Die Schön­heit des be­ob­ach­ten­den Tiers

Die fein­füh­lig-re­fle­xi­ven Er­zäh­lun­gen des Rai­ner Ra­bow­ski

Rainer Rabowski: Die gerettete Nacht
Rai­ner Ra­bow­ski:
Die ge­ret­te­te Nacht

Mo­men­te der Won­ne: Ei­ne Frau und de­ren Lä­cheln her­aus ei­ner Art Se­kun­den­bei­schlaf an Mit­wis­se­rei und Kom­plizenschaft, wie er manch­mal un­ter völ­lig Frem­den mög­lich ist, durch nichts wei­ter be­dingt. Kon­tra­stie­rend mit dem Wüh­len ei­nes Selbst-Ent­wur­zel­ten in ei­nem rie­si­gen Hau­fen Sperr­müll, red­se­lig auf ei­ne schräg-um­ständ­li­che Wei­se, ein gei­sti­ges Ver­stol­pern im all­mäh­li­chen Sor­tie­ren und Sich­ten des erst noch zu fin­den­den La­ge­plans sei­ner Ge­danken. Es sind fast Epi­pha­ni­en, die Rai­ner Ra­bow­ski da be­schreibt, nein – dar­auf muss man be­stehen -: er­zählt. Es sind Er­zäh­lun­gen, »Le­bens­mit­schrif­ten« vom Aufgehoben­sein in ei­ne von al­lem an­de­ren gelöste[n] Be­we­gung. Was doch die­se Schlaf­lo­sig­keit, die dem Ich-Er­zäh­ler in schö­ner(?) Re­gel­mä­ßig­keit (oder Unregel­mäßigkeit?) al­les her­vor­bringt: Ein Fla­nie­ren in der Stil­le der Nacht. Ei­ner Nacht, die, wenn man ge­nau hin­hört, hin­sieht und riecht die­se Schön­heit des…alles ge­nau be­ob­ach­ten­den Tiers zu er­zeu­gen ver­mag (ganz im Ge­gen­satz zur schau­rig-af­fek­ti­ven Jekyl­l/­Hyde-Ver­wand­lung).

Da der Ich-Er­zäh­ler na­men­los bleibt, ist es ver­füh­re­risch, ihn mit dem Au­tor gleich­zusetzen oder zu ver­wech­seln. Der Ort ist über­deut­lich Düs­sel­dorf (die Stadt Pe­ter Kür­tens, wie es ein­mal heißt) und mehr als nur Ku­lis­se (wie sich schon in der Be­zeich­nung »Düs-Tro­pi­en I« auf der er­sten Sei­te zeigt): Tau­send­füß­ler, Gleis­an­schluss Gather­hof, Haupt­bahn­hof Hin­ter­ein­gang, Für­sten­platz, Burg­platz, Bil­ker Al­lee, See­stern, Ecke Her­zog-/Cor­ne­li­us­stra­ße, Gu­stav-Poens­gen-Stra­ße, Ka­ro­lin­ger­stra­ße, etc. Wer will, kann auf ei­ner Kar­te Punk­te ma­chen, die­se ver­bin­den und er­hält ein Be­we­gungs­pro­fil. Ob­wohl: die wirk­lich wich­ti­gen Or­te blei­ben an­ge­deu­tet, et­wa die B‑Straße, G‑Straße oder K‑Straße – als gel­te es, die­se jung­fräu­lich zu er­hal­ten und dem Zu­griff des neu­gie­ri­gen Le­sers zu ent­zie­hen.

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Ma­thi­as Énard: Zo­ne

Fast 600 Sei­ten ei­ne Sua­da oh­ne Punkt in 21 Ka­pi­teln (plus drei Ka­pi­tel »Zi­ta­te« aus ei­nem fik­ti­ven Buch aus dem li­ba­ne­si­schen Bür­ger­krieg). Ka­pi­tel, die über 40, 50 und mehr Sei­ten ge­hen – be­stehend nur aus ei­nem ein­zi­gen Satz; ei­ne Blei­wü­ste, in der sich der Le­ser zu­wei­len ver­irrt, ver­ir­ren soll, ganz schnell taucht er dort hin­ein, ...

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Aria­ne Brei­den­stein: Und nichts an mir ist freund­lich

Ariane Breidenstein: Und nichts an mir ist freundlich
Aria­ne Brei­den­stein: Und nichts an mir ist freund­lich

Ein As­so­zia­ti­ons­rausch. Ko­ral­len­bäu­me des Er­zäh­lens. Ei­ne mit­rei­ssen­de Sua­da. Viel­leicht ein Me­ne­te­kel. Manch­mal mit fei­ner Iro­nie und manch­mal (wie die ganz frü­he Je­li­nek) sprach­spie­le­risch-ka­lau­ernd (Nah­rung, Neh­rung, Ku­ri­sche). Und vor al­lem mit fast im wört­li­chen Sin­ne wahn­sin­ni­ger Spra­che mit ei­ner gleich­zei­tig an­mu­ten­den, an­hei­meln­den Sprach­me­lo­die; ein in den be­sten Sze­nen rhyth­misch-poe­ti­sches Wut­ge­dicht in Pro­sa­form (die manch­mal ei­gen­wil­li­ge Kom­ma­set­zung will erst er­le­sen wer­den). Und da­bei mei­len­weit von ei­ner fau­len Ent­rü­stungs­me­ta­pho­rik oder scha­lem Ge­wit­zel ent­fernt. Ein Buch für die sprich­wört­li­che In­sel – es ver­langt nach mehr­ma­li­ger, in­ten­si­ver Lek­tü­re und je­des Mal er­scheint ein neu­er Aspekt, ein neu­es De­tail, ein neu­er Ton, der al­les vor­he­ri­ge nicht kon­ter­ka­riert, son­dern er­gänzt und man wird und wird mit dem schma­len Büch­lein so schnell nicht fer­tig.

Am An­fang be­geht man viel­leicht noch den Feh­ler, der Frau, der of­fen­sicht­lich je­des so­zia­le Ver­hal­ten fremd ist, ein­fach ei­ne Krank­heit an­hän­gen zu wol­len, nach ihr zu fahn­den, zu dia­gno­sti­zie­ren. Ih­re Som­nam­bu­li­tät ei­ner­seits und rast­lo­se Un­ru­he an­de­rer­seits; ihr ani­mi­sti­sches Den­ken, ih­re Be­trach­tungs­ver­ses­sen­heit (wer hat je­mals ei­ne zer­mat­sche Erd­bee­re am Bo­den so schön und me­ta­pho­risch ge­ra­de­zu ze­le­briert?), ih­re Baum­lie­be, die in den Wunsch gip­felt, zu ei­nem Baum zu wer­den (auch hier ei­ne Bil­der­fül­le), ih­re Be­gei­ste­rung für Ja­ne Cam­pi­ons »Pia­no«. Man sam­melt ei­ne Zeit lang In­di­zi­en. So, als müs­se man al­lem gleich ei­nen Stem­pel auf­drücken, um es / um sie dann bes­ser be­herr­schen zu kön­nen. Aber dann wird man glück­li­cher­wei­se ir­gend­wann end­gül­tig ver­zau­bert. Ver­zau­bert und ge­bannt, hin­ein­ge­so­gen in die­se Wort­kas­ka­den, in die­ses wil­de Ge­tüm­mel, wel­ches oft ge­nug schein­bar un­zu­sam­men­hän­gen­des her­bei­phan­ta­siert und ver­bin­det.

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Mar­tin von Arndt: ego shoo­ter

»Ich glau­be, man soll­te über­haupt nur sol­che Bü­cher le­sen, die ei­nen bei­ßen und ste­chen. Wenn das Buch, das wir le­sen, uns nicht mit ei­nem Faust­schlag auf den Schä­del weckt, wo­zu le­sen wir dann das Buch? […] Wir brau­chen aber Bü­cher, die auf uns wir­ken wie ein Un­glück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod ei­nes, den wir lie­ber hat­ten als uns, wie wenn wir in Wäl­der ver­sto­ßen wür­den, von al­len Men­schen weg, wie ein Selbst­mord…« (Franz Kaf­ka an Os­kar Pol­l­ak 1904)

Martin von Arndt: ego shooter
Mar­tin von Arndt: ego shoo­ter
Der Ein­stieg: Im Nu. Schon nach den er­sten Sei­ten des Bu­ches kann man sich die­sem Sog nicht mehr ent­zie­hen, der von Ko­vács Er­zähl­strom (ei­ne Nie­der­schrift?) aus­geht. Der Le­ser taucht mit dem Prot­ago­ni­sten in ei­ne Welt, die er so noch nie ge­se­hen hat. ego shoo­ter ist ein Aben­teu­er für den Le­ser; ein Buch, das beisst und sticht.

Und schnell ver­gisst man die gän­gi­gen Kli­schees der Nerds, die Tag und Nacht vor den Com­pu­tern hocken und »her­um­bal­lern«. Ko­vács ist zwar ein Spie­ler; ein Pro­fi­spie­ler. Er hat vie­les über die (deut­schen) »Flie­ger­hel­den« des er­sten und zwei­ten Welt­kriegs ge­le­sen und spielt näch­te­lang in spe­zi­el­len Fo­ren um Punk­te und Geld mit ent­spre­chen­den Flug­si­mu­la­to­ren. Aber der ad­ler ist ein Mensch, nicht nur ein see­len­lo­ser Be­nut­zer­na­me. Und es ist das Ver­dienst von Mar­tin von Arndt, dies in den Vor­der­grund des Bu­ches zu stel­len; ego shoo­ter ist pri­mär kein Psy­cho­gramm ei­nes »Bal­ler­spie­lers«. Es ist eher ei­ne Selbst­ver­ge­wis­se­rungs­schrift ei­nes Men­schen, der droht, an der Welt zu ver­zwei­feln (das er es noch nicht ist, macht ei­ne Qua­li­tät die­ses hoch­am­bi­tio­nier­ten und gran­dio­sen Bu­ches aus).

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