Ab­dul­razak Gur­nah: Das ver­stei­ner­te Herz

Vor zwei Jah­ren pu­bli­zier­te der Pen­gu­in Ver­lag mit Nach­le­ben den vor­läu­fig letz­ten Ro­man des bri­tisch-san­­si­­ba­ri­­schen Schrift­stel­lers Ab­dul­razak Gur­nah. Mit Das ver­stei­ner­te Herz folgt jetzt der vor­letz­te Ro­man von 2017. Bei­de wur­den von Eva Bon­né über­setzt. Das ver­stei­ner­te Herz spannt ei­nen Bo­gen des Ich-Er­­zäh­­ler Sa­lim, um 1973 her­um ge­bo­ren (das er­rech­net man sich aus dem Er­zähl­ten) ...

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Phil­ip Ma­now: Un­ter Be­ob­ach­tung

Philip Manow: Unter Beobachtung
Phil­ip Ma­now:
Un­ter Be­ob­ach­tung

Zu Be­ginn sei­nes Bu­ches mit dem viel­sa­gen­den Ti­tel Un­ter Be­ob­ach­tung stellt der deut­sche Po­li­tik­wis­sen­schaft­ler Phil­ip Ma­now ei­ne schein­bar ein­fa­che Fra­ge: »Hat es ei­gent­lich vor – sa­gen wir – 1990 Fein­de der li­be­ra­len De­mo­kra­tie ge­ge­ben?« Denn man hört im po­li­ti­schen Dis­kurs im­mer häu­fi­ger, das die »li­be­ra­le De­mo­kra­tie« in Ge­fahr sei. Die­se ge­he, so Ma­now li­stig, in­zwi­schen an­schei­nend »be­son­ders oft von Wah­len aus, dem Pro­zess, der am eng­sten mit dem de­mo­kra­ti­schen Sy­stem ver­bun­den wird.« Vor al­lem, so möch­te man er­gän­zen, wenn das (an­ti­zi­pier­te) Re­sul­tat droht, das »fal­sche« zu sein. Ver­schie­dent­lich wird schon von der »Ty­ran­nei der Mehr­heit« ge­spro­chen. Ma­now durch­schaut die­se Er­re­gun­gen und fragt »wes­sen De­mo­kra­tie ei­gent­lich ge­nau ver­tei­digt wird, wenn ‘die’ De­mo­kra­tie ver­tei­digt wird.« Doch da­zu spä­ter.

Fest­zu­ste­hen scheint: Rechts­staat­lich­keit, un­ver­äu­ßer­li­che Grund­rech­te und freie Wah­len (»elek­to­ra­le De­mo­kra­tie«) grei­fen in ih­rer »Ein­fach­heit und Sta­tik« nicht mehr als al­lei­ni­ge Kri­te­ri­en ei­ner de­mo­kra­ti­schen Ver­fasst­heit. Die Zu­schrei­bung »li­be­ral« speist sich aus ei­nem »gan­zen Kranz an Wer­ten«, wie sie bei­spiels­wei­se im »Glo­bal Sta­te of Democracy«-Index oder, re­le­van­ter, dem »Li­be­ral-De­mo­cra­cy-In­dex« des »Varieties-of-Democracy«-Projekts der EU de­fi­niert sind. Letz­te­rer wird in ei­nem Ap­pen­dix am En­de des Bu­ches vom Au­tor un­ter­sucht und als un­ge­eig­net ver­wor­fen, »so­wohl um das Aus­maß der ge­gen­wär­ti­gen Kri­se der De­mo­kra­tie, ge­ra­de wenn sie sich […] als Kon­flikt zwi­schen Exe­ku­ti­ve und (Verfassungs-)Gerichtsbarkeit ma­ni­fe­stiert, als auch um ih­re Ur­sa­che zu ver­ste­hen.« Am Ran­de wird süf­fi­sant ge­fragt, war­um die EU sich sel­ber »nicht auf sei­nem Li­be­ral-De­mo­cra­cy- oder ei­nem Elec­to­ral-de­mo­cra­cy-In­dex« be­wer­tet ha­be. Und Dah­ren­dorfs Bon­mot, dass, wenn die die EU um Mit­glied­schaft in der EU nach­such­te, die­se »we­gen ih­res Man­gels an de­mo­kra­ti­scher Ord­nung ab­ge­wie­sen« wür­de, fin­det sich im­mer­hin in den An­mer­kun­gen. Ma­nows Skep­sis an der de­mo­kra­ti­schen Ver­fasst­heit der EU und de­ren Grün­dungs­my­then, wird noch ei­ne Rol­le spie­len.

Was ist al­so »li­be­ra­le De­mo­kra­tie«? Hilfs­wei­se wird sie »in der Ver­bin­dung aus Par­tei­en­wett­be­werb, Mei­nungs­frei­heit, Wohl­fahrts­staat­lich­keit und LGBTQ+-Rechten […] oder in Ver­bin­dung von frei­en Wah­len und Kli­ma­schutz« de­fi­niert. Sie wird schließ­lich als »End- oder Kom­pro­miss­pro­dukt zwei­er Strö­mun­gen ver­stan­den, des Li­be­ra­lis­mus ei­ner­seits: al­so Be­schrän­kung von Herr­schaft durch Ge­wal­ten­tei­lung, Rechts­staat­lich­keit, sub­jek­ti­ve Rech­te […] und des Mehr­heits­prin­zips und der Volks­sou­ve­rä­ni­tät an­de­rer­seits. […] Oder noch ei­ne Ab­strak­ti­ons­stu­fe hö­her, nicht als Idee oder Ideo­lo­gie, son­dern als Wert: Frei­heit vs. Gleich­heit. Li­be­ra­le De­mo­kra­tie ist dann die Ver­bin­dung aus oder der Kom­pro­miss zwi­schen bei­dem.«

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He­le­na Ad­ler: Mi­se­re­re

Helena Adler: Miserere
He­le­na Ad­ler: Mi­se­re­re

Oh­ne das klei­ne Nach­wort von Tho­mas Stad­ler sind es noch nicht ein­mal sieb­zig Sei­ten, die­se drei Er­zäh­lun­gen, die den (vor­läu­fi­gen?) Nach­lass der im Ja­nu­ar ver­stor­be­nen öster­rei­chi­schen Schrift­stel­le­rin He­le­na Ad­ler aus­ma­chen und die jetzt bei Jung und Jung, ih­rem Ver­lag, er­schei­nen. Sie wa­ren als Tei­le ei­nes Er­zähl­ban­des vor­ge­se­hen und ei­ne da­von, Mi­se­re­re Me­lan­cho­lia, woll­te He­le­na Ad­ler beim Bach­mann­preis 2023 le­sen, aber da­zu kam es nicht mehr, denn bei der Schrift­stel­le­rin wur­de ein Ge­hirn­tu­mor dia­gno­sti­ziert, der so­for­ti­ge Be­hand­lung ver­lang­te.

Lan­ge soll Ad­ler ge­schwankt ha­ben, Mi­se­re­re Me­lan­cho­lia als Bei­trag aus­zu­wäh­len oder die Er­zäh­lung, die zu Be­ginn ab­ge­druckt wird, Ein gu­ter Lapp in Un­ter­joch, die­ses herr­lich kom­po­nier­tes Schel­men­stück aus der öster­rei­chi­schen Pro­vinz, über ei­nen Jo­sef, von Be­ruf Mau­rer, der auch Hoch­zeits­la­der ist, ei­ne Art Ze­re­mo­nien­mei­ster. Jo­sef hat seit ge­rau­mer Zeit Kopf­schmer­zen, bis­wei­len Gleich­ge­wichts­pro­ble­me und vor ei­ni­gen Wo­chen sei­ne er­sten Be­strah­lun­gen im »Kalk­stein­sar­ko­pharg« er­hal­ten. Er ist »ei­ner, der nicht wi­der­spricht«, sei­ne Auf­ga­ben ge­wis­sen­haft er­füllt, und so wird es auch sein, als die Hoch­zeit des Bür­ger­mei­ster­soh­nes mit ei­ner Ma­ria an­steht, die schwan­ger ist. Jo­sefs Ver­pflich­tun­gen sind klar und doch hat er ne­ben sei­nem Tu­mor »ei­nen Plan« im Kopf. Zu­nächst gibt es aber noch ein paar def­ti­ge Schil­de­run­gen des »Brueghel’schen Hoch­zeit­s­pan­ora­mas«; es ist ei­ne Freu­de, dies zu le­sen, vor al­lem beim zwei­ten oder drit­ten Mal. Und das, ob­wohl man dann die wun­der­schö­ne Poin­te schon kennt, die hier na­tür­lich nicht ver­ra­ten wird.

Zwi­schen den bei­den grö­ße­ren Er­zäh­lun­gen fin­det sich mit Über die Er­de ei­ne noch nicht ein­mal drei­sei­ti­ge, stark ex­pres­sio­ni­sti­sche Skiz­ze von ho­her Kön­ner­schaft, in der ein »Nacht­schat­ten­ge­wächs im Ute­rus der Mut­ter« von ih­rer Tot­ge­burt (oder ist es ei­ne Ab­trei­bung?) er­zählt, die so­fort »un­ter die Er­de« führt und sie »verfault…und doch in al­ler Mun­de« führt.

Und dann das Hu­sa­ren­stück, das Zen­trum die­ses Ban­des, Mi­se­re­re Me­lan­cho­lia, ei­ne Er­zäh­lung, die in Kla­gen­furt für ei­nen hi­sto­ri­schen Mo­ment ge­sorgt hät­te (wie zu­letzt viel­leicht Ma­ja Ha­der­lap, oder, sehr lan­ge zu­rück­lie­gend, Her­mann Bur­ger), ein Text »wie ein Un­glück, das…schmerzt, wie der Tod ei­nes, den wir lie­ber hat­ten als uns«, ei­ne Pro­sa, die man mit En­thu­si­as­mus und De­mut und im Wis­sen um das Schick­sal der Au­torin mit Trau­er und Weh­mut le­sen wird und gleich­zei­tig im­mer wie­der neu an­fängt, gar nicht auf­hö­ren möch­te, im­mer neue Nu­an­cen ent­deckt.

Wes­sen ist nun der Schmerz bei der Lek­tü­re? Ei­ne Ich-Er­zäh­le­rin, sich selbst cha­rak­te­ri­sie­rend als »ab­ar­ti­ge Sün­de­rin«, ist be­ses­sen oder, bes­ser: wird be­herrscht von ei­nem Dä­mon, ei­ner Mi­schung aus Wol­per­tin­ger, Gnom und Me­phi­sto (er zi­tiert im­mer­hin Ho­mer und Dan­te). Er do­mi­niert sie »schlim­mer als der Va­ter und die Mut­ter zu­sam­men«, zwingt sie, ihr Le­ben zu re­ka­pi­tu­lie­ren, auch ih­re Lauf­bahn als Schrift­stel­le­rin, und da­bei stellt sie fest, dass der El­fen­bein­turm ein »Faul­turm« ge­we­sen war, »dort gär­te al­les vor sich hin« und sie wur­de »trä­ge und schwach«. Aus ih­rem Mund er­gießt sich ein­mal »Brack­was­ser«, sie wacht auf »mit dem Meer in mir, das mich ver­wäs­sert«. Kaf­kas Axt fin­det da­nach kein Eis mehr vor, aber zu­gleich be­kennt sie, in den »gro­ßen Tex­ten« da­heim zu sein.

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Jen­ny Er­pen­beck: Kai­ros

Jenny Erpenbeck: Kairos
Jen­ny Er­pen­beck: Kai­ros

An­fang des Jah­res konn­te man in ei­nem bri­ti­schen Ar­ti­kel ei­ni­ges über die Ur­sa­chen des Be­deu­tungs­ver­lusts der deut­schen Ge­gen­warts­li­te­ra­tur le­sen. Ein Ar­gu­ment war, dass es kaum noch zeit­ge­nös­si­sche deutsch(sprachig)e Au­toren ge­be, die über­setzt wür­den (ge­meint war na­tür­lich die Über­set­zung ins Eng­li­sche). Nach­träg­lich stellt sich her­aus, dass min­de­stens ei­ne deut­sche Au­torin über­se­hen wur­de, die seit Jah­ren flei­ßig über­setzt wird. Der eng­li­sche Wi­ki­pe­dia-Ar­ti­kel weist 22 Spra­chen aus, was höchst be­acht­lich ist. Na­he­zu al­le Pro­sa von und ih­re vier Thea­ter­stücke sind zeit­nah ins Eng­li­sche über­setzt wor­den.

Die Au­torin heißt Jen­ny Er­pen­beck, wur­de 1967 in Ost-Ber­lin ge­bo­ren und ge­wann vor ei­ni­gen Wo­chen für ih­ren 2021 er­schie­ne­nen Ro­man Kai­ros den In­ter­na­tio­nal Boo­ker-Pri­ze. Es ist nicht so, dass Er­pen­beck in Deutsch­land un­be­kannt wä­re – die Rei­he ih­rer Prei­se und Aus­zeich­nun­gen ist an­sehn­lich, dar­un­ter der Tho­mas-Mann- und der In­ter­na­tio­na­le Ste­fan-Heym-Preis. 2015 stand Er­pen­beck auf der Short­list des Deut­schen Buch­prei­ses. Ehr­li­cher­wei­se muss man aber zu­ge­ben, dass das Feuil­le­ton bis­her nicht un­be­dingt sehn­süch­tig ih­re neu­en Ro­ma­ne und Er­zäh­lun­gen er­war­tet hat. Die Aus­nah­me ist Vol­ker Wei­der­mann, der seit min­de­stens vier Jah­ren re­gel­mä­ßig er­klärt, dass Er­pen­beck bald den Li­te­ra­tur­no­bel­preis er­hal­ten wird. An­son­sten sind die Re­zen­sio­nen zu­meist wohl­wol­lend bis freund­lich; Ver­ris­se gab es sel­ten. Die auf­merk­sam­keits­för­dern­den und all­seits an­ge­se­he­nen deut­schen Li­te­ra­tur­prei­se hat Er­pen­beck al­ler­dings noch nicht be­kom­men.

Gilt al­so aber­mals, dass die Pro­phe­tin nichts im ei­ge­nen Land gilt? Und ist es ein deut­sches Spe­zi­fi­kum, dass ei­ne Au­torin, die in­ter­na­tio­nal Er­fol­ge vor­wei­sen kann, nicht ge­fei­ert, son­dern mit selbst­ge­fäl­li­ger Ar­ro­ganz, in der auch ei­ne ge­wis­se Por­ti­on Neid mit­schwin­gen dürf­te, be­dacht wird? So ver­fass­te Il­ko-Sa­scha Ko­wal­c­zuk ei­nen dif­fus an­kla­gen­den, fast zor­ni­gen Text, der ver­mut­lich ent­stand, weil sich Er­pen­beck in In­ter­views über ih­re man­geln­de li­te­ra­ri­sche An­er­ken­nung in Deutsch­land be­klagt hat­te (den Bun­des­ver­dienst­or­den der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land er­hielt sie im­mer­hin be­reits). Es wür­den, so soll sich Er­pen­beck ge­äu­ßert ha­ben, zu we­ni­ge ost­deut­sche Ju­ro­ren in den Ju­rys sit­zen. Ko­wal­c­zuk be­kennt mit gön­ner­haf­ter At­ti­tü­de, er le­se Er­pen­becks »Schrei­be« »nicht un­gern«, um dann sei­ne Vor­be­hal­te mit Er­pen­becks So­zia­li­sa­ti­on in der DDR zu be­grün­den. Et­li­che »ost­deut­sche« Preis­trä­ger wür­den zu­dem der The­se wi­der­spre­chen, dass es nicht an den Ju­ry-Be­set­zun­gen lie­gen wür­de und sug­ge­riert zwi­schen den Zei­len, dass die Zu­rück­hal­tung mit ei­ner ge­wis­sen »Ost­deutsch­tü­me­lei« in Er­pen­becks Li­te­ra­tur zu tun ha­ben könn­te, ei­ner »Sehn­sucht nach dem Ge­stern«. Dass auch an­de­re preis­ge­krön­te Au­toren aus der ehe­ma­li­gen DDR gibt, die ost­al­gisch schrei­ben, wird nicht the­ma­ti­siert.

Er­pen­beck sei in ei­ne kom­mu­ni­sti­sche Fa­mi­lie hin­ein­ge­bo­ren wor­den, El­tern und Groß­el­tern hät­ten für DDR-Ver­hält­nis­se in ei­ner »Par­al­lel­welt« Pri­vi­le­gi­en ge­habt, so Ko­wal­c­zuk, der auch noch gleich ei­ge­ne Er­leb­nis­se ein­bringt, die ei­nen gro­ßen Kon­trast zu de­nen der Er­pen­becks dar­stel­len. Weil Er­pen­becks DDR-Bild nicht dem (wohl be­gründ­ba­ren) Ver­dam­mungs­ur­teil ent­spricht und sich die Au­torin ent­ge­gen den Usan­cen des Li­te­ra­tur­be­triebs über man­geln­de Wert­schät­zung be­klagt hat, sieht sich ein se­riö­ser Au­tor ge­nö­tigt, ei­ne Schrift­stel­le­rin – ja, was?, zu maß­re­geln? Es geht al­so nicht um Li­te­ra­tur, son­dern um ei­ne ab­stru­se Form von Sip­pen­haft. Grund ge­nug für mich, der au­ßer Er­pen­becks Text vom Bach­mann­preis 2001 noch nie et­was von ihr ge­le­sen hat­te, jetzt Kai­ros, das aus­ge­zeich­ne­te Buch, zu le­sen.

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Me­la­nie Möl­ler: Der ent­mün­dig­te Le­ser

Na­tür­lich ist das Co­ver ei­ne Pro­vo­ka­ti­on. Der* ent_mündigte Lese:r steht dort. Drei Sym­bo­le der »Gen­der­spra­che« – Stern, Un­ter­strich, Dop­pel­punkt. Ent­we­der oder. Hier al­les auf ein­mal. »Für die Frei­heit der Li­te­ra­tur« lau­tet der Un­ter­ti­tel. Dem Buch vor­an­ge­stellt ist ein Aus­zug aus Kaf­kas Brief an Os­kar Pol­l­ak, je­ne be­rühm­te Stel­le, in der er er­klärt, wie ein Buch ...

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Rai­nald Goetz: wrong

Mit den drei Stücken Reich des To­des, Ba­racke und La­pi­da­ri­um, die im so­eben er­schie­ne­nen Band La­pi­da­ri­um ver­sam­melt sind und der par­al­lel da­zu pu­bli­zier­ten Text­samm­lung wrong be­en­det der Schrift­stel­ler Rai­nald Goetz sei­ne sechs­tei­li­ge Schlucht-Rei­he, je­nen 2007 be­gon­ne­nen »Ver­such der Er­kun­dung der Dun­kel­zeit der Nuller­jah­re«, be­stehend aus »Kla­ge, Ta­ge­buch­es­say; los­la­bern, Be­richt; Jo­hann Hol­trop, Ab­riß der Ge­sell­schaft, Ro­man; ...

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Ma­thi­as Enard: Tanz des Ver­rats

Ei­gent­lich sind es zwei ganz un­ter­schied­li­che Ge­schich­ten, die der fran­zö­si­sche Schrift­stel­ler Ma­thi­as Enard in sei­nem neue­sten Ro­man er­zählt. Und das spie­gelt sich (ab­sicht­lich oder nicht?) be­reits in der deut­schen Über­set­zung des Ti­tels. Im Ori­gi­nal heißt der Ro­man Dé­ser­ter, in der deut­schen Über­set­zung von Hol­ger Fock und Sa­bi­ne Mül­ler Tanz des Ver­rats. Zum ei­nen han­delt es ...

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Hel­mut Böt­ti­ger: Die Ge­gen­wart durch­lö­chern

Helmut Böttiger: Die Gegenwart durchlöchern
Hel­mut Böt­ti­ger: Die Ge­gen­wart durch­lö­chern

Nach dem ge­wis­sen­haft-hi­sto­ri­schen Auf­riss über die Grup­pe 47, ei­ner eher lau­ni­gen Re­vue über die Li­te­ra­tur der 1970er Jah­re und ei­nem rei­se­re­por­ta­ge­haf­ten Band über Czer­no­witz legt der Li­te­ra­tur­kri­ti­ker Hel­mut Böt­ti­ger mit Die Ge­gen­wart durch­lö­chern Werk­por­traits über fünf­zehn Dich­ter vor, gar­niert mit sei­ner Re­de zur Li­te­ra­tur­kri­tik, die zwar auch schon mehr als zehn Jah­re zu­rück­liegt, aber nichts von ih­rer Bri­sanz ver­lo­ren hat und auf Samt­pfo­ten, aber den­noch deut­lich, den Un­ter­schied zwi­schen Li­te­ra­tur­jour­na­lis­mus und Li­te­ra­tur­kri­tik auf­zeigt.

Zwar sind zehn der fünf­zehn Au­toren Büch­nerpreis­trä­ger, den­noch fri­sten ei­ni­ge im­mer noch (bzw. wie­der) ihr Los im Ge­heim­tipp-Sta­tus. Ob­wohl auch Jo­han­nes Bobrow­ski (ge­bo­ren in Til­sit) und Paul Ce­lan (Czer­no­witz) vor­ge­stellt wer­den, kann man gu­ten Ge­wis­sens er­klä­ren, dass hier deut­sche Au­toren por­trai­tiert wer­den (Öster­rei­cher und Schwei­zer kom­men nicht vor). Böt­ti­ger weist in ei­nem kur­zen Hin­weis, ver­steckt bei den Nach­wei­sen, dar­auf hin, dass es sich nicht um den Ver­such ei­nes Ka­nons han­deln soll.

Man ent­deckt, dass sich der Kri­ti­ker teil­wei­se mehr­fach mit den ent­spre­chen­den Au­toren be­schäf­tigt hat. Die nun vor­lie­gen­den Auf­sät­ze sei­en aus be­stehen­den Tex­ten (ent­stan­den zwi­schen 1995 und 2023) »al­le­samt er­heb­lich aus­ge­wei­tet« und zu »Au­toren­por­träts aus­ge­stal­tet« wor­den, so Böt­ti­ger. Er­staun­lich, dass acht von die­sen fünf­zehn Au­toren be­reits 2004 in der bei Zsol­nay er­schie­ne­nen Text­samm­lung Nach den Uto­pien vor­ge­stellt wur­den. Auf ei­nen Ver­gleich der Tex­te wur­de ver­zich­tet.

Die Län­ge der ak­tu­el­len Bei­trä­ge va­ri­iert zwi­schen 11 und 23 Sei­ten, aber selbst in den län­ge­ren Tex­ten kämpft Böt­ti­ger zu­wei­len mit dem Ma­te­ri­al. Zum ei­nen ver­zich­tet er weit­ge­hend auf als be­kannt vor­aus­ge­setz­te Le­bens­lauf­füh­run­gen und wid­met sich statt­des­sen den ein­schnei­den­den Prä­gun­gen, und de­ren li­te­ra­ri­sche Ver­ar­bei­tung. Zum an­de­ren ist er aber im­mer wie­der ge­nö­tigt, kur­ze In­halts­an­ga­ben zu Ro­ma­nen oder Er­zäh­lun­gen ab­zu­ge­ben. Ge­löst wird letz­te­res durch die Su­che sich im­mer wie­der­keh­ren­der Mo­ti­ve, die Rück­schlüs­se und Deu­tun­gen er­mög­li­chen und Bö­gen span­nen in­ner­halb ei­nes Wer­kes. Häu­fig das Auf­zei­gen von Par­al­le­len mit an­de­ren Au­toren. Da­bei fällt auf, dass ins­be­son­de­re Franz Kaf­ka mehr­mals ge­nannt wird. Man fragt sich, ob die Tat­sa­che, dass Wolf­gang Hil­big tat­säch­lich Hei­zer war und sein Le­ben der Li­te­ra­tur auf­ging schon gleich­be­deu­tend da­mit, dass er sich an Kaf­ka ori­en­tiert?

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