Die sprach­lich-schrift­li­che Kon­ver­genz un­se­rer Wel­ten. Ein prag­ma­ti­scher Ver­such über Er­ken­nen, Welt und Kom­mu­ni­ka­ti­on.

1 Vor­be­mer­kung

Un­se­re Be­dürf­nis­se von An­nä­he­rung und Deu­tung, der Wil­le zu ver­ste­hen und zu wis­sen, wei­sen, zu­sam­men mit der Neu­gier­de, auf ei­nen all­ge­mei­nen Zu­stand von Un­ge­nü­gen und ei­ne spe­zi­el­le Selbstun­ge­nüg­sam­keit hin. Mit den Fra­gen mensch­li­chen Da­seins kon­fron­tiert, su­chen wir die Nä­he an­de­rer, ei­ner Art Er­wei­te­rung we­gen: Wir tre­ten ih­nen be­griff­lich ge­gen­über, so­weit wir be­grif­fen ha­ben, das Be­grif­fe­ne zu fas­sen ver­mö­gen oder hof­fen es noch zu kön­nen: Ge­spräch und Dis­kurs er­schei­nen da­bei als ein weit­hin ge­gen­sätz­li­ches Paar, das im Dienst ei­ner Wei­ter­be­we­gung, weg vom ei­ge­nen, un­ge­nü­gen­den Stand­punkt hin zu ei­nem an­de­ren, neu­en, steht, ei­ner ge­woll­ten Ver­bes­se­rung: Ein an­de­res Wort für Fort­schritt und ein an­de­res Ver­ständ­nis.

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Wol­lust des Un­ter­gangs – 100 Jah­re Tho­mas Manns »Der Tod in Ve­ne­dig« (Hg. v. Hol­ger Pils und Ker­stin Klein)

Wollust des Untergangs - 100 Jahre Thomas Manns "Der Tod in Venedig"

Wol­lust des Un­ter­gangs – 100 Jah­re Tho­mas Manns »Der Tod in Ve­ne­dig«

1912, vor ein­hun­dert Jah­ren, er­schien Tho­mas Manns No­vel­le »Tod in Ve­ne­dig«. An­lass für ei­ne Sonderaus­stellung des Hein­rich-und-Tho­mas-Mann-Zen­trums (bis 28.5. im Bud­den­brook­haus in Lü­beck; ab Herbst dann in Mün­chen) mit dem et­was knal­li­gen Ti­tel »Wol­lust des Un­ter­gangs«. Wer die Aus­stel­lung nicht be­su­chen kann, soll­te sich den opu­len­ten, gleich­na­mi­gen Band des Wall­stein-Ver­lags zu­le­gen, der nicht nur als Ka­ta­log zur Aus­stel­lung fun­giert son­dern auch wie ein sol­cher duf­tet. Ne­ben sechs Auf­sät­zen, die, wie die In­itia­to­ren Ker­stin Klein und Hol­ger Pils her­vor­he­ben, »ei­gens für die­sen Band ver­fasst« wur­den, gibt es vier Es­says von Schrift­stel­ler­kol­le­gen (Wolf­gang Koep­pen, Ma­rio Var­gas Llosa, Da­ni­el Kehl­mann und Her­bert Ro­sen­dor­fer), wo­von nur Ro­sen­dor­fers kur­zer Bei­trag neu ist. Da­nach wer­den auf über 60 Sei­ten (»Ga­le­rie«) in präch­ti­ger Qua­li­tät di­ver­se Zeich­nun­gen, Aqua­rel­le, Col­la­gen und Bil­der von 21 Künst­lern ge­zeigt in de­nen der Au­tor, Ve­ne­dig und Sze­nen aus der No­vel­le the­ma­ti­siert wer­den. Wei­ter­le­sen

Die Kra­wall­schach­teln

Wenn man erst ein­mal weiß, dass ei­ni­ge (Polit-)Talkshows im (deut­schen) Fern­se­hen nach ge­wis­sen dra­ma­tur­gi­schen In­sze­nie­run­gen be­setzt wer­den – bei­spiels­wei­se um wäh­rend der Sen­dung or­dent­lich Kra­wall zu er­zeu­gen – kann man die­se per­ver­tier­te Form des Dis­kur­ses nur noch als lä­cher­li­ches Schmie­ren­thea­ter er­tra­gen. Sein ei­ge­nes Ur­teil wird man hier kaum schär­fen kön­nen, zu be­schei­den sind die in­tel­lek­tu­el­len Herausfor­derungen. Es spricht lei­der ei­ni­ges da­für, dass das Feuil­le­ton in ähn­li­ches Fahr­was­ser ab­drif­tet. Und nein: Da­mit sind nicht die (teil­wei­se zu Recht dis­kre­di­tier­ten) Twitter­lümmel und Blog­da­men und ‑her­ren ge­meint, die ih­re ge­sin­nungs­trie­fen­de Mei­nungs-Halb­bil­dung in die Welt hin­aus­po­sau­nen und je­des noch so klei­ne Phä­no­men skanda­lisieren. Längst hat das or­ga­ni­sier­te De­nun­zie­ren auch die sich selbst im­mer noch als Qua­li­täts­me­di­en be­zeich­nen­den In­sti­tu­tio­nen er­grif­fen. Wei­ter­le­sen

Die ar­chäo­lo­gi­sche Ob­ses­si­on

Ge­fun­den wer­den

        Die ar­chäo­lo­gi­sche Ob­ses­si­on er­klä­re ich mir so: sie ist die Sehn­sucht, end­lich al­les hin­ter sich zu ha­ben, Jahr­tau­sen­de zwi­schen der pein­li­chen, lä­cher­li­chen, nichts­de­sto­trotz un­er­träg­li­chen Mi­se­re des So-zu-Tuns-als-ob-man-leb­te und dem of­fen­sicht­lich uner­wünschten Selbst zu wis­sen. Man wä­re dann un­er­reich­bar für die no­to­ri­schen Lebens­bejaher und die Tu-dir-was-Gu­tes-Mis­sio­na­re, so­gar wenn sie gleich im Grab ne­ben­an lä­gen. Vor al­lem wä­re der Ak­ku ih­rer Han­dies kor­ro­diert und end­lich, end­lich Ru­he.
        Dann wür­de ich viel­leicht aus­ge­gra­ben von je­man­dem, der sich für das in­ter­es­siert, was an mir am we­nig­sten wert­voll war und da­her üb­rig­blieb. Mit Samt­hand­schu­hen wür­de je­ner Je­mand mein Wert­lo­se­stes be­rüh­ren. Er wird. Er wird ein Le­ben für mich er­fin­den, das mein tat­säch­li­ches auch dann noch über­tref­fen wür­de, wenn es ein überdurchschnitt­lich schö­nes ge­we­sen wä­re. Mein Na­me wird zu­min­dest so et­was wie »XX-Prin­zes­sin« ent­hal­ten (der »XX«-Teil ist al­ler­dings un­be­re­chen­bar). Da­für wer­de ich das Glotz­ge­äu­ge an der Mu­se­ums­vi­tri­ne sto­isch über mein Ge­rip­pe er­ge­hen las­sen; im Le­ben gab es durch­aus Blö­de­res zu er­tra­gen.
        Der Ar­chäo­lo­ge wird mich fin­den, wie mich kein Zeit­ge­nos­se je­mals fin­den könn­te. Er wird glück­lich sein über das We­ni­ge, das ich noch sein wer­de, an­statt nur Unzulänglich­keiten zu be­män­geln an dem be­trächt­li­chen Hau­fen di­ver­sen Ma­te­ri­als und Fein­stoffs, der ich le­bend bin.
        Mei­ne ein­zi­ge Ar­beit be­steht dar­in, her­aus­zu­fin­den, wo­hin ich mich le­gen muss, da­mit er mich fin­den wird. Ein paar Jahr­hun­der­te oder Jahr­tau­sen­de kön­nen die To­po­gra­phie ziem­lich ver­än­dern, es kommt al­so dar­auf an, in der rich­ti­gen geo­lo­gi­schen Schicht zu ex­pi­rie­ren. Wenn ich manch­mal ei­nen Zwei­fel schie­be, dann die­sen: ich bin mir nicht ganz si­cher, ob ich ge­fun­den wer­den will. Es soll nur vor­erst ein­mal ein­fach ir­gend­wie auf­hö­ren.

9. Ja­nu­ar 2009

Nein, fin­den

        Sich in ei­ne geo­lo­gi­sche Schicht le­gen, um von ei­nem Ar­chäo­lo­gen des 4. Jahr­tau­sends aus­ge­locht zu wer­den, so ein Quatsch! Wei­ter­le­sen

Die Ver­hint­zung

Am Sonn­tag und Mon­tag konn­te man im deut­schen Fern­se­hen zwei Talk­shows an­schau­en, die auf ver­track­te Wei­se die Gren­zen die­ses For­ma­tes of­fen­bar­ten. Es ging wie­der ein­mal um Bun­des­prä­si­dent Wulff und sei­ne di­ver­se Af­fä­ren und Af­fär­chen. Die Ge­mein­sam­keit in den bei­den Sen­dun­gen: de ehe­ma­li­ge CDU-Ge­ne­ral­se­kre­tär Pe­ter Hint­ze trat in sei­ner be­reits zu Kohls Zei­ten be­rühm­ten Mi­schung aus Em­sig­keit und Frech­heit als Ver­tei­di­ger Wulffs auf.

Bei »Gün­ther Jauch« am Sonn­tag sah man am En­de nicht nur beim Mo­de­ra­tor die Er­leich­te­rung: Die Sen­dung ist über­stan­den. In der FAZ hieß es von Mi­cha­el Han­feld am näch­sten mor­gen, Hint­ze ha­be ge­re­det, wie der FC Bay­ern ge­le­gent­lich spielt: 70% Ball­be­sitz, aber trotz­dem ver­lo­ren. Ei­nen Tag spä­ter stand Hint­ze dann wie­der Re­de und Ant­wort – in Frank Plas­bergs »hart aber fair«. Ihm zur Sei­te das ehe­ma­li­ge FDP-Mit­glied Meh­met Dai­ma­gü­ler, ein Rechts­an­walt aus Ber­lin, der sei­ne Sym­pa­thie für Wulff mit des­sen Re­de vom 3. Ok­to­ber 2010 be­grün­de­te (»der Is­lam gehört…zu Deutsch­land«).

An­son­sten war Pe­ter Hint­ze fast al­lein zu Gast. Mit Wu­se­lig­keit und au­to­ri­tä­rem Ge­ha­be wisch­te er al­le An­schul­di­gun­gen vom Tisch. Al­les sei wi­der­legt und auf­ge­klärt, so Hint­ze. Bei Plas­berg ent­fleuch­te ihm so­gar die Aus­sa­ge, dass die Vor­wür­fe durch sei­ne Aus­sa­ge al­lei­ne als wi­der­legt zu gel­ten ha­ben. Da konn­ten die an­de­ren Kom­bat­tan­ten nur ener­viert den Kopf schüt­teln. Und die Zu­schau­er em­pör­ten sich über Hint­ze. Wei­ter­le­sen

So sind sie halt...

Ich ge­ste­he dass ich das sonn­täg­li­che Ri­tu­al, sich um 20.15 Uhr den ARD »Tat­ort« an­zu­se­hen im­mer mehr be­reue: Zu schlecht, zu durch­schau­bar, zu holz­schnitt­ar­tig und auch zu zeit­gei­stig ka­men in den letz­ten Mo­na­te di­ver­se Kri­mis die­ser Rei­he da­her. Die Schil­de­run­gen der pri­va­ten Pro­blem­chen und Pro­ble­me der er­mit­teln­den Kom­mis­sa­re nebst def­ti­gem Lo­kal­ko­lo­rit kom­men in­zwi­schen lei­der viel zu rou­ti­niert da­her, dass man sie län­ger als sa­gen wir ein­mal 60 Mi­nu­ten aus­hal­ten kann oh­ne in gäh­nen­de Lan­ge­wei­le aus­zu­bre­chen.

Zu­ge­ge­ben: Das war ge­stern im öster­rei­chi­schen »Tat­ort« »Kein Ent­kom­men« an­ders. Ein Stu­dent – Fah­rer ei­ner Putz­ko­lon­ne – wird an­ge­schos­sen: Die Mör­der ent­decken, dass sie den fal­schen er­wischt ha­ben und strecken ihn mit ei­nem be­dau­ern­den »Du warst zur fal­schen Zeit am fal­schen Ort« mit zwei Kopf­schüs­sen end­gül­tig nie­der. Ge­meint war ein an­de­rer: Jo­sef Mül­ler, der mit sei­ner Frau und dem 6jährigen Max zu­sam­men­lebt. Mül­ler ist krank; ei­ne Grip­pe­wel­le gras­siert wäh­rend des Films und zieht nach und nach al­le mög­li­chen Prot­ago­ni­sten her­un­ter. Die bei­den Kil­ler su­chen Mül­lers Woh­nung auf (Frau und Kind sind beim Arzt), der knapp ent­kommt und mit nack­tem Ober­kör­per durch Wien bis zu den Ge­päck­schließ­fä­chern am Haupt­bahn­hof irrt. Neu ein­ge­klei­det mel­det er sich bei der Po­li­zei. Mo­ritz Eis­ner (Ha­rald Krass­nit­zer) und Bi­bi Fell­ner (Ade­le Neu­hau­ser) be­stau­nen den Mann, der na­tür­lich nicht Jo­sef Mül­ler heisst son­dern Gra­dić und im ju­go­sla­wi­schen Bür­ger­krieg auf sei­ten der Ser­ben Kriegs­ver­bre­chen in ei­ner paramili­tärischen Or­ga­ni­sa­ti­on be­gan­gen hat. Mül­ler ge­steht al­les und legt das auf den Tisch, was die Mör­der ha­ben wol­len: Sein Büch­lein, in dem er fein säu­ber­lich sei­ne und die Ta­ten sei­ner Ka­me­ra­den auf­ge­führt hat. Wei­ter­le­sen

Wi­sła­wa Szym­bor­ska

Und so denn glit­zert der to­te Kä­fer am Weg,
un­be­weint der Son­ne ent­ge­gen.
Es ge­nügt, an ihn für die Dau­er ei­nes Blicks zu den­ken:
er liegt, als wä­re ihm nichts von Be­deu­tung pas­siert.
Be­deu­tung be­trifft an­geb­lich nur uns.
Nur un­ser Le­ben, nur un­se­ren Tod,
den Tod, der er­zwun­ge­nen Vor­rang ge­nießt.

aus: Wi­sła­wa Szym­bor­ska – Von Oben be­trach­tet. »Hun­dert Freu­den«, Suhr­kamp st 2589, 1996


Die gro­ße und vor al­lem groß­ar­ti­ge pol­ni­sche Dich­te­rin Wi­sła­wa Szym­bor­ska ist ver­stor­ben. Es wä­re an der Zeit für die­je­ni­gen, die noch nichts von ihr ge­le­sen ha­ben, dies nach­zu­ho­len. (Vor al­lem er­spart es ei­nem da­nach, die quä­lend um Ori­gi­na­li­tät be­müh­ten Wür­di­gun­gen wahr­zu­neh­men. Man ver­traue aus­schließ­lich der Wir­kung ih­rer Poe­sie.)

Jür­gen Ha­ber­mas: Zur Ver­fas­sung Eu­ro­pas

Jürgen Habermas: Zur Verfassung Europas

Jür­gen Ha­ber­mas: Zur Ver­fas­sung Eu­ro­pas

Wenn sich Jür­gen Ha­ber­mas in die Nie­de­run­gen des po­li­ti­schen All­tags be­gibt und die­sen kommen­tiert, of­fen­bart sich sei­ne zu­wei­len ten­den­ziö­se Wahr­nehmung über­deut­lich. Plötz­lich ist die Deckung hin­ter dem Fremdwort­wall wie in sei­nem drei­tei­li­gen Es­say mit dem hüb­schen, dop­pel­deu­ti­gen Ti­tel zur »Ver­fassung Eu­ro­pas«, der den Kern des vor­lie­gen­den, gleich­namigen Ban­des bil­det, ge­lüf­tet. Der rechts­phi­lo­so­phi­sche Uni­versitätsjargon, der ein­fach­ste Sach­verhalte in hoch­ar­ti­fi­zi­el­le Wort­gebilde bis zur Unkennt­lichkeit mas­kie­ren kann, weicht in den bei­den als An­hang be­nann­ten Ar­ti­keln vom Mai 2010 bzw. April 2011 (und dem Inter­view mit Tho­mas Ass­heu­er vom No­vem­ber 2008) dem Ton des kommen­tieren­den Leit­ar­tik­lers. Das hat mehr als nur ein­mal zur Fol­ge, dass der Doy­en der po­li­ti­schen Phi­lo­so­phie in Deutsch­land (oder sol­len wir lie­ber Eu­ro­pa sa­gen?) zu­wei­len ziem­lich nackt da­steht.

Mit Ha­ber­mas’ re­tro­spek­ti­ven Er­läu­te­run­gen zum Markt­fun­da­men­ta­lis­mus, der En­de der 1990er Jah­re auch die po­li­ti­schen Re­prä­sen­tan­ten in Deutsch­land in­fi­zier­te (wohl vorbe­reitet durch ent­spre­chen­des me­dia­les Pres­sing), geht man noch kon­form. Aber wenn dann aus der rhe­to­ri­schen Mot­ten­ki­ste der Be­griff der »Po­li­tik­ver­dros­sen­heit« hervor­geholt wird, be­gin­nen die Zwei­fel. Wo­bei die­ses Phä­no­men als Pro­dukt ei­ner »po­li­ti­schen Unter­forderung« des Bür­gers ab­ge­lei­tet wird, die­ser da­mit so­zu­sa­gen er­ret­tet wer­den soll und für die wei­te­re Ver­wen­dung als po­li­ti­sches Sub­jekt zur Ver­fü­gung steht. Ha­ber­mas hat na­tür­lich Recht, dass ei­ne am­bi­va­len­te de­mo­kra­ti­sche Le­gi­ti­ma­ti­ons­ba­sis des »Elite­projekts« Eu­ro­päi­sche Uni­on zum Ver- und/oder Über­druss ge­führt hat. Und auch sei­ne Fest­stel­lung, dass Deutsch­land seit Rot-Grün 1998 oh­ne fe­stes (außen-)po­litisches Ziel re­giert wird (er sieht die­se Ent­wick­lung von 2005 an noch ein­mal be­schleunigt), ist zu­tref­fend. Wei­ter­le­sen