Jan Drees: Sand­bergs Lie­be

Jan Drees: Sandbergs Liebe

Jan Drees: Sand­bergs Lie­be

Kri­sti­an Sand­berg ist Anfang/Mitte 30, schreibt als frei­er Li­te­ra­tur­kri­ti­ker, gibt Vor­trä­ge und hat ge­ra­de sei­ne Dis­ser­ta­ti­on be­en­det. Es nimmt zu­wei­len Psy­cho­phar­ma­ka, ist Rau­cher und zu Be­ginn des Ro­mans »Sand­bergs Lie­be« wird sein Auf­ent­halt in ei­nem 5‑­Ster­ne-Ho­tel im Ja­nu­ar auf Te­ne­rif­fa ge­schil­dert. Es ist ein biss­chen trost­los und man fragt sich, wie je­mand mit eher pre­kä­ren Ein­kom­mens­ver­hält­nis­sen (er wohnt in Bre­men eher stu­den­tisch) ein sol­ches Ho­tel be­zah­len kann (ein Bier ko­stet 10 Eu­ro).

Nach rund 15 Sei­ten ein neu­es Ka­pi­tel mit dem Ti­tel »On­ce«; es wird fast 150 Sei­ten be­an­spru­chen. Er be­kommt end­lich ei­ne er­sehn­te Fest­an­stel­lung – als Li­te­ra­tur­agent. Es gibt ein gu­tes Ge­halt und freie Le­se­zei­ten; die Zu­kunft wird aus Ver­lag­s­par­tys, be­zahl­ten Li­te­ra­tur­rei­sen und tol­len Abend­essen be­stehen. Es ist Som­mer 2016, fast zu schön, um wahr zu sein. Kri­sti­an ent­deckt auf sei­nem neu­en I‑Phone »On­ce«, ei­ne an­geb­lich be­son­de­re Sei­te, weil kein Al­go­rith­mus die Aus­wahl trifft son­dern ein Mensch, und zwar nur ein­mal am Tag. So lernt er Ka­li­na ken­nen, 35; die Mut­ter ist Dä­nin, der Va­ter Po­le. Sie ist Zahn­ärz­tin und rich­tet sich ge­ra­de ih­re Ei­gen­tums­woh­nung im vor­neh­men Ham­bur­ger Stadt­teil Ep­pen­dorf ein. Ka­li­na spricht fünf Spra­chen, ist selbst­be­wusst, elo­quent und wohl ziem­lich hübsch. Sie hat ein Fai­ble für Lu­xus, was sich un­ter an­de­rem an ih­rer Klei­dung, der Aus­wahl der Re­stau­rants und den Ein­rich­tungs­plä­nen für ih­re Woh­nung zeigt. Kri­sti­an ist be­ein­druckt und ver­zau­bert. Sie fin­den schnell zu­ein­an­der. Die räum­li­chen Tren­nun­gen – Kri­sti­an lebt noch in Bre­men, be­zieht be­rufs­be­dingt bald ein Apart­ment in Ham­burg-Win­ter­hu­de, Ka­li­na pen­delt zwi­schen Ep­pen­dorf und ih­rer Zahn­arzt­pra­xis im dä­ni­schen Pad­borg – wer­den durch Whats­App-Nach­rich­ten über­brückt.

Der Him­mel hängt zu­nächst vol­ler Gei­gen. Schnell wird Kri­sti­an für sie »un­ver­zicht­bar«. Sie geht auf sei­ne Avan­cen ein. Man plant schon, den ge­mein­sa­men Ein­zug in Ka­li­nas Lu­xus­woh­nung, die al­ler­dings bau­lich noch her­ge­rich­tet wer­den muss. Zu­wei­len gibt es kurz klei­ne Miss­ver­ständ­nis­se. Sa­lop­pe Be­mer­kun­gen Kri­sti­ans deu­tet Ka­li­na zu­wei­len in ve­ri­ta­ble Vor­wür­fe um. Man liest es zu­nächst als Ei­fer­sucht. Oder als ei­ne sub­ti­le Form der Do­me­sti­zie­rung. Kri­sti­an gibt stets nach, ver­spricht mehr Sen­si­bi­li­tät, ge­lobt Bes­se­rung. Er lernt Ka­li­nas (zu­meist ho­mo­se­xu­el­le, männ­li­che) Freun­de ken­nen. Er emp­fin­det ein Un­be­ha­gen über die Ober­fläch­lich­kei­ten des Mi­lieus, in dem es sich um die ver­gan­ge­nen »Aperöl­chen« in Ve­ne­dig oder Can­nes dreht. Ka­li­nas Freun­de wie auch ih­re Schwe­ster und die Mut­ter äu­ßern sich of­fen in sei­ner Ge­gen­wart ab­wer­tend über ihn. Die Ver­su­che, sei­ne Freun­din für Li­te­ra­tur und phi­lo­so­phi­sche The­men zu be­gei­stern, über­for­dern sie. Er trö­stet sich da­mit, dass bei­de mit »Ge­fähr­li­che Ge­lieb­te« von Ha­ru­ki Mu­ra­ka­mi den glei­chen Lieb­lings­ro­man ha­ben. Wei­ter­le­sen

Vom rich­ti­gen Über­le­ben im fal­schen

Bruno E. Werner: Die Galeere

Bru­no E. Wer­ner: Die Ga­lee­re

Man­che Ver­lags­an­kün­di­gun­gen ha­ben eher ab­schrecken­de Wir­kung. So be­wirbt der Suhr­kamp-Ver­lag die Neu­auf­la­ge des 1949 bzw. 1950 er­schie­ne­nen Ro­mans »Die Ga­lee­re« von Bru­no E. Wer­ner da­mit, dass 70 Jah­re nach des­sen Er­schei­nen der heu­ti­ge Le­ser be­reit sei, die­ses Buch wie sei­nen »ei­ge­nen Ro­man« zu le­sen. Oh­ne Ant­wort bleibt die Fra­ge nach dem Ur­he­ber des Zi­tats. Die An­kün­di­gung be­zieht sich näm­lich eher auf die im Ro­man an­ge­spro­che­nen Ge­ne­ra­tio­nen, d. h. die Jahr­gän­ge der zwi­schen 1880 und 1920 ge­bo­re­nen. Ba­by­boo­mer und Spät­ge­bo­re­ne dürf­ten mit ge­wis­ser Di­stanz auf die Schil­de­run­gen im Buch blicken. Und sind nicht bei­spiels­wei­se die Ge­schich­ten von den Bom­ben­näch­ten aus­führ­lich von den El­tern oder Groß­el­tern re­ka­pi­tu­liert wor­den? Woll­te man das ei­gent­lich hö­ren? Führ­te dies nicht sub­ku­tan zu ei­ner Tä­ter-/Op­fer­um­kehr?

1997 ent­fach­te W. G. Se­bald ei­ne De­bat­te über »Luft­krieg und Li­te­ra­tur«. Se­bald kon­sta­tier­te ei­ne Leer­stel­le in der hi­sto­ri­schen wie li­te­ra­ri­schen Auf­ar­bei­tung des Luft­kriegs ge­gen das na­tio­nal­so­zia­li­sti­sche Deut­sche Reich: »Die in der Ge­schich­te bis da­hin ein­zig­ar­ti­ge Ver­nich­tungs­ak­ti­on ist in die An­na­len der sich neu kon­sti­tu­ie­ren­de Na­ti­on nur in der Form va­ger Ver­all­ge­mei­ne­run­gen ein­ge­gan­gen, scheint kaum ei­ne Schmer­zens­spur hin­ter­las­sen zu ha­ben im kol­lek­ti­ven Be­wußt­sein, ist aber aus der re­tro­spek­ti­ven Selbst­er­fah­rung der Be­trof­fe­nen weit­ge­hend aus­ge­schlos­sen ge­blie­ben, hat in den sich ent­wickeln­den Dis­kus­sio­nen um die in­ne­re Ver­fas­sung un­se­res Lan­des nie ei­ne nen­nens­wer­te Rol­le ge­spielt […]«.

Bei ge­naue­rer Lek­tü­re zeig­te sich, dass Se­bald die li­te­ra­ri­sche Qua­li­tät der Ro­ma­ne, die sich dem The­ma dann doch wid­me­ten, nicht auf ei­nem ent­spre­chend ho­hen Ni­veau ver­or­te­te. Hier wer­den zu­meist die Schrift­stel­ler Hans-Erich Nossack (»Der Un­ter­gang«) und Gert Le­dig (ins­be­son­de­re »Sta­lin­or­gel« und »Ver­gel­tung«) ge­nannt (und et­li­che an­de­re Au­toren, die sich der The­ma­tik wid­me­ten, sind tat­säch­lich in Ver­ges­sen­heit ge­ra­ten).

Es bleibt un­klar, ob Se­bald tat­säch­lich an der li­te­ra­ri­schen Qua­li­tät ei­nes Gert Le­dig zwei­fel­te. Dies wä­re in höch­stem Ma­ße tö­richt ge­we­sen. Es ging ihm viel­leicht um ei­ne po­pu­lär-li­te­ra­ri­sche, pu­bli­kums­wirk­sam-ein­gän­gi­ge Auf­ar­bei­tung des The­mas. Le­digs ex­pres­sio­ni­sti­sches Mei­ster­werk ist kei­ne Ka­min­pro­sa, die man nach dem Abend­essen beim Di­ge­stif ein­fach kon­su­mie­ren kann. Hin­zu kommt, dass der Ti­tel »Ver­gel­tung« ei­ne halb­wegs le­gi­ti­mier­te Ra­che­ak­ti­on der Kriegs­füh­rung der Al­li­ier­ten ge­gen die Deut­schen sug­ge­riert. Die ex­pres­si­ve, teil­wei­se splat­ter­haf­te Bild­spra­che und die min­de­stens un­ter­schwel­lig ein­ge­bun­de­ne po­li­ti­sche Kom­po­nen­te schreck­ten ab. Man las lie­ber Li­te­ra­tur, in der der Op­ferd­uk­tus mit­schwang: Ent­we­der der Wehr­machts­sol­dat als bra­ver, aber von den bö­sen Na­zis miss­brauch­ter Land­ser und/oder die hilf­lo­sen Aus­ge­bomb­ten in der »Hei­mat«. Dass es ge­ra­de das Ver­dienst Noss­acks und vor al­lem Le­digs war, die­se Op­fer­hal­tung min­de­stens zu be­fra­gen, ging in der De­bat­te weit­ge­hend un­ter. Und das man beim ge­nau­en Le­sen auch bei an­de­ren Au­toren wie bei­spiels­wei­se Her­mann Lenz und vor al­lem Wal­ter Kem­pow­ski (»Deut­sche Chro­nik«) auf ent­spre­chend nüch­ter­ne Auf­ar­bei­tun­gen der Luft­kriegs­the­ma­tik tref­fen kann, auch.

Das Ta­bu der in­tel­lek­tu­el­len Krei­se

Se­balds Ein­wand be­traf vor al­lem die ton­an­ge­ben­de li­te­ra­ri­sche Eli­te der Grup­pe 47 mit ih­rem (Nach)Kriegs-Neorealismus. Dort wä­ren Tex­te über deut­sche Luft­kriegs­op­fer so­fort als re­van­chi­stisch ein­ge­stuft wor­den. Es war ja auch nicht so, dass in den Fa­mi­li­en nicht über die Bom­bar­de­ments in den 1940er Jah­ren ge­spro­chen wur­de. Die »Ta­bui­sie­rung« galt im We­sent­li­chen nur in den in­tel­lek­tu­el­len Krei­sen, in der ver­öf­fent­lich­ten Mei­nung. Selbst En­de der 1990er Jah­re, mit Er­schei­nen von Se­balds Auf­satz, wa­ren es nicht zu­letzt Be­fürch­tun­gen von Pu­bli­zi­sten und Hi­sto­ri­kern, (neu)rechten po­li­ti­schen Strö­mun­gen mit die­ser Dis­kus­si­on Auf­trieb zu ge­ben, die zu ei­ner ra­schen Be­en­di­gung des Dis­kur­ses rie­ten. (Ei­ne ähn­li­che Be­schwei­gung er­fuhr jahr­zehn­te­lang das The­ma der Flucht und Ver­trei­bung Deut­scher aus Mit­tel- und Ost­eu­ro­pa. Wie so oft, führ­te das frei­wil­lig prak­ti­zier­te Sprech­ver­bot ge­nau zu dem, was man ei­gent­lich ver­hin­dern woll­te.)

Der Ex­kurs muss­te sein, da manch­mal auch Bru­no E. Wer­ners Buch »Die Ga­lee­re« ge­nannt wird, wenn es dar­um geht, der Luft­krieg­the­se Se­balds zu wi­der­spre­chen, denn auch hier gibt es aus­gie­bi­ge Schil­de­run­gen der Bom­bar­de­ments Al­li­ier­ter – zu­nächst auf Ber­lin und dann, kaum noch für mög­lich ge­hal­ten, Dres­den. Wer­ner ver­wen­det al­ler­dings bis auf we­ni­ge Aus­nah­men die eher be­schrei­ben­de, ja fast jour­na­li­sti­sche Form. Ex­pres­sio­nis­mus ist ihm ge­nau so fremd wie Pa­thos. Nur ein­mal wird es sur­re­al – bei ei­ner skur­ri­len Sil­ve­ster­fei­er 1944, die der Le­ser nicht so schnell ver­ges­sen wird.

Der gan­ze Bei­trag hier bei »Glanz und Elend«

Hans Ma­gnus En­zens­ber­ger: Ei­ne Ex­per­ten-Re­vue in 89 Num­mern

Hans Magnus Enzensberger: Eine Experten-Revue in 89 Nummern

Hans Ma­gnus En­zens­ber­ger: Ei­ne Ex­per­ten-Re­vue in 89 Num­mern

Seit vie­len Jah­ren zeigt Hans Ma­gnus En­zens­ber­ger sei­ne Zu­nei­gung zum En­zy­klo­pä­di­schen, zur Samm­lung des Wis­sens. In sei­ner »An­de­ren Bi­blio­thek« war der größ­te En­zy­klo­pä­dist des 18. Jahr­hun­derts, De­nis Di­de­rot, im­mer wie­der als Au­tor prä­sent. 2013 – En­zens­ber­ger war nicht mehr bei Eich­born in­vol­viert – er­schien dort in ei­ner neu edi­tier­ten Pracht­aus­ga­be Di­de­rots En­zy­klo­pä­die.

Der En­zy­klo­pä­dist sam­melt nicht nur, er ord­net auch, wägt ab, trennt Un­wich­ti­ges von Wich­ti­gem. Sei­ne Aus­wahl ist im­mer sub­jek­tiv. Für sei­ne text­li­che Ver­ar­bei­tung hin­ge­gen gilt das Ob­jek­ti­vi­täts­ge­bot. Hans Ma­gnus En­zens­ber­gers »Ex­per­ten-Re­vue in 89 Num­mern« ist nicht di­rekt ein en­zy­klo­pä­di­sches Buch. Es sind per­sön­li­che An­mer­kun­gen und Va­ria­tio­nen des Au­tors En­zens­ber­ger zu dem, was den Men­schen vom Tier un­ter­schei­det: Der Ar­beits­tei­lung und der Spe­zia­li­sie­rung.

Zu Be­ginn wird in ei­nem Dia­log »der Na­tur mit ei­nem Un­zu­frie­de­nen« der »Dä­mon der Ar­beits­tei­lung« als der Kern »vor­läu­fi­gen Sie­ges« des ei­gent­lich hin­fäl­li­gen und schwa­chen Men­schen auf dem Pla­ne­ten Er­de halb be­wun­dernd, halb ver­äng­stigt kon­sta­tiert. Ar­beits­tei­lung im­pli­ziert Spe­zia­li­sten- und Ex­per­ten­tum. Aber: »Die mei­sten [Ex­per­ten] ha­ben ei­nen Spar­ren und ja­gen ganz blöd­sin­ni­gen Pro­jek­ten nach.« Und es gibt, so er­klärt die Na­tur dem Un­zu­frie­de­nen, drei be­son­de­re Me­ta-Ex­per­ten, »Ex­per­ten des Ex­per­ten­tums«. Sie wer­den mehr an­ge­deu­tet als ge­nannt (kei­ne Sor­ge – sie sind pro­blem­los zu ent­schlüs­seln): Ber­nard Man­de­ville (»Der un­zu­frie­de­ne Bie­nen­stock«), Adam Smith und – na­tür­lich – Karl Marx. Wei­ter­le­sen

Mar­tin von Arndt: So­jus

Martin von Arndt: Sojus

Mar­tin von Arndt: So­jus

Es war schon ein sehr ge­wag­ter Cliff­han­ger mit dem Mar­tin von Arndts letz­ter Ro­man »Rat­ten­li­ni­en« en­de­te. An­dre­as Eck­art, Ner­ven­arzt und in der Wei­ma­rer Re­pu­blik Po­li­zei­kom­mis­sar in Ber­lin, spä­ter von der Ge­sta­po ge­fol­tert und in die USA ge­flo­hen, hat­te sich im Herbst 1946 von sei­nen Freun­den und Be­kann­ten zur Teil­nah­me an der Ope­ra­ti­on »Rat­ten­li­ni­en« des US-Ge­heim­dien­stes CIC in Eu­ro­pa über­re­den las­sen. Hoch­ran­gi­ge Na­zis und SS-Of­fi­zie­re ver­such­ten über die Al­pen nach Ita­li­en um von dort aus per Schiff nach Süd­ame­ri­ka zu flie­hen. Eck­art und US-Spe­cial-Agent Dan Va­nuz­zi bil­de­ten zu­sam­men mit zwei Hel­fern ein »Greif­kom­man­do« und soll­ten den SS-Ober­sturm­bann­füh­rer Ger­hard Wag­ner, der ak­tiv an Ju­den­er­schie­ssun­gen be­tei­ligt war, auf­spü­ren da­mit er vor Ge­richt ge­stellt wer­den konn­te. Sa­lopp ge­sagt, war Eck­art ein biss­chen zu er­folg­reich – er bohr­te zu tief, ent­deck­te da­bei Ver­strickun­gen ame­ri­ka­ni­scher Dien­ste, die eben­falls da­für Sor­ge tru­gen, ehe­ma­li­ge Na­zis si­cher ent­kom­men zu las­sen. Eck­art ge­riet zwi­schen die Fron­ten, wur­de fest­ge­nom­men und hör­te nun auf der Zug­toi­let­te die be­reits ent­si­cher­ten Ma­schi­nen­pi­sto­len der ame­ri­ka­ni­schen Agen­ten. Der Le­ser rät­sel­te über das Schick­sal Eck­arts.

»So­jus«, der neue Ro­man von Mar­tin von Arndt, be­ginnt im Mai 1948 in Is­ra­el. Dan Va­nuz­zi und Ephra­im Ro­sen­berg, Eck­arts Ber­li­ner As­si­stent aus den 1920er Jah­ren, der Hans-Ro­sen­thal-ge­mäss nur mit viel Glück die NS-Dik­ta­tur über­lebt hat­te, tref­fen sich in Tel Aviv. Va­nuz­zi ist beim bri­ti­schen MI6; bei den Ame­ri­ka­nern gilt er als Lan­des­ver­rä­ter. Bei­de sor­gen sich um ih­ren Freund Eck­art, der in ei­ner psych­ia­tri­schen An­stalt in den USA fest­ge­hal­ten wird. Er weiss zu viel, wird se­diert, ist von der Au­ßen­welt ab­ge­schlos­sen. Wei­ter­le­sen

Bjar­te Breit­eig: Die ken­nen kei­ne Trau­er

Bjarte Breiteig: Die kennen keine Trauer

Bjar­te Breit­eig: Die ken­nen kei­ne Trau­er

»Die ken­nen kei­ne Trau­er« ist der in­zwi­schen drit­te Er­zähl­band des 1974 ge­bo­re­nen nor­we­gi­schen Au­tors Bjar­te Brei­tag in deut­scher Spra­che. Al­le Bän­de sind im Wie­ner Luft­schacht-Ver­lag er­schie­nen und wur­den von Bern­hard Stro­bel über­setzt.

Die Pu­bli­ka­ti­ons­ge­schich­te der Er­zähl­bän­de ist ein biss­chen ver­wir­rend. Wäh­rend Breit­eigs Ro­man aus 2014 »Mei­ne fünf Jah­re als Va­ter« nur zwei Jah­re nach dem nor­we­gi­schen Ori­gi­nal auf deutsch er­schien, lie­gen die Pu­bli­ka­ti­ons­da­ten der über­setz­ten Er­zähl­bän­de weit aus­ein­an­der. 2010 er­schien »Von nun an« (das Ori­gi­nal »Folk har be­gynt å ban­ke på« war von 2006). Drei Jah­re spä­ter leg­te man mit »Phan­tom­schmer­zen« (»Fan­toms­mer­ter«) Breit­eigs De­but von 1998 vor. Der ak­tu­ell er­schie­ne­ne Band mit sie­ben Er­zäh­lun­gen auf nur knapp 85 Sei­ten ba­siert auf »Sur­ro­ga­ter«, der im Jahr 2000 er­schie­nen ist und dem­nach chro­no­lo­gisch zwi­schen »Phan­tom­schmer­zen« und »Von nun an« ein­ge­ord­net wer­den muss. Wer ge­nau liest, kann hier die li­te­ra­ri­sche Ent­wick­lung Breit­eigs se­hen.

Die Er­eig­nis­se, die in »Die ken­nen kei­ne Trau­er« er­zählt wer­den, könn­ten nicht un­ter­schied­li­cher sein. Da de­mo­lie­ren in der Ti­tel­ge­schich­te zwei Schü­ler mit ei­ner wach­sen­den Zer­stö­rungs- und Wol­lust den Raum, in dem die Schu­le die von ih­nen ge­fer­tig­ten Ob­jek­te aus dem Kunst­un­ter­richt la­gert. Oder ein Ar­bei­ter bricht an sei­nem letz­ten Ar­beits­tag (vor­her gab es ei­ne Uhr zum Ab­schied) in der Du­sche zu­sam­men (»Nichts pas­siert«). Ein Mann be­sucht mit sei­ner schwan­ge­ren Frau das Haus des un­längst ver­stor­be­nen Va­ters, ver­sinkt in Er­in­ne­run­gen und Ver­drän­gun­gen bis schließ­lich die Frau das Haus ver­lässt und mit dem Au­to zum Ha­fen­kai rast (»Der Herr be­tet in Ge­th­se­ma­ne«). In »Bis zum Abend« spielt Breit­eig mit der Un­heil­er­war­tung des Le­sers. »Für Ron­nys Hund« er­zählt die gru­se­li­ge Ge­schich­te ei­ner Tö­tung ei­nes Hun­des, mit der ein Ha­fen­ar­bei­ter sei­ne Freun­din hofft, dau­er­haft an sich bin­den zu kön­nen. In »Wä­sche­spin­ne« fin­den sich wie schon in ei­ni­gen sei­ner De­but­er­zäh­lun­gen my­sti­sche Mo­men­te, wäh­rend in »Stock­holm«, der stärk­sten Er­zäh­lung die­ses Ban­des, auf ein­dring­li­che und ver­stö­ren­de Art Le­bens­lü­gen de­cou­vriert wer­den. Wei­ter­le­sen

Mi­cha­el Rol­off

Michael Roloff

Mi­cha­el Rol­off

Ich ha­be Mi­cha­el Rol­off nie per­sön­lich ken­nen­ge­lernt. Er leb­te in Se­at­tle, ich in Düs­sel­dorf. Zum er­sten Mal wur­de ich 2006 im Rah­men der Dis­kus­sio­nen um den Hei­ne-Preis an Pe­ter Hand­ke auf ihn auf­merk­sam. Er nutz­te aus­gie­big die On­line-Kom­men­tar­spal­ten von Me­di­en, um Hand­ke ge­gen die An­grif­fe aus den Feuil­le­tons zu ver­tei­di­gen. Ge­nau­er ge­sagt: Er ver­tei­dig­te Hand­kes Li­te­ra­tur.

1937 ge­bo­ren, emi­grier­te er in den 1950er-Jah­ren von Deutsch­land in die USA. Er über­setz­te u.a. Theo­dor W. Ador­no, Her­mann Hes­se, Ed­gar Hil­sen­rath, Wal­ter Kem­pow­ski und bis die 1980er Jah­re auch Pe­ter Hand­ke ins Eng­li­sche. Im Brief­wech­sel zwi­schen Hand­ke und Al­fred Kol­le­rit­sch taucht Rol­off als skur­ri­ler Dan­dy mit »wild­le­der­nem Hut« und Fa­sa­nen­fe­der auf. Ir­gend­wann kam es zum Bruch mit Suhr­kamp und auch mit Hand­ke. Es ging, wie Hand­ke mir ein­mal in Cha­ville sag­te, um Geld.

Ir­gend­wie kam ich dann in Kon­takt mit ihm. Wer ein­mal in sei­nem Adress­buch war, ent­kam nicht mehr und er­hielt zu­ver­läs­sig (auch als Ver­stor­be­ner!) noch Mails. Auch ich be­kam nun täg­lich zum Teil ein Dut­zend Mails. Ne­ben Aus­zü­gen aus Re­zen­sio­nen über li­te­ra­ri­sche Bü­cher und Hin­wei­se auf sei­ne ei­ge­nen Pu­bli­ka­tio­nen im Netz wa­ren es Links, Hin­wei­se und Kom­men­ta­re zur ame­ri­ka­ni­schen Po­li­tik. Rol­off war po­li­tisch links­ra­di­kal. Er liess kein gu­tes Haar an der ame­ri­ka­ni­schen Po­li­tik, mach­te kei­nen Un­ter­schied zwi­schen Clin­ton, Bush, Oba­ma (den er früh ver­ächt­lich »Oba­mi« nann­te) und Trump. Sei­ne pu­bli­zi­sti­schen Hel­den wa­ren die Au­toren von WSWS und Noam Chom­sky.

In­ter­es­sant wa­ren für mich vor al­lem sei­ne Hin­wei­se und Deu­tun­gen in Be­zug auf Hand­ke und sein Werk. Ne­ben An­ek­do­ti­schem be­schäf­tig­te er sich aus­gie­big mit der Be­hand­lung Hand­kes durch das deutsch­spra­chi­ge Feuil­le­ton. Mit den Jah­ren sponn Rol­off ein schier un­ent­wirr­ba­res Netz von Web­sei­ten, die sich aus­gie­big und de­tail­ver­ses­sen mit Hand­ke und des­sen Werk be­schäf­tig­ten. Da­bei be­dien­te er sich an al­lem, was er fand. Nicht nur mei­ne Tex­te stell­te er zum Teil mit­tels »co­py & pa­ste« oh­ne Rück­fra­gen ins Netz. Da­zu gab es zu­wei­len def­tig-der­be Kom­men­ta­re, wenn Aus­sa­gen nicht sei­nem Gu­sto ent­spra­chen.

Rol­off un­ter­schied wie kaum je­mand zwi­schen Per­son und Li­te­ra­tur. Er lieb­te Hand­kes Li­te­ra­tur, ana­ly­sier­te sie in in­zwi­schen holp­ri­gem Deutsch (oder ein­fach di­rekt Eng­lisch) mit zum Teil in­ter­es­san­ten Vol­ten, die je­doch all­zu oft hin­ter der Ve­he­menz sei­ner psy­cho­ana­ly­tisch grun­dier­ten Schimpf­ti­ra­den ge­gen die Per­son Hand­ke ver­schwan­den. Zum Teil muss­te man sei­ne Kom­men­ta­re ent­fer­nen, weil sie straf­be­wehr­te Aus­sa­gen ent­hiel­ten. Als die Er­re­gun­gen zu Hand­kes Ju­go­sla­wi­en-En­ga­ge­ment in die USA über­schwapp­ten, ver­tei­dig­te er wie­der hef­tig die Li­te­ra­tur. Es war ei­ne Hass­lie­be. (Und wie stolz war er auf Hand­kes Lob zu sei­ner Über­set­zung von »Über die Dör­fer«.) Wei­ter­le­sen

Big Man­ni

»Big Man­ni« heisst der Film und die Vor­la­ge zur Wirk­lich­keit gibt es wirk­lich. Es ist ei­ne Wirt­schafts­be­trugs­ge­schich­te. Aber nicht nur. Sie eig­net sich her­vor­ra­gend zur Be­bil­de­rung, vor al­lem wenn die Vor­gän­ge schon fast 20 Jah­re zu­rück­lie­gen. Zeit­rei­se in die 90er Jah­re, Rech­nun­gen in DM und es gibt kei­ne Han­dys. Letz­te­res ist ei­ne Wohl­tat.

Na­tür­lich in­ter­es­sie­ren Wirt­schafts­be­trü­ger wie Man­fred Schmi­der. Ban­ken über­schüt­te­ten ihn mit Geld, die Po­li­tik hof­fier­te den Her­stel­ler von Ho­ri­zon­tal­bohr­ma­schi­nen. Das Zau­ber­wort hieß Ar­beits­plät­ze. Schö­ne Wer­be­film­chen. Die mei­sten Ma­schi­nen gab es nicht. Schmi­der brauch­te im­mer mehr Geld, um die Luft­bu­chun­gen am Le­ben zu er­hal­ten. Schnee­ball­sy­stem nennt man das. Be­den­ken wur­den weg­ge­wischt; das Kli­schee vom ein­sa­men Kri­po­be­am­ten, der am Ball bleibt, wird für den Film aus­ge­packt.

Wie konn­te es da­zu kom­men? Das wird ei­nem Staats­an­walt in der dem Film an­ge­schlos­se­nen Do­ku­men­ta­ti­on ge­fragt. »Er hat­te in der Schu­le we­nig Freun­de und ein Grund wes­we­gen er spä­ter so ge­wor­den ist war ja…er hat­te mit 16 Jah­ren ein Mo­ped…« Wenn Er­mitt­ler psy­cho­lo­gi­sche Gut­ach­ten ab­ge­ben, soll­te man bes­ser weg­hö­ren.

Schmi­der heißt im Film Bren­ner und wird von Hans-Jo­chen Wag­ner kon­ge­ni­al dar­ge­stellt: Dick­lich, leicht fet­ti­ge Haa­re, schwä­belnd. Die ge­ball­te Pro­vinz. Aber das Ge­gen­teil von »hid­den cham­pi­ons«: Lu­xus­ge­prot­ze all­über­all (aber Fa­mi­li­en­mensch war er). Mit Hil­fe der Po­li­tik so­gar ein ei­ge­ner Flug­ha­fen. Mit dem Hub­schrau­ber ins Bü­ro und zum Mit­tag­essen nach Straß­burg. Die ehe­ma­li­ge Se­kre­tä­rin er­zählt von der Fas­zi­na­ti­on, die da­von aus­ging. Wei­ter­le­sen

Ta­pe­ten­wech­sel

Hoch­ge­schätz­tes Pu­bli­kum,

seit nun­mehr knapp acht Jah­ren (!) hat sich am äu­ße­ren Er­schei­nungs­bild des »Be­gleit­schrei­bens« nichts ge­än­dert. Heu­te nun soll dem ra­san­ten tech­ni­schen Fort­schritt (und dem zwi­schen­zeit­li­chen Wan­del der Ge­schmäcker und Ge­wohn­hei­ten) Rech­nung ge­tra­gen und die­ser li­te­ra­ri­sche Sa­lon op­tisch auf­ge­hübscht wer­den. Der Fo­kus des Face­lif­ts liegt da­bei auf ei­ner be­hut­sa­men Mo­der­ni­sie­rung, die fri­sche Vor­tei­le mit sich bringt, oh­ne da­bei Be­währ­tes auf­zu­ge­ben. Wei­ter­le­sen