Der Mann mit dem Kas­set­ten­re­kor­der

Malte Herwig: Austrian Psycho
Mal­te Her­wig:
Au­stri­an Psy­cho

Au­stri­an Psy­cho ist ein Ver­such, das in­tel­lek­tu­el­le Öster­reich von Jack Un­ter­we­ger zu ex­or­zie­ren.

»Al­les ist Ver­wand­lung.« So be­ginnt der Jour­na­list und Pu­bli­zist Mal­te Her­wig sei­ne Bio­gra­phie Mei­ster der Däm­me­rung über den Schrift­stel­ler Pe­ter Hand­ke. Und er fügt hin­zu: »Wer die Bio­gra­phie ei­nes Künst­lers schreibt […], soll­te sich ei­ne Neu­gier auf die Me­ta­mor­pho­sen be­wah­ren, die zwi­schen Kunst und Welt hin- und her­füh­ren.« Her­wigs Neu­gier be­schränkt sich nicht nur auf Künst­ler wie Hand­ke. Das The­ma der »Ver­wand­lung« ist der ro­te Fa­den in all den bis­he­ri­gen grö­ße­ren Re­cher­che­ar­bei­ten Her­wigs. Da sind die Flak­hel­fer, 17, 18jährige, die 1944/45 Mit­glied in der NSDAP ge­wor­den wa­ren, und dies, so das Er­geb­nis der Nach­for­schun­gen, mit ih­rem aus­drück­li­chem Wunsch, da es kei­ne »au­to­ma­ti­schen« Par­tei­mit­glied­schaf­ten gab. Aber die­se Men­schen wur­den nach 1945 zu Säu­len der neu­en, de­mo­kra­ti­schen und plu­ra­li­sti­schen Bun­des­re­pu­blik. Her­wig woll­te nicht die Le­bens­lei­stung die­ser Leu­te dif­fa­mie­ren. Es ging um die Su­che nach der Er­klä­rung der Ver­wand­lung von ver­blen­de­ten Na­zi-An­hän­gern zu De­mo­kra­ten. Ei­ne an­de­re Me­ta­mor­pho­se er­leb­te er bei der Pi­cas­so-Ge­lieb­ten Fran­çoi­se Gi­lot, die sich ir­gend­wann dem ver­meint­li­chen Ge­nie als blo­ße Ge­spie­lin ver­wei­gert hat­te, ih­ren ei­ge­nen Weg ging und ei­ne an­ge­se­he­ne Ma­le­rin wur­de – trotz al­ler An­fech­tun­gen und Ran­kü­ne aus dem Be­trieb. Ei­ni­ge Jah­re spä­ter kon­zi­pier­te Her­wig ei­nen wun­der­ba­ren Pod­cast über die so­ge­nann­ten Hit­ler-Ta­ge­bü­cher. Der Ver­wand­lungs­künst­ler hieß dies­mal Kon­rad Ku­jau, der sich als ima­gi­nä­rer Adolf Hit­ler in ei­ne Art Rausch ge­schrie­ben hat­te. Auf­klä­re­risch woll­te die­ser Be­trü­ger nicht wir­ken, son­dern nur sein Ver­mö­gen auf­bes­sern. 2021 ent­deck­te Her­wig die Ver­zau­be­run­gen des »Gro­ßen Ka­l­a­nag« ali­as Hel­mut Schrei­ber, ei­nes Ma­gi­ers, der nicht nur die Va­rie­tés in Eu­ro­pa und Ame­ri­ka, son­dern auch sei­ne Na­zi-Sym­pa­thie als Al­lein­un­ter­hal­ter bei der Fa­mi­lie Gö­ring Weih­nach­ten 1938 »ver­wan­del­te«.

Nun al­so der Frau­ense­ri­en­mör­der Jack Un­ter­we­ger. 2022 re­cher­chier­te Her­wig für den ins­ge­samt sechs­stün­di­gen Pod­cast »Jack. Gier frisst Schön­hei­ten«. Auch hier be­ließ er es nicht bei den üb­li­chen Er­klä­run­gen, die man in je­der True-Crime-Do­ku zu hö­ren be­kommt. Her­wig be­such­te die Hei­mat­keu­sche Un­ter­we­gers in Kärn­ten, fand Zeu­gin­nen, die ihn kann­ten, mit ihm als Kind zu­sam­men­leb­ten. Er zi­tiert aus Brie­fen, Ta­ge­buch­auf­zeich­nun­gen, Un­ter­we­gers »Ge­dich­ten« (die zu­meist Pla­gia­te sind), sei­nem ge­fei­er­ten Ro­man Fe­ge­feu­er und den an­de­ren, we­ni­ger bril­lan­ten Bü­chern, die da­nach ent­stan­den. Es gibt Ori­gi­nal­mit­schnit­te aus In­ter­views mit Un­ter­we­ger, den Re­por­ta­gen und sei­nen Te­le­fon­ge­sprä­chen mit der Ex-Ver­lob­ten. Er be­frag­te ehe­ma­li­ge Ge­lieb­te, Er­mitt­ler, den stell­ver­tre­ten­den Ge­fäng­nis­di­rek­tor, der Un­ter­we­ger im­mer durch­schau­te, des­sen Ur­teil je­doch nie­mand hö­ren woll­te. Bei al­ler Fas­zi­na­ti­on über die Ver­wand­lungs­fä­hig­keit Un­ter­we­gers, wer­den die Ta­ten und de­ren Op­fer nie ver­ges­sen. Vie­les war neu, wie auch El­frie­de Je­lin­eks Sprach­nach­richt, in der sie fast fehlt, her­aus­zu­be­kom­men, wer Fe­ge­feu­er wirk­lich ge­schrie­ben hat.

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Trash for cash

Ei­gent­lich dach­te man, dass mit dem Pod­cast Fa­king Hit­ler von Mal­te Her­wig (2019) die Sa­che mit den Hit­ler-Ta­ge­bü­chern er­le­digt sei. Si­cher­lich, es gab noch die­se un­säg­lich drö­ge so­ge­nann­te Ver­fil­mung glei­chen Na­mens (mit Lars Ei­din­ger als Gerd Hei­de­mann), aber die hat­te ge­gen die Hu­mo­res­ke Schtonk von Hel­mut Dietl kei­ne Chan­ce.

Nun ist man al­ler­dings der Ori­gi­nal-Fäl­schun­gen Ku­jaus hab­haft ge­wor­den, hat sie tran­skri­biert und setzt zum er­neu­ten Scoop an. Fast zeit­gleich ver­öf­fent­li­chen der NDR (an­ge­kün­digt in der Sen­dung Resch­ke-Fern­se­hen) und der März-Ver­lag Ku­jaus Fäl­schun­gen. Der NDR bie­tet zu­sätz­lich ei­ne Voll­text­su­che der (di­gi­ta­li­sier­ten) »Ta­ge­bü­cher« an. Kom­men­tiert wer­den die Ein­tra­gun­gen in bei­den Me­di­en von Ha­jo Fun­ke. So­wohl die Er­läu­te­run­gen des Her­aus­ge­bers des Bu­ches John Goetz als auch die hi­sto­ri­schen Ein­ord­nun­gen von Hei­ke B. Gör­tema­ker fin­den sich im Buch wie auch auf der NDR-Sei­te. In­ter­es­sant ist, dass auf der NDR-Sei­te kein ein­zi­ger Hin­weis auf das Buch im März-Ver­lag zu fin­den ist.

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Mal­te Her­wig: Der gro­sse Ka­l­a­nag

Malte Herwig: Der grosse Kalanag
Mal­te Her­wig: Der gro­sse Ka­l­a­nag

2013 leg­te der Au­tor Mal­te Her­wig ei­ne ein­drucks­voll re­cher­chier­te Stu­die zur so­ge­nann­ten »Flak­hel­fer«- Ge­ne­ra­ti­on vor, aus der her­vor­ging, dass et­li­che der­je­ni­gen, die man (voll­kom­men zu Recht) als die Säu­len der neu­en, de­mo­kra­ti­schen und plu­ra­li­sti­schen Bun­des­re­pu­blik be­zeich­ne­te, mit 17 oder 18 Jah­ren, al­so 1944 und auch noch 1945, Mit­glied in der NSDAP ge­wor­den wa­ren. Und dies, so das Er­geb­nis der Nach­for­schun­gen, mit ih­rem je­weils aus­drück­li­chem Wis­sen, da es kei­ne »au­to­ma­ti­schen« Par­tei­mit­glied­schaf­ten gab. Her­wig ging es da­bei nicht um die Dif­fa­mie­rung der Le­bens­lei­stung von Men­schen wie Hans-Diet­rich Gen­scher, Die­ter Hil­de­brandt, Wal­ter Jens oder Die­ter Wel­lers­hoff (um nur ei­ni­ge zu nen­nen). Was ihn um­trieb war das be­haup­te­te oder wo­mög­lich im Lau­fe der Zeit tat­säch­lich ein­ge­tre­te­ne Ver­ges­sen. Selbst ein­deu­ti­ge Be­le­ge ver­moch­ten bei den mei­sten kein Ein­se­hen zu er­zeu­gen. Die Em­pö­rung der Be­wun­de­rer der Prot­ago­ni­sten ließ er nicht gel­ten. Bio­gra­fien dürf­ten nicht ge­glät­tet wer­den, sie soll­ten ge­ra­de in ih­rer Wi­der­sprüch­lich­keit ge­zeigt wer­den, um die Lei­stun­gen da­nach rich­tig be­ur­tei­len zu kön­nen.

Hat­ten sie nach 1945 über­haupt ei­ne an­de­re Wahl als das Schwei­gen? Was wä­re aus ei­nem Gün­ter Grass ge­wor­den, wenn er bei­spiels­wei­se in­ner­halb der Grup­pe 47 sei­ne Dienst­zeit in ei­ner SS-Pan­zer­di­vi­si­on frei­mü­tig zu­ge­ge­ben hät­te? Hät­te Hans-Diet­rich Gen­scher In­nen- und spä­ter Au­ßen­mi­ni­ster wer­den kön­nen, wenn sei­ne NSDAP-Mit­glied­schaft be­kannt ge­wor­den wä­re? War das En­ga­ge­ment für die neue deut­sche De­mo­kra­tie ei­ne Form der Süh­ne, ei­ne Form der Bu­ße im An­ge­sicht ei­ner le­bens­lang emp­fun­de­nen und/oder spä­ter ver­dräng­ten Scham?

Her­wig scheint fas­zi­niert zu sein von die­ser Form der Ver­wand­lungs­fä­hig­keit von Men­schen. Ei­ni­ge Jah­re spä­ter ver­ant­wor­te­te er ei­nen wun­der­ba­ren Pod­cast über die so­ge­nann­ten Hit­ler-Ta­ge­bü­cher. Der Ver­wand­lungs­künst­ler hieß dies­mal Kon­rad Ku­jau, der sich als ima­gi­nä­rer Adolf Hit­ler in ei­ne Art Rausch ge­schrie­ben hat­te. Auf­klä­re­risch woll­te die­ser Fäl­scher nicht wir­ken, son­dern nur sein Ver­mö­gen auf­bes­sern. Da­her be­trog er. Die Op­fer wa­ren zu­nächst ein gut­gläu­bi­ger Jour­na­list, der die Sto­ry sei­nes Le­bens wit­ter­te und ein paar Blatt­ma­cher. Spä­ter dann Mil­lio­nen Le­ser.

Und nun legt der Tho­mas-Mann-Ken­ner und Pe­ter-Hand­ke-Bio­graph Mal­te Her­wig ei­ne Le­bens­be­schrei­bung über ei­nen ge­wis­sen Hel­mut Schrei­ber vor, der sich einst »Ka­la Nag« und dann, in den 1950er Jah­ren, »Der gro­ße Ka­l­a­nag« nann­te.

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Neu­es vom er­zäh­len­den Bio­gra­phen

Malte Herwig: Meister der Dämmerung
Mal­te Her­wig: Mei­ster der Däm­me­rung

Mal­te Her­wig er­gänzt sei­ne Bio­gra­phie Mei­ster der Däm­me­rung über Pe­ter Hand­ke um die Ge­scheh­nis­se um den Li­te­ra­tur­no­bel­preis 2019

Als Mal­te Her­wig En­de 2010 sei­ne Bio­gra­phie Mei­ster der Däm­me­rung vor­leg­te, war das Werk von Pe­ter Hand­ke zwar nicht ab­ge­schlos­sen, aber gro­ße Über­ra­schun­gen schie­nen nicht mehr zu er­war­ten. Her­wigs Bio­gra­phie, die in vie­lem Neu­es bot (be­son­ders die Brie­fe Hand­kes an sei­nen leib­li­chen Va­ter und die Er­läu­te­run­gen da­zu), gab ei­nen gu­ten Auf­riss von Vi­ta, Werk und Hand­kes Wir­ken im li­te­ra­ri­schen Be­trieb. Fast en pas­sant gab es bis­wei­len ori­gi­nel­le In­ter­pre­ta­tio­nen. Die ewi­ge wie ei­gent­lich dum­me Fra­ge, ob der Bio­graph sei­nen »Ge­gen­stand« mö­gen muss (wenn dem so wä­re, wie könn­te man Bio­gra­phien bei­spiels­wei­se von Ver­bre­chern schrei­ben), stell­te sich nicht. Her­wig ließ kei­nen Zwei­fel dar­an, dass er das Werk Hand­kes, sei­ne Li­te­ra­tur schätz­te – oh­ne da­bei die mensch­li­chen Schwä­chen des Dich­ters zu ver­schwei­gen.

Es kam dann doch an­ders als er­war­tet. Trotz ei­nes Hand­bruchs, der den Dich­ter an­dert­halb Jah­re stark be­hin­der­te, er­schie­nen seit 2010 sechs wei­te­re Er­zäh­lungs­bän­de Hand­kes, drei Thea­ter­stücke (das jüng­ste über den Tsche­chen Zdeněk Ada­mec erst vor we­ni­gen Ta­gen) und ein Jour­nal­band mit Aus­schnit­ten aus sei­nen Auf­zeich­nun­gen zwi­schen 2006 und 2015. Dies al­lei­ne wä­re aber kaum An­lass ge­we­sen, die Bio­gra­phie zu er­gän­zen. Die un­er­war­te­te Ver­ga­be des Li­te­ra­tur­no­bel­preis nebst der sich zwi­schen Ok­to­ber und De­zem­ber 2019 an­schlie­ßen­den »Dis­kus­si­on« dar­über war dann doch Ge­le­gen­heit zur Ak­tua­li­sie­rung.

Der Bio­gra­phie wur­de ein ach­tes Ka­pi­tel mit dem viel­deu­ti­gen Ti­tel Er­wähl­te nach­ge­stellt. So liegt nun im Pan­the­on Ver­lag (bei DVA war 2010 die Bio­gra­phie er­schie­nen; bei­de Ver­la­ge ge­hö­ren zu Ran­dom Hou­se) ei­ne ak­tua­li­sier­te und er­wei­ter­te Aus­ga­be vor. Ne­ben dem neu­en Ka­pi­tel kor­ri­gier­te Her­wig auch ei­ni­ge klei­ne­re Feh­ler (Ge­burts­da­ten) bzw. er­gänz­te in­zwi­schen Ge­sche­he­nes (wie Ster­be­da­ten). Hier und da wur­den ab­ge­wan­del­te For­mu­lie­run­gen für un­be­tei­lig­te Drit­te ge­fun­den. Der Te­nor der ur­sprüng­li­chen Bio­gra­phie wur­de da­durch nicht ver­än­dert; es dürf­te ei­nem ehe­ma­li­gen Le­ser kaum auf­fal­len.

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»Nicht ve­ri­fi­zie­ren – fal­si­fi­zie­ren!«

Fu­ri­os-span­nen­de Zeit- und Me­di­en­ge­schich­te: »Fa­king Hit­ler« lie­fert neue Ein­blicke in das schein­bar Be­kann­te um die Af­fä­re der Hit­ler-Ta­ge­bü­cher

Auch wer es nicht sel­ber er­lebt hat, kennt sie ir­gend­wie: die so­ge­nann­ten Hit­ler-Ta­ge­bü­cher, die 1983 für kur­ze Zeit ganz Deutsch­land elek­tri­sier­ten. Ich war da­mals 24 Jah­re alt. Ma­ga­zi­ne wie »stern« mit ih­ren el­len­gen­lan­gen Fo­to­re­por­ta­gen in­ter­es­sier­ten mich eher we­ni­ger. Das Heft mit den Hit­ler-Ta­ge­bü­chern hat­te ich den­noch ge­kauft. Ob­wohl die Zwei­fel groß wa­ren. Wie­so tauch­ten auf ein­mal, 40 Jah­re nach Kriegs­en­de, die­se Ta­ge­bü­cher auf? Und war­um kom­men sie in ei­nem sol­chen Ma­ga­zin? Wä­re nicht eher der re­pu­ta­ti­ons­mä­ssig hö­her­ste­hen­de Spie­gel die rich­ti­ge Platt­form ge­we­sen? Im Fern­se­hen hiel­ten sich nach mei­ner Er­in­ne­rung zu­nächst Skep­ti­ker und Eu­pho­ri­ker die Waa­ge.

Aber der Scoop währ­te nur ein paar Ta­ge, dann war klar: die Ta­ge­bü­cher wa­ren ge­fälscht. Scheib­chen­wei­se ka­men nun die Ein­zel­hei­ten in die Öf­fent­lich­keit, die ir­gend­wann er­mü­de­ten. Ein paar Jah­re spä­ter noch »Schtonk«; ein Film, der mich nur mä­ssig amü­sier­te, weil ich ihn über­trie­ben und ver­harm­lo­send fand.

Aus heu­ti­ger Sicht ist es er­staun­lich, dass das An­se­hen des Jour­na­lis­mus da­mals nicht dau­er­haft Scha­den nahm. Das hat­te al­ler­dings da­mit zu tun, dass die Schar der Skep­ti­ker sehr schnell Ober­hand ge­wann – vor al­lem auch in den Kon­kur­renz­me­di­en. Jour­na­li­sten­al­li­an­zen und Re­cher­chen­etz­wer­ke gab es da­mals nicht. Am En­de blieb na­he­zu al­les am »stern« haf­ten. Und die hat­ten ih­ren Sün­den­bock, den »Star­re­por­ter« Gerd Hei­de­mann. Der ei­gent­li­che Fäl­scher Kon­rad Ku­jau wur­de eher be­staunt, manch­mal so­gar be­wun­dert. Spä­ter, nach sei­ner Haft, sah man ihn ver­schie­dent­lich im Fern­se­hen, be­vor­zugt in Talk­shows. Man scherz­te und lach­te. Auf You­tube kann man das teil­wei­se noch an­se­hen. Das wi­der­te mich an, weil ei­ne vor­sätz­li­che Ge­schichts­fäl­schung fast wie ein Ka­va­liers­de­likt be­han­delt wur­de. (Spä­ter beim an­de­ren gro­ßen Fäl­scher Bel­trac­chi, der die Schicki-Micki-Möch­te­gern-Kunst-Avant­gar­de hin­ters Licht führ­te, war das an­ders.)

An­fang des Jah­res er­fuhr ich von ei­ner zehn­tei­li­gen Pod­cast-Se­rie »Fa­king Hit­ler« – und das un­ter Ägi­de des »stern«. Mu­tig, mu­tig. Den Au­tor Mal­te Her­wig ken­ne ich per­sön­lich durch mei­ne Be­schäf­ti­gung mit Hand­ke und sei­ne – nach wie vor – lu­zi­de Bio­gra­phie über den öster­rei­chi­schen Schrift­stel­ler. Da­mals ent­deck­te Her­wig Brie­fe von Hand­kes leib­li­chem Va­ter, die un­be­kannt wa­ren. Für sein Buch »Die Flak­hel­fer« ging er in Ar­chi­ve um fest­zu­stel­len, wer von den 1925ff ge­bo­re­nen noch NSDAP-Mit­glied wur­de – und dies spä­ter dann be­stritt. Es gab kei­nen Au­to­ma­tis­mus bei der Mit­glied­schaft – so die re­cher­chier­te Bot­schaft. Das Buch lö­ste Kon­tro­ver­sen aus. Her­wig ging es nicht dar­um, die Leu­te zu de­nun­zie­ren. Er wer­te­te nicht, er be­rich­te­te. Für man­che war dies zu viel, weil sich her­aus­stell­te, dass ih­re Ido­le auch nur Men­schen wa­ren, die sich in ih­rer Ju­gend falsch ver­hiel­ten.

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Mal­te Her­wig: Die Frau, die Nein sagt

Malte Herwig: Die Frau, die Nein sagt
Mal­te Her­wig: Die Frau, die Nein sagt
Es ist der 23. Sep­tem­ber 1953. Ei­ne 32jährige Frau ver­lässt mit ih­ren bei­den Kin­dern (6 und 4) den Ge­lieb­ten. »Kei­ne Frau ver­lässt ei­nen Mann wie mich«, hat­te die­ser ge­tönt. »Ei­nen Mann, so reich und be­rühmt«. »Und sie? Hat­te schal­lend ge­lacht und ihm ent­geg­net, dann sei sie eben die er­ste Frau, die es fer­tig­bräch­te«.

Mit die­ser Sze­ne be­ginnt das Buch »Die Frau, die Nein sagt« von Mal­te Her­wig. Der Mann, den man nicht ver­lässt, ist Pa­blo Pi­cas­so. Er ist da­mals fast 73 Jah­re alt. Die Frau, die in ei­ner der we­ni­gen Re­por­ter­su­per­la­ti­ve in die­sem Buch »die be­rühm­te­ste Über­le­ben­de der Kunst­ge­schich­te« ge­nannt wird, ist Fran­çoi­se Gi­lot. Sie ist die Frau, die nach zehn Jah­ren Nein ge­sagt hat. Und bis heu­te im­mer dann Nein sagt, wenn es ihr passt. Mit al­len Kon­se­quen­zen.

Gi­lot ist Jahr­gang 1921 und 90 Jah­re alt, als sich der SZ-Re­por­ter Mal­te Her­wig bei ihr mel­det. Zehn Mo­na­te lebt die Da­me in New York, im Mai und Ju­ni zieht es sie nach Pa­ris. Sie ist Ma­le­rin ge­we­sen und ge­blie­ben. »5000 Zeich­nun­gen und 1600 Ge­mäl­de« fasst ihr Œu­vre aus 75 Jah­ren. » ‘Au­ßer ma­len tue ich ja nichts’ «, so die la­ko­ni­sche Be­grün­dung für die­ses Werk. Ih­re Zeit mit Pi­cas­so, als sie Mu­se, Mut­ter und Ge­lieb­te war, hat ihr Le­ben zwar ge­prägt, aber Her­wig re­du­ziert sie nicht dar­auf.

Na­tür­lich gab es glück­li­che Ta­ge, wie die­ses Bild, das auch im Buch ab­ge­druckt ist, zeigt. Die ein­zel­nen Etap­pen der Li­ai­son und den Ein­fluss Gi­lots auf Pi­cas­sos Schaf­fen wer­den her­aus­ge­ar­bei­tet. Pi­cas­so sei »der ein­sam­ste al­ler Men­schen« ge­we­sen, so Gi­lot. Dies trotz der zahl­rei­chen Ge­lieb­ten und ver­meint­li­chen Freun­de; Letz­te­re fast al­le Ja­sa­ger. Zur Ein­sam­keit ge­sellt sich die Un­si­cher­heit die­ses ver­meint­li­chen Ber­ser­kers Pi­cas­so. Und dann die­se Ei­fer­sucht als Ma­tis­se sie als Mo­dell nahm. Zu­wei­len zi­tiert Her­wig aus Gi­lots Buch über das Le­ben mit Pi­cas­so.

Das Ge­nie als mensch­li­ches Scheu­sal – man glaubt, dies zu ken­nen und ist dann doch im­mer wie­der über­rascht. Pi­cas­so be­leg­te sei­ne Ex-Ge­lieb­te, die Mut­ter sei­ner Kin­der, mit ei­nem Bann­strahl. Er, der be­rühm­te Mann, droh­te Ga­le­rien und Mu­se­en, ih­nen kei­ne Bil­der mehr zu lie­fern, wenn sie Bil­der von Fran­çoi­se Gi­lot aus­stel­len soll­ten. So schrumpft Grö­ße. Lan­ge Zeit mach­te der Be­trieb, die Kri­tik, mit. Man kennt das.

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»Ich wür­de auch Adolf Hit­ler in­ter­view­en«

Der Jour­na­list, Bio­graph und Re­por­ter Mal­te Her­wig hat­te Ra­do­van Ka­ra­džić, der als ei­ner der Draht­zie­her des Mas­sa­kers von Sre­bre­ni­ca gilt, des größ­ten Kriegs­ver­bre­chens in Eu­ro­pa nach dem Zwei­ten Welt­krieg, im Ge­fäng­nis in Sche­ven­in­gen be­sucht und in ei­ner ein­drucks­vol­len Re­por­ta­ge da­von im letz­ten »SZ-Ma­ga­zin« zu­sam­men mit Ro­nen Stein­ke be­rich­tet.1 Mal­te Her­wig war so freund­lich, ei­ni­ge Fra­gen hier­zu be­ant­wor­ten.2

Be­gleit­schrei­ben: Sie ha­ben Ra­do­van Ka­ra­džić be­sucht und ge­spro­chen. Konn­ten Sie im­mer wäh­rend des Ge­sprächs von den ihm zur Last ge­leg­ten Ta­ten ab­stra­hie­ren?

Mal­te Her­wig: Ja, ein sach­li­cher Zu­gang ist die ein­zi­ge Ge­sprächs­ba­sis für ein gu­tes In­ter­view. Ich wür­de auch Adolf Hit­ler in­ter­view­en – vor­aus­ge­setzt er ist ge­stän­dig. Es ist doch fei­ge und un­ehr­lich ge­gen­über dem Pu­bli­kum, wenn man sich em­pört und Fra­gen stellt im Duk­tus von: »Sie sind ein bö­ser Mensch, was sa­gen Sie da­zu?«. Ich ha­be Mör­der, Gei­stes­kran­ke und Ras­si­sten in­ter­viewt. Aber der In­ter­view­er ist kein Rich­ter. Mich in­ter­es­siert nicht, ob mei­ne Ge­sprächs­part­ner gu­te oder schlech­te Men­schen sind, son­dern was sie zu ih­ren Ta­ten an­ge­trie­ben hat.

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  1. "Gesichter des Todes" - "Süddeutsche Zeitung Magazin" Nr. 19, 9. Mai 2014, S. 12-18 

  2. Die Fragen und Antworten wurden per E-Mail ausgetauscht. 

Stö­rung der Ge­müt­lich­keit

Über Mal­te Her­wigs »Die Flak­hel­fer« Seit vie­len Jah­ren treibt Mal­te Her­wig ein The­ma um: Die Ver­strickun­gen der so­ge­nann­ten Flak­hel­­fer-Ge­­ne­ra­ti­on in das NS-Re­­gime. Ob im »Spie­gel«, dem »Zeit-Ma­­ga­­zin«, im »stern« oder in »Deutsch­land­ra­dio Kul­tur« – im­mer wie­der über­rasch­te Her­wig mit Fun­den aus Ar­chi­ven, die das schein­bar Un­denk­ba­re doch be­le­gen: Et­li­che der­jenigen, die man (voll­kom­men zu Recht) ...

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