Von Kurz­strecken­fah­rern und Rie­sen

»Von Ra­bau­ken emp­foh­len« ti­telt Ma­gnus Klaue in zeit­on­line und nimmt sich in der ge­fühlt 147. Stel­lung­nah­me den Li­te­ra­tur­kri­ti­ker De­nis Scheck vor. Es gibt wirk­lich wich­ti­ge­re Pro­ble­me, aber ich kann jetzt nicht an­ders als ei­ne 148. Ver­si­on an­zu­schlie­ßen.

Lei­der schreibt Klaue ziem­lich ah­nungs- und kennt­nis­los über Li­te­ra­tur­ver­mitt­lung in Rund­funk und Fern­se­hen. Da ist von der DLF-Sen­dung »Bü­cher­markt« die Re­de, in der Scheck von 1997 bis 2016 tä­tig war. Die­se Sen­dung gibt es im­mer noch, aber der Ver­dacht, den Klaue in­si­nu­iert, dass es sich hier­bei um ei­ne Sen­dung mit au­ßer­li­te­ra­ri­schen In­ter­es­sen (»Dienst­lei­stungs­aspekt«) han­delt, kann nur je­mand aus­spre­chen, der sie noch nie ge­hört hat. Voll­kom­men au­ßen vor lässt Klaue Schecks »lesenswert«-Sendungen im SWR – so­wohl als Dis­kus­si­ons­sen­dung (mit Il­sa Wil­ke, Ijo­ma Man­gold und ei­nem wech­seln­den Gast) als auch sei­ne Ge­sprä­che mit Au­toren. Und von an­de­ren Li­te­ra­tur-Fern­seh­for­ma­ten wie dem Schwei­zer »Li­te­ra­tur­club« und Sco­bels »Buch­zeit« (bei­des auf 3sat) hat er wohl auch noch nie et­was ge­hört.

Schon klar: So­wohl in »Druck­frisch« als auch in den »lesenswert«-Gesprächen fin­det kei­ne Li­te­ra­tur­kri­tik im klas­si­schen Sinn statt. Es sind eher Er­bau­ungs-Schwätz­chen; man ver­steht sich. Scheck pflegt da­bei ei­ne Ni­be­lun­gen­treue zu ei­ni­gen Au­toren. Einst Gün­ter Grass, im­mer noch Mar­tin Wal­ser, vor al­lem Chri­sti­an Kracht, im­mer mehr Ju­li Zeh. Um nur von den deutsch­spra­chi­gen Schrift­stel­lern zu spre­chen, denn ei­gent­lich ge­riert er sich als ame­ri­ka­no­phil. Sei­ne Bei­trä­ge, mit de­nen er sich den von ihm ver­ehr­ten Per­so­nen nä­hert, sind im­mer auch wie Spek­ta­kel in­sze­niert. Für mich un­ver­ges­sen, wie er sich zu ei­nem ba­den­den Schrift­stel­ler in ei­ne war­me Quel­le leg­te – mit An­zug. Lei­der ha­be ich den Na­men des Au­tors und des Bu­ches ver­ges­sen – aber Schecks Ba­de­ko­mö­die eben nicht. Un­längst gab es ein Tref­fen mit Ju­li Zeh hoch zu Ross. Sinn­bild­lich konn­te man se­hen, wie die ge­wand­te Rei­te­rin Zeh den eher di­let­tie­ren­den Scheck an ei­nem Si­cher­heits­zü­gel führ­te. So wird das sich ver­än­dern­de Ver­hält­nis zwi­schen Kri­tik und Au­tor end­lich ein­mal sicht­bar.

Na­tür­lich wä­re so et­was mit Mar­cel Reich-Ra­nicki, Schecks Vor­bild, un­mög­lich ge­we­sen. Aus­führ­lich lässt sich Klaue über die­ses Ver­hält­nis aus. Na­tür­lich nicht oh­ne das Quar­tett und Reich-Ra­nicki mit al­ler­lei Eti­ket­ten zu ver­se­hen. Wie man es halt mit al­ten Wei­nen macht.

Da­bei un­ter­liegt Klaue ei­ni­gen Irr­tü­mern. Die Be­haup­tung, das Quar­tett hät­te kei­ne Wir­kung ent­fal­tet, ist Un­fug. Als der brei­ten Schich­ten un­be­kann­te Jo­sef Wink­ler mit sei­nem Ro­man »Fried­hof der bit­te­ren Oran­gen« von al­len Quar­tett-Teil­neh­mern über den grü­nen Klee ge­lobt wur­de, war die Auf­la­ge bin­nen zwei Werk­ta­gen aus­ver­kauft. Au­toren wie Ce­es Noote­boom oder Ja­vier Ma­ri­as wä­ren nie in die Wohn­zim­mer deut­scher Le­ser ge­kom­men und auch Vik­tor Klem­pe­rers Ta­ge­bü­cher hät­ten nur in den Feuil­le­ton­stu­ben oder Bi­blio­the­ken un­be­nutzt her­um­ge­stan­den.

Auch die The­se, bei Reich-Ra­nicki sei es im­mer ge­sit­tet zu­ge­gan­gen, zeugt von gra­vie­ren­der Un­kennt­nis. Man den­ke nur an die Be­spre­chung vom 30.06.2000 zu Mu­ra­ka­mis »Ge­fähr­li­che Ge­lieb­te« und der per­sön­li­chen In­vek­ti­ven der Her­ren Reich-Ra­nicki und Ka­ra­sek ge­gen­über Frau Löff­ler. Wer sich die­se Er­nied­ri­gung an­se­hen möch­te, kann ja goog­len. Da­ge­gen sind Schecks Spe­ren­zi­en ge­ra­de­zu lä­cher­lich.

Der Un­ter­schied zwi­schen Scheck und Reich-Ra­nicki ist an­ders, als Klau­es Text sug­ge­riert. Wäh­rend MRR kei­ne Kon­fron­ta­ti­on scheu­te, mei­det Scheck weit­ge­hend den Ver­riss, was auch für das »lesenswert«-Quartett gilt bzw. setzt ihn nur par­ti­ell ein. Le­dig­lich wenn er in »Druck­frisch« vor­gau­kelt, die Bü­cher der »Spiegel«-Bestsellerliste ge­le­sen zu ha­ben, ent­schei­det er dann wie sein Vor­bild zwi­schen gut und schlecht, schwarz und weiß. Tau­send­sei­ti­ge Bü­cher wer­den mit ei­nem Zi­tat und/oder zwei apho­ri­sti­schen Sätz­chen ge­lobt oder nie­der­ge­macht. Zum Spiel ge­hört es, dass man sich vor­her fra­gen soll, wie wohl der Mei­ster ent­schei­den wird. Sta­pel oder Ton­ne? Kri­te­ri­en gibt es au­ßer den ei­ge­nen Ge­schmack schein­ba­re kei­ne. Zur Freu­de der Li­te­ra­tur­pro­le­ten und »Midcult«-Adepten sind es fast im­mer die üb­li­chen Ver­däch­ti­gen, die in den Or­kus ge­schickt wer­den. Scheck weiß, dass das heu­te mehr denn je an­kommt. Er pfeift auf die Li­te­ra­tur­kri­tik, wie der »Bild«-Reporter auf den Jour­na­lis­mus.

Scheck steckt in der Auf­merk­sam­keits­fal­le. Das weiß er. Denn ir­gend­wann stumpft der Re­zi­pi­ent ab, ver­langt nach neu­en Pos­sen. So ent­stand sein Ka­non, den Klaue zu Recht kri­ti­siert. Aber er er­füll­te sei­nen Zweck, näm­lich da­mit Geld zu ver­die­nen. Und jetzt, um sei­ne Ei­tel­keit noch mehr zu be­frie­di­gen, ver­fiel Scheck in die Idee des An­ti-Ka­nons, in der er als Zau­be­rer ver­klei­det das Bö­se für im­mer aus der Welt schafft. Gleich­zei­tig auch die Bot­schaft an den Le­ser: Seht her, ich ha­be es für Euch ge­le­sen, ha­be mir den Tort stell­ver­tre­tend für Euch an­ge­tan.

Scheck ist nicht dumm: Dass die Gleich­set­zung von Hit­ler und Chri­sta Wolf als Au­toren je ei­nes schlech­ten Bu­ches Blöd­sinn ist, ist ihm klar. Aber was tut man nicht al­les, um an ober­ster Stel­le zu ste­hen? Hier ist er Reich-Ra­nicki wie­der ähn­lich, der einst auf ei­nem Ti­tel­bild des »Spie­gel« ge­zeigt wur­de, auf dem er Grass’ »Ein wei­tes Feld« zer­riss. Da­bei ist Scheck in sei­nen Ab­leh­nun­gen ei­gent­lich selt­sam ein­sil­big. Wenn ihm et­was nicht passt, ist es zum Bei­spiel »ty­pisch deutsch« oder »hu­mor­los«, »spie­ßig« oder, der ul­ti­ma­ti­ve To­des­stoß pro­vin­zi­ell. Dann, man kennt das, wird ir­gend­ein blö­der Satz her­vor­ge­holt. Da­von gibt es ja schließ­lich in je­dem Buch ei­ni­ge. In ei­ne de­tail­lier­te Kri­tik mit Be­grün­dun­gen steigt er nicht ein. De­nis Scheck fährt im­mer nur Kurz­strecke.

Aber Klaue ist nicht ei­nen Deut bes­ser. Er hat in Wirk­lich­keit kein In­ter­es­se an den Clow­ne­rei­en von Scheck. Er will nur sein Müt­chen küh­len. Da wer­den die schein­bar po­li­ti­schen Ak­tio­nen kri­ti­siert, Schecks Ein­tre­ten für Grass’ Is­rael­ge­dicht et­wa oder ein Blackfacing. Es geht al­so wie­der mal um Ge­sin­nung. Das ist wirk­lich schreck­lich lang­wei­lig. Am En­de zeigt er auch noch sei­ne Ver­ach­tung Le­sern ge­gen­über, Men­schen, die Bü­cher bis zum Schluss le­sen wie »ge­lie­fer­tes Es­sen ver­putzt« wird. Da wirkt Scheck plötz­lich wie­der wie ein Rie­se. Und das will was hei­ssen.