Heinrich Lohse ist es gewohnt, dass sein Name Respekt und einen gewissen Schauder auslöst. Er ist schließlich Einkaufsdirektor. Als er dann plötzlich pensioniert wird, weil seine Einkaufsmethoden nicht mehr erwünscht sind (aus Gründen der Preisersparnis hatte für die nächsten Jahrzehnte Kopierpapier eingekauft), kratzt dies nur ganz kurz an seinem Ego. Er bietet sich an, seiner Frau »im Haushalt« zu helfen und geht einkaufen. Er betritt das Geschäft – und handelt, wie er es seit Jahrzehnten kennt. Er stellt sich vor: »Mein Name ist Lohse – ich kaufe hier ein.« – Und niemand nimmt Notiz davon.
Journalismus
Der deutsche Michael Moore
Einige bezeichnen Christoph Lütgert inzwischen als den deutschen Michael Moore. Es ist anzunehmen, dass dies als Kompliment gemeint ist; die Vorwürfe der Manipulation von Fakten gegenüber Moore sind ja im linksliberalen Mainstream nie mit der notwendigen Ernsthaftigkeit verfolgt worden. Lütgert hat vermutlich keine Fakten verbogen. Aber wie Moore geht er äußerst suggestiv vor und personalisiert gnadenlos seine Dokumentationen. Im Maschmeyer-Film vom 12. Januar erscheint Lütgert gefühlte 20 von 30 Minuten auf dem Bildschirm. Gesten erscheinen in Großaufnahme. Zum festen Bestandteil seiner längeren Filme gehört das Selbstgespräch, in dem er den Zustand der Welt im allgemeinen und im besonderen beklagt. Mal im leeren Fußballstadion von Hannover, mal auf der Straße. Es ist unmöglich, der Meinung Lütgerts in diesen Filmen zu entkommen. Sie ist immer schon da, wird breitgetreten und in jeder Szene unterstrichen – sei es optisch oder über den Kommentar; zumeist simultan. Sogar im Titel ist schon klar: Da sind die Bösen und Galahad Lütgert erklärt uns die Welt. Der Film über den Textildiscounter »KiK« im August 2010 heißt nicht nur »Die KiK-Story« sondern bekommt sofort ein Attribut dazu: »die miesen Methoden des Textildiscounters«. Beim Maschmeyer-Film ging man es etwas sanfter an und titelte nur »Der Drückerkönig und die Politik«. Dafür heißt es dann bedeutungsvoll zu Beginn des Films: »Schurke oder Edelmann«.
Zu Beginn seines Filmes über »KiK« und geht Lütgert einkaufen. Für noch nicht einmal 26 Euro ist er komplett eingekleidet – und wundert sich, wie sowas funktioniert. Er fliegt nach Bangladesch und besucht einen Betrieb, in dem Textilien für »KiK« genäht werden. Er beschäftigt sich mit den Arbeitsbedingungen, den Löhnen und besucht eine Arbeiterin. Deren Neffe liegt im Sterben; die Familie hat kein Geld für eine Behandlung. Lütgert klagt »Das Kind stirbt«, unterdrückt mühsam seine Tränen und suggeriert, »KiK« hätte die Schuld, weil die Näherin zu schlecht bezahlt werde. (Das Kind stirbt dann nicht, sondern findet Behandlung.)
Journalisten sind keine Meinungseunuchen
Ausgerechnet in der sich meinungsfreudig gerierenden Blogosphäre stößt das neue Engagement des ZDF-Journalisten Steffen Seibert als zukünftiger Regierungssprecher auf zum Teil drastische Ablehnung. So kann man beispielsweise nachlesen: »Wo Journalisten, und seien sie vormals auch noch so regierungsfreundlich gewesen, zu Propagandisten werden – und das ganz ohne sich vor der Öffentlichkeit zu schämen, ohne einen Rest von Alibi vorzuschieben -, da ist die unaufdringliche Berlusconisierung der Gesellschaft zum Tagesordnungspunkt erklärt worden.«
Was vielen geschichtsvergessenen Kommentatoren vielleicht nicht präsent ist: Es gab immer schon Journalisten, die von ihrem Amt in die Regierungsadministration wechselten. Und es waren nicht die schlechtesten: Conrad Ahlers beispielsweise (ein »Spiegel«-Mann und später, nach Aufgabe seines Regierungssprecheramtes, ein polemischer Regierungskritiker). Oder – ebenfalls für die sozial-liberale Regierung, Klaus Bölling und Rüdiger von Wechmar. Später dann für die Kohl-Regierung Peter Boenisch und – auch vom ZDF – Friedhelm Ost. Für die Regierung Schröder sprach mit Uwe-Carsten Heye auch ein gelernter Journalist.
Journalistenattrappen
Eigentlich eine Provinzposse, der sich u. a. Stefan Niggemeier in der letzten Woche da angenommen hat: Da druckt die »Torgauer Zeitung« eine Presseerklärung der NPD ab. Wörtlich und ohne Kommentierung. Ohne redaktionelle, sprich journalistische Bearbeitung oder Einbettung. Und ohne Not.
Nachlesen kann man das hier und hier. Die Kommentare bei Niggemeier sind allerdings interessant.