Der Wald und die Bäu­me (X)

Post­skrip­tum »Auf­klä­rung ist der Aus­gang des Men­schen aus sei­ner selbst­ver­schul­de­ten Unmündig­keit.« Seit ich die­sen be­rühm­ten De­fi­ni­ti­ons­satz zum er­sten Mal las, und das ist nun schon ziem­lich lan­ge her, fra­ge ich mich im­mer aufs Neue, in­wie­fern die von Kant kon­sta­tier­te Un­mün­dig­keit denn selbst­ver­schul­det sei. Ich ha­be bis heu­te kei­ne Ant­wort ge­fun­den. Mit ei­ner zu­sätz­li­chen De­fi­ni­ti­on er­läu­tert ...

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Der Wald und die Bäu­me (IX)

Ab­len­kung

Un­ab­weis­bar ist die Struk­tur­ähn­lich­keit zwi­schen dem di­gi­ta­len Win­do­wing und je­ner Mo­de­krank­heit, die man ab­kür­zend und von den Din­gen ab­len­kend als ADHS be­zeich­net. Leu­te aus mei­nem Be­kann­ten­kreis, die an sy­ste­ma­ti­schen Auf­merk­sam­keits­stö­run­gen und zu­gleich an Hy­per­ak­ti­vi­tät lei­den, ge­hen in ih­rem All­tag häu­fig an ei­nen Ort (zum Bei­spiel in der Kü­che oder auf dem Bal­kon) und er­in­nern sich, wenn sie an­kom­men, nicht mehr, was sie dort ei­gent­lich woll­ten. Not­ge­drun­gen ge­hen sie wei­ter an den näch­sten Ort, aber dort ge­schieht ih­nen das glei­che. Sie kön­nen sich nicht an das er­in­nern, was sie vor­hat­ten, und oft auch nicht an das, was sie kurz zu­vor ge­tan ha­ben. Auch das Ver­ges­sen ei­nes Plans oder Plan­ele­ments ist im Grun­de ge­nom­men ein Ver­ges­sen von seit kur­zem Ver­gan­ge­nem. Ganz ähn­lich ver­hal­ten wir uns, wenn wir »sur­fen«: Ziem­lich rasch ver­ges­sen wir, wo­hin wir »ei­gent­lich« woll­ten und was wir dort zu su­chen hat­ten. Wer vor­sätz­lich surft, et­wa zu Un­ter­hal­tungs­zwecken, strebt die­se Art des Ver­ges­sens an. Für Men­schen, die un­ter ADHS lei­den, sind die­se Sym­pto­me al­ler­dings kein Ver­gnü­gen, son­dern eben Stö­run­gen, die sie an ei­nem halb­wegs be­frie­di­gen­den Le­ben hin­dern kön­nen.

Das Wort »Mo­de­krank­heit« ist un­ge­recht, es klingt ver­ächt­lich. Bes­ser, ich neh­me es zu­rück. An­schei­nend hat aber je­de Zeit be­stimm­te Krank­hei­ten, die ih­re ge­sell­schaft­li­chen Wi­der­sprü­che und Ge­bre­chen auf in­di­vi­du­el­ler Ebe­ne aus­drücken. In­so­fern wird man viel­leicht be­haup­ten kön­nen, daß ADHS die Krank­heit des di­gi­ta­len Zeit­al­ters sei.

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Der Wald und die Bäu­me (VIII)

Ver­ges­sen Fried­rich Nietz­sche, der sei­ne Lauf­bahn als Hi­sto­ri­ker des grie­chi­schen Al­ter­tums be­gann, schrieb ei­ne Ab­hand­lung über den »Nut­zen und Nach­teil der Hi­sto­rie für das Le­ben«. Das in­di­vi­du­el­le wie auch das kol­lek­ti­ve Ge­dächt­nis, so lau­tet sei­ne The­se, wer­de in be­stimmten Pha­sen der Mensch­heits­ent­wick­lung hy­per­troph und be­gin­ne, das Le­ben ein­zu­schrän­ken, am En­de so­gar zu ver­nich­ten. Es kom­me ...

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Der Wald und die Bäu­me (VII)

Ge­ni­al! Die ka­ka­ni­sche Welt, die der Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten be­schreibt, ist ei­ne ge­lähm­te. Zwar wird be­haup­tet, ein gro­ßes Er­eig­nis sei im Ent­ste­hen, aber dann geht nie et­was wei­ter. Die ge­hemm­ten Ak­teu­re ver­hal­ten sich im we­sent­li­chen nicht an­ders als Ul­rich, auch wenn ih­nen des­sen gei­sti­ge Sou­ve­rä­ni­tät, sei­ne Iro­nie und Spott­lust feh­len. In den er­sten Ka­pi­teln des ...

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Der Wald und die Bäu­me (VI)

Fu­nes, der Da­ten­spei­cher Ei­ne Er­zäh­lung von Jor­ge Lu­is Bor­ges heißt Fu­nes el me­mo­rio­so; der Ti­tel läßt sich Wort für Wort nicht gut ins Deut­sche über­tra­gen. Statt sich mit dem Epi­the­ton des Ori­gi­nal­ti­tels her­um­zu­pla­gen, ha­ben die deut­schen Über­set­zer ein Wör­ter­paar als Ti­tel ge­wählt, das im vor­letz­ten Satz der Er­zäh­lung vor­kommt: Das un­er­bitt­li­che Ge­dächt­nis. Das er­staun­li­che, lei­stungs­star­ke, ...

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Lob der Hel­le

Daß Fi­gur und Kör­per­bau ja­pa­ni­scher Frau­en we­ni­ger schön sind als bei den Frau­en im We­sten, mag man be­zwei­feln. Si­cher ist, daß nir­gend­wo sonst Frau­en mit so schö­ner und zar­ter Haut zu fin­den sind. Es wird wohl mit dem Zell­ge­we­be zu tun ha­ben, das bei wei­tem nicht so schnell al­tert wie bei Eu­ro­päe­rin­nen. Die Haut er­schlafft, ja, aber die Zel­len ver­fallen nicht in glei­cher Wei­se wie bei west­li­chen Frau­en, wo je­de über Drei­ßig mit Zellu­litis zu kämp­fen hat. Ja­pa­ni­sche Frau­en ha­ben Jahr­zehn­te zur Ver­fü­gung, um ih­re Schön­heit zu ent­fal­ten. Es ist kein plötz­li­ches Auf­blü­hen und ra­sches Ver­wel­ken, son­dern ein lang­sa­mer, viel­schich­ti­ger, nu­an­cier­ter Vor­gang. Die Frau­en ver­ste­hen es, zu rei­fen. Und nicht nur die so­ge­nann­ten Schön­hei­ten. Viel­leicht den­ken sie gar nicht dar­an; der Kör­per reift von selbst. Bei vie­len ist die Haut durch­schei­nend, man sieht oder ahnt das Adern­werk, die bläu­li­chen Ver­äste­lun­gen. Die Schön­heit der Far­be Weiß ha­be ich erst hier zu be­grei­fen be­gon­nen. Das Aben­teu­er die­ser Far­be, die den Be­griff der Voll­kom­men­heit an­schau­lich macht, aber auch für Schat­ten emp­fäng­lich ist. Schat­tie­run­gen, Pro­jek­tio­nen, mein ei­ge­ner Schat­ten. Der Schat­ten mei­ner rech­ten Hand. Kei­ne Haa­re (oder nur äu­ßerst fei­ne, man sieht sie auch aus gro­ßer Nä­he kaum), kei­ne Fur­chen, kei­ne Wi­der­stän­de. Nur die Flä­chen und Mul­den, die zu­rück­hal­ten­den Run­dun­gen. Die Haut wird zur rei­nen Form, nichts als Ober­flä­che, die Haut macht ver­ges­sen, daß sie et­was hält. Nie wer­de ich die Re­de von der »gelb­li­chen Tö­nung« ver­ste­hen, die die Ja­pa­ner selbst gern füh­ren. In Eu­ro­pa se­he ich gel­be Men­schen; hier nicht. Es gibt kei­ne rei­ne­re, für sich be­stehen­de Hel­lig­keit. Auch dies ein Grund, war­um Schat­ten not­wen­dig sind. Der Kör­per der Frau ver­langt nach dem Schat­ten, der ihn um­hüllt. Der weib­li­che Kör­per ist nicht ex­hi­bi­tio­ni­stisch, will sich nicht, nicht stän­dig, nicht oh­ne Vor­be­hal­te zei­gen. Er will be­stehen, sich be­reit hal­ten, be­rührt wer­den. Eher be­rührt als ge­se­hen. Der weib­li­che Kör­per er­hüllt sich, in­dem er sich zeigt. Den wei­ßen Schlei­er der Haut.

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Der Wald und die Bäu­me (V)

Sape­re au­de! Auch Kri­ti­ker sind über­zeugt, daß es kein Zu­rück gibt, und wün­schen sich kei­nes. Wer die di­gi­ta­len Ge­brauchs­tech­ni­ken und die alt­her­ge­brach­ten Kul­tur­tech­ni­ken wie Le­sen und Schrei­ben, Er­ken­nen und Ver­ste­hen, Wer­ten und Ur­tei­len, Ar­gu­men­tie­ren und Gelten­lassen be­herrscht und mit­ein­an­der zu ver­bin­den ver­steht, ist im Vor­teil. Nicht unbe­dingt im Wett­be­werbs­vor­teil um das schleu­ni­ge­re Wis­sen und die ...

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Der Wald und die Bäu­me (IV)

Klick­ver­wei­ge­rung Ich ken­ne Leu­te, die die Di­gi­ta­li­sie­rung ver­wei­gern, ob­wohl sie nicht um­hin kön­nen, de­ren tech­ni­sche Vor­tei­le doch ab und zu in An­spruch zu neh­men. Ein sieb­zig­jäh­ri­ger Schrift­steller ant­wor­te­te mir, als ich ihm ei­nen link vor­schlug und er­klä­rend hin­zu­füg­te, er müs­se nur dar­auf klicken, er klicke nicht. Das klang ka­te­go­risch, wie ein mo­ra­li­scher Im­pe­ra­tiv. Wie ich ...

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