Jan Drees: Sand­bergs Lie­be

Jan Drees: Sandbergs Liebe

Jan Drees: Sand­bergs Lie­be

Kri­sti­an Sand­berg ist Anfang/Mitte 30, schreibt als frei­er Li­te­ra­tur­kri­ti­ker, gibt Vor­trä­ge und hat ge­ra­de sei­ne Dis­ser­ta­ti­on be­en­det. Es nimmt zu­wei­len Psy­cho­phar­ma­ka, ist Rau­cher und zu Be­ginn des Ro­mans »Sand­bergs Lie­be« wird sein Auf­ent­halt in ei­nem 5‑­Ster­ne-Ho­tel im Ja­nu­ar auf Te­ne­rif­fa ge­schil­dert. Es ist ein biss­chen trost­los und man fragt sich, wie je­mand mit eher pre­kä­ren Ein­kom­mens­ver­hält­nis­sen (er wohnt in Bre­men eher stu­den­tisch) ein sol­ches Ho­tel be­zah­len kann (ein Bier ko­stet 10 Eu­ro).

Nach rund 15 Sei­ten ein neu­es Ka­pi­tel mit dem Ti­tel »On­ce«; es wird fast 150 Sei­ten be­an­spru­chen. Er be­kommt end­lich ei­ne er­sehn­te Fest­an­stel­lung – als Li­te­ra­tur­agent. Es gibt ein gu­tes Ge­halt und freie Le­se­zei­ten; die Zu­kunft wird aus Ver­lag­s­par­tys, be­zahl­ten Li­te­ra­tur­rei­sen und tol­len Abend­essen be­stehen. Es ist Som­mer 2016, fast zu schön, um wahr zu sein. Kri­sti­an ent­deckt auf sei­nem neu­en I‑Phone »On­ce«, ei­ne an­geb­lich be­son­de­re Sei­te, weil kein Al­go­rith­mus die Aus­wahl trifft son­dern ein Mensch, und zwar nur ein­mal am Tag. So lernt er Ka­li­na ken­nen, 35; die Mut­ter ist Dä­nin, der Va­ter Po­le. Sie ist Zahn­ärz­tin und rich­tet sich ge­ra­de ih­re Ei­gen­tums­woh­nung im vor­neh­men Ham­bur­ger Stadt­teil Ep­pen­dorf ein. Ka­li­na spricht fünf Spra­chen, ist selbst­be­wusst, elo­quent und wohl ziem­lich hübsch. Sie hat ein Fai­ble für Lu­xus, was sich un­ter an­de­rem an ih­rer Klei­dung, der Aus­wahl der Re­stau­rants und den Ein­rich­tungs­plä­nen für ih­re Woh­nung zeigt. Kri­sti­an ist be­ein­druckt und ver­zau­bert. Sie fin­den schnell zu­ein­an­der. Die räum­li­chen Tren­nun­gen – Kri­sti­an lebt noch in Bre­men, be­zieht be­rufs­be­dingt bald ein Apart­ment in Ham­burg-Win­ter­hu­de, Ka­li­na pen­delt zwi­schen Ep­pen­dorf und ih­rer Zahn­arzt­pra­xis im dä­ni­schen Pad­borg – wer­den durch Whats­App-Nach­rich­ten über­brückt.

Der Him­mel hängt zu­nächst vol­ler Gei­gen. Schnell wird Kri­sti­an für sie »un­ver­zicht­bar«. Sie geht auf sei­ne Avan­cen ein. Man plant schon, den ge­mein­sa­men Ein­zug in Ka­li­nas Lu­xus­woh­nung, die al­ler­dings bau­lich noch her­ge­rich­tet wer­den muss. Zu­wei­len gibt es kurz klei­ne Miss­ver­ständ­nis­se. Sa­lop­pe Be­mer­kun­gen Kri­sti­ans deu­tet Ka­li­na zu­wei­len in ve­ri­ta­ble Vor­wür­fe um. Man liest es zu­nächst als Ei­fer­sucht. Oder als ei­ne sub­ti­le Form der Do­me­sti­zie­rung. Kri­sti­an gibt stets nach, ver­spricht mehr Sen­si­bi­li­tät, ge­lobt Bes­se­rung. Er lernt Ka­li­nas (zu­meist ho­mo­se­xu­el­le, männ­li­che) Freun­de ken­nen. Er emp­fin­det ein Un­be­ha­gen über die Ober­fläch­lich­kei­ten des Mi­lieus, in dem es sich um die ver­gan­ge­nen »Aperöl­chen« in Ve­ne­dig oder Can­nes dreht. Ka­li­nas Freun­de wie auch ih­re Schwe­ster und die Mut­ter äu­ßern sich of­fen in sei­ner Ge­gen­wart ab­wer­tend über ihn. Die Ver­su­che, sei­ne Freun­din für Li­te­ra­tur und phi­lo­so­phi­sche The­men zu be­gei­stern, über­for­dern sie. Er trö­stet sich da­mit, dass bei­de mit »Ge­fähr­li­che Ge­lieb­te« von Ha­ru­ki Mu­ra­ka­mi den glei­chen Lieb­lings­ro­man ha­ben.

Sie kauft ihm ei­ne Beiß­schie­ne, um sein Schnar­chen zu min­dern und emp­fiehlt ihm, sei­ne Gar­de­ro­be zu wech­seln. Um mit­hal­ten zu kön­nen, ar­ran­giert er zwei Über­nach­tun­gen im Ber­li­ner Ad­lon wäh­rend ei­nes Mu­sik­fe­sti­vals (600,50 Eu­ro). Vier Wo­chen nach dem er­sten Ken­nen­ler­nen in­sze­niert Kri­sti­an die Ver­lo­bung mit gro­ßem Din­ner in ei­nem Ster­ne­re­stau­rant (664,70 Eu­ro). Aber die Idio­syn­kra­si­en Ka­li­nas neh­men zu, wer­den ag­gres­si­ver. Aber er gibt nach; man ver­söhnt sich.

Die Ver­lo­bung führt nicht zur Ent­span­nung der Be­zie­hung – das Ge­gen­teil ist der Fall. Un­ter­hal­tun­gen mit frem­den, weib­li­chen Per­so­nen, Nach­rich­ten mit leicht iro­ni­schem Un­ter­ton, ein klei­ner Ver­spre­cher – al­les wird zum Ge­gen­stand von Ka­li­nas schar­fen, in ver­let­zen­dem Duk­tus vor­ge­brach­ten Wut- und Vor­wurf­kas­ka­den. Da­bei wird je­der Er­klä­rung Kri­sti­ans als neu­er Stoff für Be­schimp­fun­gen aus­ge­wer­tet. Sie wirft ihm vor, ein Lüg­ner, nicht re­spekt­voll, zu we­nig »acht­sam« (ein sehr wich­ti­ges Wort für Ka­li­na) und nicht em­pa­thisch ge­nug zu sein. Sei­ne Ver­söh­nungs­an­ge­bo­te de­nun­ziert sie als »Ge­wis­sens­be­rei­ni­gung«. Er be­trei­be »psy­chi­schen Miss­brauch«. Als ein­mal wäh­rend des Um­zugs ei­ne Pal­me, die er trägt, ihr Ge­sicht be­rührt, wirft sie ihm spä­ter vor, sie ge­schla­gen zu ha­ben.

Ich ler­ne, dass das Phä­no­men, wel­ches hier be­schrie­ben wird, »Gas­light­ning« ge­nannt wird. Bei Goog­le er­schei­nen hier­zu 4 Mil­lio­nen Tref­fer. Man­ches, was zu die­sem Phä­no­men zu le­sen ist, er­in­nert an an­de­re, be­kann­te­re Krank­hei­ten. Sei’s drum. Die Be­zeich­nung ist ei­nem eng­li­schen Thea­ter­stück aus 1930er Jah­ren ent­lehnt, in dem ein Mann ei­ne Frau psy­chisch ma­ni­pu­liert. Es wur­de auch ver­filmt. Als Mo­ti­va­ti­on für die­sen psy­chi­schen Ter­ror gilt in den Fil­men das Ver­mö­gen der Frau, die als nicht zu­rech­nungs­fä­hig ent­mün­digt wer­den soll.

Im Rah­men der Gleich­be­rech­ti­gung ist es nun die Frau, die den Mann der­art at­tackiert. Ein pe­ku­niä­res Mo­tiv schei­det al­ler­dings aus. Der Le­ser wird zum Voy­eur, schüt­telt den Kopf und ver­steht Kri­sti­ans ela­bo­riert-kit­schi­gen Ver­söh­nungs­ver­su­che im­mer we­ni­ger. We­ni­ge Wo­chen nach der Ver­lo­bung (viel­leicht sind ins­ge­samt acht Wo­chen seit dem Ken­nen­ler­nen ver­gan­gen) kommt es dann doch zur Tren­nung. Da­bei er­fährt er, dass ein ähn­li­ches Sze­na­rio be­reits vor ei­nem hal­ben Jahr, mit ei­nem an­de­ren Lieb­ha­ber Ka­li­nas, statt­ge­fun­den ha­ben soll. Was sie, da­mit kon­fron­tiert, trotz Zeu­gen­schaft meh­re­rer Per­so­nen, hef­tig be­strei­tet.

Auf den letz­ten 15 Sei­ten ver­schwin­det der Ich-Er­zäh­ler Kri­sti­an zu Gun­sten ei­nes all­wis­sen­den Chro­ni­sten. Er ver­fällt phy­sisch, nimmt 16 kg ab, kap­selt sich ab, ver­kauft aus ei­gent­lich un­er­klär­li­chen Grün­den sei­nen Haus­stand. Ra­tio­na­len Ar­gu­men­ten sei­ner Freun­de zur Be­wäl­ti­gung der Be­zie­hung ist er nicht auf­ge­schlos­sen. Er scheint dem Sui­zid nah. En­de of­fen.

Drees’ Ro­man ist pro­to­kol­l­ar­tig auf­ge­baut, was man nicht nur an den ab­ge­druck­ten Chat­ver­läu­fen und Mails se­hen kann son­dern auch an der zu­wei­len un­be­hol­fe­nen Spra­che, et­wa dem per­ma­nen­ten »mei­ne Freun­din« bzw., spä­ter, »mei­ne Ver­lob­te«. Die Pro­to­koll­form ist of­fen­sicht­lich nicht zu­fäl­lig ge­wählt. Im Klap­pen­text (und spä­ter in In­ter­views mit Drees) wird ein au­to­bio­gra­phi­scher Hin­ter­grund des Au­tors ins Spiel ge­bracht. Da­mit wird dem heim­li­chen Gott der zeit­ge­nös­si­schen Li­te­ra­tur­kri­tik, der Au­then­ti­zi­tät, ge­hul­digt.

Aber was ist da­mit ge­won­nen? Soll da­mit der Text vor li­te­ra­ri­scher Kri­tik im­mu­ni­siert wer­den? Et­wa der nach den Leer­stel­len? Wel­che Art von Fas­zi­na­ti­on geht von Ka­li­na aus? Sie sei »ei­ne sehr schö­ne Frau mit Stil«, heißt es ein­mal. Und »brü­nett« ist sie auch. Aha. Und mehr? Dem Ro­man fehlt die Ma­gie, die Kri­sti­ans Fas­zi­na­ti­on er­zäh­len müss­te.

Wo bleibt die Spra­che? Mehr­mals taucht die Vo­ka­bel »kalt« in Be­zug auf Ka­li­na auf – wenn sie mit Kri­sti­ans Freun­den zu­sam­men­sitzt oder nach ei­nem Streit. Aber wor­auf be­zieht sich die­se Käl­te? Was macht sie aus? Fa­tal: Die er­klär­te Käl­te Ka­li­nas über­trägt sich auf mich, den Le­ser. Fast ge­nießt man ih­re Be­schimp­fun­gen, klopft sie auf ein Gran Wahr­heit ab und wird erst wie­der wach, wenn sie Kri­sti­an am En­de als »sehr, sehr krank« cha­rak­te­ri­siert.

Die­se un­frei­wil­lig ent­ste­hen­de Iden­ti­fi­ka­ti­on mit der Tä­te­rin hat da­mit zu tun, dass Kri­sti­ans Be­ses­sen­heit nur in der In­ter­ak­ti­on mit Ka­li­na ge­zeigt wird. Aber Chat­pro­to­kol­le sind kei­ne Li­te­ra­tur. Nur ein­mal gibt es ein Auf­hor­chen: »Über je­den Menschen…gibt es ei­nen Satz, der sein Le­ben zum Ein­sturz bringt«, phi­lo­so­phiert Kri­sti­an et­was ne­bu­lös, »ei­nen Satz, den wir aus Höf­lich­keit ver­schwei­gen«. War­um aus »Höf­lich­keit«? Wel­cher Satz bringt Kri­sti­an zum Ein­sturz? Ist es der Zu­fall des ge­mein­sa­men Lieb­lings­bu­ches? (Hier­zu gibt es ei­ne klei­ne Poin­te am En­de.)

Na­he­zu je­der, der die­sen Un­rat aus Un­ter­stel­lun­gen, Be­lei­di­gun­gen, zum Teil lä­cher­li­chen Wort­ver­dre­hun­gen und ab­stru­sen Be­weis­for­de­run­gen liest, hät­te die Be­zie­hung zu die­ser Frau zü­gig be­en­det. War­um er­nied­rigt Kri­sti­an sich im­mer wei­ter? Ist es der Sex? Hier­zu gibt es kei­ne ent­spre­chen­den Hin­wei­se; ver­mut­lich ist dies der Furcht vor dem »Sexismus«-Urteil der Re­zi­pi­en­ten ge­schul­det. Ist es der Lu­xus der Self­made­frau? Tat­säch­lich ent­fernt sich Kri­sti­an im­mer mehr von sei­ner Lei­den­schaft für Li­te­ra­tur. Mar­ken­na­men und tren­di­ge De­signs wer­den plötz­lich wich­tig. Sei­ne Freun­de sind er­staunt, wie er sich ver­än­dert hat.

In ei­nem Pro­log, der ei­gent­lich erst nach der Lek­tü­re des Ro­mans ver­ständ­lich ist, heißt es: »Es gibt kaum Hin­wei­se auf die wirk­li­chen Äng­ste die­ser Frau. Beim Zu­sam­men­set­zen der Ge­schich­te fehlt et­was.« Ei­ne tref­fen­de Vor­weg­nah­me des Ge­schrie­be­nen. Die Kunst der Li­te­ra­tur be­stün­de nun dar­in, die­se Fehl- bzw. Leer­stel­len zu tran­szen­die­ren statt nur zu pro­to­kol­lie­ren. Nun ist Jan Drees ein Li­te­ra­tur­kri­ti­ker, und zwar kein schlech­ter. Un­ab­hän­gig da­von, dass man nicht Koch sein muss um fest­zu­stel­len, dass die Sup­pe ver­sal­zen ist, hät­te er es bes­ser wis­sen kön­nen, müs­sen. Wo­mög­lich hat der au­to­bio­gra­phi­sche Hin­ter- oder Vor­der­grund die­sem Ro­man nicht gut­ge­tan. Es fehlt die Di­stanz. Und so legt man das Buch gleich­gül­tig zur Sei­te.

4 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Schwie­rig, wenn ein Au­tor nicht ver­stan­den hat, was sei­ne Fi­gu­ren an­treibt. Die Si­tua­ti­on kennt man: man tauscht sich über Be­zie­hungs­pro­ble­me aus, mei­net­we­gen mit ei­nem Freund, Be­kann­ten oder The­ra­peu­ten, und be­kommt ei­ne »va­ge Ant­wort«.
    Mir scheint, der Au­tor hat das Un­ver­ständ­nis aus per­sön­li­chen Er­leb­nis­sen ein­fach wei­ter ge­reicht. Kol­por­ta­ge?!
    Wenn ich die Fak­ten ein­fach mal ernst neh­me, dann wür­de ich ver­mu­ten: Doch, es ging um Geld. Es ging auch um Mo­de, Chic, Nar­ziss­mus und ge­sell­schaft­li­ches An­se­hen. Das Aperöl­chen muss zu sei­nem Recht kom­men. Ei­nem uni­ver­sell kon­su­mi­sti­schen Cha­rak­ter wie Ka­li­na fehlt nur noch die Kir­sche auf der Tor­te: Li­te­ra­tur. Sagt man nicht, dass man Bü­cher »ver­schlin­gen kann«... Nicht nur das, man kann sie De­gu­stie­ren, Häpp­chen-wei­se Ge­nie­ßen, sich an be­son­de­re Ge­nuss­mo­men­te er­in­nern, und das Pri­vi­leg des Ver­gnü­gens ge­gen­über dem Pö­bel fei­ern.
    Kann es sein, dass Jan Drees sich ein nar­ziss­ti­sches Frücht­chen an­ge­lacht hat, und dann sehr schnell in ei­nen Lie­fer­eng­pass ge­ra­ten ist?!
    Das Miss­ver­ständ­nis zwi­schen Kon­su­ment und Ein­zel­händ­ler ist auf gar kei­nen Fall ei­ne »Lie­bes­ge­schich­te«.

  2. Kann es sein, dass Jan Drees sich ein nar­ziss­ti­sches Frücht­chen an­ge­lacht hat, und dann sehr schnell in ei­nen Lie­fer­eng­pass ge­ra­ten ist?!
    Es sind Sät­ze die­ser Art, die ich an Ih­ren Kom­men­ta­ren schät­ze: Sa­lopp und doch ernst­haft.

    Ich weiss nicht, ob der Au­tor in ei­nen »Lie­fer­eng­pass« ge­ra­ten ist. Da es au­to­bio­gra­phisch sein soll, könn­te es auch ei­ne the­ra­peu­tisch Maß­nah­me sein. Zu Be­ginn wird dar­auf hin­ge­wie­sen, dass der Text nur ei­ne Sicht zeigt – die des Ich-Er­zäh­lers. Theo­re­tisch könn­te al­so al­les ei­ne Über­trei­bung sein. Da­ge­gen spre­chen aber die Chat-Pro­to­kol­le und die Mail-Aus­zü­ge, die Au­then­ti­zi­tät er­zeu­gen sol­len.

    In­ter­es­sant fin­de ich, dass es of­fen­sicht­lich kei­ne Pro­ble­me mit den so­ge­nann­ten Per­sön­lich­keits­rech­ten gibt. In der Ver­gan­gen­heit wur­den ja Bü­cher durch­aus »ver­bo­ten«, die all­zu of­fen­sicht­lich an die Rea­li­tät an­ge­lehnt wa­ren und Rück­schlüs­se auf die Iden­ti­tät von Per­so­nen zu­lie­ßen (wo­bei die Skan­da­li­sie­rung die­ser Bü­cher erst recht die Iden­ti­tä­ten preis­ga­ben).

  3. Ich kann eben­falls nur spe­ku­lie­ren, ei­ne Fern­ana­ly­se wä­re in­ter­es­sant. Das macht am be­sten ein Pro­fi. Ich Laie tip­pe an­hand Ih­rer Zu­sam­men­stel­lung auf ei­ne nar­ziss­ti­sche Per­sön­lich­keits­stö­rung. Bei der Frau!
    Ob ich rich­tig lie­ge, oder nicht, wird sich ganz leicht her­aus­stel­len. Die Per­son hin­ter der Fi­gur wird »sich wie­der­erken­nen«, und dem ar­men Drees die Höl­le heiß ma­chen.
    Ich hof­fe in­stän­dig, dass ich mich ir­re, denn die­se Frücht­chen ken­nen kein Ge­bot, wenn sie sich ge­kränkt füh­len. Das geht im­mer vor Ge­richt.
    Ich ha­be per­sön­lich kei­ne Er­fah­rung mit die­sen Per­sön­lich­kei­ten, aber ich ken­ne ein/zwei Be­zie­hungs­op­fer. Die sind wirk­lich trau­ma­ti­siert. Gibt so­gar Selbst­hil­fe­grup­pen da­für.
    Li­te­ra­tur ist das nicht. Ich weiß nicht, ob ich oh­ne ge­naue Lek­tü­re so streng sein darf, aber ich traue Ih­rer Wahr­neh­mung ei­gent­lich im­mer. Pro­to­kol­le, Emails und Auf­zeich­nun­gen sind auch mit Ver­frem­dun­gen kei­ne funk­tio­nie­ren­den Bau­stei­ne. Kann man er­fin­den, klar, for­mal ist al­les er­laubt, aber ei­ne Ad­ap­ti­on reicht nicht.
    Al­les Text?!
    Ja, schö­ne neue blö­de Welt der Post­mo­der­ne.
    Wir müs­sen ganz lang­sam aber si­cher wie­der dar­über nach­den­ken, war­um das al­les nicht so ein­fach ist. Das Schrei­ben. War­um Fi­gu­ren kei­ne Men­schen sind, und um­ge­kehrt. Da spielt die psych­ia­tri­sche Dia­gno­se na­tür­lich kei­ne Rol­le, es geht aus­schließ­lich dar­um, ob der Au­tor die Fi­gur wirk­lich ernst nimmt. Er muss sie mit Leib und Le­ben ver­tei­di­gen. Mit kom­mu­ni­ka­ti­ven Ver­satz­stücken be­geht man als Au­tor doch ei­nen Kar­di­nals­feh­ler. Je­der Au­tor muss al­le sei­ne Fi­gu­ren kom­plett ver­ste­hen, sie aus­fül­len wie ei­ne Rol­le. Mal nur so da­hin­ge­fragt: Ist ein Au­tor ein Schau­spie­ler, der zwi­schen den Fi­gu­ren hin und her rennt (mit Licht­ge­schwin­dig­keit, um im­mer gleich selbst die »Ant­wort« zu ge­ben...). Oder ist ein Au­tor eher ein »Klatsch­weib«, das mit klei­nen Aus­schmückun­gen ein­fach nur wie­der­gibt, was man ge­se­hen, ge­hört, er­lebt hat?!
    Nichts ge­gen die Klatsch­wei­ber, das sind ei­gent­lich sehr gu­te Er­zäh­ler... Der Un­ter­schied in der Her­an­ge­hens­wei­se könn­te die Er­klä­rung für ei­ne gan­ze Men­ge kal­ter Li­te­ra­tur sein. Li­te­ra­tur so kalt wie Ka­li­na, war­um nur, war­um nur ist sie so kalt...

  4. Na­ja, da ma­chen Sie ein Rie­sen­fass auf. Für mich ist je­de dia­gno­sti­sche Her­an­ge­hens­wei­se an ei­nen fik­ti­ven Text schwie­rig. Wenn man das als Au­tor macht, sind die Fi­gu­ren nicht frei, son­dern nur Ver­satz­stücke, Püpp­chen. Das geht im Thea­ter viel­leicht noch, aber in der Er­zäh­lung wird es schwie­rig.

    Das au­to­bio­gra­phi­sche Er­zäh­len (so wie es hier be­trie­ben wird) ist vor al­lem des­halb pro­ble­ma­tisch, weil der Au­tor dem Le­ser im­mer ei­nen Schritt vor­aus ist. Er kennt das En­de. Der Le­ser starrt ge­bannt auf den Plot und seufzt »So was gibt es al­so...« Ins­ge­heim er­tappt man sich da­bei, sich glück­lich zu schät­zen, ei­ner sol­chen Per­son noch nie be­geg­net zu sein. Es liegt auch et­was Rei­ni­gen­des dar­in.

    Ich hat­te ja sel­ber ein­mal ei­nen au­to­fik­tio­na­len Text pu­bli­ziert (der gran­di­os durch­fiel). Was vor al­lem fehlt ist Ab­stand und viel­leicht auch De­mut. Aber heut­zu­ta­ge zählt der Plot – und die Au­then­ti­zi­tät. Das er­klärt den Er­folg von Drees’ Buch.