Eine wahre PR-Schlacht sei da im Gange, kommentiert die ARD-Hörfunkkorrespondentin Christina Nagel – und da hat sie recht. Der »Westen«, d. h. diejenigen, die sich als konsequente Verteidiger der Menschenrechte gerieren (wenn es sich nicht gerade um Wirtschaftsgiganten wie China handelt), sind geradezu entzückt von dieser Konstellation: Hier die Gute, die arme und kranke ehemalige Präsidentin Julija Timoschenko – und dort der böse, diktatorische Russenfreund Janukowitsch. Timoschenko ist wegen Amtsmissbrauchs in Haft (und mit ihr etliche Mitglieder der ehemaligen Regierung). Ihr Prozess sei, so hört man überall, »politisch motiviert«. Suggeriert wird damit: Frau Timoschenko ist in Wirklichkeit unschuldig und wird nur aufgrund ihrer konträren politischen Ansichten eingesperrt.
In Nebensätzen heißt es häufig: Timoschenko war kein Engel. Soll heißen: Sie hat durch Egozentrik und Narzissmus jahrelang die Chancen der »Orangenen Revolution« verspielt. Fast fünf Jahre währte der politische Streit mit dem anderen Protagonisten dieser Revolution, Wiktor Juschtschenko. Präsident und Ministerpräsidentin blockierten sich mit ihren konträren Politikentwürfen zum Schaden des Landes. Timoschenko ging 2009 sogar ein Bündnis mit ihren Erzrivalen Janukowitsch ein, um ihre Macht zu festigen bzw. zu erhalten. Der Pakt hielt nicht lange. 2010 verlor sie schließlich in der Präsidentenstichwahl knapp gegen Janukowitsch. Die Diskussionen über das Wahlergebnis sind schier endlos; am Ende gibt es acht Varianten. In allen hatte Timoschenko verloren – die jedoch das Resultat nicht akzeptieren wollte. Schließlich galt sie selbst in den Einschätzungen ihr lange Jahre wohlwollender US-Kreise als »destruktiv« und »machthungrige Populistin«. Sie wolle, so die Einschätzung von US-Diplomaten in Kiew, lieber ein Opfer sein, als eine Verliererin« Und im Volk wurde aus »Unsere Julija« die »kleinere von zwei Übeln«.
Was wenig bekannt ist: Timoschenko war eine erfolgreiche Unternehmerin. Ihr Vermögen wurde auf mehrere Hundert Millionen US-Dollar geschätzt. Timoschenko hatte sich zusammen mit Ihrem Mann aus kleinen Verhältnissen mit guten Beziehungen zur »eigenen Oligarchin« hochgearbeitet. Von 1995 bis 1997 war sie Chefin des Energiekonzerns »UESU«. 1999 dann zwei Jahre stellvertretende Premierministerin unter Wiktor Juschtschenko und zuständig für den Energiesektor. Die politischen und ökonomischen Verflechtungen während ihrer politischen Ämter mit dem Unternehmen, in dem ihr Mann an verantwortlicher Stelle saß, sind schwer zu durchschauen. Verfilzungen in dieser Form sollen ja nicht nur in der Ukraine vorkommen (man denke an die nicht ganz kleine Zahl deutscher Politiker, die vor und nach ihren politischen Ämtern in die Energiewirtschaft wechselten). Auch über den Verbleib von Timoschenkos Vermögen gibt es keine seriösen Informationen. Im Januar 2012 bat Timoschenkos Mann um politisches Asyl in Tschechien.
»TD International«
Es ist schwer, die Gerüchte für und gegen Timoschenko zu prüfen. Viel Propaganda spielt da hinein. Natürlich ist es in keinem Fall zu rechtfertigen, sollte Timoschenko in der Haft geschlagen oder gefoltert worden sein. Aber vielleicht sind diese Meldungen auch Teil einer PR-Strategie. Dokumente aus dem US-amerikanischen Justizministerium zeigen wie Timoschenko und ihr Partei (»Bloc of Yulia Tymoshenko« – BYuT bzw. BJuT im deutschen) jahrelang mit der amerikanischen PR-Agentur »TD International« zusammengearbeitet hat. (Eine PR-Firma, die auch für Dominique Strass-Kahn tätig war: TDI-DSK.)
Ziel der Zusammenarbeit zwischen TDI und BYuT war es
to interface with U.S. Government officials, members of the media, business leaders and non-governmental organizations in order to articulate, in a cleat and transparent manner, the democratic, market-oriented, anti-corruption platform of BYuT to respective constituencies in the United States.
Zwischen 2007 und 2010 wurden hierfür insgesamt mehr als US$ 1,2 Millionen in Rechnung gestellt. Neben »TD International« werden auch die Firmen »Dezenhall Resources« und »Glover Park Group« als Empfänger genannt. Hier die Dokumentation der Zusammenarbeit zwischen »TDI« und »BYuT«: TDI-BYuT
US-amerikanische PR-Firmen müssen gemäß Gesetz Aufträge von ausländischen Auftragsgebern melden. Diese Daten werden dann veröffentlicht. Mit ein bisschen Suchen ist es kein Problem, diese Spuren aufzunehmen. Da es sich nur um Vorgänge aus den USA handelt, kann man über die Aktivitäten europäischer PR-Agenturen nur spekulieren. Es dürfte jedoch kein Zufall sein, dass die Angelegenheit jetzt, wenige Wochen vor der Fußball-EM, thematisiert wird und durch ihre Timoschenkos Tochter medial begleitet wird. Die Medien springen bereitwillig auf diesen Zug auf. Die »Zeit« forderte sogar plakativ »Rettet Julija Timoschenko«. Über die Reflexhaftigkeit billiger Boykottaufrufe empört sich sogar Hans-Jürgen Papier, der Politikern vorschlägt, institutionell gegen das diktatorisch agierende Janukowitsch-Regime vorzugehen. Marieluise Beck stellt klar, dass die Ukraine nicht China ist; Opposition ist in der Ukraine möglich. Boykotte lassen diese oppositionellen Kräfte am Ende vollständig alleine dastehen.
PR-Aktivitäten dürfen nicht per se negativ für den/die Auftraggeber gewertet werden. Aber sie zeigen an, mit welchen Mitteln sozusagen »hinter den Kulissen« agiert wird. Julija Timoschenko ist eine charismatische Persönlichkeit, die es immer sehr geschickt verstanden hat, sich zu inszenieren. Natürlich muss sie (wie auch alle anderen Oppositionellen in der Ukraine) mit der notwendigen Rechtsstaatlichkeit behandelt werden. Das soll aber den Medienkonsumenten nicht zu voreiligen Schlüssen veranlassen. Denn die Welt ist allzu selten nur schwarz oder weiß.
Die Timoschenkoartigen haben sich nach der dramatischen Veränderung ihrer Habitate wieder über die gesamte Region verbreitet. Unterscheiden muss man zwischen denen, die schnell wieder eine ökologische Nische besetzen konnten, sie aber weiterhin gegen starke Konkurrenz verteidigen müssen und der andere Gruppe, die nicht direkt einen neuen Platz gefunden hat. Die zweite Gruppe ist in eine Symbiose eingetreten und ernährt sich im wesentlichen von György Schwartz, musste sich aber auf Grund der neuen Nahrung stark anpassen. Während die erste Gruppe im wesentlichen lokale Balzgesänge verwendet, hat die zweite das weit verbreitete Business English übernommen und kann daran gut erkannt werden.
Die Timoschenkoartigen sind nur eine Untergattung. Die Exemplare der Gattung sind Generalisten und man findet sie in allen Regionen der Welt. Wer sie erforschen möchte, folgt der Spur der Nahrung, die fast ausschließlich aus Macht und Geld besteht. Ein besonderes Merkmal ist, dass das Gefieder morgens (Sonne im Osten) eine andere Färbung annimmt als am Abend (vice versa). Am bemerkenswertesten jedoch ist die in der Fauna sonst unbekannte Eigenschaft katalytisch zu wirken, was das Interesse anderer Arten erklärt.
Ich kenne mich mit den politischen Verhältnissen in der Ukraine nicht aus, ahne aber, dass es dort hinsichtlich Demokratie und Menschenrechten nach unserem Verständnis erhebliche Defizite gibt, so, wie in all diesen Staaten der ehemaligen UDSSR. Ich bin mir aber auch sicher, dass sich kein Schwein bei uns für diese Frau Timoschenko interessieren würde, wäre sie so fotogen wie z.B. unsere Bundeskanzlerin. Das arme Blondchen mit der so herrlich altmodischen Zopffrisur, leidend, ja, fast dem Tode nah, und ihre schöne Tochter – tolle Bilder und eine zu Tränen rührende Story. Eine Medienlandschaft, die mittlerweile selbst eine BILD-Kampagne für medienpreiswürdig hält, lässt sich so eine herzzerreißende Geschichte doch nicht entgehen. Wen interessieren da noch Fakten und Hintergründe?
@Peter
Netter Kommentar.
@blackconti
Die Frage kann man fast wörtlich nehmen: Die Resonanz auf diesen Beitrag ist ausgesprochen gering. Komisch.
Mich erreicht dieses Nachrichtenstroh nur noch oberflächlich. Ich nehme zur Kenntnis, dass eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird, lese jetzt bei Ihnen, dass the pit bull of public relations(Dezenhall Resources) seine Finger im Spiel hat und wende mich angewidert ab. Echte Affekte löst so etwas neben Trübsal nicht mehr aus.
Ich bewundere die Menschen, die noch mit Verve versuchen die Machenschaften aus echtem jounalistischem Drang aufzudecken. Aber wozu? Wenn ich Klassensprecher Philipp Lahm höre, der sich mit gewichtigen Worten von der Verschmutzung des Schulhofes durch schlimmes Gesindel distanziert hat (distanzieren musste), schäme ich mich nur noch für die ganze Menschheit, die gleichzeitig 100.000 Menschen pro Tag verhungern lässt.
Sie haben bisher nur einige Informationen in den Raum gestellt, sie aber nicht kommentiert. Was glauben Sie denn, wer welche Agenda hat und wer tatsächlich die Fäden zieht?
@Peter
Ich glaube, durch die Zurverfügungstellung dessen, was ich gefunden habe, habe ich schon im Rahmen der Möglichkeiten kommentiert. Ich halte es nicht für einen Zufall, dass Frau Timoschenko wenige Wochen vor der EM in den Medien auftaucht. Das Informationsmaterial, welches die Journalisten erhalten, dürfte maßgeblich von PR-Agenturen aufbereitet worden sein.
Dies ahnend (nicht wissend) läßt mich an vielen anderen scheinbaren so selbstverständlichen Urteilen zweifeln. Wobei ich allerdings keinen zweifel habe, dass die politische Entwicklung dort restaurativ ist und diktatorische Züge nimmt. Hierzu hat aber Timoschenko mindestens indirekt beigetragen, in dem sie die Chancen in den Nach-Revolutionsjahren nicht genutzt hat, sondern ihren Ego-Trip fuhr.
Danke, ich werde mir das aber noch genauer ansehen müssen.
Den Skeptizismus bezüglich der medialen Verfasstheit kann ich nicht ganz teilen, mir ist das zu sehr aus einer wissenden Position gesehen, zu einfach und plakativ.
Es gibt immer noch weit mehr qualitativ gute Artikel als ich lesen kann und auch der erste Anstoß (oder Hinweis), dass Frau Timoschenko hier möglicherweise sehr geschickt inszeniert, stammt aus genau den Medien, die das zuerst verbreitet hatten. — Man sollte vielleicht erst am Ende der Debatte urteilen.
Gut finde ich, dass das Thema wieder Aufmerksamkeit gefunden hat, dass es Boykottgedanken gibt, die vielleicht, das wäre zu hoffen, nicht morgen schon wieder vergessen sind, weil sie aus wirtschaftlicher Sicht unangenehm werden könnten. Und freilich, Timoschenko müsste etwas aus dem Fokus geraten und die allgemeine Situation thematisiert werden.
Ich wähle mit der Elfenbeinküste (Ouattara gut, Gbagbo böse) und Simbabwe (Tsvangirai gut, Mugabe böse) mal willkürlich zwei Regionen aus, in denen analoge Vorgänge zu beobachten waren. Die Gesamtzahl ist Legion.
Nicht das einer der Schurken falsch beurteilt wird, aber der Gegner wurde hier wie dort medial zum Heilsbringer stilisiert, obwohl er offensichtlich genauso korrupt war wie alle anderen auch. Diese strategischen Dichotomien sind die Konstante. Man glaubt manchmal noch den Stellvertreterkriegen des Kalten Krieges beizuwohnen.
P.S.: Im amerikanischen Wahlkampf sind auf Grund von Gesetzesänderungen diese PR-Monster wie Pilze aus dem Boden geschossen. Gibt es bei »TD International« eventuell das erweiterte Impressum?
@metepsilonema
Ich stelle die These auf, dass uns ohne die Fußball-EM die Verhältnisse in der Ukraine kaum derart intensiv nahegebracht würden (ich rede jetzt von deutschen Medien; die anderen vermag ich nicht zu beurteilen). Und eben wegen dieser EM setzt Frau Timoschenko auch zu dieser Offensive an. Das ist zunächst einmal opportun, bekommt dann aber eben durch die Vorgeschichte skurrile Züge. Ich erwarte von den Medien, dass sie nicht nur die Fragen in Richtung des aktuellen Präsidenten der Ukraine stellen (der das Land wohl sukzessive in eine – vielleicht »kommode« Diktatur? – überführt), sondern auch die Regentschaft von Frau Timoschenko und ihrem Clan untersuchen. Das geschieht jedoch nicht bzw. kaum. Stattdessen werden ihre Stimmungsschwankungen (Klinkaufenthalt ja oder nein?) fast im Stundentakt gemeldet.
Dubios dabei auch ihre Machtspiele noch aus der Gefängniszelle heraus. Wo sind die anderen Oppositionellen in der Ukraine? Was ist mit anderen Ex-Mitgliedern der Regierung, von denen einige ebenfalls verhaftet und verurteilt wurden?
Vorgestern gab es einen Bericht über Timoschenkos Tochter auf dem Weg ins Gefängnis. Sie wollte ihre Mutter überreden den Hungerstreik zu beenden. Der Tochter wurde vom deutschen Reporter eine Frage zugesteckt (im Auto auf einem Papier), die sie ihrer Mutter stellen soll. Brillant inszeniert – ein Kassiber sozusagen und der deutsche TV-Zuschauer ist dabei. Die Frage, die derart physisch präsent gestellt wurde lautete sinngemäss: Wie beurteilt Julija Timoschenko die Reaktionen des Auslands, die Boykotte? – Die Antwort fiel natürlich so aus, wie man es wollte: Ihre Mutter sagte, so die Tochter, der Westen mache alles richtig. Dabei waren natürlich massig Kameras dabei um diese Segnung der Heilsbringerin persönlich aufzunehmen. So sonnen sich also die Menschenrechtshyänen in ihrer Selbstgerechtigkeit; auch ihnen ist letztlich die Sache mehr oder weniger gleichgültig.
Verzeih, wenn ich nur Spott für dieses inszenierte Schmierentheater übrig habe. Ich behaupte: Frau Timoschenko geht es nicht primär um die ukrainische Demokratie und um ihre Freunde, die ebenfalls im Gefängnis sitzen. Es geht ihr nur um sich – und zwar nicht nur als Person, sondern als Machtfaktor.
Dieses Boykottgerede ist die pure Heuchelei. Frau Merkel eröffnet mit dem chinesischen Premierminister Wen die Hannover-Messe. Niemand leistet sich ernsthafte diplomatische Probleme mit China (siehe die Affäre mit dem blinden Bürgerrechtler). Die Ukraine ist ein politisches und ökonomisches Leichtgewicht. Da wirkt ein solches Engagement – sprich: Boykott – wohlfeil und billig.
Zumal ein Boykott eigentlich immer erst die Ultima Ratio sein sollte. Noch gibt es eine halbwegs freie Opposition in der Ukraine. Schottet man sich ab, so verstärkt man noch den Effekt, den man eigentlich verhindern möchte (höre auch Moritz Rinke, Kapitän der deutschen Fußballnationalmannschaft der Schriftsteller: hier auf SWR2; download, mp3).
(In zwei Wochen gibt es diesen unseligen Liederwettbewerb – in Aserbeidschan. Als hätte man es nicht vorher wissen können, entdeckt man plötzlich die fragile Situation der Menschenrechte in diesem Land. Wenn schon Sportinstitutionen infolge ihrer korrupten Strukturen regelmässig daran scheitern, Minimalansprüche an Ausrichter zu stellen, so sollte die EBU als Veranstalter dieses Schauspiels einfach Länder mit Demokratiedefiziten bannen. Dann hätte es weder eine Veranstaltung in Belgrad noch in Russland gegeben.)
@Peter
Neben TDI gibt es noch diverse andere PR-Agenturen, die unter anderem für Länder und deren Propaganda in den USA agieren. Bspw. »Ruder Finn« oder »Jefferson Waterman International« (hier einige Kunden; und hier ein Hinweis zu JWIs Engagement in der Elfenbeinküste). Die Jugoslawienkriege in den 90er Jahren wurden auch an dieser »Front« geführt. Mit den bekannten Konnotationen.
Die ukrainische Regierung wird von Burson-Marsteller unterstützt, der PR-Agentur des Teufels, der zahllose Diktatoren (z. B. Ceaucescu, argentinische Militär-Junta) aber auch Philipp Morris (Nikotin ist nicht krebserregend), BP (Ölkatastrophe im Mexikanischen Golf), EXXON (Exxon Valdez), Union Carbide (Bhopal), Babcock & Wilson (Nuklearunfall Three Mile Island) etc. vertrauen oder ertraut haben.
Dass die Diskussion um Timoschenko kaum Resonanz in den US-amerikanischen Medien hat, ist wahrscheinlich deren Verdienst (und der eines professionell geführten Außenministerium, das sich nicht in irgendwelche Diadochen-Kämpfe hineinziehen lassen will).
Die Timoschenko-Affäre scheint ja vor allem ein deutsches Medien-Ding zu sein – und des Außenministeriums. Verrückterweise hat ja kein einziger deutscher ÖF-Sender einen Korrespondenten regelmäßig vor Ort. Das heißt: Die sind für solche Nummern vermutlich komplett auf die PR-Liaisons angewiesen, weil sie kaum eigene Kontakte haben, die sie einschätzen können. Und genau so sieht die Berichterstattung auch aus.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig offensichtlich das Medien-System aus solchen Berichterstattungsdesastern wie zu den Jugoslawien-Kriegen, zu den Irak-Kriegen, zu Afghanistan lernt. Mittlerweile denke ich, dass das wirklich systemisch ist: Die können nichts anderes mehr als Spektakel und Erregungskurven zu produzieren, Aufklärung wird (von den meisten journalistisch beteiligten bestimmt ganz ohne böse Absicht, sondern aus professionelle Deformation) tatsächlich effektiv hintertrieben.
Dass die russische Regierung und ANti-amerikanische Kreise in Deutschland die meisten der so genannten »Farben-« und »Blumen-Revolutionen« in Osteuropa und den Kaukasus-Staaten für PR-getriebene, CIA-finanzierte Operationen halten, ist nicht nur Paranoia.
@Doktor D
Vielen Dank für den Hinweis auf Burson-Marsteller.
Die beste PR wird vermutlich so vorgebracht, dass sie als »Information« herauskommt. Auslandskorrespondenten können unmöglich an allen Brennpunkten sein (Sie erwähnen das ja) und sind auf derartige Briefings fast angewiesen. Ein Augenöffner ist da Joris Luyendijks Buch »Wie im echten Leben«. Zudem passt die Geschichte der blonden, hilflosen Frau vor allem auch visuell perfekt. Da das Land ökonomisch praktisch uninteressant ist, kann man sich hier besonders gut profilieren. Schon mit Usbekistan und Tadschikistan ist man vorsichtiger (Afghanistan-Einsatz!); von Russland und China gar nicht erst zu reden. Wenn es tatsächlich um Menschenrechte ginge, müsste man auch längst mit den USA anders »reden«. Macht natürlich niemand.
Ich habe nichts gegen PR-gesteuerte Revolutionen; ich glaube irgendwie ist das immer alles auch gesteuert worden. So ist der Gang der Dinge. Ich finde nur, dass gerade die seriösen Medien zu schnell und zu oft die notwendige Neutralität verlassen und nur noch sehr oberflächlich berichten. Das ist – Zeitdruck hin, Quotendruck her – nicht zu verzeihen.
Danke für den Buch-Tipp!
Seit dem ich regelmäßig erleben darf (ich mache »was mit Medien«), mit was für einem Aufwand an Mensch und Material die ÖRs völlig belanglose Lifestyle- und Sport-Events begleiten, sehe ich die regelmäßigen Kürzungen bei Zahl und Ressourcen der Korrespondenten extrem kritisch. Das macht auf mich schon den Eindruck, als habe man im Grunde den ÖR-Auftrag aufgegeben. Und vielleicht ist das Fernsehen auch dafür wirklich das ungeeignteste Medium, den Verdacht hegen ja Medien-Theoretiker immer mal wieder.
Zum Maulheldentum der Medien: Erinnert sich noch jemand an den Eklat, während der Eröffnung der Aufklärungs-Ausstellung in Peking? Da haben sich einige Vertreter der deutschen Industrie nicht entblödet, einen Journalisten, der wegen der Ausladung von Tilman Spengler nachhakte, auszubuhen. Auf die Namen der Unternehmen, die von diesen Kreaturen vertreten werden, warten wir noch heute. Dabei dürfte bei dieser Pressekonferenz so ziemlich jedes große deutsche Medium dabeigewesen sein.
@Doktor D
Die Spengler-Sache hatte ich auch schon längst wieder vergessen. Dieses Nachgeben war eine Katastrophe und eine Bankrotterklärung für Meinungs- und Pressefreiheit.
Ich vermute auch, dass die ÖR längst ihren »Auftrag« wenn nicht vergessen, so doch erfolgreich verdrängt haben. Sie lagern ja neuerdings sogenannte anspruchsvolle Programme in digitalen Kanälen aus; noch jenseits von 3sat, arte und phoenix . Da ich sie nicht empfangen kann, vermag ich diese Qualität nicht zu beurteilen, halte das jedoch für einen Skandal. Es müsste umgekehrt sein: Sportveranstaltungen und Events müssten ausgelagert werden. (Das sage ich, obwohl mich Fußball interessiert – aber die Sport-Wochenenden insbesondere im Winter sind schon eine Katastrophe.) Passiert natürlich nicht wegen der Quote.
(Habe Ihren Kommentar korrigiert und den Korrekturkommentar gelöscht. Hoffe, das war okay.)
Die Einschränkung der Rechte von NGOs in Russland vor einigen Jahren hatte sicherlich praktische Gründe, im Gegensatz zu dem was uns weiß gemacht wurde. Das gleiche war vermutlich die Ursache für die Übergriffe in Ägypten. Die Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung zu durchsuchen war medial schlimmer beleumundet als den Papst mit Damenslips zu bewerfen. PR mit Argumenten wäre zu verkraften, aber PR mit Millionen nicht.
@Peter und Gregor
Dass es Defizite in der medialen Berichterstattung – Abschreiben von Agenturmeldungen, Reduktion von Korrespondenten, schlechte Recherche, u.a. – gibt, ist unbenommen, auch dass das Überangebot (und andere Entwicklungen) teilweise zu Erregungsdebatten oder plakativen Darstellungen führen. Mir kommt die Medienschelte manchmal aber sehr reflexhaft oder übereilt vor. Aufklärung ist ein Prozess, man sollte also den Verlauf einer medialen Diskussion/Debatte/Berichterstattung von deren Resultaten unterscheiden bzw. abwarten, tatsächlich ist ja keiner von uns in der Lange den »Fall Timoschenko« umfassend zu beurteilen.
Falls es nichts vergleichbares (wie etwa Deinen Artikel oben) in den deutschen Medien gibt, dann ist das tatsächlich ein Armutszeugnis. Was aber nicht heißt, dass nichts mehr kommt. Allerdings ist es natürlich richtig, dass der breite Boykottgedanke erst durch die wenigen kritischen Stimmen möglich wurde.
Es wäre interessant sich den Verlauf der medialen Diskussion z.B. anhand der Beispiele von Simbabwe und der Elfenbeinküste anzusehen und wie es letztlich doch zu einer Dekonstruktion der anfangs vermittelten gut-böse-Schemata – unter Mithilfe der zuvor versagenden Medien? – kam.
Ich vermag an meinem Beitrag nichts Reflexhaftes zu erkennen. Und das hier vielleicht als einziger Beitrag die PR-Thematik angesprochen wird, zeichnet ihn weder aus noch verdammt es ihn. Ich gebe nur zu bedenken, dass BYuT und Timoschenko selber für ihre Zwecke PR-Agenturen in den USA beauftragt hatten – und das mit einem nicht ganz geringen Budget. Man kann das wirklich in wenigen Minuten nachschlagen und könnte dann beispielsweise fragen, woher das Geld kommt. Und man könnte fragen, warum wenige Wochen vor einem solchen medialen »Super-Event« wie einer Fußball-EM die Gefangenschaft dieser einen Person derart offensiv in den Fokus der Berichterstattung kommt. Damit ist über die Causa an sich zunächst nichts ausgesagt.
Dass auch Journalisten längst mit der Bearbeitung der ihnen zur Verfügung stehenden Materialien überfordert sind, mag eine Sache sein. Aber dann mißfällt mir die voreilige Parteinahme noch um so mehr: Es wird ja ständig der Anschein produziert, hier sei so etwas wie objektive Berichterstattung am Werk. Dabei ist vieles inszeniert – was nicht schlimm wäre, wenn es als solches – als Inszenierung – ausgewiesen würde.
»Abwarten« bringt manchmal auch nicht besonders viel. In Erinnerung ist mir noch die sogenannte Brutkastenlüge – ein in seiner Perfidität herausragendes Propaganda-Lügenstück, welches als einer der Türöffner für den »normalen« Medienkonsumenten hin zur Kriegsbefürwortung galt. Die völkerrechtwidrige Okkupation des Irak unter Saddam Hussein wird mit Feststellung dieser Lüge natürlich nicht reingewaschen, aber der emotionale Untergrund in der Bevölkerung wäre ein anderer gewesen. So wird eben »nachgeholfen« – erst ein paar Jahre später kommt man einem solchen Treiben auf den Leim. Dann sind aber die beabsichtigten Entscheidungen längst getroffen worden und nicht mehr umzudrehen. Von den plumpen Lügen der Bush-/Powell-Regierung rede ich jetzt mal nicht.
Hätte eine einfache käufliche PR-Aktion solchen Erfolg gehabt? Ich glaube nicht.
Neben den verstärkenden Faktoren wie blonde Zöpfe musste die Kampagne auf fruchtbaren Boden fallen. Unsere Generation ist wie keine zweite mit dem Gegensatz zwischen gut und böse in der Politik aufgewachsen, so dass Antagonisten, von denen ein Vertreter zu unterstützen sei, in Fleisch und Blut übergegangen ist. Wir haben doch gelernt, dass diese Unterstützung Staatsräson ist, Widerspruch fast Landesverrat. Kein Wunder, dass sich kaum einer traut in Grau zu malen, um sich nicht in irgendeiner Ecke stehend wiederzufinden.
Das funktioniert natürlich nur in bestimmten Teilen der Welt. Einen solchen Popanz in Finnland oder Kanada aufzubauen wäre fast unmöglich. Eine Einheitsfront aus Politik, Wirtschaft und Presse gibt es aber natürlich nur drüben, wo immer das heute auch ist.
Ich habe auch nicht von Deinem Beitrag gesprochen und wollte nur begründen warum ich mich dem in den Kommentaren geäußerten Tenor nicht ganz anschließen möchte. Ja, Timoschenko bedient sich einer, sagen wir, üblich gewordenen Strategie, die ich zwar nicht mag, die aber noch nichts über den Wahrheitsgehalt der Angelegenheit mitteilt.
Doch, ich glaube schon, dass es etwas über die mediale Berichterstattung sagt, sollte ein Blogger der einzige sein, der einen wesentlichen Aspekt eines stark präsenten Themas beleuchtet.
Würde ein Journalist eine Inszenierung als solche ausweisen, würde er ein negatives Urteil über seine Arbeit abgeben, es sei denn er sähe sie wesentlich als Inszenierung, was wohl kaum einer tut.
Hinsichtlich der praktischen Konsequenzen bringt abwarten wenig, aber rückblickend erfährt man zumindest manchmal wie gespielt wurde (ein schwacher Trost, ich weiß).
Der gut-böse Gegensatz in der Politik ist allerdings zu einem Gutteil von deren Akteuren verschuldet und nicht bloß den Medien anzulasten.
Völlig klar: Der Wunsch zwischen Gut und Böse zu unterscheiden bzw. unterscheiden zu können entspringt der Sehnsucht nach der einfachen, mundgerechten Erklärung. Medien erfüllen diese Sehnsüchte des Publikums zuweilen aber recht gerne, weil sie auch von der Komplexität der Welt entlasten. Sie kommen sich dann vor wie ein Staatsanwalt, der nur noch belastendes Material sucht – statt in beide Richtungen zu ermitteln. oder eben als Anwalt für irgendwen. Die Reflexionen über das Tun passieren dann – wenn überhaupt – Jahre später.
Das Problem ist, dass Medien per se nicht selbstkritischer als beispielsweise Politiker oder Manager. Im Gegensatz zu den beiden letztgenannten Gruppen, die von Medien mit Lust und Verve mit ihren Widersprüchen konfrontiert werden, betreiben sie jedoch ganz selten eine kritische Reflexion ihres Tuns. Falls dies doch geschieht, erfolgen zu oft hanebüchende Entschuldigungen. Daher stehe ich dem Selbstverständnis einer »Vierten Gewalt« sehr kritisch gegenüber. Schon, weil jede Überprüfung leicht als Beeinflussung oder gar »Zensur« interpretiert wird.
Ich glaube, das die Bereitschaft zu einer kritischen Rezeption bei den meisten Medienkonsumenten abnimmt. Die meisten glauben fast alles. oder man hat es mit abstrusesten Verschwörungstheorien zu tun. An Auseinandersetzungen mit Fakten sind die wenigsten interessiert bzw. es wird ihnen auch eingeredet, dass es viel zu kompliziert sei. Schlimm ist, dass diese komplexitätsreduzierenden Affekte inzwischen auch längst in der Politik Einzug gehalten haben.
Eine vierte Gewalt vielleicht (noch) dem Einfluss nach. Und es stimmt, das Argument »Redaktionsgeheimnis« etwa wird recht schnell und gerne ins Feld geführt.
Mir scheint, dass sehr viele wissen oder zu wissen meinen, dass man »den Medien« nicht (immer) trauen kann. Ob das aber Einfluss auf die Rezeption hat, ich zweifle...
Wenn ich meine eigenen Gewohnheiten übersehe, dann gibt es bestimmte Themen, die mich eigentlich immer interessieren, darüber hinaus ausgewählte aktuelle Debatten die ich verfolge und zuletzt Angelegenheiten die ich nur im Auge behalte (da gibt es dann schon das Bedürfnis nach verknappter Information, einerseits weil es mir nicht so wichtig erscheint, andererseits weil die Entwicklung noch nicht an einem bestimmten Punkt angelangt ist). — Und mehr schwankend als konstant ist das Interesse an den Medien bei mir schon.
Es wird schon besser.
Die Skepsis gegenüber den Medien ist ja nicht vollständig aus der Luft gegriffen. Fehlerchen dort, Indoktrinationen hier. Komplexitätsreduzierung, Vereinnahmung durch Propaganda (gewollt oder nicht), schlampige Recherche, Nachplappern aus Sekundär- oder Tertiärliteratur (häufig ist der so oft denunzierte Stammtisch authentischer und genauer) – das sind alles (leider) keine Ausnahmephänomene mehr. Hieraus speisen sich dann ganz schnell Verschwörungstheorien oder Komplottansagen auf der einen, Verdrossenheit und Unlust auf der anderen Seite. Es gibt ja Sprichwort, dass man dem, der einmal gelogen hat, nicht mehr weiterglaubt.
Das Netz hat die Möglichkeiten auch für Nicht-Journalisten geschärft, subjektive Fehler in Berichterstattungen zu entdecken. Leider ist das natürlich ein zweischneidiges Schwert, denn es findet sich ja zu allen Fragen immer auch eine dezidierte Gegenmeinung – und das bis hin zu historischen Fakten, die je nach politischer Opportunität angezweifelt werden. Insofern bringt das Internet zunächst eine Bereicherung – um dann in Verunsicherung umzuschlagen: Was stimmt denn nun? Journalisten fühlen sich nicht mehr an objektive Kriterien gebunden (sie sind natürlich auch schwer umzusetzen), sondern betreiben zumeist Meinungsjournalismus. Der Rezipient muss sich durch die Fülle der Meinungsbildner durchwühlen, um einen halbwegs sicheren Überblick zu erhalten. Das kann man auf ein, zwei (Spezial-)Gebieten vielleicht mehr oder weniger schaffen – aber selbst dies ist enorm aufwendig. Wenn dann – unbeabsichtigt oder nicht, aus Dummheit oder Verdummung – Fakten verschwiegen oder erst gar nicht zur Geltung kommen tritt eben jene Haltung ein, zunächst einmal nichts mehr zu glauben.
Danke für den Standard-Link – mal sehen, ob sie den Link zu meinem Beitrag, den ich ihnen geschickt habe, »erlauben«.
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Zum Urheberechtsbeitrag später.
Um nochmal ihre Verschwörungtheorie-Phobie zu stimulieren: Eine Google-News-Suche nach »Schlömer Kissinger« findet mit http://www.telepolis.de genau ein Medium, dass über das geplante Treffen berichtet. Wenn Kissinger den Vorsitzenden einer neuen politischen Kraft in Deutschland »mal kennenlernen« möchte, ist das für mich eine Nachricht, die in jede Zeitung gehört. Ist das die Schere im Kopf oder eine bewusst unterdrückte Nachricht. Ich glaube da nicht an den normalen Lauf der Dinge.
@Peter
Bei mir ist die Welt der erste Treffer. Aber das Argument an sich ist problematisch, weil google seine Suchergebnisse auf den Benutzer zuschneidet.
Wie wäre es denn mit der Suche nach »Trittin Bilderberg«. Wieder nur Telepolis. Auch bei Bing, auch bei Yahoo. Ich sollte das sein lassen. Schnipp, schnapp.
Als kleine Ergänzung: Am 11. Juni 2012 hat der Ehemann von Julia Timoschenko (mit Adresse in Dnepropetrowsk, obwohl es doch hiess, er habe politisches Asyl in Tschechien beantragt) die Washingtoner PR-Agentur Wiley Rein LLP beauftragt, die amerikanische Regierung im Sinne der deutschen Kanzlerin Angela Merkel dazu zu bewegen, dass Julia Timoschenko in ein Krankenhaus nach Berlin verbracht werden soll. Die entsprechende Dokumentation: Hier.