Heinrich Lohse ist es gewohnt, dass sein Name Respekt und einen gewissen Schauder auslöst. Er ist schließlich Einkaufsdirektor. Als er dann plötzlich pensioniert wird, weil seine Einkaufsmethoden nicht mehr erwünscht sind (aus Gründen der Preisersparnis hatte für die nächsten Jahrzehnte Kopierpapier eingekauft), kratzt dies nur ganz kurz an seinem Ego. Er bietet sich an, seiner Frau »im Haushalt« zu helfen und geht einkaufen. Er betritt das Geschäft – und handelt, wie er es seit Jahrzehnten kennt. Er stellt sich vor: »Mein Name ist Lohse – ich kaufe hier ein.« – Und niemand nimmt Notiz davon.
Authentizität
Wiederbelebungsversuch an einer Leiche
Wie führt man sich als neuer Feuilleton-Chef eigentlich in eine Redaktion ein? Welche Akzente setzt man? Was ist programmatisch zu erwarten? Schwierig. Richard Kämmerlings, von der F.A.Z. kommend seit 1. Oktober Chef des Feuilletons leitender Kulturredakteur bei der »Welt«, versucht es erst gar nicht mit Originalität. Er belebt eine Leiche, die man eigentlich vor einigen Jahre recht gerne zu Grabe getragen glaubte. Kämmerlings darf jetzt endlich darüber schreiben. Er will den »großen deutschen Roman«. Wobei dies nicht ganz stimmt. Damit jeder sofort weiß, wo die Vorbilder zu suchen sind, wird das Vermisste sofort anglifiziert: »Wo bleibt die Great German Novel?« Wow. Was für ein Mut!
Natürlich ist Jonathan Franzen das aktuelles Vorbild. Kämmerlings sucht nach einem Äquivalent, welches einem Amerikaner den Deutschen erklärt. Dabei geht er stillschweigend von zwei Prämissen aus: Zunächst glaubt er, Franzens Buch »erkläre« dem tumben Deutschen die amerikanische Seele. Und zum anderen glaubt er, Literatur als Referenz für eine Entität oder Nation heranziehen zu können.
Ist Ich eine Andere?
Fragen zu Miriam Meckels »Brief an mein Leben«
Ein »Burnout« ist eine Art Erschöpfung, ein physisches und psychisches Ausgebranntsein eines Menschen. Wo einst eine Hyperaktivität und fast pausenloses Engagement war, macht sich plötzlich lähmende Antriebsschwäche bis hin zu Depressionen breit. Der Begriff ist durchaus umstritten; eine einheitliche Definition gibt es nicht. Zweifellos hat Miriam Meckel mit ihrem Buch »Brief an mein Leben« einen enormen Publizitätsschub für die Problematik des »Burnout« erzeugt. Als bekannte Professorin und Publizistin bekommt ihr Buch einen Prominenten-Bonus in den Medien. Zudem passt es in einer wahren Serie von Krankheitsgeschichten Prominenter, wie etwa Leinemann und Schlingensief, die ihre Krebserkrankungen geschildert haben (was Iris Radisch zur flapsigen Bemerkung einer »Metaphysik des Tumors« veranlasste) bis zum Buch des an Depressionen erkrankten ehemaligen Fußballspielers Sebastian Deisler.
Benjamin Stein: Die Leinwand

Gar nicht so einfach, mit dem Lesen dieses Buches anzufangen. Denn man hat unverhofft zwei Möglichkeiten. Entweder man beginnt mit dem Teil von und über Amnon Zichroni oder man wendet das Buch, dreht es um 180 Grad und beginnt mit Jan Wechsler. (Eine andere Idee, die Kapitel sozusagen abwechselnd zu lesen, dürfte aus Gründen der Praktikabilität fast ausscheiden; hierfür hätte man mindestens zwei Lesezeichen einbinden müssen. Und außerdem bleibt das Problem, wo man beginnt.)
Beide Teile sind fast paritätisch. Man ahnt: Wie man es auch beginnt – es bleibt eine Entscheidung, die die Rezeption prägen wird. Man wird nie erfahren, wie es gewesen wäre, wenn man anders begonnen hätte. Vielleicht werden einmal die Leser von Benjamin Steins Buch »Die Leinwand« anhand ihres Anfangskapitels unterschieden zwischen Zichroni- oder Wechsler-Einsteiger. Ob sich die beiden Lager jemals miteinander verständigen können? Tatsächlich dürften sie zwei unterschiedliche Bücher gelesen haben. Und dieses scheinbar so spaßige Spielchen passt am Ende erstaunlich gut zu Atmosphäre und Intention dieses Buches.