Jörg Ma­ge­nau: Prin­ce­ton 66

Jörg Magenau: Princeton 66
Jörg Ma­ge­nau:
Prin­ce­ton 66

Wie­der so ein Jah­res­tag: Im April 2016 ist es 50 Jah­re her, dass die Grup­pe 47 in Prin­ce­ton zu­sam­men­traf. Die Ta­gung gilt ge­mein­hin als der An­fang vom En­de der Grup­pe, nicht zu­letzt durch Pe­ter Hand­kes State­ment von der »Be­schrei­bungs­im­po­tenz«, die er bei Au­toren wie Kri­tik glei­cher­ma­ßen kon­sta­tier­te. Ein Wut­aus­bruch mit wuch­ti­gen Vo­ka­beln, ein Auf­bäu­men ge­gen das sich ein­ge­rich­te­te Li­te­ra­tur­estab­lish­ment und de­ren Äs­the­tik. Aber was kann man grund­le­gend Neu­es von die­sem Tref­fen er­fah­ren? Ist nicht schon al­les ge­schrie­ben und ge­sagt?

Ja. Und Nein. Jörg Ma­ge­nau ge­lingt mit sei­nem Buch »Prin­ce­ton 66« das Kunst­stück, aus leid­lich be­kann­ten Quel­len ei­ne packen­de und kon­zi­se Zeit­rei­se zu kom­po­nie­ren, die so­wohl die Stim­mung der Ta­gung prä­zi­se re­kon­stru­iert, als auch hi­sto­ri­sche Ein­ord­nun­gen vor­nimmt. Da­bei geht er chro­no­lo­gisch vor, auch wenn es ge­le­gent­li­che zeit­ge­schicht­li­che Ein­schü­be gibt, die, wie sich zeigt, not­wen­dig sind.

Prak­tisch von der er­sten Sei­te an wird der Le­ser hin­ein­ge­saugt. Man spürt die Lust und die Akri­bie des Au­tors sich durch die Auf­zeich­nun­gen der ins­ge­samt 31 Le­sun­gen (nebst Dis­kus­sio­nen), die al­le­samt auf der Web­sei­te der Prin­ce­ton-Uni­ver­si­tät im Ori­gi­nal ge­spei­chert sind, durch­ge­hört zu ha­ben. So er­schei­nen ei­ni­ge die­ser 50 Jah­re al­ten Tex­te plötz­lich in er­staun­li­cher Fri­sche. Ma­ge­nau er­zählt bei­spiels­wei­se über das (eher stei­fe) Dra­ma von Wal­ter Jens, be­tont die Bri­sanz des ero­tisch-def­ti­gen Grass-Ge­dichts und be­gei­stert sich für die Mi­li­tär-Sa­ti­re »Fein­de« von Rein­hard Lettau, die die ge­sam­te Struk­tur des mi­li­tä­ri­schen Den­kens für im­mer ad ab­sur­dum füh­re. Man scheint förm­lich die Er­zäh­lung des grund­sym­pa­thi­schen Pe­ter Bich­sel, das müh­sa­me Le­sen von Hel­ga M. No­vak oder Hand­kes Haupt­satz­an­ein­an­der­rei­hung zu hö­ren. Ähn­li­ches mit den Re­ak­tio­nen der Kri­tik: Der gut ge­öl­te Joa­chim Kai­ser; Wal­ter Jens, dem Wort­zer­tei­ler aus Tü­bin­gen, der nach sei­nem Vor­trag ganz schnell wie­der die Rol­le des Kri­ti­kers über­nahm. Hans May­ers ge­schlif­fe­ne For­mu­lie­run­gen. Dann Mar­cel Reich-Ra­nicki, ein Grob­motoriker des Ur­tei­lens, stets für Hei­ter­keit und gu­te Lau­ne sor­gend, nicht zu­letzt weil er al­len Red­nern recht gab, um al­len zu wi­der­spre­chen. Und der jun­ge Hell­muth Ka­ra­sek, der sich Mü­he gab, im­mer ein we­nig klü­ger zu wir­ken als er war – wo­ge­gen nichts zu sa­gen wä­re, denn das trifft ja auf al­le zu, bei ihm merk­te man es aber.

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Gün­ter Grass: Von­ne End­lich­kait

Günter Grass: Vonne Endlichkait
Gün­ter Grass: Von­ne End­lich­kait

Es sind 96 Tex­te: Ge­dich­te, Kür­zest­ge­schich­ten, Mi­nia­tu­ren, No­ta­te, Er­zäh­lun­gen. Da­zu 65 Zeich­nun­gen, in weich schattierende[m] Blei. »Von­ne End­lich­kait« lau­tet der Ti­tel. Am En­de er­fährt man, dass das nicht et­wa ein Idi­om aus dem Ruhr­ge­biet ist, son­dern aus der Spra­che der Hei­mat­ver­trie­be­nen stammt, die Grass, wie er schreibt, von jung an ge­wärmt hat­te. Und es ist sein letz­tes Ge­dicht in dem letz­ten Buch, an dem er mit­ge­wirkt hat. Ein Ver­mächt­nis? Ei­ne Samm­lung der letz­ten Ein­sich­ten? Gibt es Versöhnungs­angebote? Ein li­te­ra­ri­sches »I did it my way«?

Ja und Nein. Grass ist auch hier trotz sei­ner ge­sund­heit­li­chen Be­schwer­den (ras­seln­der Bron­chi­en, be­gin­nen­de Taub­heit, vor­über­ge­hend ver­lo­re­ner Ge­schmacks­sinn) der auf­trump­fen­de, be­leh­ren­de, recht­ha­be­ri­sche und wort­ver­narr­te Grass, wie man ihn kennt. Und ja, »re­g­rets« gibt es: Die­sen oder je­nen Brief hät­te ich nicht schrei­ben sol­len. Aber sonst – »too few to men­ti­on«.

Nicht im Wi­der­spruch da­zu die Rück­blen­den und das, was er an to­te Freun­de lan­ge Brie­fe schrei­ben nennt. Ei­ner geht an Wolf­diet­rich Schnur­re und Grass er­zählt ei­ne Ge­schich­te, die ihm der Freund vor Jahr­zehn­ten er­zählt hat­te. Ein wei­te­rer Adres­sat ist das sich ver­geu­den­de Ge­nie Franz Wit­te, viel­leicht ein wie­der­ge­bo­re­ner El Gre­co (so Grass). An­de­re Brie­fe tar­nen sich als Lek­tü­re­ein­drücke und –be­kennt­nis­se: Jean Paul und Ra­belais. Die schön­sten Ge­dich­te der Freun­de wür­den in­zwi­schen in An­tho­lo­gien ent­sorgt, so Grass be­dau­ernd. Sanft die Kri­tik am le­ben­den Hans Ma­gnus, der mal die­sem, mal je­nem Wind hö­rig war (oder ist?) aber so schö­ne Ge­dich­te über den Wol­ken ge­schrie­ben ha­be.

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Von Ären

Gibt es ei­ne Ge­mein­sam­keit zwi­schen dem Tod von Gün­ter Grass und dem Weg­gang von Jür­gen Klopp von Bo­rus­sia Dort­mund? Zu­nächst er­scheint die­ser Zu­sam­men­hang ver­rückt: Hier der Tod ei­nes 87jährigen Schrift­stel­lers, der mehr als 50 Jah­re gro­ße An­er­ken­nung ge­noß aber auch gleich­zei­tig po­la­ri­sier­te. Und dort ein ver­gleichs­wei­se tri­via­les Er­eig­nis: Ein Fuß­ball­trai­ner ver­lässt den Ver­ein. Zwar nicht ...

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Stö­rung der Ge­müt­lich­keit

Über Mal­te Her­wigs »Die Flak­hel­fer« Seit vie­len Jah­ren treibt Mal­te Her­wig ein The­ma um: Die Ver­strickun­gen der so­ge­nann­ten Flak­hel­­fer-Ge­­ne­ra­ti­on in das NS-Re­­gime. Ob im »Spie­gel«, dem »Zeit-Ma­­ga­­zin«, im »stern« oder in »Deutsch­land­ra­dio Kul­tur« – im­mer wie­der über­rasch­te Her­wig mit Fun­den aus Ar­chi­ven, die das schein­bar Un­denk­ba­re doch be­le­gen: Et­li­che der­jenigen, die man (voll­kom­men zu Recht) ...

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Wie wä­re es mit Igno­rie­ren ge­we­sen?

I. Der Apo­ka­lyp­ti­ker

»Sei­ne stän­di­ge Rede…weist ihn als ei­nen Strei­ter aus, der des Geg­ners Sie­ge von da­zu­mal in ge­gen­wär­ti­ges Cha­os um­deu­ten will. Doch so dü­ster er…auftrug, kei­ne der bi­bli­schen Pla­gen hat ihn zum Ret­ter der Kri­sen­not ge­macht.
[…]
Un­ge­ru­fen zwang er sich sei­ner Par­tei auf…Zwei Haupt­rol­len will er ver­kör­pern, will Franz und Karl Moor zu­gleich sein.«

Was wie ei­ne Cha­rak­te­ri­sie­rung der po­li­ti­schen Fi­gur Gün­ter Grass klingt, ist aus des­sen Buch aus dem Jahr 1980 mit dem Ti­tel »Kopf­ge­bur­ten oder Die Deut­schen ster­ben aus«. Es ist ein Aus­schnitt aus ei­ner ge­wal­ti­gen Re­de wi­der den da­ma­li­gen Uni­ons-Kanz­ler­­kan­di­da­ten Franz-Jo­sef Strauß. Ein fik­ti­ves Leh­rer­ehe­paar ließ Grass über­le­gen, ob man in An­be­tracht der Tat­sa­che, dass die­ser Strauß bald Bun­des­kanz­ler wer­den könn­te, über­haupt noch gu­ten Ge­wis­sens Kin­der in die Welt set­zen soll­te. Und über­haupt sei es ja, so Grass’ in sei­nen Fi­gu­ren, gar nicht so schlimm, wenn die Deut­schen aus­ster­ben wür­den (der Au­tor sel­ber hat da­für ge­sorgt, dass dies nicht di­rekt der Fall sein wird).

Grass’ en­er­gi­scher An­ti-Strauß-Text wirkt in sei­nem nied­li­chen Re­duk­tio­nis­mus heu­te amü­sant. Aber man täu­sche sich nicht: Die Si­tua­ti­on im links­in­tel­lek­tu­el­len Mi­lieu En­de der 1970er Jah­re war tat­säch­lich fast apo­ka­lyp­tisch ge­prägt: Strauß als Bun­des­kanz­ler galt als Welt­un­ter­gangs­sze­na­rio; die Bun­des­re­pu­blik droh­te min­de­stens in den Mief der Ade­nau­er-Zeit zu ver­sin­ken, wenn nicht Schlim­me­res.

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Fuß­ball-WM mit Gün­ter Grass

Nein, nicht die ak­tu­el­le. Die von 1990. [2.7.90] Das Dau­men­hal­ten für die Tsche­chen wäh­rend des gest­ri­gen Spiels oder die Hoff­nung bis zum Ver­län­ge­rungs­schluss­pfiff, es mö­ge Ka­me­run ge­lin­gen, die Eng­län­der zu schla­gen, wor­auf sie im Halb­fi­na­le den Deut­schen zei­gen, was ei­ne ehe­ma­li­ge Ko­lo­nie auf die Bei­ne zu stel­len ver­mag. (Das Gan­ze na­t­rü­lich nicht oh­ne Rück­fäl­le: Klins­mann ...

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Ich ha­be Gün­ter Grass ge­se­hen

A.d.L.e.R: Aus dem Le­ben ei­ner Rik­scha­fah­re­rin – Nr. 1

Letz­tes Jahr ha­be ich Gün­ter Grass ge­se­hen, als ich am Pa­ri­ser Platz mit der Rik­scha auf Kund­schaft war­te­te. In Cord­samt ge­klei­det und Pfei­fe rau­chend kam Grass aus der Aka­de­mie der Kün­ste, ging in Rich­tung Un­ter den Lin­den und war da­bei mit ei­nem an­de­ren Herrn tief in ein Ge­spräch in­vol­viert. Grass ging sehr lang­sam, die gei­sti­ge An­stren­gung zwang ihn, hin und wie­der ste­hen zu blei­ben. Wäh­rend sein Ge­sprächs­part­ner an sei­nen Lip­pen hing, hin­gen Grass’ Schul­tern nach un­ten her­ab. Ich er­wog, Grass an­zu­spre­chen: »Herr Grass, darf ich Sie bit­ten, ge­wäh­ren Sie mir die Eh­re, Sie ein Stück des Wegs mit der Rik­scha zu fah­ren?« Grass hät­te dann in ei­ner sol­chen Rik­scha ge­ses­sen, wie sie in der Ver­fil­mung sei­ner Er­zäh­lung »Un­ken­ru­fe« zum Ein­satz ge­kom­men ist, und ich hät­te al­le mei­ne Kol­le­gen in un­se­rem in­ter­nen Pro­mi-Fahr­gast-Wett­be­werb haus­hoch aus­ge­sto­chen. Al­ler­dings wä­ren kon­tro­ver­se Dis­kus­sio­nen mög­lich ge­we­sen an­ge­sichts solch pro­mi­nen­ter Fahr­gä­ste wie ... und ge­ra­de, als ich dies dach­te, blieb Grass, der nun ge­nau auf mei­ner Hö­he war, aber­mals ste­hen.

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