Tho­mas von Stei­n­aecker: Die Pri­vi­le­gier­ten

Thomas von Steinaecker: Die Privilegierten

Tho­mas von Stei­n­aecker:
Die Pri­vi­le­gier­ten

Es be­ginnt wie ei­ne Do­ku über ei­nen Lu­xus-Sur­vi­val-Auf­ent­halt: Bind­al, Mit­tel­nor­we­gen, auf­kom­men­de Schnee­stür­me, ein un­er­war­tet kal­ter Win­ter. Mit­ten dar­in ein Mann in ei­ner Hüt­te, ein Strom-Trans­for­ma­tor, der läuft, mehr als 30 Hüh­ner in ei­nem Stall, ei­ne klei­ne Rü­ben-An­pflan­zung. Er hat Ge­lenk­schmer­zen, ra­tio­niert sei­ne Ibu­profen und ver­sucht, Pflan­zen der Um­ge­bung zu ka­ta­lo­gi­sie­ren. Aus­flü­ge gibt es nur noch sel­ten; min­de­stens ein Wolf ist hör­bar und abends kom­men Flug­hun­de. Als er ei­ne Kat­ze ent­deckt, die we­nig spä­ter von ei­nem Greif­vo­gel ge­schla­gen wur­de, kom­men Er­in­ne­run­gen hoch. Schließ­lich hal­lu­zi­niert er noch ei­ne »Mon­ster­zecke« da­zu – ein Ge­bil­de, dass ihm in der Kind­heit lan­ge Zeit zu schaf­fen mach­te. Er be­ginnt, sei­ne Le­bens­ge­schich­te auf­zu­schrei­ben.

Der Mann ist Ba­sti­an Klecka, 1982 ge­bo­ren und zum Zeit­punkt des Ver­fas­sens sei­ner Bio­gra­phie schreibt man un­ge­fähr das Jahr 2040. Mit sechs Jah­ren ver­liert er sei­ne El­tern bei ei­nem Ver­kehrs­un­fall. Er kommt zu den Groß­el­tern, aber ein Jahr spä­ter stirbt die Groß­mutter. Der Groß­va­ter, 57 Jah­re alt, Ger­ma­ni­stik­pro­fes­sor und Tho­mas-Mann-Ko­ry­phäe, zieht in das Haus, dass Ba­sti­ans Va­ter ge­baut hat­te (er war Ar­chi­tekt), in ei­ne Neu­bau­sied­lung in Ober­viech­tal, ei­nem Ort von 5000 Ein­woh­nern und ver­mit­telt dem Jun­gen früh die Wer­te klas­si­scher Mu­sik und Kul­tur. Es ist das, was er sel­ber spä­ter als »Hö­hen­kamm­kul­tur­an­spruch« be­zeich­nen wird. Statt Fern­se­hen gibt es Couch-Ses­si­ons, in de­nen Mu­sik­stücke ge­hört und zu­ge­ord­net wer­den. So ver­mag er früh schon nach den er­sten Tak­ten den je­wei­li­gen Kom­po­ni­sten und Di­ri­gen­ten zu­zu­ord­nen. Der Fa­vo­rit ist Car­los Klei­ber.

Erst als der Groß­va­ter in den Som­mer­fe­ri­en durch die Mit­her­aus­ge­ber­schaft an ei­ner Tho­mas-Mann-Ta­ge­buch­aus­ga­be zeit­lich ge­bun­den ist und es kei­nen Ur­laub gibt, kann der Jun­ge sich end­lich dem Fern­se­hen und all den Se­ri­en der 1990er Jah­re hin­ge­ben; ins­be­son­de­re Star Trek. Es fällt ihm da­nach schwer, wie­der in den Hoch­kul­tur­mo­dus zu schal­ten.

Im Gym­na­si­um ist er mit dem ru­mä­ni­schen Ilie und der aus Han­no­ver zu­ge­rei­sten Ma­di­ta Au­ßen­sei­ter, weil sie die ein­zi­gen sind, die dia­lekt­frei­es Deutsch spre­chen. Als die drei zu­sam­men ei­nen Deutsch­auf­satz schrei­ben und sich un­ge­recht be­no­tet füh­len, schweißt sie dies zu­sam­men. Ma­di­ta hat ei­ne Kat­ze, die »häss­lich­ste Kat­ze, die ich je­mals ge­se­hen hat­te.« Ir­gend­wie pass­te sie zur »Öko« Ma­di­ta, die schon früh bei Drit­te-Welt-Pro­jek­ten mit­mach­te. Ih­re Mut­ter war Künst­le­rin; der Va­ter war zu ei­ner an­de­ren Frau ge­zo­gen, was Ma­di­ta zu der Aus­sa­ge ver­an­lass­te, dass sie den Va­ter hass­te. Ilies Va­ter ar­bei­te­te in ei­ner Tier­kör­per­be­sei­ti­gungs­an­stalt, die Mut­ter, in Ru­mä­ni­en An­wäl­tin, war Se­kre­tä­rin. Die drei schlie­ßen sich zum Klub der Kat­ze zu­sam­men.

Ir­gend­wann wird Ilie die Mon­ster­zecke, die Ba­sti­an so quäl­te, um­brin­gen und das so­gar fil­men. Dann ist die Kat­ze tot, die Freund­schaft hält und der Ba­sti­an fasst die näch­sten hun­der­te von Sei­ten tref­fend zu­sam­men: »Un­se­re Er­leb­nis­se und Ge­füh­le in je­nen Jah­ren gli­chen oft ex­akt den Zu­ta­ten be­kann­ter Co­ming-of-Age-Ge­schich­ten, ob­wohl wir da­mals der tief­emp­fun­de­nen Über­zeu­gung wa­ren, au­ßer­or­dent­lich ori­gi­nell zu sein.« In­klu­si­ver pu­ber­tä­rer Schü­be.

Man bleibt ver­bun­den, auch wenn man aus­ein­an­der­geht. Ba­sti­an stu­dier­te in Mün­chen auf Lehr­amt, Ilie re­üs­sier­te in ei­ner Pri­va­te-Equi­ty-Fir­ma in Zü­rich und Ma­di­ta wur­de Kin­der­psych­ia­te­rin in Ham­burg. 2009 starb der Groß­va­ter und Ba­sti­an war über­rascht, wie we­nig ihn der Tod traf. Kurz dar­auf hei­ra­te­te er Bri­git­te, die er wäh­rend des Stu­di­ums ken­nen­ge­lernt hat­te. Sie setz­te ihr Lehr­amts­stu­di­um fort, wäh­rend Ba­sti­an zu ei­nem Münch­ner TV-Sen­der ging und ne­ben Do­ku­men­tar­fil­men ein Vir­tu­al-Rea­li­ty-Pro­gramm (VR) ent­wickel­te, in dem ei­ne Soft­ware Ge­sten, Spra­che und For­mu­lie­run­gen ei­ner Per­son über­nah­men, um da­mit ei­ne Art Re­tro-Sen­dung mit ei­nem »künst­li­chen« Mo­de­ra­tor durch­zu­füh­ren. Es ging um »Jeo­par­dy!« mit Frank Elst­ner, der ex­tra des­we­gen ins Stu­dio kam und sich zur Ver­fü­gung stell­te.

2013 wird Sa­mu­el, ge­nannt Sa­my, ge­bo­ren. Von nun switcht der Ro­man zwi­schen dem Pri­vat­le­ben der Fa­mi­lie und Ba­sti­ans Ar­beit hin und her. Es geht um kor­rek­te Koch-Shows und de­ren Ver­lo­gen­heit (ein Prot­ago­nist, ein In­der, wird die sym­pa­thisch­ste Fi­gur im ge­sam­ten Ro­man blei­ben), der Ver­geb­lich­keit se­riö­ser Do­ku­men­ta­tio­nen im Pri­vat­fern­se­hen und um den Aus­bau vir­tu­el­ler Sen­dun­gen.

Dem fa­mi­liä­re Be­reich der drei ent­sprin­gen al­le nur denk­ba­ren Kli­schees. Man schwankt zwi­schen Selbst­ge­fäl­lig­keit und Durch­hal­te­pa­ro­len: »Wir hat­ten ein biss­chen ein schlech­tes Ge­wis­sen. Als wir uns des­sen be­wusst wur­den, ging es uns wie­der ein we­nig bes­ser, da das be­deu­te­te, dass wir nicht völ­lig blind durchs Le­ben lie­fen.« Im­mer wie­der muss man sich auf­sa­gen: »Wir stan­den auf der rich­ti­gen Sei­te. Wir wa­ren die Gu­ten.« Die aus­blei­ben­de Zwei­sam­keit, die durch die je­wei­li­gen Be­ru­fe der bei­den prak­tisch in­exi­stent wird, re­det man sich mit »Bri­git­te und ich lieb­ten uns« pas­send. Kurz dar­auf be­kennt er dann, dass er »ei­ne Ver­si­on von Bri­git­te lieb­te, die diese…schon seit ei­ni­ger Zeit nicht mehr war.«

Die bei­den kon­di­tio­nie­ren Sa­my früh in Rich­tung Welt­ver­bes­se­rung, nicht zu­letzt durch Heft­chen von Ma­di­ta, der Tauf­pa­tin. Zum Dank kor­ri­giert Sa­my schon mit sechs Jah­ren die El­tern hin­sicht­lich ih­rer un­zu­rei­chen­den Müll­tren­nung, lehnt Fleisch­essen, Au­to­fah­ren und Flug­rei­sen ab und über­re­det sie da­zu, nicht mehr bei Za­lan­do zu be­stel­len. Be­son­ders ist Sa­mys »Awa­re-Mo­ment«, als Ba­sti­an ei­nes Ta­ges in sei­nem Bü­cher­re­gal die mei­sten Aus­ga­ben »ver­kehrt her­um, nicht mit dem Rücken, son­dern dem wei­ßen Schnitt zum Be­trach­ter« vor­fin­det. Der Sohn woll­te dar­auf auf­merk­sam ma­chen, »wie viele…Bücher von männ­li­chen wei­ßen Au­toren ge­schrie­ben wor­den wa­ren.«

Ba­sti­an ist schnell ge­rührt; im Sen­der nennt man ihn, der schon mal un­ver­hofft nach In­ter­views zu wei­nen be­ginnt, » ‘Em­pa­thi­cus’ oder auch ‘Em­past­hi­an’ «. Die Heu­che­lei der El­tern wird über­deut­lich, wenn es dar­um geht, in wel­ches Gym­na­si­um Sa­my ge­hen soll – man nimmt das mit we­ni­ger Mi­gran­ten­an­teil. Man zieht in ein Neu­bau­vier­tel mit dem klang­vol­len Na­men »Straw­ber­ry Fields« um (die Erd­beer­fel­der wer­den rasch ein­ge­eb­net; was bleibt, ist das Beat­les-Ge­fühl beim Le­ser). Mit den Jah­ren wer­den die Zäu­ne zu den Sied­lun­gen der »Com­mu­ni­ty« (ei­ne Mi­schung aus Un­ter­schicht­be­woh­nern und Mi­gran­ten) grö­ßer und, wie aus den spo­ra­di­schen Be­schrei­bun­gen her­vor­geht, not­wen­di­ger.

Über hun­der­te von Sei­ten ent­wickelt von Stei­n­aecker nun die wei­te­ren Er­eig­nis­se um Fa­mi­lie Klen­ka. Der Ein­ser-Ab­itu­ri­ent will Me­di­zin in Hei­del­berg stu­die­ren, schmeißt aber ir­gend­wann das Stu­di­um und schließt sich ei­ner Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on an, die nur Men­schen in Deutsch­land hilft. Was Ba­sti­an nicht ge­fällt. Er will lie­ber in der Welt wir­ken und un­ter­stützt mit Ilie und Ma­di­ta ein ku­ri­os an­mu­ten­des Cha­ri­ty-Start-up in der Zen­tral­afri­ka­ni­schen Re­pu­blik. Schließ­lich kün­dig­te Ba­sti­an beim Sen­der und be­schäf­tigt sich in der (fik­ti­ven) Fir­ma »Ali­fe« mit Ho­lo­gram­men ver­stor­be­ner Ce­le­bri­tys. Man kauf­te »die Rech­te an be­rühm­ten To­ten, und zwar aus­schließ­lich deut­schen, und ließ sie als Ava­tare neu er­ste­hen, ähn­lich wie da­mals Frank Elst­ner.« Ba­sti­an stat­tet »die ani­mier­ten Per­sön­lich­kei­ten und die Si­tua­tio­nen« mit ih­rer »See­le« aus und lässt sie le­bens­echt er­schei­nen. Bri­git­te wird Schul-Di­rek­to­rin und be­kommt die Lei­tung für ein über­re­gio­nal be­ach­te­tes Schul­pro­jekt. Mit Stolz ver­mel­det man, dass Sa­my sein Le­ben mit elf Jah­ren be­reits selbst­stän­dig or­ga­ni­siert – es bleibt ihm we­gen der Ar­beits­über­la­stung der El­tern auch kei­ne an­de­re Wahl. Zum wich­tig­sten An­sprech­part­ner wird ihm »Ale­xa«. Zu­dem muss er aus­hal­ten, dass er die »emo­tio­na­le Tank­stel­le« sei­ner El­tern ist. Im­mer­hin be­schei­nigt ih­nen ei­ne Leh­re­rin: »Die­ses Kind hat nichts Bö­ses.«

Ir­gend­wann taucht der Ro­man in die Zu­kunft ein. Da­bei bleibt der Au­tor ver­blüf­fend un­kon­kret und ver­steckt sich hin­ter dem Zaun sei­ner Prot­ago­ni­sten. Im­mer­hin er­fährt man, dass es auf Bahn­hö­fen Si­cher­heits­checks wie an Flug­hä­fen gibt und Su­per­märk­te Ein­lass­kon­trol­len prak­ti­zie­ren. In den »Com­mu­ni­tys« gibt es Seu­chen, da­her bleibt man bes­ser un­ter sich bzw. be­tritt die­se Ge­bie­te nur mit Mas­ke. Fleisch wird künst­lich her­ge­stellt und in Kran­ken­häu­sern über­nimmt ei­ne KI. In den 2030er Jah­ren to­ben in vie­len Län­dern Bür­ger­krie­ge. Auch hier­zu­lan­de zieht sich die Po­li­zei in vie­len Ge­bie­ten zu­rück; Ein­sät­ze wer­den mit Droh­nen vor­ge­nom­men, wenn über­haupt (ei­ni­ge Jah­re zu­vor galt die Po­li­zei zu­sam­men mit der Bun­des­wehr als ei­ne der »mar­tia­li­schen pseu­do­fa­schi­sti­schen In­sti­tu­tio­nen«). In­nen- und Ge­sund­heits­mi­ni­ste­ri­um fi­nan­zie­ren Sur­vi­val- und Selbst­ver­tei­di­gungs­kur­se – in­klu­si­ve ei­nes »De­fen­se De­vice«, ei­ner re­gi­strier­ten Waf­fe für al­le Fäl­le, von der Ba­sti­an ein­mal Ge­brauch ma­chen wird.

War Ba­sti­an in den Trump-Jah­ren noch ein Nach­rich­ten­jun­kie und glaub­te zeit­wei­se, all die­se Mätz­chen des US-Prä­si­den­ten sei­en in Wirk­lich­keit ein Film (ei­ne Art Dé­for­ma­ti­on pro­fes­sio­nel­le des Fil­me­ma­chers), so ist er jetzt an nichts mehr in­ter­es­siert. Die­ses Ver­hal­ten sei­ner Haupt­fi­gur ent­la­stet den Au­tor von der Be­schrei­bung ge­wag­ter Zu­kunfts­sze­na­ri­en. Die Fa­mi­lie ver­bleibt wenn mög­lich in ih­rer Bubble; al­les au­ßer­halb ist ge­fähr­lich. Vir­tu­al Rea­li­ty und KI ma­chen auch im All­tag Fort­schrit­te: Als es spä­ter mög­lich ist, Stim­men ver­stor­be­ner Per­so­nen für »Ale­xa« zu ver­wen­den, hört Ba­sti­an sei­ne Frau mit ih­rer Mut­ter re­den. Im­mer­hin trifft man sich ge­le­gent­lich noch re­al mit Ilie und Ma­di­ta.

Die Um­stän­de au­ßer­halb ih­rer Echo­kam­mer ha­ben kei­nen Ein­fluss auf die Ge­sin­nung des Paa­res und von Sa­my (so­lan­ge er bei den El­tern wohnt). Die drei ba­den in ih­ren Ge­wiss­hei­ten. Im­mer wie­der ver­si­chert man sich, zu den »Gu­ten« zu ge­hö­ren und nichts falsch zu ma­chen. Je­de emo­tio­na­le Re­gung Ba­sti­ans wird aus­ge­spro­chen, quä­lend lan­ge ge­wo­gen und aus­gie­big kom­men­tiert, selbst wenn sich An­nah­men spä­ter als falsch her­aus­stel­len (et­wa da­hin­ge­hend, ob Bri­git­te ei­nen Lieb­ha­ber hat oder nicht). Ex­em­pla­risch ist das Ver­hal­ten ge­gen­über Wer­ner und Til­ly, dem Paar, das die Sur­vi­val­kur­se an­bie­tet. Er fin­det sie sym­pa­thisch, ist aber vol­ler Vor­be­hal­te, weil Wer­ner ein­mal das Wort »Wald­gän­ger« ver­wen­det. So­fort wird ihm »neu­rech­tes« Den­ken un­ter­stellt und ei­ne Ge­samt­aus­ga­be von Ernst Jün­ger im Re­gal des Über­le­bens­trai­ners ver­mu­tet. Spä­ter wer­den es die bei­den sein, die ihn zu ei­ner Art Flucht in die Wild­nis aus­rü­sten.

Es macht we­nig Sinn, die Ge­schich­te in ih­ren Ver­äste­lun­gen wei­ter zu er­zäh­len. Die Pri­vi­le­gier­ten ist hoch­am­bi­tio­niert, aber li­te­ra­risch voll­kom­men ge­schei­tert, weil es kei­ne Spra­che gibt, son­dern nur stumpf nach­er­zählt wird. Da­bei ge­riert sich der Ro­man als Entwicklungs‑, So­zi­al- und Zu­kunfts­text, zeigt Spu­ren des ei­gent­lich ver­ges­se­nen Gen­res der Neu­en Sub­jek­ti­vi­tät und greift bis­wei­len zu me­lo­dra­ma­ti­schen Ef­fek­ten, die nicht sel­ten im Rüh­rungs­kitsch des Prot­ago­ni­sten mün­den. Der Ver­such, ei­nen packen­den Plot zu er­zäh­len, ver­san­det in ei­ner schwa­dro­nie­ren­den und auf­grund ih­rer Be­re­chen­bar­keit am En­de un­in­ter­es­san­ten Haupt­fi­gur. Die ein­zi­ge Ret­tung be­stün­de dar­in, dass es sich um ei­ne Sa­ti­re han­delt, in der die trot­zi­ge Stand­haf­tig­keit des Welt­ver­bes­se­rungs­an­spruchs Ba­sti­ans ka­ri­kiert wird. Aber da­für fehlt die Poin­tie­rung. Und wo­zu dann die aus­ufern­de Kind­heits- und Ju­gend­ge­schich­te?

Wie Ba­sti­an ein­mal Hein­rich von Kleist pa­ra­phra­siert – »Die Wahr­heit war, dass den Men­schen nicht zu hel­fen war« – so möch­te man sa­gen, dass die­sem Kon­strukt nicht zu hel­fen ist. Selbst die Ver­lags­wer­bung, die ei­nen Ro­man »über die ver­pass­ten Chan­cen ei­ner Ge­ne­ra­ti­on« sieht, geht fehl. Si­cher, das öko­lo­gisch und welt­an­schau­lich »per­fek­te«, die bis ins De­tail prak­ti­zier­te »kor­rek­te« Ver­hal­tens­wei­se der Prot­ago­ni­sten – all dies dient nur der ei­ge­nen Selbst­glo­ri­fi­zie­rung. Das hat man ir­gend­wann ver­stan­den. Aber die­se Quint­essenz nach mehr als 620 Sei­ten ist ein we­nig dünn. Merk­wür­dig, dass Ba­sti­an (und da­mit von Stei­n­aecker) die Schwä­che die­ses Ro­mans zu ah­nen scheint: »Gab ich nun der Sehn­sucht nach Er­in­ne­run­gen nach, hät­te ich ver­lo­ren. Ich wuss­te das. Es be­stand die Ge­fahr, dass ich die Kon­trol­le ver­lö­re. Dass ich über­wäl­tigt wer­den wür­de.«

Der ein­zi­ge, der über­wäl­tigt ist, dürf­te Ba­sti­an sein, der am En­de sei­nes drei­jäh­ri­gen Auf­ent­halts in der nor­we­gi­schen Wild­nis den Wolf er­schießt und zur Wet­ter­sta­ti­on zu­rück­kehrt. Dort zeigt man sich über­rascht, dass er über­lebt hat. Und der Le­ser ist an­ders über­rascht: Auch er hat durch­ge­hal­ten.

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