Hans Ma­gnus En­zens­ber­ger: Sanf­tes Mon­ster Brüs­sel oder Die Ent­mün­di­gung Eu­ro­pas

Hans Magnus Enzensberger: Sanftes Monster Brüssel
Hans Ma­gnus En­zens­ber­ger: Sanf­tes Mon­ster Brüs­sel

Sel­ten pass­te ein Ti­tel so prä­zi­se zum Duk­tus des Bu­ches: »Sanf­tes Mon­ster Brüs­sel« steht dort in gro­ßen, ro­ten Buch­sta­ben. Der Zu­satz »oder Die Ent­mün­di­gung Eu­ro­pas« ist dann schon der Be­ginn ei­nes Miss­ver­ständ­nis­ses. Muss es nicht hei­ßen »Die Ent­mün­di­gung der Eu­ro­pä­er«? Wie wird »Eu­ro­pa« ent­mün­digt? Was ist das über­haupt – »Eu­ro­pa«?

Sanft und mit fei­ner Iro­nie kommt Hans Ma­gnus En­zens­ber­ger da­her. Wie soll­te er auch an­ders? Ein deut­scher In­tel­lek­tu­el­ler, der ei­ne schar­fe Schrift ge­gen »Eu­ro­pa« bzw. die Eu­ro­päi­sche Uni­on hin­legt – un­denk­bar. So­fort wür­den die gän­gi­gen Eti­ket­ten her­vor­ge­holt. »Eu­ro­pa­skep­tisch« be­deu­tet in Deutsch­land noch mehr als in an­de­ren Län­dern rechts, dumpf und an­ti­mo­der­ni­stisch. Wer möch­te das schon sein? Das Pro­blem sieht En­zens­ber­ger sehr wohl, denn hin­ter die­ser Rhe­to­rik macht er ei­ne Stra­te­gie aus, die…gegen je­de Kri­tik im­mu­ni­sie­ren soll. Wer ih­ren Plä­nen wi­der­spricht, wird als An­ti­eu­ro­pä­er de­nun­ziert. Dies er­in­ne­re von fer­ne an die Rhe­to­rik des Se­na­tors Jo­seph Mc­Car­thy und des Po­lit­bü­ros der KPdSU. Wenn­gleich er an an­de­rer Stel­le den Ver­gleich der EU mit to­ta­li­tä­ren Re­gi­men als ab­we­gig fest­stellt und so­mit ni­vel­liert.

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Ich be­ken­ne, al­so bin ich

Vor­erst ist die La­wi­ne »Atom­kraft – nein dan­ke!« zum Still­stand ge­kom­men. Die Face­book-Pro­fil­bild­chen wer­den wie­der ge­än­dert. Als näch­ste Be­kennt­nis­se wer­den fa­vo­ri­siert: »S21 oben blei­ben« – ein Re­vi­val – (ins­be­son­de­re nach Be­kannt­ga­be even­tu­ell prag­ma­ti­scher Ko­ali­ti­ons­ver­hand­lungs­er­geb­nis­se in Ba­den-Würt­tem­berg) oder »Frei­heit für Ai Wei­Wei«. Scha­de, dass sich »Free Li­bya« nicht so rich­tig durch­ge­setzt hat, aber den Atom­kraft­geg­nern war das Hemd nä­her als der Rock.

So rich­tig voll­wer­ti­ges Mit­glied in den »so­zia­len Netz­wer­ken« ist man ja nur mit ent­spre­chen­dem Be­kennt­nis. Und das soll schon am Pro­fil­bild er­kenn­bar sein. Ich be­ken­ne, al­so bin ich. Schon op­tisch wird deut­lich: Dis­kus­si­on sinn­los. Hier hört der Spaß auf. Wie hal­te ich mir si­cher an­ders­lau­ten­de Ur­tei­le vom Hals? Ich be­ken­ne mich bei Face­book. Da spielt dann auf ein­mal die an­de­re Iko­ne – der Da­ten­schutz – kei­ne Rol­le mehr.

Nie war es so ein­fach im woh­li­gen Mief der glei­chen Mei­nung un­ter sich zu blei­ben – und sich da­bei gut zu füh­len. Der Preis auf die­sem Sub­prime-Markt der po­li­ti­schen Ge­sin­nungs­pro­sti­tu­ti­on ist klein. Das Ver­spre­chen auf An­er­ken­nung ist groß; das Ri­si­ko ge­ring. Wenn man sich jetzt nicht en­ga­giert, wann dann?

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Alex­an­der Ro­sen­stock: Das Los­buch des Lo­ren­zo Spi­ri­to von 1482

Alexander Rosenstock: Das Losbuch des Lorenzo Spirito von 1482
Alex­an­der Ro­sen­stock: Das Los­buch des Lo­ren­zo Spi­ri­to von 1482

Ei­ne schö­ne Be­schrei­bung für die­sen präch­ti­gen Band: »Ei­ne Spu­ren­su­che« nennt Alex­an­der Ro­sen­stock, stell­ver­tre­ten­der Lei­ter der Stadt­bi­blio­thek Ulm, sei­ne Schrift über das Los­buch des Lo­ren­zo Spi­ri­to von 1482. Das Los­buch ist die ver­mut­lich kost­bar­ste In­ku­na­bel des Bi­blio­theks­be­stands. In je­dem Fall han­delt es sich um ein Uni­kat – zwar mit Ge­brauchs­spu­ren, aber durch­aus gut er­hal­ten. Der Bü­cher­samm­ler Er­hard Schad (1604–1681) hat­te das Buch er­wor­ben. Es kam mit sei­ner Bi­blio­thek 1826 in die Stadt­bi­blio­thek Ulm. Zu Be­ginn be­weist Ro­sen­stock mit kri­mi­na­li­stisch-bi­blio­gra­phi­scher Fi­nes­se, dass Lo­ren­zo Spi­ri­tos Los­buch tat­säch­lich das er­ste ge­druck­te Wür­fel­los­buch ist und von 1482 stammt. Ge­zeigt wer­den die Irr­we­ge und fal­schen Quel­len­an­ga­ben ge­nau so wie die Lö­sung des Falls.

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Das neue Amt

Wie Jour­na­li­sten ein neu­es Amt er­fin­den, um den Fall ei­nes Po­li­ti­kers zu dra­ma­ti­sie­ren

Es mag ja ein ge­wis­ser Ge­nuß dar­in lie­gen, der De­mon­ta­ge Gui­do We­ster­wel­les in Scheib­chen bei­zu­woh­nen. Die Haupt­stadt­jour­nail­le setzt da­bei auf ei­nen Drei­sprung. Der Sturz als FDP-Vor­sit­zen­der seit ge­stern ab­ge­hakt. Über die Dis­kus­si­on um die Fort­füh­rung des Au­ßen­mi­ni­sters ha­ben die Me­di­en nun ei­nen Zwi­schen­schritt ein­ge­fügt: Die Auf­ga­be des »Am­tes« des Vi­ze­kanz­lers.

Screenshot tagesschau.de 04.04.11 10.05 Uhr
Screen­shot tagesschau.de 04.04.11 10.05 Uhr

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Ni­na Jäck­le: Ziel­in­ski

Nina Jäckle: Zielinski
Ni­na Jäck­le: Ziel­in­ski
Schil­de­run­gen von schlei­chen­dem Wahn­sinn gibt es in der Li­te­ra­tur seit je­her. Zu­meist do­mi­nier­ten je­doch eher in­di­rek­te, oft­mals dis­kret-um­schrei­ben­de Er­zäh­lun­gen über die je­wei­li­ge Fi­gur und de­ren Wahn­bild, die im Fort­gang des Ge­sche­hens ein­ge­floch­ten wer­den. Wahn­sin­ni­ge in das Zen­trum ei­ner Ge­schich­te zu rücken kam ver­stärkt erst mit der li­te­ra­ri­schen Mo­der­ne. Am schwie­rig­sten sind da­bei je­ne Kon­stel­la­tio­nen, die den of­fen­sicht­lich Wahn­sin­ni­gen selbst er­zäh­len las­sen. Sie un­ter­lie­gen gleich zwei Pro­ble­men: Ei­ner­seits darf der Au­tor die Fi­gur nicht vor­füh­ren und de­nun­zie­ren. Hier­zu wür­de man auch ei­ne über­trie­be­ne Sen­sa­tio­na­li­sie­rung mit­tels bil­li­ger Schock­ef­fek­te zäh­len. An­de­rer­seits droht bei ei­ner zu of­fen­sicht­li­chen und em­pha­ti­schen Par­tei­nah­me die Ge­fahr ei­ner fal­schen He­roi­sie­rung oder gar Ba­ga­tel­li­sie­rung.

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Ent­täuscht

Man wähnt die deut­sche Bun­des­re­gie­rung er­tappt: »Brü­der­le be­grün­det AKW-Not­stopp mit Wahl­kampf«. Ei­ne Mi­schung aus Ent­rü­stung und »Hab-ich-doch-ge­wußt« liest man in den Le­ser­kom­men­ta­ren der ent­spre­chen­den Fo­ren. Der To­des­stoß für Schwarz-Gelb bei den Land­tags­wah­len am Wo­chen­en­de ist vor­pro­gram­miert. 1 Brü­der­le = die Ein­heit für po­li­ti­sche Dumm­heit??

Ich ha­be dar­auf­hin den Ur­sprungs­ar­ti­kel der »Süd­deut­schen Zei­tung« ge­nau ge­le­sen. Und war ei­ni­ger­ma­ßen ent­täuscht. Denn in den kol­por­tier­ten Aus­sa­gen von Mi­ni­ster Brü­der­le am Ran­de ei­ner Sit­zung ist mit­nich­ten da­von die Re­de, dass das Mo­ra­to­ri­um nur aus wahl­kampf­tak­ti­schen Grün­den be­schlos­sen wur­de. Die Ori­gi­nal­text­stel­le in der SZ lau­tet:

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Frie­de­ri­ke Roth: Abend­land­no­vel­le

Friederike Roth: Abendlandnovelle
Frie­de­ri­ke Roth: Abend­land­no­vel­le
Der Ti­tel »Abend­land­no­vel­le« führt zu­nächst in die Ir­re. Tat­säch­lich han­delt es sich bei Frie­de­ri­ke Roths Buch nicht um ei­ne No­vel­le im klas­si­schen Sin­ne. Es ist ein lan­ges Pro­sa­ge­dicht in drei Tei­len; »An­fan­gen end­lich«, »Un­er­hör­te Be­ge­ben­hei­ten. Wie­der­ho­lun­gen nur« und »Am En­de. Kein An­fang.«

Im zwei­ten Teil wird al­so di­rekt Be­zug auf die De­fi­ni­ti­on Goe­thes ge­nom­men. Bei Roth be­steht die un­er­hör­te Be­ge­ben­heit in den schier end­los emp­fun­de­nen Wie­der­ho­lun­gen des Im­mer­glei­chen im Lau­fe ei­nes Le­bens. Früh er­kennt der Le­ser, dass die Auf­tei­lung ein Le­ben ei­nes Men­schen struk­tu­rie­ren soll: Ju­gend und Er­wach­sen­wer­den zu Be­ginn – am En­de das Al­ter, der her­an­na­hen­de Tod. Da­zwi­schen das, was man sa­lopp wie un­voll­stän­dig mit »Le­ben« be­schrei­ben könn­te. Zur »Abend­land­no­vel­le« wird dies durch die ra­di­ka­le Spie­ge­lung die­ses Le­bens in un­se­rer Ge­sell­schaft, dem »Abend­land«.

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Die In­ter­ven­tio­ni­sten und ih­re hu­ma­ni­tä­ren Ak­tio­nen

Es ist schon er­staun­lich, wie sich Ge­schich­te wie­der­holt. 1991, 1999, 2001, 2003 und jetzt 2011. Es sind Jah­res­zah­len der mar­kan­te­sten mi­li­tä­ri­schen In­ter­ven­tio­nen des »We­stens«. Man kann auch Krieg sa­gen, aber das klingt nicht so gut.

So un­ter­schied­lich die Fäl­le sind und so dif­fe­ren­ziert man die Ein­grif­fe be­wer­ten muss – die me­dia­len Mu­ster, wie sich die­se Kon­flik­te dar­stel­len, sind ab­so­lut iden­tisch: Zu­nächst gibt es ei­nen seit Jah­ren agie­ren­den Au­to­kra­ten (oder Dik­ta­tor) in ei­nem Land. Die­ser tut ir­gend­wann et­was, was sicht­bar ge­gen un­se­re Vor­stel­lun­gen von Mo­ral ver­stößt. Wohl ge­merkt: Er muss es sicht­bar tun. Es reicht nicht, wenn er jahr­zehn­te­lang Ab­trün­ni­ge in Ge­fäng­nis­sen fol­tern und um­brin­gen lässt. Es reicht nicht, wenn er ei­nen Ge­heim­dienst­ap­pa­rat un­ter­hält, der re­pres­siv ge­gen die ei­ge­ne Be­völ­ke­rung vor­geht. Es reicht auch nicht, wenn in we­ni­gen Wo­chen bis zu ei­ner Mil­li­on Men­schen um­ge­bracht wer­den, und es ist kei­ne Ka­me­ra da­bei. Es muss et­was ge­sche­hen, was in die gän­gi­ge Bil­der­welt un­se­rer Me­di­en ein­fließt und als schreck­lich, grau­sam, bru­tal oder men­schen­ver­ach­tend be­zeich­net wer­den kann. So­gleich wird die­se Fi­gur zur per­so­na non gra­ta. So­ge­nann­te In­tel­lek­tu­el­le stel­len dann Ver­glei­che an. Der grif­fig­ste Ver­gleich ist im­mer noch der mit Hit­ler. Oder er ist ein­fach ein »Ir­rer«. In je­dem Fall ein »Schläch­ter«. Oder al­les gleich­zei­tig.

Schnell fin­den sich wil­li­ge In­ter­ven­tio­ni­sten. Die Neo­kon­ser­va­ti­ven der USA der 1970–2000er Jah­re und die Grü­nen Eu­ro­pas sind in ih­rem In­ter­ven­tio­nis­mus sehr ähn­lich. Bei­de ver­tre­ten die Ideo­lo­gie, dass am west­li­chen We­sen die Welt ge­ne­sen muss. Schnell po­ten­zie­ren sich die Er­eig­nis­se durch wil­li­ge Hel­fer in den Me­di­en zum schein­bar al­ter­na­tiv­lo­sen Han­deln. Ge­gen­ar­gu­men­te wer­den mit der Bil­li­gung der Ta­ten des Des­po­ten ein­fach gleich­ge­setzt. Der ab­trün­ni­ge Stand­punkt wird de­nun­ziert – dar­in sind sie den­je­ni­gen, die sie be­kämp­fen wol­len, durch­aus eben­bür­tig. Es gibt nur noch schwarz oder weiß – wer nicht für sie ist, ist ge­gen sie.

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