Der Wil­le zum Nicht­wis­sen (5/9)

An­mer­kun­gen zu ei­ner Hand­voll le­gen­dä­rer Sät­ze

5 – Dumm­heit ist ein Wund­mal.

Ge­gen En­de des zwei­ten Welt­kriegs und der na­tio­nal­so­zia­li­sti­schen Herr­schaft in Deutsch­land und Öster­reich ver­öf­fent­lich­ten Max Hork­hei­mer und Theo­dor W. Ador­no ein Buch mit dem Ti­tel Dia­lek­tik der Auf­klä­rung, das bis heu­te viel zi­tiert, aber we­nig ge­le­sen wird (was nicht nur an der Schwie­rig­keit der Ge­dan­ken, son­dern auch am ma­nie­rier­ten, über­la­de­nen Satz­bau liegt). So gut wie gar nicht ge­le­sen wird der Schluß­teil, ei­ne Art An­hang von Frag­men­ten und Skiz­zen, der mit die­sem Satz be­ginnt: »Zu den Leh­ren der Hit­ler­zeit ge­hört die von der Dumm­heit des Ge­scheits­eins.« Dar­an ist zu­nächst ein­mal er­staun­lich, daß die Schrei­ber von ei­ner zu En­de ge­gan­ge­nen Epo­che zu spre­chen schei­nen. Das Buch ist aber 1944 er­schie­nen, im Vor­wort aus die­sem Jahr wei­sen die Au­toren auf den An­hang hin, er dürf­te al­so schon in der Erst­aus­ga­be ent­hal­ten ge­we­sen sein. Wa­ren sich die bei­den gar so si­cher, daß die Hit­ler­zeit dem­nächst der Ver­gan­gen­heit an­ge­hö­ren wür­de? We­nig spä­ter noch noch deut­li­cher, im Im­per­fekt: »Die in Deutsch­land zur Macht ka­men, wa­ren ge­schei­ter als die Li­be­ra­len und düm­mer.«

Ador­no lieb­te pa­ra­do­xe For­mu­lie­run­gen, sei­ne ne­ga­ti­ve Dia­lek­tik sta­chel­te ihn im­mer wie­der da­zu an. Die rhe­to­ri­sche Ma­schi­ne­rie hat je­doch die pro­ble­ma­ti­sche Ten­denz, die Re­de zu­neh­mend von der Er­fah­rungs­wirk­lich­keit zu ent­fer­nen, über sie hinwegzu­schweben oder sie ganz aus dem Blick zu ver­lie­ren. Das Bei­spiel, das Hork­hei­mer und Ador­no mehr an­deu­ten als be­spre­chen, ist die – nicht beim Na­men ge­nann­te – Be­schwich­ti­gungs­po­li­tik des sei­ner­zei­ti­gen bri­ti­schen Pre­mier­mi­ni­sters Cham­ber­lain ge­gen­über dem sich im­mer ag­gres­si­ver ver­hal­ten­den NS-Re­gime. Im nach­hin­ein ist man na­tür­lich ge­schei­ter, aber das Zö­gern nicht nur Cham­ber­lains, son­dern zahl­rei­cher Ver­ant­wort­li­cher in ver­schie­de­nen Län­dern wä­re doch zu­nächst nicht als Zei­chen von man­geln­der In­tel­li­genz, son­dern ei­ner Zu­rück­hal­tung zu wer­ten, die in vie­len Si­tua­tio­nen klug sein mag, im ge­ge­be­nen Fall je­doch falsch war. Zu vie­les, vor al­lem aber: zu lan­ges Nach­zu­den­ken kann die not­wen­di­ge Hand­lungs­be­reit­schaft hem­men – das zeigt uns schon das Bei­spiel Ham­lets, des Prin­zen von Dä­ne­mark. Soll man in die­sen Fäl­len aber ge­nau­so von Dumm­heit spre­chen, wie man es bei Ge­dan­ken­lo­sig­keit oder man­geln­der In­tel­li­genz tut? Ich fürch­te, die dia­lek­ti­sche bzw. pa­ra­doxa­le Fi­gur, zu der die bei­den Den­ker ge­lan­gen, rührt da­her, daß sie das Wort »Dumm­heit« mit zwei­er­lei Be­deu­tung ge­brau­chen. Sie be­ruht auf se­man­ti­scher In­kon­gru­enz.

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Car­lo Stren­ger: Zi­vi­li­sier­te Ver­ach­tung

Carlo Strenger: Zivilisierte Verachtung
Car­lo Stren­ger:
Zi­vi­li­sier­te Ver­ach­tung

»Ei­ne An­lei­tung zur Ver­tei­di­gung un­se­rer Frei­heit« un­ter­ti­telt Car­lo Stren­ger sein Buch und es ist glück­li­cher­wei­se nicht ei­nes je­ner Pam­phle­te, die den markt­li­be­ral-öko­no­mi­schen Frei­heits­be­griff hoch­le­ben lässt, son­dern es geht ihm um die Rück­be­sin­nung auf die Wer­te der Auf­klä­rung in un­se­rer post­mo­der­nen Welt, die mit »zi­vi­li­sier­ter Ver­ach­tung« ge­stärkt wer­den soll.

»Zi­vi­li­sier­te Ver­ach­tung« be­deu­tet, dass je­ne Wert- und Mo­ral­po­si­tio­nen, die den frei­heit­li­chen Idea­len der Auf­klä­rung ent­ge­gen­ste­hen, ge­äch­tet und nicht mit fal­scher To­le­ranz ge­dul­det wer­den. Die zi­vi­li­sier­te Ver­ach­tung steht da­bei in Op­po­si­ti­on zur »po­li­ti­schen Kor­rekt­heit«. Ein eher un­glück­li­cher Be­griff, wo­bei an­de­re Vo­ka­beln wie »Ap­pease­ment« oder »Re­la­ti­vis­mus« ähn­lich kon­ta­mi­niert ge­we­sen wä­ren. Stren­ger meint mit po­li­ti­scher Kor­rekt­heit nicht die Über­set­zung ver­meint­li­cher oder tat­säch­li­cher Sprach- und Denk­ver­bo­te, son­dern je­nen ni­vel­lie­ren­de Sicht­wei­se, die auch an­ti­auf­klä­re­ri­sche Wert­vor­stel­lun­gen aus Rück­sicht vor an­de­ren kul­tu­rel­len Prä­gun­gen gleich­be­rech­tigt gel­ten lässt. Stren­ger hält ei­ne vor­aus­ei­lend po­stu­lier­te Gleich­ran­gig­keit an­de­rer, an­ti­auf­klä­re­ri­scher Wer­te und Mo­ral­vor­stel­lun­gen für ei­ne »gro­tes­ke Ver­zer­rung des auf­klä­re­ri­schen To­le­ranz­prin­zips«.

Der be­son­ders ab den 1960er Jah­ren in der po­li­ti­schen Lin­ken ver­foch­te­nen The­se, dass das Ver­hal­ten des ko­lo­nia­li­sti­schen, wei­ßen Man­nes die Auf­klä­rung als ge­schei­ter­tes Pro­jekt dis­kre­di­tiert ha­be, und die sich der­zeit wie­der neu­er Be­liebt­heit er­freut, wi­der­spricht Stren­ger scharf. Auch den Vor­wurf ei­nes »Eu­ro­zen­tris­mus« und/oder ei­ner ein­sei­ti­gen und idea­li­sier­ten Fi­xie­rung auf den »We­sten« lässt er nicht gel­ten, was er mit der welt­wei­ten »Strahl­kraft west­li­cher Er­run­gen­schaf­ten« be­grün­det. Die Kri­tik an der Auf­klä­rung als »Ent­hu­ma­ni­sie­rungs­pro­jekt« wird ent­schie­den zu­rück­ge­wie­sen.

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Die sprach­lich-schrift­li­che Kon­ver­genz un­se­rer Wel­ten. Ein prag­ma­ti­scher Ver­such über Er­ken­nen, Welt und Kom­mu­ni­ka­ti­on.

1 Vor­be­mer­kung Un­se­re Be­dürf­nis­se von An­nä­he­rung und Deu­tung, der Wil­le zu ver­ste­hen und zu wis­sen, wei­sen, zu­sam­men mit der Neu­gier­de, auf ei­nen all­ge­mei­nen Zu­stand von Un­ge­nü­gen und ei­ne spe­zi­el­le Selbstun­ge­nüg­sam­keit hin. Mit den Fra­gen mensch­li­chen Da­seins kon­fron­tiert, su­chen wir die Nä­he an­de­rer, ei­ner Art Er­wei­te­rung we­gen: Wir tre­ten ih­nen be­griff­lich ge­gen­über, so­weit wir be­grif­fen ha­ben, ...

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Mo­ham­med Abed Al-Ja­bri: Kri­tik der ara­bi­schen Ver­nunft – Ein­füh­rung

Kritik der arabischen VernunftDie »Kri­tik der ara­bi­schen Ver­nunft« ist ein vier­bän­di­ges Werk: Der er­ste Teil er­schien 1984 un­ter dem Ti­tel »Die Ge­ne­se des ara­bi­schen Den­kens«, 1986 er­schien »Die Struk­tur des ara­bi­schen Den­kens«, 1990 »Die ara­bi­sche Ver­nunft im Po­li­ti­schen« und 2001 dann »Die prak­ti­sche ara­bi­sche Ver­nunft«.

Mo­ham­med Abed Al-Ja­bri* wur­de 1935 in ei­ner Ber­ber­fa­mi­lie im süd­li­chen Ma­rok­ko ge­bo­ren. Er ab­sol­vier­te ei­ne Schnei­der­leh­re, wur­de Volks­schul­leh­rer und be­gann 1958 ein Phi­lo­so­phie­stu­di­um in Da­mas­kus. 1970 pro­mo­vier­te er über den Hi­sto­ri­ker und »Vor­läu­fer der mo­der­nen So­zio­lo­gie«** Ibn Khal­dun. Er un­ter­rich­te­te is­la­mi­sche Ideen­ge­schich­te in Ra­bat. An­fang der 80er Jah­re be­gann Al-Ja­bri Bü­cher zu pu­bli­zie­ren und wur­de da­mit un­ter ara­bi­schen In­tel­lek­tu­el­len be­kannt. Bis auf Band drei der Kri­tik, der 2007 un­ter dem Ti­tel »Die po­li­ti­sche Ver­nunft im Is­lam: Ge­stern und heu­te« in fran­zö­si­scher Spra­che pu­bli­ziert wur­de, sei Al-Ja­bris Haupt­werk bis­her in kei­ner an­de­ren Spra­che ver­öf­fent­licht wor­den (so der Ver­lag), was durch­aus Ab­sicht des Au­tors war, der den in­ner­a­ra­bi­schen Dia­log be­för­dern woll­te statt in an­de­ren Kul­tur­krei­sen zu re­üs­sie­ren.

Die »edi­to­ri­sche No­tiz« des Ver­lags ver­wirrt den Le­ser mehr als das sie auf­klärt. Der Ver­lag schreibt, daß die »syn­op­ti­schen Tex­te, die in das vor­lie­gen­de Buch ein­ge­gan­gen sind« nicht Teil der »Kri­tik« sei­en, son­dern aus zwei an­de­ren Tex­ten Al-Ja­bris stamm­ten. Aus­ge­wählt wur­den die­se Tex­te von Ah­med Mah­foud und Marc Ge­off­roy, wo­bei Mah­foud, der als »Freund und Agent« Al-Ja­bris vor­ge­stellt wird, die Über­set­zung al­ler vier Bän­de der »Kri­tik« vom Ara­bi­schen ins Fran­zö­si­sche vor­ge­nom­men hat.

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