ke wer­den stig­ma­ti­siert.
    Ein Ham­bur­ger Pro­jekt zeigt, wie es bes­ser geht …..

    Wei­ter:

    http://www.zeit.de. de/2008/47/ PS-Psych­ia­trie

  14. ro­ger wil­lem­sen ist mir bis jetzt nur aus sei­ner, in den 90er jah­ren aus­ge­strahl­ten fern­seh­sen­dung »wil­lem­sens wo­che« be­kannt und
    da­mals hat mich sei­ne art, in­ter­views zu füh­ren, sehr fas­zi­niert.
    die ge­ra­de ge­le­se­ne re­zen­si­on sei­nes bu­ches »knacks«, hat mich wirk­lich neu­gie­rig ge­macht und ich wer­de mir das buch be­sor­gen.
    herr wil­lem­sen wür­de gut dar­an tun, ih­re zei­len, herr keu­sch­nig
    zu le­sen, denn bess­se­re wer­bung kann er sich [mei­nes er­ach­tens]
    nicht wün­schen.
    lie­be grü­ße

  15. Dan­ke für das Kom­pli­ment.

    (Er wird das si­cher nicht le­sen. Und sein Auf­tritt ge­stern in »3 nach 9« – er be­kam um 23.30 Uhr rd. 9 Mi­nu­ten Zeit – ist weit ef­fi­zi­en­ter als mein Ge­schrei­be.)

  16. Rin­ke-Preis 2009 für Ro­ger Wil­lem­sen
    Ro­ger Wil­lem­sen er­hält für sein Buch Der Knacks (S. Fi­scher Ver­lag) den dies­jäh­ri­gen Rin­ke-Preis. Die „Gun­tram und Ire­ne Rin­ke Stif­tung“ ehrt da­mit Tex­te, die das Le­bens­ge­fühl des ver­gan­ge­nen Jah­res in sprach­lich über­zeu­gen­der Form dar­stel­len. „Ro­ger Wil­lem­sens Buch macht uns be­wusst, was vie­le von uns bis­her nur spür­ten. Ge­ra­de im Kri­sen­jahr 2008 hat das Le­bens­ge­fühl vie­ler Men­schen ei­nen wei­te­ren Knacks er­fah­ren“, be­grün­det der Vor­stands­vor­sit­zen­de der Stif­tung, Han­no Rin­ke, die Ent­schei­dung der Ju­ry.

  17. Dan­ke für den Hin­weis
    Der Preis ist ihm zu gön­nen, wenn­gleich der zi­tier­te Satz von Herrn Rin­ke in zwei­fa­cher Hin­sicht be­mer­kens­wert ist. Zu­nächst glau­be ich nicht, dass ei­ne Ver­bin­dung von Wil­lem­sens Buch (bzw. des­sen In­ten­ti­on) zum »Kri­sen­jahr 2008« be­steht und zum an­de­ren ist das mit dem »wei­te­ren Knacks« in­ter­es­sant, da R. W. min­de­stens of­fen lässt, ob es meh­re­re »Knack­se« gibt.

  18. Sehr – um das ab­ge­grif­fe­ne Wort zu ver­wen­den -, in­ter­es­sant. Und ein Satz der un­ter die Haut geht: Und schon Ca­sa­no­va wuss­te, wie man das Le­ben »be­täub­te«, in dem sein Ver­strei­chen durch das Ver­gnü­gen un­merk­lich mach­te. Das er­in­nert mich an ei­ne kur­ze Dis­kus­si­on bei/mit ANH, die Du aber viel­leicht kennst.

    Der Knacks hängt of­fen­bar mit der Mo­der­ne zu­sam­men; viel­leicht auch mit dem Ver­lust von et­was, des­sen man sich si­cher wähn­te; ich mei­ne mit dem was man er­füll­tes Le­ben nen­nen könn­te, et­was das selbst wir mo­der­ne Men­schen – wenn viel­leicht in ab­ge­schwäch­tem Ver­ständ­nis – su­chen, und das auch an der Sinn­fra­ge hängt. Der Knacks ist viel­leicht nichts wei­ter, als die Er­kennt­nis, dass ge­nau das schief­ge­gan­gen ist, wir es aber nie be­merkt ha­ben, und erst in der Rück­schau er­ken­nen.

    [Der Knacks könn­te die Mo­der­ne selbst sein, die Un­mög­lich­keit der un­be­darf­ten An­schau­ung, die ste­te In­fra­ge­stel­lung des­sen, was man er­lebt, oder er­lebt hat, und da­mit die Un­mög­lich­keit un­be­darf­ter Er­fah­rung, die Un­mög­lich­keit ein­fach glück­lich zu sein, oh­ne das so­fort wie­der in Fra­ge zu stel­len.]

  19. ich kam beim Le­sen bis zur Sei­te 70. Dann hat­te ich aus ei­nem
    mir un­er­klär­li­chen Grund das Be­dürf­nis das Werk zu­zu­klap­pen
    und weg­zu­le­gen. Nun den­ke ich, das ich mit 34 Jah­ren viel­leicht
    noch et­was zu jung bin, um die Sinn­ge­bung die­ses Bu­ches ver­ste­hen zu müs­sen. Wer­de mir lie­ber selbst ein Ur­teil über die
    Ver­gäng­lich­keit mei­nes Sein bil­den und in 30 Jah­ren das Werk wei­ter­le­sen.

  20. Dan­ke für die­sen Kom­men­tar. Ich bin merk­wür­di­ger­wei­se über­haupt nicht auf den Ge­dan­ken ge­kom­men, dass die­ses Buch erst für ei­ne Al­ter ab ca. 40+ re­le­vant sein könn­te, ob­wohl es schon in ei­nem vor­he­ri­gen Kom­men­tar mit der »Ge­ne­ra­ti­on Knacks« an­klang.

  21. Die Tex­te auf die­sem Blog zei­gen ei­ne ähn­li­che Ge­fähr­lich­keit, wie sie An­ti­qua­ria­te für mich be­deu­ten. Es ist sehr schwer, ein Buch nicht zu kau­fen, wenn es hier be­schrie­ben ist.
    Ich ler­ne aber mich zu be­herr­schen. Nach­dem ich mitt­ler­wei­le zu den Leu­ten ge­hö­re, die lan­ge Bei­trä­ge schrei­ben aber nicht lan­ge Bei­trä­ge le­sen wol­len, ( :) ) fällt es mir et­was leich­ter, manch­mal län­ge­re Zeit nicht hier her­ein zu schau­en. Das ist rei­ner Selbst­schutz.
    Auch die­ses Buch wür­de mich in­ter­es­sie­ren. Selbst­ver­ständ­lich.

    Und dann kommt der Tag, an dem man sich das Al­ter vor­stel­len kann, sei­ne Des­il­lu­si­on, sei­ne Bit­ter­keit, den be­grenz­ten Ak­ti­ons­ra­di­us. An dem Tag be­ginnt man wirk­lich zu al­tern. Der Mensch in ei­ner Flucht von er­sten Ta­gen: Der Tag, an dem man ein Me­di­ka­ment ver­schrie­ben be­kommt, das man bis ans En­de sei­nes Le­bens neh­men muss; der Tag, an dem man das Ge­län­der braucht, um ei­ne Trep­pe ab­wärts zu steigen…der Tag, an dem man im Zug den Kof­fer nicht mehr al­lein auf die Ab­la­ge bekommt…Dann kommt der Tag, an dem man »zu alt« für et­was ge­wor­den ist, und es ab jetzt dau­ernd für ir­gend­et­was sein wird…
    Die Her­vor­he­bung die­ses Zi­tats al­ler­dings bie­tet ge­nü­gend Selbst­schutz. Ei­ni­ge Din­ge tref­fen zu. Aber ich trö­ste mich mit dem Ge­dan­ken, dass ich viel­leicht kein blut­druck­sen­ken­des Me­di­ka­ment neh­men müss­te, wenn ich mich auf­raf­fen könn­te, ab­zu­neh­men. Und es gibt äl­te­re Men­schen, für die al­le die­se Ein­schrän­kun­gen nicht zu­tref­fen.
    Und – das be­trach­te ich als we­sent­lich – es gibt auch Din­ge, die man end­lich erst tun kann, weil man so alt ge­wor­den ist. Ein Bei­spiel wä­re das stun­den­lan­ge Üben am Kla­vier, ob­wohl es nicht si­cher ge­stellt ist, ob man das Stück ge spie­len wird. Es tre­ten kei­ne op­por­tu­ni­ty costs mehr auf.
    Im We­sent­li­chen geht es aber doch nur dar­um, ob es et­was gibt, an dem man sich freu­en kann.
    Da gibt es doch so vie­les. Und heu­te kann ich mir ei­nen Opern­be­such lei­sten, für den ich vor 20 Jah­ren viel zu gei­zig ge­we­sen wä­re.

    Viel­leicht gibt es ei­nen Knacks. Ich glau­be auch, dass ich ihn schon er­lebt ha­be. Doch er war sanft und wird im Nach­hin­ein als un­heim­lich wohl­tu­end emp­fun­den. Ich stim­me al­ler­dings der Aus­sa­ge zu, dass man für das Buch wohl ein ge­wis­ses Al­ter er­reicht ha­ben soll­te.

  22. Die Sa­che mit der Ge­fähr­lich­keit neh­me ich mal als Kom­pli­ment. Nun le­sen hier ja nicht so vie­le, dass dies ins Ge­wicht fal­len wür­de. Im üb­ri­gen be­kom­me ich auch kei­ne Pro­vi­sio­nen von den Ver­la­gen...

    Ich kann aber nicht um­hin, Dir die­ses Buch trotz­dem zu emp­feh­len.