Der trot­zi­ge Stoi­ker – Her­mann Lenz zum 100.

Es ist wohl so et­was wie ein Sinn­bild: Wenn man nach vie­len Jah­ren noch weiß, wann und wo man die Bü­cher ei­nes be­stimm­ten Au­tors, ei­ner be­stimm­ten Au­torin ge­le­sen hat. Und wie es ei­nem da­nach ging. Da­bei kommt es nicht un­be­dingt dar­auf an, wie­viel man aus dem Buch tat­säch­lich »be­hal­ten« hat. Son­dern nur, wie man sich die­ses Buch er­le­sen hat. Und mit wel­chen Bil­dern man her­um­läuft, wenn man den Ti­tel oder den Au­tor hört oder liest.

Ich weiß heu­te noch, wie ich Her­mann Lenz’ Eu­gen Rapp-Ro­ma­ne ge­le­sen ha­be. Ich se­he mich mit dem eher mod­rig duf­ten­de Ex­em­plar von »Neue Zeit« aus der Stadt­bi­blio­thek auf dem Bauch le­send. Und stau­nend. Spä­ter dann das fast pro­to­koll­haf­te, für Lenz’ Ver­hält­nis­se zor­ni­ge »Selt­sa­mer Ab­schied«, in dem sein Al­ter ego Eu­gen Rapp durch sei­ner Schwe­ster übel mit­ge­spielt wird, die ihn nach dem Tod der El­tern aus dem Haus treibt, in der Rapp mit sei­ner Frau ge­lebt hat­te. Rapp, der mit Her­mann Lenz ei­ner­seits iden­tisch, an­de­rer­seits aber auch ei­ne Kunst­fi­gur ist, trau­ert ob die­ser Ver­trei­bung vom hei­me­li­gen Stutt­gart ins hek­ti­sche Mün­chen (sei­ne Frau hat dort ein Haus und sie zie­hen dort ein) in der ihm ei­ge­nen Mi­schung aus Me­lan­cho­lie, Gleich­mut und Er­ge­ben­heit. Ir­gend­wann ha­be ich mir die Bü­cher dann ge­kauft. So et­was woll­te ich be­sit­zen.

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Herbst­laub

Als ich Pe­ter Hand­ke im Ok­to­ber bei Pa­ris be­such­te, kehr­te er ge­ra­de vor dem Haus das Laub und schien mich erst gar nicht zu be­mer­ken, wie ich den klei­nen baum­ge­säum­ten Pfad auf das Tor zu­ging. Ein wun­der­ba­res Bild, die­ser fast Sieb­zig­jäh­ri­ge, wie er da­steht mit hoch­ge­krem­pel­ten Är­meln, in fei­ner, aber ab­ge­tra­ge­ner An­zug­ho­se und bar­fuß im ...

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»Ins Hel­le, in den Tag«

Über den groß­ar­ti­gen Dich­ter Flor­jan Li­puš und sein fun­keln­des Sprach­kunst­werk »Bošt­jans Flug« [...] Nur ganz kurz, zu Be­ginn, wird da schein­bar ei­ne Mär­chen­welt er­zählt. Ein Na­tur­idyll evo­ziert. Man wird in den (fik­ti­ven) Ort Te­sen ver­setzt und be­glei­tet ei­nen Jun­gen mit dem Na­men Bošt­jan bei Ge­hen über die We­ge des Wal­des. An der Kreu­zung zum auch ...

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Phra­seo­lo­gi­sche Be­trach­tun­gen über di­ver­se Äng­ste

Es gibt Buch­ti­tel, die im Lau­fe der Zeit im­mer wie­der pa­ra­phra­siert, va­ri­iert, par­odiert und ka­ri­kiert wer­den und so­mit von der Sen­tenz zur Re­dens­art ge­wor­den sind (oder umge­kehrt) wie Jo­han­nes Ma­rio Sim­mels »Es muß nicht im­mer Ka­vi­ar sein« oder Hein­rich Bölls »Die ver­lo­re­ne Eh­re der Ka­tha­ri­na Blum« (hier gibt es noch mehr Bei­spie­le). Zweifel­los ge­hört »Die Angst des Tor­manns beim Elf­me­ter« da­zu. Da­bei han­delt es sich um ei­ne Er­zäh­lung von Pe­ter Hand­ke aus dem Jahr 1970 (und zwei Jah­re spä­ter von Wim Wen­ders ver­filmt wur­de). Die Tat­sa­che, dass Nicht­le­sern die­ses Büch­leins die Be­deu­tung des Ti­tels nicht deut­lich wer­den kann (Ti­ta­ne wie Oli­ver Kahn fin­den es »ko­misch«, dass ein Tor­wart Angst vor [sic!] vor ei­nem Elf­me­ter ha­ben soll, ist doch längst Kon­sens, dass ein Tor­wart im­mer nur zum Hel­den wer­den kann – so­fern er den Ball hält), hält sie nicht vor Inspira­tionen der Ver­ball­hor­nun­gen ab.

Beim ge­nau­en Hin­se­hen zeigt sich, dass die mei­sten Va­ria­tio­nen nicht der In­ten­ti­on des Hand­ke-Ti­tels ent­spre­chen. Kon­ge­ni­al und eng an der »Vor­la­ge« sind Schöp­fun­gen wie »Die Angst der Tor­frau beim Elf­me­ter« und »Die Angst des Ro­bo­ters beim Elf­me­ter«. Auch in »Die Angst der Schä­fer bei der Lam­mung« wird die Gleich­zei­tig­keit von Angst und Er­eig­nis deut­lich.

Pa­ra­phra­siert wird der Ti­tel je­doch fast im­mer falsch

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Die Kra­wall­schach­teln

Wenn man erst ein­mal weiß, dass ei­ni­ge (Polit-)Talkshows im (deut­schen) Fern­se­hen nach ge­wis­sen dra­ma­tur­gi­schen In­sze­nie­run­gen be­setzt wer­den – bei­spiels­wei­se um wäh­rend der Sen­dung or­dent­lich Kra­wall zu er­zeu­gen – kann man die­se per­ver­tier­te Form des Dis­kur­ses nur noch als lä­cher­li­ches Schmie­ren­thea­ter er­tra­gen. Sein ei­ge­nes Ur­teil wird man hier kaum schär­fen kön­nen, zu be­schei­den sind die in­tel­lek­tu­el­len Herausfor­derungen. Es spricht lei­der ei­ni­ges da­für, dass das Feuil­le­ton in ähn­li­ches Fahr­was­ser ab­drif­tet. Und nein: Da­mit sind nicht die (teil­wei­se zu Recht dis­kre­di­tier­ten) Twitter­lümmel und Blog­da­men und ‑her­ren ge­meint, die ih­re ge­sin­nungs­trie­fen­de Mei­nungs-Halb­bil­dung in die Welt hin­aus­po­sau­nen und je­des noch so klei­ne Phä­no­men skanda­lisieren. Längst hat das or­ga­ni­sier­te De­nun­zie­ren auch die sich selbst im­mer noch als Qua­li­täts­me­di­en be­zeich­nen­den In­sti­tu­tio­nen er­grif­fen.

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Ma­ja Ha­der­lap: En­gel des Ver­ges­sens

Am En­de re­ka­pi­tu­liert die ein­mal von ih­rem Va­ter Mic ge­nann­te Er­zäh­le­rin, dass der En­gel des Ver­ges­sens schlicht­weg ver­ges­sen ha­be, die Spu­ren der Ver­gan­gen­heit aus ih­rem Ge­dächt­nis zu til­gen. Die Schutz­en­gel, die das Kind be­hü­ten soll­ten und von der Mut­ter als klei­ne Bild­chen am Kin­der­bett an­ge­bracht wur­den, ha­ben ih­re Ge­stalt ver­lo­ren und wer­den – was für ...

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Ni­na Jäck­le: Ziel­in­ski

Nina Jäckle: Zielinski
Ni­na Jäck­le: Ziel­in­ski
Schil­de­run­gen von schlei­chen­dem Wahn­sinn gibt es in der Li­te­ra­tur seit je­her. Zu­meist do­mi­nier­ten je­doch eher in­di­rek­te, oft­mals dis­kret-um­schrei­ben­de Er­zäh­lun­gen über die je­wei­li­ge Fi­gur und de­ren Wahn­bild, die im Fort­gang des Ge­sche­hens ein­ge­floch­ten wer­den. Wahn­sin­ni­ge in das Zen­trum ei­ner Ge­schich­te zu rücken kam ver­stärkt erst mit der li­te­ra­ri­schen Mo­der­ne. Am schwie­rig­sten sind da­bei je­ne Kon­stel­la­tio­nen, die den of­fen­sicht­lich Wahn­sin­ni­gen selbst er­zäh­len las­sen. Sie un­ter­lie­gen gleich zwei Pro­ble­men: Ei­ner­seits darf der Au­tor die Fi­gur nicht vor­füh­ren und de­nun­zie­ren. Hier­zu wür­de man auch ei­ne über­trie­be­ne Sen­sa­tio­na­li­sie­rung mit­tels bil­li­ger Schock­ef­fek­te zäh­len. An­de­rer­seits droht bei ei­ner zu of­fen­sicht­li­chen und em­pha­ti­schen Par­tei­nah­me die Ge­fahr ei­ner fal­schen He­roi­sie­rung oder gar Ba­ga­tel­li­sie­rung.

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FAZ-Rhe­to­rik

FAZ-Rhe­to­rik* halt: Die »neue« Hand­ke-Bio­gra­phie »ent­hüllt« (gibt es auch ei­ne al­te, die es ver­schwie­gen hat?), dass Hand­ke »heim­lich« bei R. K. war, als die­ser be­reits per Haft­be­fehl ge­sucht war. Kein Wort da­von, dass die IFOR R. K. nicht ver­folg­te und sich die­ser noch im Fe­bru­ar 1997 zu Wort mel­de­te­te und dro­hen konn­te.

Es fehlt na­tür­lich auch nicht der Hin­weis auf die »pro­ser­bi­schen« Äu­sse­run­gen Hand­kes und die »um­strit­te­ne« Grab­re­de (es wa­ren, wie in der Bio­gra­phie auch er­wähnt wird, üb­ri­gens zwei). Dem On­line-Ar­ti­kel der FAZ ist ein Bild von Hand­kes An­we­sen­heit bei der Be­er­di­gung Mi­loše­vićs bei­gefügt. Es trägt den Un­ter­ti­tel »In en­gem Kon­takt.« Mit wem? Mit ei­nem To­ten? Oder gar mit dem da­mals schon über neun Jah­re un­ter­ge­tauch­ten Ka­ra­džić?

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