An­dré Dhô­tel: Ber­nard der Faul­pelz

»Ber­nard ar­bei­te­te in ei­nem Bü­ro im er­sten Stock der Fir­ma Bar­rau­dat. Ber­nard Cas­min war der Sohn ei­nes Volks­schul­leh­rers, der im Dé­part­ment Som­me ge­ar­bei­tet hat­te und dort nun im Ru­he­stand leb­te. Er hat­te sie­ben Brü­der, die al­le­samt recht gut da­stan­den.« So be­ginnt An­dré Dhô­tels 1952 erst­ma­lig in Frank­reich er­schie­ne­ner Ro­man »Ber­nard der Faul­pelz«. Ber­nard galt als ...

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Schwar­ze Blu­men? Wei­ße Blu­men? Blaue Blu­men!

»Das Licht spielt auf je­der Haut an­ders; bei je­dem Men­schen, in je­dem Mo­nat und an je­dem Tag.« (Yo­ko Ta­wa­da)

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Phil­ip Roth hat das al­les kom­men se­hen, als er ge­gen En­de des 20. Jahr­hun­derts Der mensch­li­che Ma­kel schrieb. In die­sem Ro­man, dem drit­ten Teil sei­ner »ame­ri­ka­ni­schen Tri­lo­gie«, gibt sich ein jun­ger, re­la­tiv hell­häu­ti­ger Afro-Ame­ri­ka­ner na­mens Co­le­man Silk 1944 bei der US-Ar­mee als Wei­ßer aus und bleibt bis zum En­de sei­nes Le­bens bei die­ser Lü­ge. Im ame­ri­ka­ni­schen Eng­lisch be­zeich­net man ei­nen sol­chen Schritt, der in der Wirk­lich­keit gar nicht so sel­ten vor­kam, als pas­sing. Nach sei­nem Tod im Jahr 1998 be­merkt Co­lem­ans (dun­kel­häu­ti­ge­re) Schwe­ster im Ge­spräch mit dem Er­zäh­ler, daß En­de des 20. Jahr­hun­derts »kein in­tel­li­gen­ter Ne­ger aus der Mit­tel­schicht« die ras­si­sche Selbst­zu­ord­nung wech­seln wür­de. »Heu­te ist es nicht vor­teil­haft, so et­was zu tun, so wie es da­mals eben sehr wohl vor­teil­haft war.«

Wenn schon pas­sing , dann in die an­de­re Rich­tung. Aus Weiß mach Schwarz oder ei­ne an­de­re Far­be, war­um nicht Rot – das könn­te doch vor­teil­haft sein, wenn es dar­um geht, ein Uni­ver­si­täts­sti­pen­di­um oder Wäh­ler­stim­men zu be­kom­men. So mach­ten es die de­mo­kra­ti­sche Po­li­ti­ke­rin Eliza­beth War­ren, die be­haup­te­te, in­dia­ni­sche Vor­fah­ren zu ha­ben, oder die Hi­sto­ri­ke­rin Jes­si­ca Krug, die sich un­ter an­de­rem als Afro-Pu­er­to­ri­ka­ne­rin aus­gab, oder die Künst­le­rin und Po­lit­ak­ti­vi­stin Ra­chel Do­le­zal, die mitt­ler­wei­le als Fri­sö­rin jobbt, nach­dem ihr Be­trug als »schwar­ze« Stu­den­tin an der tra­di­tio­nell afro-ame­ri­ka­ni­schen Ho­ward Uni­ver­si­ty auf­ge­flo­gen war. Wenn man es als Be­trug auf­fas­sen will, denn Do­le­zal selbst meint, ras­si­sche Zu­ge­hö­rig­keit – den Ame­ri­ka­nern geht das Wort »race« leicht über die Lip­pen – sei kei­ne bio­lo­gi­sche Fra­ge, son­dern ei­ne der per­sön­li­chen Ent­schei­dung und der So­zia­li­sie­rung.

Do­le­zal ist üb­ri­gens jü­di­scher Her­kunft. In Eu­ro­pa, be­son­ders in Deutsch­land und Öster­reich, wur­den Ju­den aus ras­si­schen Grün­den ver­folgt und schließ­lich er­mor­det. In den USA gel­ten sie als »weiß«, und sie selbst se­hen sich wohl mei­stens auch so. Co­le­man Silk, der Held in Phil­ip Roths Ro­man, gibt sich nicht als ir­gend­ein Wei­ßer aus, son­dern als Ju­de. Und zu­fäl­lig hat auch er an der Ho­ward Uni­ver­si­ty stu­diert, wenn­gleich nur ei­ne Wo­che lang, vor sei­nem Ein­tritt in die Na­vy. Er hielt den Ras­sis­mus im da­ma­li­gen Wa­shing­ton D. C. nicht aus und ent­zog sich dem bren­nen­den Wunsch sei­nes Va­ters, ei­nes »be­ken­nen­den« Schwar­zen, an die­ser Uni­ver­si­tät zu stu­die­ren. In sei­nen letz­ten Le­bens­jah­ren wird Co­le­man auf pa­ra­do­xe Wei­se von sei­ner Her­kunft ein­ge­holt. Nach­dem er lan­ge Zeit De­kan ei­ner klei­ne­ren Uni­ver­si­tät ge­we­sen ist, wird ihm der Vor­wurf des Ras­sis­mus ge­macht, und dar­über ver­liert er sei­ne (jü­di­sche) Frau und sei­ne Stel­lung am Col­lege. Iro­nie des Schick­sals, Iro­nie der ame­ri­ka­ni­schen Ge­schich­te. Der sy­ste­mi­sche An­ti­ras­sis­mus ist ras­si­stisch ge­wor­den und bringt ei­nen Mann mit afro-ame­ri­ka­ni­schen Wur­zeln zu Fall.

Who­o­pi Gold­berg, die dun­kel­häu­ti­ge Schau­spie­le­rin, ist nicht ras­si­stisch, sie ist nur et­was na­iv und viel­leicht, im Un­ter­schied zu Co­le­man Silk, nicht sehr ge­bil­det. Die Ver­fol­gung der Ju­den durch die Na­zis sei ein Pro­blem un­ter Wei­ßen ge­we­sen, sag­te sie An­fang 2022 in ih­rer TV-Show. Nun ja, vie­le Ju­den ha­ben ei­ne eher hel­le Haut­far­be – und für Gold­berg ist »Ras­se« gleich­be­deu­tend mit Haut­far­be. Ihr Fa­mi­li­en­na­me klingt deutsch-jü­disch, doch ih­re Vor­fah­ren, so­weit man et­was über sie weiß, wa­ren Afro-Ame­ri­ka­ner. Fünf Jah­re zu­vor ko­ket­tier­te sie in ei­nem In­ter­view mit ih­rem Jü­disch-Sein; sie spre­che oft zu Gott, sag­te sie, ließ aber of­fen, zu wel­chem.

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Jo­sef Braml: Die trans­at­lan­ti­sche Il­lu­si­on

Josef Braml: Die transatlantische Illusion
Jo­sef Braml: Die
trans­at­lan­ti­sche Il­lu­si­on

»Die trans­at­lan­ti­sche Il­lu­si­on« von Jo­sef Braml war be­reits vor dem Ein­marsch rus­si­scher Trup­pen in der Ukrai­ne ein Best­sel­ler. Der Ver­lag leg­te An­fang März mit ei­ner zwei­ten, ak­tua­li­sier­ten Auf­la­ge nach, in der das Er­eig­nis vom 24. Fe­bru­ar ein­ge­ar­bei­tet wur­de. Braml wird als Ge­ne­ral­se­kre­tär der »Tri­la­te­ra­len Kom­mis­si­on« vor­ge­stellt, ei­ner so­ge­nann­ten Denk­fa­brik (»Thinktank« – bö­se über­setzt mit »Denk­pan­zer«), der – wie dies mit den mei­sten Or­ga­ni­sa­tio­nen die­ser Art so üb­lich zu sein scheint – ei­ni­ge My­then ob ih­rer Aus­wir­kun­gen und Di­men­sio­nen an­haf­ten.

Ent­ge­gen der Er­war­tung, die man nach dem Vor­wort an den Ti­tel hegt, geht es al­ler­dings nicht nur um Si­cher­heits- und Ver­tei­di­gungs­po­li­tik. Der Er­folg des Bu­ches dürf­te sich auch der de­zi­diert kri­ti­schen Sicht auf die USA ver­dan­ken. In fast be­schwö­ren­dem Ton wird aus­ge­führt, dass sich Eu­ro­pa nicht län­ger der »trans­at­lan­ti­schen Il­lu­si­on« hin­ge­ben dür­fe. Die USA, so die The­se, wer­den in na­her Zu­kunft nicht mehr als »Schutz­macht« für »Si­cher­heit und Wohl­stand der Al­ten Welt« zur Ver­fü­gung ste­hen, weil sich der geo­stra­te­gi­sche Fo­kus auf den In­do-pa­zi­fi­schen Raum, ins­be­son­de­re, Chi­na kon­zen­trie­re. Aber eben auch, weil die Ver­ei­nig­ten Staa­ten sel­ber nicht mehr ei­ne sta­bi­le Macht dar­stel­len.

Als Be­leg hier­für wird der »ame­ri­ka­ni­sche Pa­ti­ent« ei­ner ge­nau­en Un­ter­su­chung un­ter­zo­gen. Nichts wird aus­ge­las­sen. Et­wa die un­zu­läs­si­gen au­ßen­po­li­ti­schen Ein­mi­schun­gen seit den 1950er Jah­ren vor al­lem in Süd­ame­ri­ka (Gua­te­ma­la, Chi­le) und im Na­hen und Mitt­le­ren Osten (von Mossadegh/Iran 1953 bis in die Ge­gen­wart). Als Tief­punkt wird der völ­ker­rechts­wid­ri­ge und mit Lü­gen un­ter­füt­ter­te Irak­krieg 2003 her­aus­ge­stellt. Im­mer­hin wür­den die Af­fä­ren und Miss­grif­fe der Au­ßen­po­li­tik im Nach­hin­ein min­de­stens teil­wei­se öf­fent­lich auf­ge­ar­bei­tet – an­ders als et­wa in Dik­ta­tu­ren.

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Bo­ris Ba­scha­now: Ich war Sta­lins Se­kre­tär

Boris Baschanow: Ich war Stalins Sekretär
Bo­ris Ba­scha­now: Ich war Sta­lins Se­kre­tär

Seit Be­ginn der rus­si­schen In­va­si­on in der Ukrai­ne sind die Twit­ter-Th­reads des Jour­na­li­sten Ka­mil Ga­leev ei­ne viel­fach ge­nutz­te Quel­le. Ga­leev be­treu­te u. a. im Wil­son-Cen­ter ein Pro­jekt über den rus­si­schen Na­tio­na­lis­mus wäh­rend der Pu­tin-Ära. Er ver­fass­te auch Ar­ti­kel für die op­po­si­tio­nel­le Mos­kau­er Zei­tung »No­va­ya Ga­ze­ta«. So­wohl sei­nen Aus­füh­run­gen zur rus­si­schen Ge­schich­te als auch die Ein­las­sun­gen zur ak­tu­el­len po­li­ti­schen, de­mo­gra­phi­schen und öko­no­mi­schen La­ge im Pu­tin-Russ­land sind lu­zi­de. Er zeich­net be­hut­sam hi­sto­ri­sche Ana­lo­gien oh­ne jour­na­li­stisch-ein­fa­che Gleich­heits­zei­chen zu set­zen. Da­bei zeigt er, dass Pu­tins Han­deln in ge­wis­sen Tra­di­tio­nen in der rus­si­schen bzw. so­wje­ti­schen Ge­schich­te steht. Ei­ne all­ge­gen­wär­ti­ge Par­al­le­le scheint Jo­sef Sta­lin zu sein. Sehr früh wies Ga­leev auf das Buch »Ich war Sta­lins Se­kre­tär« von Bo­ris Ba­scha­now hin und emp­fahl es sei­nen Le­sern als Lek­tü­re; un­ter an­de­rem um die rus­si­sche Bü­ro­kra­tie (und de­ren In­ef­fek­ti­vi­tät) zu ver­ste­hen. Aber es geht auch um die Ver­deut­li­chung von Macht­struk­tu­ren in­ner­halb ei­nes au­to­ri­tä­ren Sy­stems aus er­ster Hand. Ver­bun­den ist dies mit dem Des­in­ter­es­se der po­li­ti­schen Ak­teu­re über die Le­bens­si­tua­ti­on der Be­völ­ke­rung – da­mals wie heu­te.

Ba­scha­now, 1900 ge­bo­ren, trat vol­ler Über­zeu­gung 1919 in die Par­tei ein. Durch glück­li­che Um­stän­de und weil man sein Or­ga­ni­sa­ti­ons­ta­lent schät­ze wur­de er 1923 als Se­kre­tär in das Po­lit­bü­ros be­ru­fen. Er war rasch pri­vi­le­giert; von al­len Se­kre­tä­ren war er der ein­zi­ge, der re­gel­mä­ssig bei den Sit­zun­gen der so­ge­nann­ten »Troi­ka« (Sta­lin, Si­no­wjew und Ka­men­ew) und spä­ter im Po­lit­bü­ro da­bei war.

Ga­leev be­schreibt in sei­nem Twit­ter-Strang vor al­lem Sze­ne, als Ba­scha­now Sta­lins heim­li­che Ab­hör­an­la­ge ent­deckt. Er konn­te bei Fra­gen oh­ne zu Klop­fen in Sta­lins Bü­ro ein­tre­ten und be­kam mit, dass die­ser wäh­rend er war­te­te, ei­nen Te­le­fon­hö­rer in der Hand hat­te, aber nie sprach. Sta­lin be­merk­te nun, dass Ba­scha­now dies mit­be­kom­men hat­te. Es wuss­ten nur sehr we­ni­ge Per­so­nen von die­ser Mög­lich­keit, den kreml­in­ter­nen Te­le­fon­ver­kehr (der vom nor­ma­len Te­le­fon­netz oh­ne­hin ab­ge­kop­pelt war) mit­zu­hö­ren. Sta­lin hat­te ein wich­ti­ges In­stru­ment, um sei­ne Säu­be­run­gen durch­zu­füh­ren. Die­se ge­scha­hen oft­mals nicht so­fort, aber Sta­lin ver­gaß nie; es konn­te Jah­re dau­ern, bis er sich räch­te. Der tsche­chi­sche Kom­mu­nist, der half, die­se Ab­hör­an­la­ge zu in­stal­lie­ren, wur­de al­ler­dings, wie Ba­scha­now be­rich­tet, kurz dar­auf um­ge­bracht.

Die Sze­ne macht neu­gie­rig und ich be­sorg­te mir das Buch, wel­ches in deut­scher Über­set­zung im Ull­stein-Ver­lag 1977 er­schie­nen war, an­ti­qua­risch für knapp 20 Eu­ro. In­zwi­schen kur­sie­ren lei­der auf den ent­spre­chen­den Por­ta­len nur noch sehr ho­he Prei­se (jen­seits 50 Eu­ro).

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Szc­ze­pan Twar­doch: De­mut

Alo­is Po­ko­ra, 1891 in Ober­schle­si­en ge­bo­ren, Leut­nant des Schle­si­schen Pio­­nier-Ba­tail­­­lons Nr. 6, kämpft am 23. Ok­to­ber 1918 um drei Uhr sie­ben­und­zwan­zig ir­gend­wo in Flan­dern für den Deut­schen Kai­ser. Er ist längst des­il­lu­sio­niert, was den Krieg an­geht und schwärmt bis­wei­len von der letz­ten Be­geg­nung mit sei­ner Lie­be Agnes, sechs Mo­na­te zu­vor. Jetzt ist er im Schüt­zen­gra­ben ...

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Uwe Tell­kamp: Der Schlaf in den Uh­ren

Uwe Tellkamp: Der Schlaf in den Uhren
Uwe Tell­kamp: Der Schlaf in den Uh­ren

Für ei­nen kur­zen Mo­ment schien die Welt der deut­schen Li­te­ra­tur in Ord­nung. Es war ein Ok­to­ber­tag im Jahr 2008 und Uwe Tell­kamp war mit dem da­mals noch recht neu kon­zi­pier­ten »Deut­schen Buch­preis« für sei­nen Ro­man »Der Turm« aus­ge­zeich­net wor­den. Die Lo­be über­schlu­gen sich und vie­le Kri­ti­ker wa­ren sich si­cher, end­lich DEN Wen­de­ro­man vor sich zu ha­ben. Auch die eher seich­te Ver­fil­mung vier Jah­re spä­ter, die ei­ni­ge Zeit lang zu den ent­spre­chen­den Ge­denk­da­ten im öf­fent­lich-recht­li­chen Fern­se­hen wie­der­holt wur­de, konn­te den Ruf des Ro­mans nicht we­sent­lich er­schüt­tern.

Am Schluss des Ro­mans war ein Dop­pel­punkt – der Au­gen­blick, als Uh­ren schlu­gen, der 9. No­vem­ber, und Chri­sti­an Hoff­mann, Sohn des Arz­tes Ri­chard Hoff­mann, zur Zeit der Wen­de Wehr­dienst­pflich­ti­ger, nä­her­te sich mit mul­mi­gen Ge­fühl den De­mon­stran­ten. Kommt der Be­fehl, auf sei­ne Lands­leu­te zu schie­ßen? Wie geht es wei­ter? Was ge­schieht mit den Hoff­manns, der Ober­schicht in der DDR?

Die Un­ge­duld wuchs; An­kün­di­gun­gen kün­dig­ten Ver­schie­bun­gen und neue An­kün­di­gun­gen an. 2015 war das Land mit der so­ge­nann­ten Flücht­lings­kri­se be­schäf­tigt. Uwe Tell­kamp war mit der Po­li­tik der Kanz­le­rin nicht ein­ver­stan­den. Er sag­te dies auch. Im Ge­spräch mit Durs Grün­bein im Jahr 2018. Der Suhr­kamp-Ver­lag di­stan­zier­te sich per Tweet von sei­nem Au­tor, was ein merk­wür­di­ges Ver­ständ­nis zeigt.

Von nun an wur­de die Ver­zö­ge­rung des neu­en Ro­mans von Ge­rüch­ten be­glei­tet. Ge­nießt Tell­kamp noch die Un­ter­stüt­zung des Ver­lags? Es er­schie­nen Aus­schnit­te aus sei­nem Ro­man; Ar­beits­text »La­va«. Tell­kamp galt jetzt als »rechts« – weit­ge­hend be­grün­det auf ei­ner Aus­sa­ge aus der Grün­bein-Dis­kus­si­on und sei­ner Freund­schaft zur Buch­händ­le­rin Su­san­ne Da­gen, die seit ih­rer Pu­bli­ka­ti­ons­rei­he »Exil« und di­ver­sen Ver­an­stal­tun­gen mit dem Ti­tel »Mit Rech­ten le­sen« zur Pa­ria des Dresd­ner Kul­tur­be­triebs – und dar­über hin­aus – wur­de.

2020 riss der Ge­dulds­fa­den des Feuil­le­tons. Man be­frag­te so­ge­nann­te In­tel­lek­tu­el­le, was sie von Tell­kamps neu­em Ro­man hiel­ten. Wohl ge­merkt, der Ro­man exi­stier­te nur in der Werk­statt des Au­tors, viel­leicht teil­wei­se be­reits im Lek­to­rat des Ver­lags. Nie­mand wuss­te Ge­nau­es. Aber das hielt ei­ni­ge nicht da­von ab, fer­ti­ge Ur­tei­le zu prä­sen­tie­ren. Alei­da Ass­mann et­wa, die fest­zu­stel­len glaub­te, dass aus dem einst »Auf­rech­ten« ein »Rech­ter« ge­wor­den sei. Bar je­der Kennt­nis des Ma­nu­skrip­tes gab sie Rat­schlä­ge an den de­si­gnier­ten Ver­lag: »Wenn er [Tell­kamp] tut, was der Ti­tel des neu­en Ro­mans ver­spricht, näm­lich glü­hen­de La­va über das Land zu gie­ßen, dann wird man ihn dar­an nicht hin­dern kön­nen. An­ders als in der DDR herrscht kei­ne Zen­sur mehr, Kunst- und Mei­nungs­frei­heit sind in der De­mo­kra­tie ein Bür­ger­recht. Man muss sich al­ler­dings fra­gen, durch wel­chen Vul­kan, sprich Ver­lag, die­se La­va sich er­gie­ßen soll.« Ihr Fu­ror stei­ger­te sich: »Zu ei­nem Zeit­punkt, wo sich in der Ge­sell­schaft Hass, An­ti­se­mi­tis­mus und Ge­walt mit der Ge­schwin­dig­keit des Co­ro­na­vi­rus aus­brei­ten, muss der Suhr­kamp-Ver­lag kei­nen Brand­be­schleu­ni­ger auf den Markt wer­fen.« Wie kann man sich noch mehr de­mon­tie­ren?

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Pe­ter Hand­ke: In­ne­re Dia­lo­ge an den Rän­dern

Seit 1977 ver­öf­fent­licht Pe­ter Hand­ke Jour­na­le. Es han­delt sich um ei­ne Aus­wahl aus sei­nen sehr viel um­fang­rei­che­ren No­tiz­bü­chern Die ver­wen­de­ten Ein­trä­ge wer­den für die Pu­bli­ka­ti­on bis­wei­len leicht be­ar­bei­tet. 2016 er­schien mit »Vor der Baum­schat­ten­wand nachts« ei­ne Aus­wahl der No­ti­zen von 2007 bis En­de 2015, die mit Zeich­nun­gen des Au­tors er­gänzt wur­den. Und nun, wie­der­um zeit­nah, ...

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Hei­ke Geiß­ler: Die Wo­che

Heike Geißler: Die Woche
Hei­ke Geiß­ler: Die Wo­che

Der Ro­man »Die Wo­che« von Hei­ke Geiß­ler ist die Lang­form ei­nes im Som­mer 2021 beim In­ge­borg-Bach­mann-Preis ge­le­se­nen Tex­tes mit dem glei­chen Na­men. Die Ich-Er­zäh­le­rin (ein­mal nur »H.« ge­nannt) und ih­re Freun­din, Con­stan­ze, han­geln sich durch ein Leip­zig, wel­ches sie be­stimmt se­hen durch die mon­täg­li­chen »Pegida«-Demonstrationen. Ir­gend­wann scheint im­mer Mon­tag zu sein; die an­de­ren Wo­chen­ta­ge ver­schwin­den. Die bei­den, um die 40 und noch in der DDR so­zia­li­siert, sind bei den Ge­gen­de­mon­stran­ten und be­zeich­nen sich im Über­schwang auch schon ein­mal als »pro­le­ta­ri­sche Prin­zes­sin­nen«. Wäh­rend Con­stan­ze dem Be­ruf der »Pro­duk­ti­ons­as­si­sten­tin« nach­zu­ge­hen scheint (oder schien), ist H. Mut­ter von zwei Kin­dern. Ne­ben den De­mos be­sucht man Fit­ness­stu­di­os (da­bei wird ge­ach­tet, dass man bei ei­ner Übung nicht den rech­ten Arm he­ben muss – es könn­te ja ein Hit­ler­gruß sein) und un­ter­nimmt Rei­sen – nach Frei­berg, Pa­ris, Rom oder Zü­rich.

Ge­fühlt be­ginnt je­der zwei­te Satz in dem Buch mit ei­nem agi­ta­to­ri­schen »wir«, was na­tür­lich Dy­na­mik, Kampf­geist und die rich­ti­ge Hal­tung aus­drücken soll. Tat­säch­lich wird ei­nem die­ser zwi­schen Po­lit­sprech der 1980er Jah­re und Pseu­doi­ro­nie chan­gie­ren­de Duk­tus schnell ran­zig. Man­ches ist noch sorg­sam ge­drech­selt wie »Wir wol­len kei­ne Waf­fen ha­ben, aber Waf­fen sein.« Oder »Wir ste­hen am Rand ei­nes Krie­ges« (was in An­be­tracht der ak­tu­el­len La­ge deut­lich macht, welch’ ein Un­sinn das ist). Und ir­gend­wann, wenn man längst auf­ge­ge­ben hat, je­den Schmar­ren in die­sem Buch an­zu­strei­chen, soll man auch noch das ka­putt ma­chen, was ei­nem ka­putt macht und ja, das ist lu­stig ge­meint, aber vor lau­ter Gäh­nen blieb mir das La­chen im Hals stecken. Si­cher, es geht auch ori­gi­nell (»Wir ha­ben die Welt auf­ge­ge­ben, aber das wis­sen wir noch nicht.«) und bis­wei­len auch selbst­kri­tisch zu (»Wir neh­men uns selbst zur Brust«). Da ist Pa­thos (»Wir hal­ten der Welt­po­li­tik und der Lo­kal­po­li­tik un­se­re Träu­me ent­ge­gen.«), Trotz (»Wir hö­ren der Welt nicht mehr zu.«), Ver­zweif­lung (»Wir sind re­kon­va­les­zent.«), Wut (»Wir zie­hen wei­ter. Wir räu­men jetzt auf.«) und deut­sche Frie­dens­be­we­gungs­tra­di­ti­on (»Wir schrei­ben jetzt auf Bett­la­ken«).

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