Beide Begriffe, Urheberrecht und geistiges Eigentum, sind nicht als zeitlos gültige Festschreibungen zu klären, sondern innerhalb einer konkreten Gesellschaft, ihrem »Weltbild«, ihrer Kultur, ihren Wertvorstellungen, ihren ökonomischen Praktiken, ihren technischen Möglichkeiten und dem gelten Recht. Es ist nicht nur denkbar, dass andere Zeiten oder Menschen nach anderen Lösungen verlangen oder sie nahe legen, das war gewiss so und wird wieder der Fall sein. Das ist meine erste Annahme.
Medien
Die PR-Aktivitäten der Julija Timoschenko
Eine wahre PR-Schlacht sei da im Gange, kommentiert die ARD-Hörfunkkorrespondentin Christina Nagel – und da hat sie recht. Der »Westen«, d. h. diejenigen, die sich als konsequente Verteidiger der Menschenrechte gerieren (wenn es sich nicht gerade um Wirtschaftsgiganten wie China handelt), sind geradezu entzückt von dieser Konstellation: Hier die Gute, die arme und kranke ehemalige Präsidentin Julija Timoschenko – und dort der böse, diktatorische Russenfreund Janukowitsch. Timoschenko ist wegen Amtsmissbrauchs in Haft (und mit ihr etliche Mitglieder der ehemaligen Regierung). Ihr Prozess sei, so hört man überall, »politisch motiviert«. Suggeriert wird damit: Frau Timoschenko ist in Wirklichkeit unschuldig und wird nur aufgrund ihrer konträren politischen Ansichten eingesperrt.
In Nebensätzen heißt es häufig: Timoschenko war kein Engel. Soll heißen: Sie hat durch Egozentrik und Narzissmus jahrelang die Chancen der »Orangenen Revolution« verspielt. Fast fünf Jahre währte der politische Streit mit dem anderen Protagonisten dieser Revolution, Wiktor Juschtschenko. Präsident und Ministerpräsidentin blockierten sich mit ihren konträren Politikentwürfen zum Schaden des Landes. Timoschenko ging 2009 sogar ein Bündnis mit ihren Erzrivalen Janukowitsch ein, um ihre Macht zu festigen bzw. zu erhalten. Der Pakt hielt nicht lange. 2010 verlor sie schließlich in der Präsidentenstichwahl knapp gegen Janukowitsch. Die Diskussionen über das Wahlergebnis sind schier endlos; am Ende gibt es acht Varianten. In allen hatte Timoschenko verloren – die jedoch das Resultat nicht akzeptieren wollte. Schließlich galt sie selbst in den Einschätzungen ihr lange Jahre wohlwollender US-Kreise als »destruktiv« und »machthungrige Populistin«. Sie wolle, so die Einschätzung von US-Diplomaten in Kiew, lieber ein Opfer sein, als eine Verliererin« Und im Volk wurde aus »Unsere Julija« die »kleinere von zwei Übeln«.
Der Erfinder des analogen Dauershitstorms
Zu Axel Cäsar Springer wurde einiges geschrieben, gesagt und gefilmt. Schließlich feiert man seinen 100. Geburtstag. Zwar würden einem bei näherem Nachdenken mehrere Persönlichkeiten einfallen, deren Geburtstag zu feiern attraktiver wäre (Werner Finck, Gottfried Benn, Novalis) – aber der 2. Mai 2012 ist nun zum Axel-Springer-Gedächtnistag ausgerufen worden. Ich nehme, dass der/die Interessierte alles notwenige aus dem Biographiedschungel Springers herausgefischt hat. Die Welle wird in einem kleinen Nach-Tsunami Ende Juni noch einmal zurückkommen: Dann wird der 60. Geburtstag der BILD gefeiert.
Springer war also 40, als er den analogen Dauer-Shitstorm BILD erfand und in die deutsche Medienlandschaft presste. Dabei gab es die sogenannten Boulevard-Zeitungen in Europa schon Jahrzehnte vorher. Sie waren mitnichten Springers Erfindung. Wenn überhaupt, so wollte Springer den medialen Reduktionismus auf das nicht geschriebene Wort befördern. In der Wirtschaftswunderzeit hatte man wenig Muße lange Artikel zu lesen. Hierin liegt eine gewisse Leistung: Man konzipierte ein Blatt, an dem bereits der Name Programm war. Das alles geschah zunächst vollkommen unpolitisch: Eine photographierte, täglich erscheinende Gartenlaube mit Klatsch und Tratsch.
»Abgedroschenes Nachrichtenstroh«
Die Informationsmaschine läuft mit unerhörter Präzision, mit unerhörter Schnelligkeit. Sie läuft. Das ist aber auch alles. Denn im Grunde genommen ist es Leerlauf. Das kann niemand mehr verdauen, niemand begreifen. Das flutet an, betäubt, affiziert, nimmt gefangen, stiehlt Zeit und raubt Selbständigkeit. Jeder wird mit einer künstlichen Welt beliefert. Denn man glaube ja nicht, dass diese Wortherden, die da geschwätzig und genormt um den Erdball getrieben werden (…) nur noch eine Spur von Wirklichkeit mit sich führen. Das ist alles erbärmlich ausgedroschenes Nachrichtenstroh, das nur noch laut, sehr laut, rascheln kann.
Die Mär vom Solidarpakt
Die Wellen schlagen hoch. Eben noch »Kulturhauptstadt Europas« (mit entsprechenden Ausgaben und problematischen Unterhaltskosten, die jetzt scheinbar unrettbar zu Buche schlagen), und jetzt wieder einmal pleite: Die Oberbürgermeister des Ruhrgebiets fordern ein Ende des »perversen Systems« des sogenannten »Solidarpakts«. Schließlich seien ihre Straßen auch löchrig und das Geld schon lange nicht mehr vorhanden. So berichteten SZ, FTD, Spiegel-Online, Focus-Online, und noch viele andere. Bei einer Umfrage auf tagesschau.de an die geneigte Leserschaft heisst es:
Durch den Solidarpakt II erhalten die ostdeutschen Bundesländer bis 2019 insgesamt 156 Milliarden Euro. Damit sollen die Lebensverhältnisse zwischen Ost und West angeglichen werden. Das Geld dafür müssen der Bund, die Länder und die Kommunen aufbringen – und zwar unabhängig davon, wie deren eigene Finanzlage ist.
Die Verhintzung
Am Sonntag und Montag konnte man im deutschen Fernsehen zwei Talkshows anschauen, die auf vertrackte Weise die Grenzen dieses Formates offenbarten. Es ging wieder einmal um Bundespräsident Wulff und seine diverse Affären und Affärchen. Die Gemeinsamkeit in den beiden Sendungen: de ehemalige CDU-Generalsekretär Peter Hintze trat in seiner bereits zu Kohls Zeiten berühmten Mischung aus Emsigkeit und Frechheit als Verteidiger Wulffs auf.
Bei »Günther Jauch« am Sonntag sah man am Ende nicht nur beim Moderator die Erleichterung: Die Sendung ist überstanden. In der FAZ hieß es von Michael Hanfeld am nächsten morgen, Hintze habe geredet, wie der FC Bayern gelegentlich spielt: 70% Ballbesitz, aber trotzdem verloren. Einen Tag später stand Hintze dann wieder Rede und Antwort – in Frank Plasbergs »hart aber fair«. Ihm zur Seite das ehemalige FDP-Mitglied Mehmet Daimagüler, ein Rechtsanwalt aus Berlin, der seine Sympathie für Wulff mit dessen Rede vom 3. Oktober 2010 begründete (»der Islam gehört…zu Deutschland«).
Ansonsten war Peter Hintze fast allein zu Gast. Mit Wuseligkeit und autoritärem Gehabe wischte er alle Anschuldigungen vom Tisch. Alles sei widerlegt und aufgeklärt, so Hintze. Bei Plasberg entfleuchte ihm sogar die Aussage, dass die Vorwürfe durch seine Aussage alleine als widerlegt zu gelten haben. Da konnten die anderen Kombattanten nur enerviert den Kopf schütteln. Und die Zuschauer empörten sich über Hintze.
Falsches Tortenstückchen
Da staunte der »tagesschau«-Zuschauer gestern nicht schlecht: Die Beteiligung Deutschlands am Euro-»Hilfsfonds« ESM – Gesamtvolumen (erst einmal) 500 Milliarden Euro – beträgt »nur« 22 Milliarden. Kann das sein? Um die Kleinigkeit zu verdeutlichen bediente man sich in der Redaktion der wohl bekannten Tortengraphik:
Mit spitzen Fingern
Michael Spreng erläutert auf seinem Blog das »Prinzip Hannover« und »Wulffs Biotop« ganz genau. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Formal hat Wulff damals den niedersächsischen Landtag nicht belogen, als er den Kredit der Unternehmensgattin Geerkens für sein Haus verschwiegen hatte. Aber die Entrüstung vor allem in der oppositionellen politischen Klasse ist dennoch hoch: Wulff habe »getäuscht« heißt es da. Chefankläger Oppermann von der SPD, der sich im Ereifern gegen Ex-Bundespräsident Köhler schon hervorgetan hatte, meinte diesmal etwas diplomatischer, diplomatisch Wulff habe wohl nicht vollständig die Wahrheit gesagt.
Ich gestehe: Ich halte dieses Verhalten eines Bundespräsidenten für unwürdig (auch wenn er es verbrochen hatte, als er noch nicht Bundespräsident war). Christian Wulff als Bundespräsident ist eine Schande für dieses Land. Er hat jegliche moralische Autorität dauerhaft eingebüßt. Und es ist genau diese moralische Autorität, die ein im Prinzip fast machtloser deutscher Bundespräsident in die Waagschale werfen kann.