Flor­jan Li­puš: Die Ver­wei­ge­rung der Weh­mut

Florjan Lipuš: Die Verweigerung der Wehmut

Flor­jan Li­puš: Die
Ver­wei­ge­rung der Weh­mut

Das Gast­land der Frank­fur­ter Buch­mes­se 2023 ist Slo­we­ni­en. Mit Blick dar­auf, so lässt es der Ver­lag wis­sen, hat man in der Bi­blio­thek Suhr­kamp den Ro­man Die Ver­wei­ge­rung der Weh­mut von Flor­jan Li­puš neu auf­ge­nom­men. Der Au­tor schreibt auf slo­we­nisch, in­so­fern scheint der An­lass stim­mig. Aber der 1937 ge­bo­re­ne Flor­jan Li­puš ist Öster­rei­cher, ei­ner der pro­fi­lier­te­sten Schrift­stel­ler der Min­der­heit der Kärnt­ner Slo­we­nen.

Egal. Man dankt dem Suhr­kamp-Ver­lag für die­se Neu­auf­la­ge des 1985 erst­mals pu­bli­zier­ten Ro­mans, weil ein mar­kan­ter und wich­ti­ger Ti­tel ei­nem lang­sa­men Ver­ges­sen in An­ti­qua­ria­ten ent­ris­sen und nach vie­len Jah­ren wie­der bi­blio­phil prä­sen­ta­bel wur­de. Dass die deut­sche Über­set­zung von Fab­jan Haf­ner aus dem Jahr 1989 da­bei un­an­ge­ta­stet ge­blie­ben ist, muss zu­sätz­lich ge­rühmt wer­den. (Wenn, dann ein klei­ner Ein­wand: ob man je­ne vier oder fünf ei­gen­tüm­li­che Be­griff­lich­kei­ten nicht in ei­nem klei­nen Glos­sar hät­te er­klä­ren kön­nen.)

Die Hand­lung ist rasch er­zählt: Ein Er­zäh­ler, der von sich als »der Rei­sen­de« er­zählt, kommt zur Be­er­di­gung sei­nes Va­ters in sein Hei­mat­dorf zu­rück. Schon die Fahrt mit dem Zug führt zu Dé­jà-vus aus der Kind­heit, die im­mer wie­der auf­blit­zen. Er sieht die Ar­bei­ten auf dem Feld, Deng­ler und Mä­her mit ih­rer Ern­te­last und ima­gi­niert die Wald­ar­bei­ter mit ih­ren Pfer­de­fuhr­wer­ken, die die ge­schla­ge­nen Stäm­me trans­por­tie­ren und auf­pas­sen müs­sen, wenn es berg­ab geht.

Als er end­lich an­kommt, herrscht ein gro­ßes Ge­drän­ge vor dem auf­ge­bahr­ten To­ten. Zu­nächst be­steht die »Be­gräb­nis­bru­der­schaft« aus Vor­ar­bei­tern, spä­ter dann, ein »Frömm­ler­völk­chen« mit Vor­be­tern und end­lich, ge­gen Abend, wenn die Ar­beit in den Stäl­len ruft, kom­men die Al­ten und Grei­se. Et­was ver­lo­ren wirkt der aus der Groß­stadt kom­men­de, sich nur noch schwer hei­misch füh­len­de Rei­sen­de, scharf und un­ge­schönt, manch­mal ein biss­chen spöt­tisch ist sein Blick, wun­der­bar bild­kräf­tig die, wie Lo­j­ze Wie­ser einst for­mu­lier­te, bor­sti­ge und bor­ki­ge Spra­che, manch­mal nicht frei von Def­tig­kei­ten. Et­wa wenn der Bo­den von Scha­ben, vom ge­reich­ten Tee und Pog­a­ca an­ge­lockt, mit der Zeit »un­sicht­bar« wird, die Tier­chen dann lang­sam in die Ho­sen­bei­ne krie­chen oder es un­ter den Fuß­soh­len knirscht, wenn man un­be­ab­sich­tigt dr­auf­tritt. Dann be­kommt die Ge­sell­schaft das Schau­spiel der sich von der Decke her­ab­bau­meln­den Spin­ne zu se­hen, aber be­vor sie ih­re Ei­er auf dem Al­ten ab­le­gen kann, wird sie weg­ge­wischt. Am Abend, wenn der Stall sich leert und der Och­se be­stimmt ist, wird aus­gie­big in fest­ge­leg­ter Rei­hen­fol­ge ge­ba­det.

Das al­les wird mit be­hut­sa­mer Er­ha­ben­heit und fast klein­li­cher Prä­zi­si­on er­zählt, wo­bei im­mer wie­der die Schär­fen­tie­fe wech­selt. Man kann Die Ver­wei­ge­rung der Weh­mut strecken­wei­se als Kul­tur­ge­schich­te ei­ner in­zwi­schen ver­gan­ge­nen Welt le­sen, in der die Na­tur das Schick­sal und Über­le­ben des Men­schen kon­di­tio­niert. Für Weh­mut oder Kla­gen ist kein Platz. Hier ist der Tod zwar ein Er­eig­nis, aber kei­ne Ka­ta­stro­phe, son­dern ein­ge­bet­tet im ewi­gen, über das je­wei­li­ge In­di­vi­du­um ste­hen­den Kreis­lauf des Seins. Ein­mal wird so­gar sach­te ge­schimpft, dass der Tod des Al­ten ein we­nig un­pas­send ist, weil noch so viel zu tun sei. Und dann ist die Er­in­ne­rung an den Sturz der be­sten Kuh, die ge­tö­tet wer­den muss­te und die Trau­er der Bau­ern, in dem man ta­ge­lang schwar­zes Ge­schirr ver­wen­de­te.

Der Rei­sen­de nimmt am Be­gräb­nis am näch­sten Tag nicht teil, er­kun­det die in­zwi­schen ver­las­se­nen Hö­fe, Or­te der Kind­heit und Ju­gend. Als die Ze­re­mo­nie be­en­det war, hat­te auch der Rei­sen­de »sei­nen Geist ge­stillt, das Rau­schen im Kopf ver­trie­ben«. Drei Jahr­zehn­te spä­ter, in See­len­ru­hig, wird der Li­puš sei­nen Prot­ago­ni­sten an der Be­er­di­gungs­ze­re­mo­nie teil­neh­men las­sen. Er wird den »Über­schuß an Wor­ten für den To­ten« wie auch ei­nen »Schei­ter­hau­fen aus Un­aus­ge­spro­che­nem und Ver­heim­lich­ten« ent­decken und sich am Grab­stein mit dem Va­ter aus­söh­nen.

Noch do­mi­niert in Die Ver­wei­ge­rung der Weh­mut Li­puš’ li­te­ra­ri­scher Im­pres­sio­nis­mus, das An- und Zu­rück­schau­en auf das länd­li­che Le­ben und die Er­in­ne­rung dar­an. In­so­fern kann man den Ro­man als Schar­nier zwi­schen dem Früh­werk Der Zög­ling Tjaž (1972) und dem 2003 er­schie­ne­nen Bošt­jans Flug le­sen, in dem das Schick­sal sei­ner Mut­ter, die von den Na­zis ver­schleppt und er­mor­det wur­de und das Wei­ter­le­ben mit die­ser Ka­ta­stro­phe in phan­ta­stisch-flir­ren­der, ex­pres­si­ver Bil­der­spra­che er­zählt wird. Die­se drei Bü­cher bil­den das Ge­rüst die­ses gro­ßen Schrift­stel­lers, der, wie es Fab­jan Haf­ner im Nach­wort zur 2017 er­schie­nen Er­zäh­lung See­len­ru­hig schrieb, trotz sei­ner Le­bens­ge­schich­te ei­ne »un­er­schüt­ter­li­che, tie­fe Car­in­thi­zi­tät1″ ent­wickelt ha­be und ge­ra­de des­we­gen, »und kei­nes­wegs trotz ihr«, sei­en sei­ne Ro­ma­ne das, »was ei­ner sei­ner Über­set­zer, Pe­ter Hand­ke, dazu…notiert hat: ‘Welt­li­te­ra­tur’ «.


  1. abgeleitet von "Carinthia" für Kärnten 

Kommentar abgeben:

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Angaben sind mit * markiert.