Pe­ter Hand­ke / Al­fred Kol­le­rit­sch: Schön­heit ist die er­ste Bür­ger­pflicht

Die Phi­lo­lo­gi­sie­rung des Wer­kes von Pe­ter Hand­ke schrei­tet vor­an. Nach der Ver­öf­fent­li­chung des Brief­wech­sels mit Ni­co­las Born im Jahr 2005 und – ein Jahr spä­ter – Her­mann Lenz nun die Pu­bli­ka­ti­on der Kor­re­spon­denz zwi­schen Freun­den, die noch am Le­ben sind (Al­fred Kol­le­rit­sch).

Peter Handke / Alfred Kolleritsch: Schönheit ist die erste Bürgerpflicht
Pe­ter Hand­ke / Al­fred Kol­le­rit­sch: Schön­heit ist die er­ste Bür­ger­pflicht

Die­se ist zu­nächst ein­mal für den werk­in­ter­es­sier­ten und ein biss­chen kun­di­gen Le­ser von Be­deu­tung, aber oben­drein für den durch E‑Mail oder SMS in­zwi­schen dem Brief­schrei­ben ent­wöhn­ten Zeit­ge­nos­sen. So ist die­ser Brief­wech­sel zwi­schen Al­fred Kol­le­rit­sch (ge­bo­ren 1931) und dem elf Jah­re jün­ge­ren Hand­ke zu­sätz­lich ein Do­ku­ment ei­ner schwin­den­den Kul­tur­tech­nik – ei­ner Kul­tur­tech­nik des Wor­tes, der Nu­an­ce, der Al­bern­heit, der Ernst­haf­tig­keit, der Schwer­mut (und auch des Nach­schau­ens im Brief­ka­sten ob der sehn­suchts­voll er­war­te­ten Ant­wort).

Vie­le der – man ahnt es im Ver­lauf des Bu­ches – schö­nen, ja: rei­chen Brie­fe Kol­le­rit­schs sind nicht mehr da (der Ver­lust wohl Hand­kes zahl­rei­chen Um­zü­gen ge­schul­det), so dass die Kor­re­spon­denz von Pe­ter Hand­ke ei­ne Über­zahl bil­den. Manch­mal kann man auf­grund der Ant­wor­ten ein biss­chen er­ah­nen, was wohl im Brief ge­stan­den ha­ben mag – spä­ter, wenn dann auch Kol­le­rit­sch-Brie­fe ab­ge­druckt sind, merkt man, dass man die­sen Stil dann ver­misst.

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Ei­ni­ges zu »Die mo­ra­wi­sche Nacht« von Pe­ter Hand­ke

Über das Ver­schwin­den der Vor­ur­tei­le zu er­zäh­len, das sei Epik – so heisst es an ei­ner Stel­le in der »Mo­ra­wi­schen Nacht« von Pe­ter Hand­ke. So ganz sind die­se Vor­ur­tei­le (oder Ur­tei­le) bei den Da­men und Her­ren Kri­ti­ker noch nicht ver­schwun­den – es wird reich­lich Bu­ße fest­ge­stellt und manch­mal kann es schlim­mer sein, so hin­ter­rücks, so ...

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Pe­ter Hand­ke: Ge­stern un­ter­wegs

Gestern unterwegs - Hörbuch
Ge­stern un­ter­wegs – Hör­buch

In »Ge­stern un­ter­wegs« setz­te sich die Ent­wick­lung aus den Jour­na­len von Pe­ter Hand­ke fort, die sich schon bei sei­nem vor­letz­ten Jour­nal »Am Fels­fen­ster, mor­gens« ab­zeich­ne­te. Wäh­rend die ta­ge­buch­ähn­li­che Jour­na­le da­vor durch­aus auch apho­ri­sti­sches ent­hiel­ten, teil­wei­se ein biss­chen jun­gen­haft da­her­ka­men, zei­gen sich in der von Hand­ke vor­ge­nom­me­nen Aus­wahl ins­be­son­de­re bei »Ge­stern un­ter­wegs« ne­ben den Reise‑, nein, bes­ser: Geh-Im­pres­sio­nen auch die Fin­ger­übun­gen zu spä­ter ent­ste­hen­den Bü­chern. Das ist bei ei­nem Dich­ter si­cher­lich nicht un­ge­wöhn­lich, setzt je­doch beim Le­ser ei­ne ge­wis­se Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Werk vor­aus, oh­ne die sol­che Ver­wei­se (auf zu­künf­ti­ge Li­te­ra­tur) si­cher­lich nur halb so in­ter­es­sant sein mö­gen.

So kann man sich über­rascht zei­gen, dass Hand­kes (bis­her weit­ge­hend un­ver­stan­de­nes Buch) »Der Bild­ver­lust« (2002 er­schie­nen) durch­aus be­reits in den »Auf­zeich­nun­gen No­vem­ber 1987 bis Ju­li 1990« (so der Un­ter­ti­tel des Bu­ches) Form an­nahm und mehr als nur ein va­ges Pro­jekt ge­we­sen sein muss (frei­lich be­tont Hand­ke im kur­zen Vor­wort [Lie­ber Le­ser!], dass ei­ni­ges be­reits in dem 1994 er­schie­ne­nen Buch »Mein Jahr in der Nie­mands­bucht« auf­ge­nom­men wur­de). Na­tür­lich fal­len in die Zeit Hand­kes »Ver­su­che« (die sich an zahl­rei­chen Stel­len ab­zeich­nen), der Er­zähl- und No­vel­len­band »Noch ein­mal für Thuky­di­des« und sein Thea­ter­stück »Das Spiel vom Fra­gen«.

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Pe­ter Hand­ke: Ka­li – Ei­ne Vor­win­ter­ge­schich­te

Peter Handke: Kali
Pe­ter Hand­ke: Ka­li

Vor ei­nem Vier­tel­jahr­hun­dert de­kla­mier­te No­va in Über die Dör­fer: Die Na­tur ist das ein­zi­ge, was ich euch ver­spre­chen kann – das ein­zig stich­hal­ti­ge Ver­spre­chen. In ihr ist nichts »aus«, wie in der blo­ßen Spiel­welt, wo dann ge­fragt wer­den muß: »Und was jetzt?« Sie kann frei­lich we­der Zu­fluchts­ort noch Aus­weg sein. Aber sie ist das Vor­bild und gibt das Maß: die­ses muß nur täg­lich ge­nom­men werden...euer Ar­bei­ten soll ein Wir­ken sein – gebt et­was wei­ter. Wei­ter­ge­ben tun aber nur, die was lie­ben: liebt ei­nes – es ge­nügt für al­les. Die Lie­be erst er­mög­licht die Sach­lich­keit. Nur du, Ge­lieb­ter, giltst. Dich lie­bend, er­wa­che ich zu mir. Die em­pha­tisch-pro­gram­ma­ti­sche Re­de, nein: die­se Phil­ip­pi­ka des Poe­ti­schen – nie­mals hat Pe­ter Hand­ke ge­sell­schafts­po­li­tisch kon­kre­te­res ge­schrie­ben – nahm die Hä­me von Tei­len der Kri­tik be­reits vor­weg: Laßt die Il­lu­si­ons­lo­sen bö­se grin­sen: die Il­lu­si­on ist die Kraft der Vi­si­on, und die Vi­si­on ist wahr.

No­vas Vi­si­on ist ein­fach und doch grund­le­gend: Der ewi­ge Frie­de ist mög­lich. Nichts we­ni­ger als ei­ne neu­es Zeit­al­ter phan­ta­siert der Dich­ter hier (die An­leh­nung an den gro­ssen Phi­lo­so­phen ist na­tür­lich be­ab­sich­tigt) – und wenn man Hand­kes Werk ge­nau be­trach­tet und (grob ver­kür­zend) auf ei­nen Nen­ner brin­gen will, so hat er seit­dem nie­mals mehr von die­sem »Pro­jekt« ab­ge­las­sen. Im­mer su­chen Hand­kes Prot­ago­ni­sten »ihr Glück« in ei­ner an­de­ren als der Al­ler­welt (Ka­li) und so sind sei­ne Bü­cher fort­wäh­ren­de »Ver­su­che« ei­nes Ent­kom­mens; in sei­nen Jour­na­len le­sen wir dann die »Selbst(ver)suche« des Dich­ters (wie wort­mäch­tig die­se Bü­cher doch sind – er­hel­lend und wei­tend für den Le­ser; wirk­li­che Pre­tio­sen).

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»Schön – wie so vie­les« – Mi­cha­el Rol­off zu Pe­ter Hand­ke (III)

…und den Tau­to­lo­gien der Ju­stiz, der Sinn­lo­sig­keit des Glau­bens des Künst­lers als Vor­bild, der mas­sen­me­dia­len Bil­der­be­ein­flus­sung, Deutsch­land als Schwamm und Hand­kes des­il­lu­sio­nie­ren­den Blick, was den No­bel­preis an­geht.

Teil ITeil II

In dem Es­say »Die Tau­to­lo­gien der Ju­stiz« be­schreibt Hand­ke 1969 als Pro­zess­be­ob­ach­ter das Vor­ge­hen der (deut­schen) Ju­stiz ge­gen die Haus­be­set­zer- und De­mon­stran­ten­sze­ne. Be­reits da­mals spricht er über­aus deut­lich dem Ge­richt die Mög­lich­keit ab, ein un­vor­ein­ge­nom­me­nes Ur­teil fäl­len zu kön­nen – wor­an das liegt, wä­re ei­ne se­pa­ra­te Er­ör­te­rung wert…

Es ist ei­gent­lich ziem­lich klar wor­an das liegt. An Vor-Ur­tei­len, die ei­gent­lich nichts mit Ge­richts­bar­keit zu tun ha­ben. In den USA ist man, je­den­falls vor ei­nem Ge­richt, un­schul­dig bis zum Ur­teil. Un­ter dem deut­schen Ju­stiz­sy­stem ist man, wenn ar­re­tiert, erst ein­mal schul­dig bis zum even­tu­el­len Frei­spruch. Da sind von vorn­her­ein die Ak­zen­te an­ders ge­setzt.

Das Tau­to­lo­gi­sche von dem Hand­ke da sehr schön be­ob­ach­tend spricht, hängt al­so eher mit Ha­bi­tus, mit Mief, mit dem Ob­rig­keits­den­ken zu­sam­men, die tief in der Volks­psy­che ver­an­kert sind. Hier ja manch­mal auch, wenn man sich das be­rühm­te Ge­richts­ver­fah­ren ge­gen die »Chi­ca­go Sie­ben« nach der 68er De­mo­cra­tic Con­ven­ti­on an­sieht, mit dem Rich­ter Hoff­man. Rich­ter, die dann sich eher wie ver­klemm­te Väter/Mütterchen be­neh­men, und nur aus Zu­fall Rich­ter sind, oder was man sich da­von vor­stellt, al­so dem »ge­sun­de Volks­emp­fin­den« Aus­druck ver­lei­hen.

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»Schön – wie so vie­les« – Mi­cha­el Rol­off zu Pe­ter Hand­ke (II)

…und der Hand­ke-Re­zep­ti­on in Deutsch­land und den USA, Se­zes­sio­nen und Frei­heits­kämp­fen, Karl-Heinz Boh­rer und der Au­ssen­po­li­tik der Ver­ei­nig­ten Staa­ten.

fort­ge­setzt von hier

Es gab in den deut­schen Feuil­le­tons 1996 kaum Be­für­wor­ter für Hand­kes Po­si­ti­on; fast nur Hä­me. An­dre­as Kilb in der ZEIT da­mals war recht aus­ge­wo­gen. Mar­tin Wal­ser hat, glau­be ich, auch was po­si­ti­ves da­zu ge­sagt. Ei­ni­ge schwie­gen. Wil­fried F. Schoel­ler, da­mals beim Hes­si­schen Rund­funk, sass wäh­rend der Frank­fur­ter Le­sung nur un­weit von mir und war sicht­lich auf Hand­kes Sei­te. Ei­ne Sen­dung, die Hand­kes Po­si­ti­on mal aus­ge­wo­gen dar­stell­te, gab es nicht. Wä­re die »Win­ter­li­che Rei­se« oh­ne die­se fron­ta­le Me­di­en­kri­tik ge­we­sen, son­dern ein pu­rer Rei­se­be­richt – man wä­re nicht so über ihn her­ge­fal­len.

Es war, glau­be ich, nicht nur die Me­di­en­kri­tik. Das Buch be­ginnt ja ge­nau­so gut be­grün­det wie das »Ab­schied des Träu­mers vom Neun­ten Land«. Hand­ke gibt Re­chen­schaft ab für sei­ne Po­si­ti­on – al­so man kann ganz ver­nünf­tig mit ihm über­ein­stim­men, oder eben nicht. Ja, dann kommt die Pro­vo­ka­ti­on über die Me­di­en, aber so­weit ich mich jetzt er­in­ne­re, stürz­ten sich die­se Leu­te doch auf ihn, weil er et­was an­de­res be­rich­te­te, nicht was sie in ih­ren Ver­teu­fe­lun­gen be­stä­tig­te. »An­ders­gel­be Nu­del­ne­ster« war das aus­lö­sen­de Wort wor­auf sich die Bie­ster stürz­ten. Kommt mir vor wie bei ei­ner He­xen­jagd.

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»Schön – wie so vie­les« – Mi­cha­el Rol­off zu Pe­ter Hand­ke (I)

Mi­cha­el Rol­off, 1937 ge­bo­ren, ehe­ma­li­ger Hand­ke-Über­set­zer, jet­zi­ger Hand­ke-Le­ser, lebt heu­te in Se­at­tle. Sei­ne Stel­lung­nah­men zu Hand­ke, sei­nem Werk, den An­sich­ten zu Hand­kes Ju­go­sla­wi­en-En­ga­ge­ment – ge­le­gent­lich sper­rig, sehr poin­tiert, und oft lehr­reich.

Be­gleit­schrei­ben: In Pe­ter Hand­kes Stück »Zu­rü­stun­gen für die Un­sterb­lich­keit« lässt er den neu­en Kö­nig Pa­blo sa­gen:

»Für mich und mei­ne Leu­te hier Ge­set­ze schaf­fen, wie es sie noch nie ge­ge­ben hat, wie sie oh­ne Zwang so­fort ein­leuch­ten, und wie sie auch für über­all und al­le gel­ten kön­nen – auch für mich sel­ber! Die En­kla­ven­welt­ver­las­sen­heit darf nicht mehr un­ser Stamm­platz sein. War­um nicht an die Macht kom­men? Lust ha­ben auf die Macht, ent­spre­chend der Lust, die der Vor­früh­ling macht. Ei­ne ganz neu­ar­ti­ge, in der Ge­schich­te bis­her un­be­kann­te, und dann selbst­ver­ständ­li­che Macht aus­üben – et­was wie ein Freund­schafts­spiel, wel­ches zu­gleich doch zählt. Die Macht lie­ben auf ei­ne Wei­se, wie in der Ge­schich­te noch kei­ner je sei­ne Macht ge­liebt hat, so dass die­ses Wort welt­weit ei­ne an­de­re Be­deu­tung be­kä­me...«

Die­se Wor­te, von Gert Voss sei­ner­zeit im Burg­thea­ter ge­hört, ent­wickeln No­vas Mo­no­log in »Über die Dör­fer« wei­ter. Ist Hand­ke ein po­li­ti­scher Uto­pist (im durch­aus po­si­ti­ven Sinn)?

Michael Roloff
Mi­cha­el Rol­off

Mi­cha­el Rol­off: Ein biss­chen schon, sonst nicht all die­ses Pa­thos. Und das schon zur Zeit des »Lang­sa­me Heimkehr«-Zyklus (»Lang­sa­me Heim­kehr« – »Kin­der­ge­schich­te« – »Die Leh­re der St. Vic­toire« – »Über die Dör­fer«), spe­zi­ell in No­vas höl­der­lin­ähn­li­cher Hym­ne bei der man, als Über­set­zer, am En­de dann nach Luft schnapp­te! In­tra­psy­chisch ge­se­hen ist das ein Wis­sen um die Un­mög­lich­keit der Er­reich­bar­keit des Ide­als.

Auch viel Ex­pres­sio­ni­sti­sches dort, und spä­ter »der neue Mensch ja was ist aus ihm ge­wor­den, man hört nicht mehr viel da­von« in der »Nie­mands­bucht«. Des­we­gen auch wohl das Fest­hal­ten an der Idee vom ver­ei­nig­ten Stam­mes­volk der Süd­sla­wen, die ei­ne Ge­schich­te und ei­ne Spra­che ge­mein­sam ha­ben; die Idee, dass dar­aus noch et­was hät­te wer­den kön­nen. Denn in Fu­ku­ya­mas neo­kon­ser­va­ti­ver Welt bei­spiels­wei­se ist al­les Uto­pi­sche ab­ge­schafft.

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