»Das Licht spielt auf jeder Haut anders; bei jedem Menschen, in jedem Monat und an jedem Tag.« (Yoko Tawada)
Philip Roth hat das alles kommen sehen, als er gegen Ende des 20. Jahrhunderts Der menschliche Makel schrieb. In diesem Roman, dem dritten Teil seiner »amerikanischen Trilogie«, gibt sich ein junger, relativ hellhäutiger Afro-Amerikaner namens Coleman Silk 1944 bei der US-Armee als Weißer aus und bleibt bis zum Ende seines Lebens bei dieser Lüge. Im amerikanischen Englisch bezeichnet man einen solchen Schritt, der in der Wirklichkeit gar nicht so selten vorkam, als passing. Nach seinem Tod im Jahr 1998 bemerkt Colemans (dunkelhäutigere) Schwester im Gespräch mit dem Erzähler, daß Ende des 20. Jahrhunderts »kein intelligenter Neger aus der Mittelschicht« die rassische Selbstzuordnung wechseln würde. »Heute ist es nicht vorteilhaft, so etwas zu tun, so wie es damals eben sehr wohl vorteilhaft war.«
Wenn schon passing , dann in die andere Richtung. Aus Weiß mach Schwarz oder eine andere Farbe, warum nicht Rot – das könnte doch vorteilhaft sein, wenn es darum geht, ein Universitätsstipendium oder Wählerstimmen zu bekommen. So machten es die demokratische Politikerin Elizabeth Warren, die behauptete, indianische Vorfahren zu haben, oder die Historikerin Jessica Krug, die sich unter anderem als Afro-Puertorikanerin ausgab, oder die Künstlerin und Politaktivistin Rachel Dolezal, die mittlerweile als Frisörin jobbt, nachdem ihr Betrug als »schwarze« Studentin an der traditionell afro-amerikanischen Howard University aufgeflogen war. Wenn man es als Betrug auffassen will, denn Dolezal selbst meint, rassische Zugehörigkeit – den Amerikanern geht das Wort »race« leicht über die Lippen – sei keine biologische Frage, sondern eine der persönlichen Entscheidung und der Sozialisierung.
Dolezal ist übrigens jüdischer Herkunft. In Europa, besonders in Deutschland und Österreich, wurden Juden aus rassischen Gründen verfolgt und schließlich ermordet. In den USA gelten sie als »weiß«, und sie selbst sehen sich wohl meistens auch so. Coleman Silk, der Held in Philip Roths Roman, gibt sich nicht als irgendein Weißer aus, sondern als Jude. Und zufällig hat auch er an der Howard University studiert, wenngleich nur eine Woche lang, vor seinem Eintritt in die Navy. Er hielt den Rassismus im damaligen Washington D. C. nicht aus und entzog sich dem brennenden Wunsch seines Vaters, eines »bekennenden« Schwarzen, an dieser Universität zu studieren. In seinen letzten Lebensjahren wird Coleman auf paradoxe Weise von seiner Herkunft eingeholt. Nachdem er lange Zeit Dekan einer kleineren Universität gewesen ist, wird ihm der Vorwurf des Rassismus gemacht, und darüber verliert er seine (jüdische) Frau und seine Stellung am College. Ironie des Schicksals, Ironie der amerikanischen Geschichte. Der systemische Antirassismus ist rassistisch geworden und bringt einen Mann mit afro-amerikanischen Wurzeln zu Fall.
Whoopi Goldberg, die dunkelhäutige Schauspielerin, ist nicht rassistisch, sie ist nur etwas naiv und vielleicht, im Unterschied zu Coleman Silk, nicht sehr gebildet. Die Verfolgung der Juden durch die Nazis sei ein Problem unter Weißen gewesen, sagte sie Anfang 2022 in ihrer TV-Show. Nun ja, viele Juden haben eine eher helle Hautfarbe – und für Goldberg ist »Rasse« gleichbedeutend mit Hautfarbe. Ihr Familienname klingt deutsch-jüdisch, doch ihre Vorfahren, soweit man etwas über sie weiß, waren Afro-Amerikaner. Fünf Jahre zuvor kokettierte sie in einem Interview mit ihrem Jüdisch-Sein; sie spreche oft zu Gott, sagte sie, ließ aber offen, zu welchem.