(← 4/11)
Thomas Piketty hat neuerdings eine Menge Details zur Analyse und Kritik des heutigen Kapitalismus beigetragen und so die empirische Grundlage für Überlegungen gestärkt, die Forrester oft ein wenig obenhin anstellte.1 Mit Zustimmung lese ich bei Forrester die Kennzeichnung des Neoliberalismus als Denkform, oder besser gesagt: als trojanisches Pferd, das sich unmerklich über die Jahre hinweg in die Gehirne, die Gewohnheiten, die Werte (und den Verzicht auf Werte), das zwischenmenschliche Verhalten eingeschlichen hat. Erst aufgrund dieser jahrelangen, mehr oder minder sanften, ideologiefreien Indoktrinierung wurde es möglich, daß Gestalten wie der Immobilienhai Donald Trump oder der Medienmogul Silvio Berlusconi ans Ruder der Staatsmacht kamen. Sie verkörpern jenes neoliberale Persönlichkeitsmodell, das weite Teile der Bevölkerung hochachten und dem sie nachstreben. Die nicht deklarierte Gewalt der neoliberalen Ideologie war »so effizient, daß sich die politische und wirtschaftliche Landschaft vor den Augen aller, doch ohne ihr Wissen, tiefgreifend änderte, ohne daß dadurch ihre Aufmerksamkeit oder gar Sorge geweckt worden wäre.« Die Rede ist von den achtziger und frühen neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. »Das neue planetarische Schema«, fährt Forrester fort, »setzte sich unbemerkt durch und konnte so unser Leben beherrschen, ohne daß dies irgendjemandem auffiel, außer natürlich den ökonomischen Kräften, die es lanciert hatten.«
Während der Lektüre habe ich mich daran erinnert, daß ich ähnliches schon anderswo gelesen hatte, rhetorisch gebündelte Formeln dieser Art. Und bei wem? Da brauchte ich nicht lange zu schürfen: bei Theodor W. Adorno natürlich. In seiner düsteren Dialektik der Aufklärung, deren radikaler Pessimismus geprägt ist durch die Erfahrungen von Weltkrieg und Judenvernichtung, die er und sein Freund Horkheimer mit der instrumentellen, technikorientierten Vernunft kurzschlossen, wie sie sie in den USA vorfanden. Der unausgesprochene, aber umso wirksamere, alles durchdringende »Primat der Ökonomie« übe seinen strukturellen Zwang auf das Leben der Individuen aus, heißt es in den Minima Moralia, Adornos »Reflexionen aus dem beschädigten Leben« (so der Untertitel). Die Welt, schrieb Adorno damals, sei »das System des Grauens« – er meinte offensichtlich nicht eines von zwei oder drei Systemen (Kapitalismus, Kommunismus, Faschismus), sondern jede Art von Vergesellschaftung, gegen die sich nur die Individuen, die Einzelnen, erheben können; aber auch sie können es nun nicht mehr, weil sie dem ins Netz gehen, was Adorno zunächst als Kulturindustrie definierte und späterhin auch beschreiben und analysieren sollte. Die Ökonomie ist ins Geistige vorgedrungen und affiziert es, so daß es »unwesentlich«, kontingent, bloßer Schein wird. Noch eine Weile später, nach Adornos Tod, wird diese Diagnose/Prognose durch jene Spaßindustrie und verallgemeinerte Ironie zur Vollendung gebracht werden, an der sich die meisten Intellektuellen mit Freuden beteiligt haben. Die Lüge wird zum Platzhalter der Wahrheit: Adorno dixit.
»Halt!« rufe ich bei so viel rhetorischem Schwung und gebiete auch mir selbst Einhalt. Hat nicht schon Karl Marx das Primat der Materie über das Bewußtsein, der Ökonomie über die Kultur diagnostiziert, oft sogar mit einer Art Zustimmung, wo nicht Freude, schließlich war die Ökonomie jahrelang sein Forschungsgebiet. Eine gewisse Emanzipierung zeichnete sich auch innerhalb des Marxschen Denkens nur in einer sehr weit gezogenen Perspektive des utopischen Kommunismus ab: »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!« lautet das schöne Kindermärchen. Also gemach, gemach… Mag sein, daß die Wirtschaft bestimmt, was wir denken, aber wir können uns Freiräume bewahren und diese Beziehung, vielleicht sogar die Wirtschaft selbst, aktiv gestalten, beeinflussen, am Ende sogar: den Spieß umdrehen. Das Ergebnis wäre eine Politik, die sich dem Neoliberalismus nicht unterwirft, sondern ihm Grenzen setzt. Ich rede hier nicht von Revolution; beide Seiten, hier die Kultur, dort die Wirtschaft, wären selbständig und könnten koexistieren.
Davon sind wir aber weit entfernt, die Entwicklung ist seit 1996 in die Gegenrichtung verlaufen. Die Zwänge der Ökonomie sind seit der letzten Jahrhundertwende noch viel stärker geworden, die Freiräume enger, obwohl es mehr Möglichkeiten als früher gäbe, sie zu erweitern. Die rhetorisch vorgetragenen Prognosen Forresters haben sich erfüllt wie in der Nachkriegszeit Adornos Prognosen zur Kulturindustrie, und diese beiden Entwicklungsstränge hängen eng zusammen, im Grunde genommen sind es zwei Seiten einer Medaille, zusammen erzählen sie den Roman des Spätkapitalismus. Erst die Industrialisierung und Kommerzialisierung der Kultur hat es dem kapitalistischen System ermöglicht, den Zugriff auf die Einzelnen so lückenlos zu praktizieren, wie es heute der Fall ist, und das Alltagsleben zu einem Mix aus sanfter Kontrolle und schrankenloser Unterhaltung zu machen. La vita è bella!
© Leopold Federmair
"Die Frage der Verteilung der Reichtümer ist zu wichtig, um allein den Ökonomen, Soziologen, Historikern und anderen Denkern überlassen zu werden", schreibt Piketty in der Einleitung zu Das Kapital im 21. Jahrhundert. "Sie interessiert jedermann, und das ist gut so." Diese Frage werde immer eine eminent subjektive und psychologische, politische, konfliktuelle Dimension haben, "die keine vorgeblich wissenschaftliche Analyse ruhigstellen kann. Zum Glück wird die Demokratie niemals durch die Expertenrepublik ersetzt werden." ↩
La vita è bella!, meinte auch Roberto Begnini, mit einem erstaunlichen Sinn für Tragik. Vielleicht hat das versponnene Wort von Angela Merkel ja doch Gewicht: Es gibt keine Alternative! Wenn das nicht mal die Bekräftigung eines defätistischen Heldentums ist...
Ehrlich gesagt, bin ich bei der ästhet-historischen Deutung unserer Lebensumstände überfragt: Vieles deutet auf Tragik hin, vieles auf die Farce (die Spaßgesellschaft ohne Ambitionen). Die Ironie wäre die Geste des Philosophen, und das Schauermärchen das Erziehungsmittel der Gouvernante. Jeder kann nach äußerlichen Maßstäben erkennen, wer die Leute sind, die profitieren, aber eine wirkungsvolle Kritik der Ökonomie ist noch niemanden gelungen. Piketty kämpft erkennbar gegen den falschen Schein... Gibt es denn auch einen wahren Schein, würde Colonel Nathan R. Jessup (alias Jack Nicholson) zynisch entgegnen?!
Die Kultur wird erkennbar zum Widersacher der Ökonomie, aber sie befindet sich zugleich auch in permanenter Abhängigkeit von der Politik. Jedenfalls grob gesprochen. Tatsächlich gibt es aber ein »Tal der Freiheit« zwischen den beiden Gebirgsmassiven, wo wir die gelungenen Lebensweisen finden. Das hat etwas Episches, würde ich sagen...
Theodor W. Adorno, Leopold Federmair, hat einerseits die wuchtige, geradezu alttestamentarische Verhängnisrede gepflegt, aber – andererseits musste er die Zuhörer und Leserinnen leben und lieben und hoffen und heucheln lassen – und ja auch für sich den Weg in die Wahlkabine z. B. offenhalten, wo er lt. Dr. Habermas (ganz bescheiden, werf’ ich ein) sein Kreuzlein – - – wer hätte das gedacht? – - – bei der SPD machte.
Also: Die Welt ist das System des Grauens, das ist das alte Testament – und dann kommt der sozusagen jesuanisch getönte Nachsatz, den Sie nicht hättn weglassen sulln, nedwoah, dass man ihr aber gleichwohl zu viel Ehre antäte, wenn man sie »ganz als System« würde denken wollen. – - –
– - – Wenn Du glaubst, es geht nicht mehr (= System des Grauens, die Kulturindustrie, der »Negerjazz« (Adorno) etc.) – kommt irgendwo ein Lichtlein her (die Welt ist gar nicht ganz (oder: völlig) grauenvoll. – Würde ich lehrend noch »tetisch« sein, so würde ich – im Sommersemester, mit den wiederkommenden Amseln, Drosseln, Finken udn Staren beginnend, ein Seminar anbieten: Adornos Abgründe und Rühmkorfs »Volksvermögen« (Kinderverse, Abzählreime etc.) – die Welt zwischen hoffen und bangen.
hehe Sophie – Gedankenübertragungs-»Synchroninicity« (- Die Stachel-Polizei,hehe) Duett – nett.
Naja, ich möchte es noch einmal schreiben: Das, was hier als »Neoliberalismus« bezeichnet wird, ist es eben nicht. Neoliberalismus ist die Schule von Walter Eucken, die man auch »Ordoliberalismus« nennen könnte. Grob ausgedrückt handelt es sich um eine marktwirtschaftliche Ausrichtung der Ökonomie unter strenger Einhaltung sozialpolitischer Rahmenbedingungen. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus wurde das kapitalistische Modell praktisch weltweit zum Wirtschaftssystem. Man kann jetzt von Kindermärchen reden und die Zeiten des real existierenden Sozialismus vermissen, aber die Leute hatten irgendwie keine große Lust mehr darauf.
In den 1990er Jahren stellte sich heraus, dass der Kapitalismus nicht mehr genug Arbeit hat bzw. nur Arbeit anbietet, von der nicht alle leben können. Die Verheißung bestand nun darin, die als Hemmnisse empfundenen sozialpolitischen Errungenschaften aus Zeiten der Vollbeschäftigung zu lockern. Das führte zu Deregulierungsmaßnahmen im großem und zum Teil absurden Stil. Die Politik hält im übrigen immer noch daran fest: es wäre ein leichtes für die EU, die Steuersätze für Unternehmen zu verändern und durchzusetzen. Man macht es nicht, aus Furcht vor der Kapital- und Unternehmensflucht.
Die wirtschaftsliberalen Deregulierungen kann man nur in multilateralen Vereinbarungen zurücknehmen bzw. verändern. Weder Frankreich noch Deutschland sind dauerhaft in der Lage, sich gegen den kapitalistischen Strom zu stellen. Vermutlich weiß das Frau Forrester auch, aber es ist in Frankreich ja ziemlich populär, sich als Insel zu lokalisieren.
Neoliberalismus, aktuelle Lesart = wenig Staat; Dominanz des Finanzkapitals; Internationalismus.
Alte Lesart: Neoliberalismus = Ordoliberalismus/ – demnach ist der Neoliberalismus nach Walter Eucken und anderen Freiburgern die modernere (!) Form des Liberalismus, also die mit sozial- und rechtsstaatlichem (!) spwie wirtschaftswissenschaftlichem Know-how angereicherte Form (Alfred Müller-Armack).
Das wird etwas kompliziert, weil ausgerechnet Friedrich August Hayek in ausgerechnet Freiburg den Begriff dann wieder hat fallenlassen und einfach ein guter alter Liberaler sein wollte.
(cf. The Road to Serfdom / FA Hayek cf. // The Road to Somewhere, David Goodhart).
Oft ist – so bei Vivienne Forester, – Neoliberalismus der Ausdruck für einen kaltschnäuzigen Modernisierungsprozess nach dem Motto je weniger Staat, auch je weniger Sozialstaat, desto besser.
Eine zweite Komplikation tritt ein, weil Michel Foucault sich im Grunde der als kaltschnäuzig oft nur denunzierten Bewegung angeschlossen hat, die (mit z. B. Margaret Thatcher) die Reduktion des korporatistischen Staates guthieß und heute auch ausdrücklich vom Neoliberalismus vereinnahmt wird. Wie ich finde nicht zu ganz zu unrecht. Foucault hat gesehen, dass der Sozialstaat Gefahr läuft, nur noch zu fördern und nicht mehr zu fordern, was ihm als Dynamiker überhaupt nicht passte. – Eigentlich hätten die Schröder-SPD und der nachrevolutionäre (und nachmaoistische), ausdrücklich sozial-liberal (an Hayek nicht zuletzt) orientierte Foucault gut zusammengepasst.
Aber das will heute im LGQBT-Taumel keiner mehr so genau wissen. Da ist der schwule sado-maso Foucault die attraktivere Marke. Dass man dafür den späten Foucault der Hayek-Begeisterung über Bord gehen lassen muss spielt keine Rolle, weil das so genau eben keine wissen will – und weil das so genau auch kaum mehr irgendwo gesagt wird. Große Ausnahme – wie so oft: Die NZZ, wo derlei unter der Fuchtel von René Scheu in extenso verhandelt wird. Auch ein wenig der Schweizer Monat, wenn ich recht erinnere.
Z. B. hier:
https://www.nzz.ch/feuilleton/foucault-verteidigte-die-wahrheit-gegen-fake-news-interview-francois-ewald-ld.1376658
Der aktuelle Foucault Herausgeber Francois Ewald ist (u. a.) – Vermögensverwalter – und Berater der französischen Nuklearindustrie usw. (wie Foucault (und Fischers ehemaliger Staatssekretär Schmierer und MP Kretschmann) ein ehemaliger Maoist).
Ja, der Schweizer Monat – Philipe Sarasin spricht mit – Francois Ewald – -
- – https://www.nzz.ch/feuilleton/foucault-verteidigte-die-wahrheit-gegen-fake-news-interview-francois-ewald-ld.1376658
Ganz informativ auch der Wikipedia Eintrag über Neoliberalismus, der Foucault immerhin auch diskutiert. Die sozialethischen (insbesondere: katholischen) Fragestellungen und die systematisch bedeutsamen staats- und sozialrechtlichen Aspekte kommen – I: you cain’t always git / what you wa-ant :I – I: zu kurz :I.
Danke für die nochmalige Klarstellung. Ich finde jedoch die Einstufungen »neue Lesart« und »alte Lesart« schwierig. Es erinnert mich an den Euphemismus »Sozialismus« für Kommunismus. Nur anders herum.
Ich glaube, ich habe das auch schon einmal geschrieben: Ich hatte längere Zeit eine Kollegin aus GB (England). Als sie Kind war, in den 1970er Jahren, arbeiteten sowohl ihr Vater als auch ihre Mutter. Es gab noch einen Bruder. Zeitweise hatte der Vater sogar zwei Jobs. Ihre Nachbarn bezogen Sozialhilfen; niemand arbeitete dort, wenigstens nicht offiziell. Jetzt kann man mal raten, wer als erster die neuesten elektronischen Geräte hatte. Richtig, die Sozialhilfeempfänger. Es war daher kein Wunder, dass die Arbeiter damals zum Teil Thatcher wählten. Das Thatcher das Kind mit dem Bade ausschüttete – geschenkt.
Der Hinweis auf Schröder ist interessant. Er gehörte ja mit Blair zusammen zu einer sozialdemokratischen Strömung, die die Deregulierung vorantrieb, während beispielsweise Kohl in alten Pfaden ging. Die Agenda-Politik schaffte dann tatsächlich Erholung für den »kranken Mann Europas« (so nicht nur die Einschätzung zu Deutschland von »neoliberalen« Kräften). Das Problem war, dass irgendwann das Pendel in die entgegengesetzte Richtung ausschlug und man nicht darauf reagierte. Zeitverträge können beispielsweise eine gute Möglichkeit für Unternehmen sein, Auftragsspitzen abzuarbeiten. Werden sie als Regel eingesetzt, ist das eine Perversion des ursprünglichen Gedankens.
Am Rande erinnere ich noch an den Aufschrei bis weit ins links-grüne Milieu hinein, als es kurz einmal hieß, die Mini-Jobs (damals irgendwas mit 620 Mark) abzuschaffen bzw. sie sozialversicherungspflichtig zu machen. Man ist eingeknickt vor der Industrie. Aus der Dienstleistungsgesellschaft ist inzwischen längst eine Hilfsarbeitergesellschaft geworden. Der Satz liegt inzwischen bei 450 Euro. Das Bömbchen der Altersarmut tickt.
@ Sophie, Dieter, Gregor
Ersteren möchte ich fragen, wie er das meint, Kultur als Widersacher der Ökonomie. Ich sehe vor allem die Ökonomisierung der Kultur (Kulturindustrie). Die hehre Kunst sah Adorno freilich als Widersacher.
Ich glaube, daß Dieter mit den zwei Lesarten tatsächlich die Entwicklung der Debatte benennt. Wörter, auch Begriffe, ändern – oder nuancieren zumindest – ihre Bedeutungen mit der Zeit durch den Gebrauch.
Teilweise empfinde ich aber auch die Einwände Gregors als treffend. In der derzeitigen weltweiten Entwicklung haben wir eine Wiederkehr von Protektionismen, allerdings nur in nationalen (nationalistischem?) Sinn, als Schutz des eigenen Landes bzw. eben der Nation. Innerhalb wird die Deregulierung, die ich mit dem Begriff Neoliberalismus verbinde, fortgesetzt, mitunter verschärft.
Ich glaube nicht, daß die Frage nach Alternativen sich ausschließlich auf »Kapitalismus vs. Sozialismus« bezieht. Es gab einmal mehrere Wege. Dritte Wege, Kompromisse, Kombinationen. Vermissen wir die soziale Marktwirtschaft gar nicht?
@ Gregor Keuschnig
Die Geschichte Ihrer Thatcher Wähler aus der Gruppe der Beschäftigten findet sich, meine ich, gespiegelt, wo in San Franzisko jede schwangere alleinerziehende Frau tausend Dollar /Monat zusätzlicher Unterstützung bekommt – vorausgesetzt, sie ist schwarz.
Die Trump-Wählerschaft reagiert auf derlei und – stammt mehrheitlich aus der Mittelschicht und der unteren Mittelschicht. Die Demokraten werden von den Supperreichen gewählt (dieses eine Prozent hat den höchsten Anteil an Demokraten-Wählerinnen überhaupt). Dazu stammt die Demokraten-Wählerschaft mehrheitlich aus der oberen Mittelschicht und – aus der Unterschicht der Transfergeldbezüger (wo Schwarze stark überrepräsentiert sind).
Noch eine Kleinigkeit. Trump hat den höchsten schwarzen Wähleranteil aller Republikanischen Kandidaten seit Generationen – nicht zuletzt von denjenigen Schwarzen, die, wie jetzt in New York geschehen, die BLM-Parolen, die Polizei nicht weiter zu finanzieren und dafür Sozialarbeiter einzustellen – zurückweisen; u. a. wegen des horrend hohen Anteils Schwarzer an Gewaltverbrechen in den USA. Viele der schwarzen Beschäftigten, Ladenbesitzer und Geschäftsleute sind auf der Seite Trumps und ziehen gegen BLM, Antifa und die Koalition der LGBQT-Randgruppen zu Felde, die Joe Biden auf den Schild hebt.
https://www.unz.com/anepigone/top-and-bottom-vs-middle-election-edition/
@ Leopold
Der Sozialstaat nach Nenning und Glotz, sag’ ich mal, funktioniert, wenn er gehegt und gepflegt wird.
Der produktive Streit sollte sich darum drehen, wie man diese Hege und Pflege bewerkstelligt. Um es hier mal superkurz zu machen: Margret Thatcher kann man in diesem Kontext auch (auch!) als Pflegerin vertsehen. Ich denke, man sollte sogar.
Wenn Österreichische Eisenbahnerinnen mit fünfzig pumperlgsund in die Pension gehen, sollte man das nicht als sozialstaatliche Errungenschaft deuten, sondern als Hyperthrophie. – Für Peter Glotz hieß sowas: Gruppenegoismus. – Der hat derlei tatsächlich thematisiert – und kam damit bei seinen (oft murrenden) Genossinnen und Genossen dann aber doch durch.
Es hängt einiges davon ab, dass man versteht, dass der Sozialstaat selber nicht nach dem Modell des linearen Fortschritts konstruiert werden soll.
Und dass ihm – das ist die alte sozialpartnerschaftliche Idee Erhards und Schmidts und Kreiskys usw. (Hayeks, Müller-Armacks, Walter Euckens – aktuell: Hans-Werner Sinns und Thilo Sarrazins und Gunnar Heinsohns, Nils Heisterhagens, Klaus Peter Willschs, Roland Tichys und, der Wahrheit die Ehre – Alice Weidels und Jörg Meuthens), die eben auch eine Produktivitätsorientierung hat und deshalb die weltwirtschaftliche Konkurrenz als wichtigen Faktor anerkennt und ins Kalkül zieht (nicht: Sich dem unterwirft).
Die Kultur als Widersacher der Ökonomie: Adorno und die hehre Kunst... Ja, aber noch ein bisschen mehr... Ich gehe von einem intersubjektiven Kultur-Begriff aus, und meine die Interdepenz von Schöpfern und Publikum. Sogar »Bildung« als Vorhaltung von Rezeptionsfähigkeiten. Das ökonomische Opfer, also die Verschwendung nach Bataille, gibt es nämlich auf beiden Seiten. Das wird durch die Pop-Industrie auf eine barbarische Art und Weise auf den Kopf gestellt: alle profitieren (»Hattest Du Spaß?!«), alle können als Künstler reüssieren, und alle können partizipieren, weil die Teilnahme-Schwelle knapp über dem Gaga-Rauschen liegt. Ich mag den Begriff Hoch-Kultur überhaupt nicht, möchte aber einen Kultur-Begriff vorschlagen, der die markt-untauglichen Verwandlungs-Wünsche und Selbstwerdungs-Experimente bezeichnet.
@die_kalte_Sophie
So sehr ich sympathisieren möchte »mit einem Kultur-Begriff [], der die markt-untauglichen Verwandlungs-Wünsche und Selbstwerdungs-Experimente bezeichnet«, allein mir fehlt der Glaube.
Einige der Verunmöglichungen kann ich frei nach Adorno pflücken, so weit sie hier noch nicht bezeichnet waren:
1. Die Annihilation des Privaten. Ein wichtiger Aspekt der Ökonomisierung war nach Adorno vor Allem, die Ursurpierung des Privaten, des Teils also, wo die Selbstwerdung und Bildung hätte stattfinden können, durch die Unterhaltungsindustrie, also Angebote, die so auf unser Hirn zugeschnitten sind, dass wir sie unmöglich ablehnen können und nun dank Smartphones jederzeit verfügbar mit uns herumgetragen werden.
2. Beschreiten auch die Gegenstände der Kunst einen Prozess der Verdinglichung, d.h. sie erstarren, werden zu Versinnbildlichungen, Ikonen: Marken. Dies ist der Nationaldichter, dessen Geburtshaus man besichtigen kann, inklusive Devotionalienhandel, dort der Buchausstand des Nobelpreisträgers. Zum Teil ist dies fast unvermeidlich, weil unser Geist fast notwendig mit diesen Verdichtigungen, Raffungen, Symbolifizierungen (animal symbolicum!) arbeitet, zum anderen aber verstellt es natürlich den Blick auf die Kunst selbst, weil so schon immer Symbolwertungen anderer mitschwingen, das Werk unverstellt und roh gar nicht rezepiert werden kann. – Die Rezeption gelingt nur dann, wenn das Werk in unserem Kopfe wieder plastische, lebendige Gestalt wird, wenn wir in ein offenes Spiel mit ihm treten können: Die Ökonomie ist hier jedoch vielleicht das geringste Hindernis, sondern vielmehr die eignen, inneren Vorbehalte, Verhärtungen, Vorurteile.
3. Ist »der Markt« eine so abstrakte, wahrscheinlich einfach irrelevante Metapher. Ich würde lieber evolutionäre Begriffe wie »Nischen« oder »Biotope« ins Felde führen, weil sich mit diesen die Phänomene mehr erhellen. »Markt« suggeriert, dass sich das durchsetze, was besser, effizienter, billiger sei – kurzum was der Kunde kauft. Das scheint mir für die soziokulturellen Phänomene der Kunst, Wissenschaft und selbst des Konsums zu kurz gegriffen. Die Marke »Goethe« ist nicht das Resultat seiner überlegenen Verkaufszahlen, sondern von jahrhundertelanger Rezeption durch Menschen, die dieses Image hat reifen lassen.
Ähnlich sollten wir uns z.B. den neuen Plattformen zuwenden von Twitter, Twitch, YouTube, Instagram etc. – Persönlich finde ich es ja geradezu gruselig, wie die Kommunikationsformen und »Werke« jedes Biotops konvergieren, so haben z.B. Youtuber oft eine sehr ähnliche Schnitttechnik und ultraschnelle, überhitzte Redeweise. Aber der Hinweis darauf, dass die Betreiber kommerzieller Natur seien und alles durch Schleichwerbung versifft sei, kann meines Erachtens nicht reichen, um schon zu begründen, dass in diesem »falschen«, digitalen Leben kein künstlericher oder persönlicher Ausdruck möglich sei. Zweifellos sehe ich unser »Ich« in diesen digitalen Zeiten noch gefährdeter, labiler, fragwürdiger – aber ich sehe eben auch keinen Weg mehr zurück in die bürgerliche, gutsituierte Kunst eines Adornos. Soll man sich tatsächlich in seinen Elfenbeinturm zurückziehen, ist das verrückte Leben da draußen nicht bunter, irritierender,.. solange es noch brennt?
@ Phorkyas, Sophie
Ich erinnere mich an die Zeiten, wo gegen die Hochkultur angekämpft wurde. Die Dichotomie zwischen Trivialem und war eine Schande und niederzureißen, Trivialliteratur wurde ein beliebtes Dissertationsthema. Seit geraumer Zeit scheint mir, daß die Kulturindustrie dieses Niederreißen besorgt hat. Marken wie Leonardo Beethoven Goethe werden genauso vermarktet wie Warhols Banane oder Lady Gaga bzw. das Image von ihr. Also zurück zur Dichotomie, oder? Grenzen, Skalen, Hierarchien wieder aufbauen? Ich wäre dabei. Nur fürchte ich wie Phorkyas, daß das unter heutigen Bedingungen nicht funktioniert. Also bleiben uns, den happy few, d. h. den Melancholikern, doch nur die Nischen. Elfenbeintürme? Leider nein, die Minorität ist in die Krypta gedrängt, Überblick hat sowieso niemand mehr. Elite? Der Begriff setzt ein Minimum an allgemeiner Anerkennung voraus, aber auch diese Brücke ist gebrochen. Durchsetzen tut sich im popkulturellen Dschungel, den man auch als Wüste zeichnen kann, m. E. das, wofür am meisten und schlauesten geworben wird; also im wesentlichen das, wofür am meisten Geld aufgewandt wird. Das ist doch der Hollywoodmechanismus, die sog. Blockbuster sind zum gewinnen verdammt, und das zugehörige Getriebe läuft sich von Mal zu Mal heißer. Bis wann das geht? Keine Ahnung. Dieselbe Sorge in allen Bereichen, Wirtschaft, Technik, Sport (auch da!), Selbstoptimierung, Lebensverlängerung... Die letzte Frage von Phorkyas ist gut, eine Antwort weiß ich natürlich nicht. Vielleicht funktioniert der alte Trick noch: Beides tun? Ich für meinen Teil finde, daß nicht einmal die Popkultur ganz versifft ist, auch Hollywood nicht.
Das Problem ist, dass das Usurpieren der Hochkultur durch den Kommerz, also das, was man Banalisierung nennen könnte, als die letzte Möglichkeit gesehen wird, diese überhaupt im Gedächtnis mindestens noch rudimentär zu erhalten. Und sei es als »veraltet« oder »elitär«. Letzteres ist das Schimpfwort – sowohl von rechts wie auch von links – für das, was man einst »Hochkultur« nannte. Neulich behauptete jemand ernsthaft auf Twitter, dass Literatur immer elitär gewesen wäre und dass sich Menschen, die hungern würden (!), nicht dafür interessieren könnten – sei es aus finanziellen als auch aus schlichtweg existentiellen Gründen. Das ist natürlich Blödsinn zum Quadrat, weil in jeder Stadtbibliothek so viele Klassiker lesbar sind, wie ich gar nicht in der Lage bin, jemals auszulesen. (Und in D braucht wirklich niemand zu hungern.)
Die Umarmung der Hochkultur durch den »Markt« ist keine Liebesbezeugung sondern ähnelt den Annäherungen einer Würgeschlange, die ihr Opfer dann irgendwann langsam aber nachhaltig zu Tode bringt.
Die Annihilation des Privaten ist kein Naturgesetz. Immer mehr wird die Individualisierung des Einzelnen betont. Aber diese Individualisierung macht auch einsam. Was gesucht wird sind also Identifikationen. Diese finden sich in der umfangreichen Freizeitindustrie en masse. Das Buch ist nur eine Möglichkeit unter hunderten. Das war vor 50 Jahren noch anders. Aber da hat man auch noch Wert auf Bildung gelegt. Heute genügt maximal Wissen. Wenn überhaupt. Aber dafür ist die Abiturquote so hoch wie nie.
Zu den digitalen Medien: Ich glaube, die pauschale Verteufelung der »sozialen Medien« bringt nicht nur gar nichts, sie ist auch falsch. Wobei ich mich immer noch an meine Oma erinnere, die »das Buch« schon für den Ursprung allen sittlichen Verfalls hielt. Ich glaube, dass man kulturelle Themen gerade in Blogs oder von mir aus auch auf Youtube vermitteln kann. Was man dann allerdings vergessen muss, sind die »Erfolge«. Es werden damit weder große Reichweiten erzielt werden, noch in ausreichendem Maß Geld verdient werden können. Das halte ich im übrigen auch nicht für schlimm. Schriftsteller haben fast immer mit ökonomischen Problemen zu kämpfen gehabt. Gerade in einer Zeit, in der Tausende Neuerscheinungen jedes Jahr erscheinen, ist es nur natürlich, dass nicht jeder von seinen Werken wird leben können.
Schöne Kommentare. Ich finde auch, man soll sich vom Primat der Ökonomie nicht einschüchtern lassen. Annihlilation des Privaten?! Typische Dramatisierung, die man heute eher am »Authentischen« festmachen würde.
Kommunikation ist m.M.n. der Schlüssel zum Kultur-Konzept. Wir können es am Gammel-Journalismus, den Machtsprachen und den Ich-Experimenten in den Soz-Meds als Negativ erkennen. Das Niedrigste und das Höchste Seit’ an Seit. Deshalb weiß man auch nicht, wohin die Reise geht... Ich darf behaupten, ich habe auf Youtube ein paar der interessantesten Menschen unserer Zeit ausgemacht. Und die Algorithmen sind mir noch nicht einmal in die Quere gekommen. Im Gegenteil, manchmal gab es sogar einen »Zufallstreffer«.
Im Vergleich dazu habe ich in meiner Jugend (oje!) die interessantesten Menschen immer nur in Büchern gefunden. Natürlich quer durch die Zeit, und Tote mehr als Lebende. Die beiden Erfahrungen ergänzen sich natürlich prächtig. Ich kann mich nicht beschweren.
Zu den Allstars möchte ich noch sagen: die Aussortierung nach hinten ist gnadenlos; tatsächlich bleiben neben Shakespeare und Goethe nur wenige übrig. Und die Klassik ist ja auch nur die Ahnung eines höheren Menschen, die von der Kraft der Einzelnen lebt.
Was mich wieder auf den verqueren Individualitäts-Begriff bringt, bzw. das schwankende Ich von @Phorkyas. Da scheint mir der Hund begraben, denn man muss ja inzwischen wieder paradoxe Botschaften versenden: Werde, der du bestenfalls bist, und pass’ auf, dass Dir nicht die falschen Leute dabei helfen...