Ich weiß nicht, wann ich Radetzkymarsch von Joseph Roth das erste Mal gelesen habe. Es war sicherlich ein Bibliotheksexemplar. Nun also, nach vielen Jahren, wieder (nach dieser Version). Wie so oft erkannte man Passagen, andere wiederum waren einem gänzlich entfallen. Wie würde man die Generationengeschichte der Trottas heute lesen und beurteilen, wenn nicht Joseph Roth der Autor wäre? Hat dieses Buch, um eine (leider scheinbar) unumgängliche Vokabel zu verwenden, heute noch »Bestand«? Immer wieder wird es referenziert. Inzwischen gilt fast als ein Dokument für die Unausweichlichkeit des Untergangs der Habsburger Monarchie.
Radetzkymarsch umfasst drei Generationen. Es beginnt 1849, als Leutnant Joseph Trotta in einer geistesgegenwärtigen Aktion dem Kaiser Franz Joseph I nach der Schlacht von Solferino das Leben rettet, indem er im letzten Moment den Monarchen aus der Schussbahn eines Snipers wirft und dabei selber an der Schulter verwundet wird. Der Kaiser lässt sich nicht lumpen, erhebt seinen Lebensretter in den Adelsstand (»Freiherr von Sipolje«), befördert ihn zum Hauptmann und wird später mit einem üppigen Beitrag die Ausbildung von Josephs Sohn finanzieren (was der Retter, wie es heißt, »mißmutig entgegen« nahm).
Der Grund für den Missmut: Er findet eines Tages im Schulbuch seines fünfjährigen Sohnes Franz eine Darstellung des Geschehens der Rettungsaktion, die nicht den Tatsachen entspricht. Zwar wird er dort namentlich als Retter erwähnt, aber den Kaiser stellt man als heroischen Teilnehmer eines Gefechts dar. Joseph von Trotta ist entsetzt, beschwert sich bei seinem Vorgesetzten, schreibt einen Brief an das Unterrichtsministerium und als beides verpufft sogar an den Kaiser. Die Antwort ist immer die gleiche: Man soll doch bitte die Sache nicht so ernst nehmen. In Kinderbüchern würde nun mal vereinfacht; später erfolgten schon noch Korrekturen. Was natürlich – das wusste Joseph – nie passiert.