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Der Neoliberalismus übt im 21. Jahrhundert eine Hegemonie aus, die er sich nicht einmal erstreiten mußte, weil seine Postulate auf fruchtbaren Boden fielen, gerade so, als wären nicht Solidarität und Gemeinschaftssinn, sondern Profitgier und Eigensinn das Wesen des Menschen, so daß die Rede von dessen »Vermenschlichung« immer schon widersinnig gewesen wäre. Die wirtschaftliche Existenzform des Neoliberalismus hat sich mehr und mehr in globalisierte virtuelle Bereiche verlagert, die vom Leben der übrigen Menschen völlig abgehoben und diesen unzugänglich sind. Geld »macht« man nicht mehr in erster Linie mit der Produktion von Gütern (die in ärmere Länder ausgelagert wurde), sondern an der Börse im Spiel mit dem Geld, das man unter Umständen gar nicht hat, sondern ausleiht, und dieses Machen vollzieht sich in digitalisierter Echtzeit, man setzt an einem Ort ein, zockt an einem anderen ab (oder verliert), alles in Windeseile, »à la vitesse de l’immédiat«, schwindelerregend für jeden Außenstehenden.
Schon im Jahr 2000 verglich der Informatiker Joseph Weizenbaum den Finanzkapitalismus mit einem einzigen riesigen Spielkasino, wo durch Spekulation Geldwerte in einem Umfang angehäuft werden, welche die Budgets der Staaten weit übersteigen: »Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß die Regierungen und Banken der großen Nationen heute zusammen weniger Geld zur Verfügung haben als die international operierenden Spekulantenkreise.« Hinzuzufügen wäre, daß das Börsenspiel die Akteure süchtig macht, so daß zwangsläufig immer größere Vermögen angehäuft werden und das System sich immer mehr verfestigt. Es gibt kein Entkommen! Gier ist keine ethische Kategorie, sondern ein wesentliches Merkmal des Neoliberalismus, seine conditio sine qua non. Die Regierungen, so Weizenbaum weiter, hätten auf dieses Geschehen immer weniger Einfluß, die wirtschaftliche Stabilität einzelner Länder und, da sie alle vernetzt sind, der ganzen Welt könne daher schnell einmal ins Trudeln geraten. Genau das ist 2008 geschehen. Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen, aber dem Finanzkapitalismus wirklich Grenzen zu setzen und ihn zu regulieren, davor sind die neoliberal denkenden Regierungen, welchen politischen Lagers auch immer, zurückgeschreckt.