Vergessen
Friedrich Nietzsche, der seine Laufbahn als Historiker des griechischen Altertums begann, schrieb eine Abhandlung über den »Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben«. Das individuelle wie auch das kollektive Gedächtnis, so lautet seine These, werde in bestimmten Phasen der Menschheitsentwicklung hypertroph und beginne, das Leben einzuschränken, am Ende sogar zu vernichten. Es komme darauf an, schöpferisch zu sein und etwas Neues zu schaffen. Zu diesem Zweck sei es immer wieder nötig, sich vom Überlieferten und, genereller, von der Last des Denkens frei zu machen. Musil drückte es so aus: »Gelegentlich sind wir alle dumm; wir müssen gelegentlich auch blind oder halbblind handeln, oder die Welt stünde still; und wollte einer aus den Gefahren der Dummheit die Regel ableiten: ‘Enthalte dich in allem des Urteils und des Entschlusses, wovon du nichts verstehst!’, wir erstarrten.« Erinnern und Vergessen, Nachdenken und Handeln, Möglichkeiten Sondieren und Ideen verwirklichen: beide Seiten hängen in der prädigitalen Kultur aufs engste zusammen. Die übergroße, ungeordnete, vom Subjekt – dem Verbraucher – nicht mehr differenzierbare und insofern gleichgültige Datenmenge kann zwar zur Unterhaltung dienen, zum sogenannten Infotainment, wo man Beliebiges und Beliebtes auswählt, doch sie steht jenseits der von Nietzsche herausgearbeiteten Dialektik. Die Erinnerungsschwachen haben nichts zu vergessen. Wenn die Gehirne den digitalen Medien endgültig angepaßt worden sind, erübrigt sich nicht nur das Erinnerungsvermögen, sondern auch die Fähigkeit des Vergessens, es kommt zu einer simultanen Dauerpräsenz von gleichgültigen Dingen und einer subjektiven Trance, die gewissen, sakralen oder profanen, in der Geschichte oftmals gepriesenen Erlösungszuständen ähnelt.
© Leopold Federmair
ich frage mich und Sie, ob es nicht besser Kinogänger heißen sollte? Etwas anderes ist es bei dem Wort Untergeher. Untergehen kann einer nur einmal, doch im Kino war einer doch schon, wenn er darüber redet und erzählt wie P. Handke. Während eines Films ist gleichzeitig schwerlich davon zu reden. Auch kann einer im Kino sitzend nicht gleichzeitig dorthin pilgern, wo er schon sitzt. Oder?
Schön dagegen finde ich Drehbuchschreiber, das kann einer sein, der soeben beschäftigt ist damit oder auch ein Autor, der schon einige dieser Drehbücher hinter sich hat. Ähnlich: Plattenaufleger – hingegen DJ. Ich hoffe, Sie halten das nicht für spitzfindig.
@peter zwey
Ihr Kommentar hat nichts mit Leopold Federmairs Text zu tun. Ich nehme an, Sie nehmen Bezug auf den Hinweis auf den Radioessay über Handkes Kinokunst.
Die Frage ist nicht spitzfindig, sondern wichtig. Warum Sie sie ins Lächerliche ziehen, weiss ich nicht. Es ist im übrigen richtig und keine Marotte, dass es »Kinogeher« heisst. Die Antwort versuche ich im Buch zu geben, allerdings eher beiläufig.
@meine_Vorredner
Guten Tag,
die Frage an sich ist doch obsolet. Gehen wir denn davon aus das es früher, oder besser gesagt jemals, eine umfassend gebildete Gesllschaft gab? Natürlich gab es diese nicht. Bildung, eine umfassende, ist etwas das man in der Freizeit erreichen muss und will. Ansonsten war der Mensch schon immer ein Wesen das Berieselung suchte und nicht sich zu bilden suchte.
Man darf nicht in die schonfärberische Sicht verfallen, es sei früher jeder des griechischen und lateinischen mächtig gewesen und hätte unentwegt Platon, Tacitus und Sokrates rezitiert. Besonders im Abendland waren wir für das vergessen sehr anfällig, man betrachte doch nur das nicht umsonst so genannte finstere Mittelalter.
Des Weiteren sind die meisten Menschen, und waren es schon immer, so veranlagt das sie bloß lernen wovon sie denken das sie es benötigen. Man kann das sogar an ihren Kommentaren herauslesen und ich nehme mich dem auch nicht heraus.
Bedenken sie doch nur, haben Sie das Wissen, das die Grundlage ihrer Argumentation bildet, aus jux und tollerei gelernt oder weil Sie es als sinnvoll erachtet haben? Es interessierte Sie und Sie wollten dieses Wissen anwenden wollen, beispielsweise um solche Gedankengänge zu konstruieren und zu kommunizieren.
Von dem her kann man, meines Erachtens nach, nicht Kunstformen wie Kino nicht verurteilen. Auch kann man Infotainment nicht als per se schlecht erachten, denn wir leben nun mal in keinem Kulturkreis in dem man Tag ein Tag ausalles mit jedem disskutieren kann. Diese Dinge snd intelektuell gebildeten vorbehalten und man sollte sich deswegen doch nicht über andere Gruppen stellen die der Bildung nicht den gleichen Stellenwert zu weisen.
MfG DS